
Jagiellonen-Universität Krakau / Universitätsbibliothek
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Ich woh’n auf dem schönsten, einsamsten Stern, Bettine, doch
ich bin viel um Dich, u freue mich Dein, da muß ich Dir’s einmal auch sagen:
„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen —“2
Am wenigsten Dir!
Geweint hab ich über Dich, Bettina, u, o. Gott welche süßeselige
Thränen! Weinen, Jenseits? fragst Du? Ja, was wäre
das Jenseits wenn wir dort beraubt würden? Die Thräne
ist der Liebe allerkostbarstes Juwel, meine [Weinen] Thränen flicht flechten Dir eine unvergäng=
liche Krone, schmücke Dich damit, u freue Dich Deiner Genius=
strahlenden Stirne, Deiner Augen, die das Elend suchen, u der Armuth
lächeln, wie die himmlische Liebe voll Trost und Milde, sie stralen süßer noch in diesem Kranz!
Erbarmen, der glühende Gottesstrahl, die höchste Beglaubigung Deiner
hohen Sendung, wie durchströmts Dich, wie heldenkühn
übst Du es [aus]heldenkühn! Wie Christus die Seele willst Du
das Fleisch erlösen — o, hüthe Dich, Bettina! auch für
Dich wird der Baum zu einem Kreuz, u Du wirst
dran schmachten,u mit Gall‘ u Essig3 getränkt
werden —
Du flogst zu den Sternen, u sie wurden Dir Spiegel
des Jammers der Erde, da verläugnetest Du die
Seligkeiten Deines Aufschwungs, u Du windest
Dich nun, die Leuchte in der Hand, durch die Tropfstein=
höhlen des Volkselends, daß sie offenbar werden den Blicken der Welt — Gott sei mit Dir! Ach, Bettina!
Werden die helfen, für die das Volk nur Mittel ist, nicht
Zweck?
Kennst Du den Gott des Reichthums in der Indischen
Mythe? Kuvera4 ist sein Name. Er thront, [mit]von von Edelsteinen
Perlen u Gold überfunkelt, auf einer [über] lastenden Platte
1 Das Datum wurde vermutlich nachträglich hinzugefügt, denn tatsächlich kann der Text erst ab dem Mai 1844 entstanden sein, da er Bezug nimmt auf Bettina von Arnims Werke Die Günderode und Dies Buch gehört dem König, die Chézy erst über Leonidas Sgoutas erhalten hat, den sie im Mai 1844 kennengelernt hat.
2 Zitat aus Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil (V 443), auf das sich auch der im Textverlauf mehrfach aufgerufene Novalis in seinem fragmentarischen Allgemeinen Brouillon bezieht: „Die Geisterwelt ist in der That schon aufgeschlossen“ (Eintrag Nr. 341). Bettina von Arnim gibt dem ersten Brief der Günderode-Figur in ihrem Briefbuch Die Günderode das Fragment Die Manen der wirklichen Karoline von Günderrode mit, in dem in einem Lehrer-Schüler-Gespräch die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit Verstorbenen im Rahmen einer zugänglichen „Geisterwelt“ thematisiert wird.
3 Im Matthäus-Evangelium der Bibel erhält Jesus am Kreuz Wein mit Galle, im Johannes-Evangelium Essig zu trinken gereicht.
4 Kuvera, meist Kubera genannt, ist der indische Gott des Reichtums, in verdischer Zeit galt er oft als Verkörperung des Bösen.
von Stein, wunderlich ausgeschmückt mit prunkvollen
Gebilden, u seine volle Last wägt drückend auf Frauen,
Kinder Jünglinge Männer u Greise, die bleich u dürr
den feisten Gott kriechend mit den Händen emporhalten;
um den Stein her, u auf dem Jammerweg hinter ihm wimmelts
von Sterbenden, die unterm Gewicht schon erlagen, Kuvera
glotzt vor sich hin, in unbezwinglicher Behaglichkeit —
„So war’s, so ist es!“
Setz ich hinzu: „u so wird es sein?“ Ach! es war ja so vor Tausend u
noch Tausend Jahren, in Ostindien, wo der glühende Sonnenstral die Brot=
frucht erzeugt, die labend u stärkend herabblinkt von den Zweigen, u
des Obstes süßerquickliche Fülle! Wie soll’s nicht noch heut so sein,
u zumal in Europa, wo hie u da dem Sandboden, der Steppe karger
Ertrag mit rastlosen Mühen abgerungen werden muß, wo der Arme
„Im Schweiße seines Angesichts“ nicht „sein Brot ißt“5 sondern um
Brot jammert.
Die Indischen Gottheiten sind dahin, aber Kuvera lebt!
Die guten Hindustaner! Die trugen willig den Gott mit seinen Häuptern
allen! Eines war Kschatria, eines Bramin,6 dies war das Mächtigste, Indra7
mußt‘ Ihnen sich beugen; die andern Häupter kannst Du Dir denken, nicht alle sind
abgebildet, am Wenigsten die seit jenem Jahrtausend noch nachwuchsen. Auf
seinem Steinsitz wurde seither noch die Börse erbaut, u noch andre zerquetschende
Lasten, die Platte ist übervoll, es geht nichts mehr hinauf. Die Hindustaner
konnten den Stein Kuvera noch mit den Händen emporhalten, die Europäer
schleppen ihn nur noch kriechend auf ihrem Rücken fort. Kuvera drückte,
zermalmte, aber ich sah nicht auf der Abbildung Vampyre u Blutigel,
die Blut u Mark wegsogensaugen sah ich nicht auf der Indischen Abblidung
Jahrtausende hindurch hatten die Braminen [den] bei den Kschatria's u selbst
[den] bei den Tschoudras8 von der Wiege auf den Wahn genährt: daß ihr Fluch
selbst Götter zermalme, u der Erde Seegen für sie durch ihr Gebet nur blühe., Vor ihremso daß
[am Rande: Grim̄] bebte die endlich die stolzen Kschatria sich ihnen so tief beugten, wie der Lumpenbedeckte Paria aus der Ferne, ihre Künsteschufen und der Volkssinn zum Lämmersinn um wurde. Da brachen frisch ukühn fremde Horden in das Land u die nackten Lämmer legten
sich demüthig zu ihren sich zu der Feinde Füßen in den Staub u ließen sich ohne Widerstand binden,
5 Abwandlung des Bibel-Verses „Im Schweiße Deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.“ (1. Mose 3,4)
6 Die Kshatriyas und die Brahmanen sind die beiden obersten und herrschenden Kasten (Varnas) im indischen Kastensystem, der Krieger- und der Priesterstand.
7 Indra, die indische Gottheit des Krieges und des Sturms, wurde in der frühindischen Religion als eine der höchsten Gottheiten verehrt, verlor aber später an Bedeutung.
8 Shudra ist im indischen Kastensystem die Bezeichnung der vierten, also im traditionenellen Schema untersten Kaste.
und ohne Murren abwürgen u der Feind metzelte sie nieder, je zu zwanzigtausenden, langsamer
giengs, wie’s heut zu Tag mit Congreve. Raketen9 u schwerem
Geschütz giengegehen möchte, doch es gieng, u die Kriegsvölker zogen in
die Palläste, in die Pagoden, überfielen die Reichen, plünderten
sie, u [zerstörten] vertilgten mit Feuer u der Schärfe des Schwerts ihre gefesselten
Söhne, mißbrauchten ihre wehrlosen Töchter, ihre jammerndenammernden Frauen. Aufgehäufte
Schätze des Denkens, des Wissens der Kunst, fraß die gierige
Flamme, u der Fluch der Knechtschaft blieb auf dem
Lande, u die Fessel, die Tiranneni dem Volke geschmiedet,
drückt noch heute ihre Nachkommen der Tirannen Geschlecht das geknechtete Geschlecht, u die Nachkom̄en
seiner Tirannen. — — — —
Ja, Bettine, gern schlachtet die Habsucht die Henne, die ihr täglich ein goldnes
Eier legte, um sie alle auf einmal aus dem Leib zu nehmensich mit einem Griff des ganzen Horts zu bemeistern —der nur täglich Eins hergab. Gern mag sie, um den ganzen[etliche] Waben
Honigs zu raubensparen, die fleißigen Arbeitsbienen tödten, deren Fleiß denn die Habsucht hat[Sie oft]Ihr den köstlichen [...] Wachs u Honig trug,
blöde Augen, u verrechnet sich vor lauter Rechenkunst,
Du aber siehst nicht nur den hohlen Boden, den ihre Krallen sich ausgrubensie unter sich ausgegraben,
u den Jammer, der drunten wüthet; Du siehst nicht, wie dünn
sdie Rinde, auf der sie über der Höhlung mit ihrer aufgespeicherten
Beute lastet, siehst nicht, wie sie geborsten klafft, u mit
Einsinkensturz droht. Oder hast Du’s wahrgenom̄en, u rufst
Du diesetwegen in die Lande: Dir zu sagenMan solle Die berichten: wo die Noth?
woher die Noth? was geschehen für die Noth? wie
zu helfen der Noth?10 Ach! das könnt‘ ich Dir alles
sagen, ich seh’s von meinem Sterne, aber wer darf’s bestellen?
[...]
9 Von dem Engländer William Concreve entwickelte Brandraketen, die während der Befreiungskriege, von den Engländern ihren Verbündeten zur Verfügung gestellt, auch erstmals in größerem Stil auf deutschem Boden eingesetzt wurden.
10 Bettina von Arnim ließ im Mai 1844 in mehreren großen Zeitungen für ihr sogenanntes Armenbuch-Projekt einen Aufruf schalten, „an Alle, welche über den Zustand des Armenwesens in Gemeinden, Kreisen, Bezirken, Provinzen u.s.w. des gesammten deutschen Vaterlandes genaue Auskunft zu geben vermögen, [...] der Frau von Arnim getreue Berichte darüber zukommen zu lassen. Besonders wünschenswerth würde es auch seyn, wenn in diesen Berichten angeführt würde, was bis jetzt zur Abhelfung des Uebels [...] geschehen ist und welche Mittel sich wohl zur Verminderung des Noth als wirksam erweisen dürften.“ Der Aufruf erschien am 15.5.1844 in Nr. 113 der Magdeburger Zeitung, 18.5.1844 in der Kölnischen Zeitung, 23.5.1844 in Nr. 144 der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 1151
Du hast ein „Buch für den König“ geschrieben – ei, warum trägst Du
Eulen nach Athen? Die Könige haben mehr Bücher, als
die Bücher Könige haben, es geht ihnen nicht mit den Büchern wie dem
Evangelisten, sondern umgekehrt, gleich auf der Zunge sind ihnen Wahrheiten herbe,
u wenn sie ein Engel reichte, u sie verschucken das Buch nicht; [...] leichter noch würde
der Engel verschluckt. Mit dem Voigtland geh, wo gibt es nicht ein
Voigtland?12 Es ist gar nichts besondres!
11 Die ursprüngliche Seite 4 des Textes fehlt komplett. Nur diese Notiz, die eine Variante einer Passage der verlorenen Seite enthält, ist im Originalmanuskript erhalten. Aus einer Abschrift des Textes, die sich auch in der Sammlung Varnhagen in Krakau befindet, läßt sich ersehen, dass die fehlende Seite etwa folgenden Wortlaut hatte: „Du hast ein Buch geschrieben, das gehört, so schreibst Du, dem König – welchem? – Alle könnten glauben, daß es Jedem von Ihnen gehöre. Jedes Reich hat sein Voigtland mit solchem Jammer und jede Republick nicht minder. Liest man nun in Deinem Buche, was unmittelbar einem großgesinnten, hochherzigen, geistfunkelnden König gegenüber ausgesprochen wird, so weiß man gleich, wen Du meinst, und freut sich, daß Du gefühlt, wie ihm die Wahrheit gefällt. Sieh! Was ihm selbst dort gesagt ist, errieth ich aufs Haar, wenn auch tausenderlei in dem Buch steht, das dem Könige nicht gehört! Gefällt’s ihm, so kann Er sich’s aneignen. In Seinen Adern glüth das Blut, das Friedrich II. großes Herz durchquoll, sie haben’s beide vom großen Kurfürsten her, wenn’s auch nicht jede Brust so reichdurchquillt, es fehlt in keiner von diesem Stamm! Kein redlich Wort an Sie ging noch verloren, und wenn’s die Stimme in der Wüste wär! „Schön wär’s, wunderbar groß und herrlich, unberechenbar in der Wirksamkeit, träte die ewige Schöpfungskraft abermals in Menschengestaltan an das Licht, träte sie in einem Mächtigen auf, der in schöner Mäßigung, in vollkommner Geists-Erleuchtung und Denkfreiheit den Baum der Gerechtigkeit einpflanzte.“ Du hast diese Worte der Frau Rath unterstrichen, geh‘ Bettina! Sie unterstreichen sich selbst, wer liest, muß sie fühlen, wie der Apostel das Büchlein, das ihm der Engel reichte. Ein Buch ist eine Harfe, nur die Meisterhand entlockt ihren Seiten Sturm und Wohllaut ihrer Himmelstöne, der Laie kann nur darauf klimpern. Du hast die Harfe gebaut, Bettina, und Du legtest sie in die Meisterhand: „Doch vom Himmel kommt der Segen!“ Geben ist seliger, denn Nehmen! Das zeigst Du, Bettina! wie hast Du die Frau Rath bedacht! Nun steht sie als Goethe’s Mutter da, vor der Welt und den Sternen, doch muß es Marmor sein, aus dem die Meisterhand eine Gottheit meisselt, und der Edelstein muß in der Druhe liegen, wenn ihr Busen funkeln soll; Du hast die Elemente ihres Wesens durchschaut, und sie ächt und reich erfunden, was ihre Zeit an Goethes Mutter versäumt, das thatest Du, ihre künstlerische Entwicklung hast Du vollbracht, hießest blüh’n, was Knospe geblieben, aber die Knospe war da, sonst konntest Du ihr Blühen nicht schauen, nicht zeigen, was mit ihr verhüllt zur Frucht gegangen.„
12 Den Anhang zu Bettina von Arnims Königsbuch bilden die „Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande“: Der Schweizer Pädagoge Heinrich Grunholzer dokumentiert im Armenviertel im Norden Berlins vor dem Hamburger Tor, dem sogenannten Voigtland, das soziale Elend, indem er minutiös aufführt, wieviele Personen jeweils in einem Zimmer wohnen, wieviel Geld sie monatlich in welchem Beruf verdienen und nach Abzug der Miete zur Verfügung haben und wieviele Angehörige sie damit versorgen müssen.
[...]14 das was mit Ihr verhüllt zur Gruft gegangen.
Und die GünderodeO, Bettina! Wie hast Du mich mich überschüttet
mit Blumen u Juwelen aus Deinem umermesslichen
Hort! Dies Buch ist das wundersamste, das je ein Weib
geschrieben, u doch konnte ein Weib nur es schreiben.
Diese Musik der Sprache war bei den Engeln bis
Du sie ihnen abgelauscht. Novalis war Dein
Vorbote, wie das Veilchen den Frühling ver=
kündet u bringt! Novalis! Wir Alle erwachten
bei seines Genius Liebestahlen, frischer Kampf
war ist seines Namens Bedeutung, doch wie der
Indische Liebesgott war er gerüstet, Blumen
seine Pfeile, seines Wagens Bespannung
Bienen. Die Philosophie, Poesie durch ihn emporgeflügelt
wollten ganz Geist werden, seine Jünger
hießen sie versteinen, doch zum üppigen
Fleische wurde der Stein, u nun kommst Du
u bringst Rettung, mit Dir ist der Genius
u die Liebe —
Und die him̄lische Milde! Ja, Bettina, Du gibst all Dein Gut für die Armen u folgst Christum
nach. Höheres bringst Du da, als der Jüngling ,zu
[am Rande: Nain]15 der den Erlöser fragte: Meister, wie was kannsoll ich thun,
daß ich selig werde? Der hatte nur irdisches Gut, Du
reichst Deinen Geistesschmuck hin. Weißt Du
auch welche Schwelle Dein Fuß betritt? Die düstere
Schlucht, wo Millionen Gewürme hausen u Schlangen
züchten — [Gott sei mit Dir! doch folge] O, hüthe Dich! [auch Du,]
u damit viel Dir werde, erstrebe nicht Vieles. Was Du in
Deinem nächsten Kreise findest, auf eigner
13 Das Fehlen der vorhergehenden Seite wurde von einem späteren Leser des Manuskripts nicht bemerkt und die Seitenzahl ab dieser Seite, die eigentlich die fünfte Seite des Manuskripts darstellt, als S. 4 angepasst.
14 Zur fehlenden vierten Seite des Originalmanuskripts und ihrem Inhalt siehe die erste Anmerkung auf der vorangehenden Seite.
15 Helmina von Chézy verwechselt hier die neutestamentarischen Geschichte vom „Jüngling zu Nain“ (Lukas-Evangelium 7, 11-17) mit der vom „Reichen Jüngling“ (Matthäus-Evangelium 19, 16-26, Markus-Evangelium 10, 17-27, Lukas-Evangelium 18, 18-23) aus der Bibel.
(Roter Stempel der Preußischen Staatsbibliothek, heute Staatsbibliothek zu Berlin: PR. ST. BIBLIOTHEK BERLIN)
Bahn, das beschaue, das durchdringe, u hilf geh behutsam
an das Werk der Rettung; die Wunden der Zeit
sind so tief u brandig daß Berührungen
sie noch mehr entzünden. Gieb ein großes
Beispiel, zuvörderst durch weise Beschränkung.
Richte nach einem Ziel die überquillende
Kraft, wie der Lenker die Rosse zügle
sie, u werd‘ ihrer Meister, was Du beginnst,
darin sei beharrlich, u was Dir nicht möglich
gelingt das stelle Gott anheim, dein Herz wird weinen,
doch Jesus spricht: Selig sind, die da weinen,
denn sie sollen getröstet werden!17
Bete u kämpfe ruft die Zeit, Kampf ist die
Arbeit dieser Tage! Selbst das Friedenerstrebendste Wollen
der Guten ist die Losung zum Kampf auf
Leben u Tod! Mit dem Hergebrachten kämpft
das neue Werden, weh den müssigen Zu=
schauern! Felsen rollen, zerschmettern,
giftgetränkte Geschosse fliegen, nur
wer auf dem Wahlplatz steht ist geborgen,
sei’s durch Sieg, sei’s durch edeln
Fall, keine stille Zufluchtsstätte mehr
ist offen. Worte taugen der Zwietracht
nicht mehr, sie will Sturm, lechzt nach
Blut! Die Basilisken-Eier18 sind auf=
gesprungen, überall nistet die höllische Brut, vergiftet mit Bruderhaß Christ
gegen Christ, Musulmann gegen Christ,
Christ u Jud gegen Jude! Blikk in die Kerker!
16 Wieder wurde die Seitenzahl angepasst: Die eigentlich sechste Seite des Textes erhielt als fünfte erhaltene Seite die Ziffer fünf.
17 Bergpredigt aus dem Matthäus-Evangelium (5,4) der Bibel: „Selig sind, die da leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“
18 Basilisken sind unheilbringende Fabelwesen, deren Atem als giftig und Blick als tödlich gilt, beschrieben etwa bei Plinius dem Älteren im achten Buch der Naturalis Historia. Ihre Eier symbolisieren in besonderer Weise die Bedrohung eines plötzlichen Auf- und Ausbrechens des Bösen, siehe Jesaja 59, 5-8, in der Bibel.
Tag für Tag füllen sie sich furchtbarer an — eines
Edlen Gefängnispforte wich der Berührung deiner
zarten Hand — was noch vermagst Du für Andre mehr? O, thue
es! Blick in die Gauen, sieh die Flammen lodern;
jeder Tag bringt Kunde der Einäscherung
ganzer Städte, Ortschaften, Gehöfte, List und
Kühnheit tragen verhehlte Funken von Ort
zu Ort, daß Elendsgemeinschaft entstehe,
wo Gütergemeinschaft eine Unmöglichkeit ist,
denn zwischen dem Millionär u dem
Hunger liegt nur noch die gewissenlose
Gier, die trotzige Willkühr, die den Darbenden
zur Verzweiflung bringt. O, Bettina!
schmilz die Herzen der Reichen u Gewaltigen,
daß der Milde Thau diese Flammen
kühle, denn der Haß der AusgeraubtenMittellosen
gegen Besitzer die Reichen Bemittelte zerstört in blindem
Inngrimm auch bedrängter Brüder
geringes Eigenthum — blikke umher, Du
wirst überall den Teufel der Eigensucht seine
bleichen Opfer langsam würgen sehen, hier als
Spielbankhalter, dort als Spekulant, dort als Fabrikherr,
dort als gewissenloser Beamte, ja ach! unter unzähligen
Gestalten! Doch jede Wüste hat Oasen, u wenn
Du die Syrten der irdischer Leiden u Vergehen [heiter]
durchwallst, manche erquikkende Flut wird
Dein Stab aus dem Felsen hervorsprudeln
lassen, denn Dein Wille ist rein, u Dein
Herz ist schön. Nachahmung wirst Du wecken,
wuchert das böse Beispiel fort, wie solls das
Gute nicht auch? Sei stark und froh!
19 Wieder wurde die Seitenzahl angepasst: Die eigentlich siebte Seite des Textes erhielt als sechste erhaltene Seite die Ziffer sechs.
Hast Du vor Jahren wol einmahl beim Clemens, der
viel Altes aufspeicherte, einen Catalog des gelehrten
Frauenzim̄er20 gelesen?
Ich that es u. machte mir Auszüge daraus, den̄
es ist ein gründlich abgefaßtes lehrreiches Werk
aus dem Ende des 17t_ Jahrhunderts, auch von
einem Frauenzim̄er, sie hieß die Leborin21
Die Sachen standen damahls anders, eig=
entlich besser, wie heut zu Tage , wenig Frau=
en schrieben, u. die da schrieben waren so
grundgelehrt, dass Neid u. Schmähsucht ver=
stum̄en mußten; laß Dir von Einigen was
erzählen.
E. Elisabeth Valkiers22 von Genf lebte noch 1685.
Sie sprach u. schrieb Französisch, Latein, Italien=
isch, hatte einen philosophischen Curs absolviert,
u. in Politik u. Philosophie sich viel umgesehen –
wie? Das wird nicht berichtet, mit den Augen
nicht, den̄ seit ihrem ersten Lebensjahr war
sie erblindet — sie sang, spielte mehrere
Instrumente, schrieb mit einem holzernm
Alphabet. Sie wird als edel u. liebreich ge=
priesen, ihr Sin̄bild war ein Diamant mit
den Worten In tenebris micat.23 Auch wol
eine Perlenmuschel: In tenebris thesauris.24
Sieh! Das machen ihr die Obskuranten25 nach,
freilich in einem andern Sinn, den̄ die
Schätze, die sie der Welt in Dunkelheiten
verheißen, hat noch keine Wünschelruthe ent-
deckt.
Eines asiatischen Grafen Tochter, Theresia26
,27 ihr Vater war ein Christ, herrschte
über den oberen Theil der Catey-schen Sar-
tarei,28 unweit Bagdad. Nach überstandner
Belagerung der Christen ging Theresia
nach Rom um sich dort noch mehr auszu=
20 Der gesamte zweite Textteil steht unter einem Doppelbezug auf zwei unterschiedliche Werke: Chézy bezieht sich explizit auf den Titel von Dorothea Erxleben, geborene Leporin: „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleisse, umständlich dargelegt wird von Dorotheen Christianen Leporinin. Nebst einer Vorrede ihres Vaters D. Christiani Ploycarpi Leporin, Med. Pract. in Quedlinburg, Berlin, Zu finden bei Johann Andreas Rüdiger, 1742.“ Aus diesem Werk wird jedoch tatsächlich nichts zititert oder paraphrasiert. Stattdessen besteht der zweite Textteil zu großen Teilen aus wörtlichen und paraphrasierten, jedoch nicht gekennzeichneten Exzerpten aus dem „>Werk von Johann Caspar Eberti: “Eröffnetes Cabinet deß Gelehrten Frauen=Zimmers, Darinnen Die Berühmtesten dieses Beschlechtes umständlich vorgestellt werden Durch Johann Caspar Eberti, Neokirchensem Silesium, Franckfurth und Leipzig, Bey Michael Rohrlachs sel. Wittib und Erben, Anno 1706.„
21 Dorothea Christiane Erxleben war die erste promovierte Ärztin im deutschsprachigen Raum und eine engagierte Befürworterin des Frauenstudiums. Das ist vermutlich ein Grund dafür, dass sie als Patronin besser geeignet ist als der Pastor und Theologe Johann Caspar Eberti, dessen Werk eigentlich zitiert wird.
22 Esther Elisabeth Valkiers, eine gebildete Frau aus Genf, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte, gelangte zu einer gewissen Berühmtheit, auch über ihren Tod hinaus, weil sie, obwohl von Kindheit an erblindet, mittels eines hölzernen Alphabet, das ihr ihr Vater angefertigt hatte, schreiben lernte. Siehe dazu z.B. den Bericht im Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 22 (25.1.1812), S. 87. Alle hier über sie gegebenen Informationen sind paraphrasiert aus dem Artikel in Ebertis Cabinet Deß gelehrten Frauenzimmers, S. 364-366.
23 Es funkelt in der Dunkelheit.
24 In der Dunkelheit ein Schatz.
25 Verschworene Finsterlinge. Seit der Aufklärung war Obskurant ein beliebter Kampfbegriff, um Gegner als rückwärtsgewandt und irrational zu bezichtigen; im 19. Jahrhundert verwendete z.B. Heinrich Heine den Begriff des Öfteren.
26 Gemeint ist Teresa Shirley Tochter des tscherkessischen Adeligen Ismael Kahn aus dem engeren Kreis Schah Abbas I., sie heiratete um 1607 den englischen Reisenden, Abenteurer und Diplomaten Sir Robert Shirley und bereiste mit ihm viele europäische und orientalische Länder. Alle Sätze über sie sind Paraphrasen des Artikel aus Ebertis Cabinet Deß gelehrten Frauenzimmers, S. 353.
27 Immer wieder sind Lücken im Text, in die Helmina von Chézy vermutlich nach einer erneuten Konsultation von Ebertis Cabinet Informationen nachtragen wollte, wozu es aber nie kam. Bei Eberti S. 353: „Teresa. Eine Asiatische Asiatische Gräfin aus Persien/ ihr Vater war Graff Samputh, oder wie wir schreiben Samson“.
bilden, Sie konnte Persisch, Indisch, Türkisch, Mos=
kowitisch, Polnisch, Englisch, Spanisch, Fran=
zösisch Italienisch reden und schreiben. Die Ge=
schichtsschreiber jener Tage priesen ihren hohen stand=
haften Muth während der Verfolgung.
Willst Du noch hören von Amalasvinta29
Tochter Theoderichs, Königs der Gothen? Sie leb=
te im V Jahrhundert, kannte aller Völker
Sprachen mit denen die Römer nur zu thun
gehabt' Regierte als Vormünderin̄ ihres Sohnes
Adalarich acht Jahr lang mit Ruhm, gewan̄ der
Völker Liebe, nahm bei dessen Tode einen
nahen Anverwandten Theodat zum Mitre=
genten an, der sie vom Thron stürzte, ver=
bannte, u. dan̄ noch Anno 595 ermorden ließ.
Du siehst daß Weisheit u. Wissen nicht stets vor
Arglist schützt, u. dass auch der Völker Liebe
nicht im̄er sinkende Throne zu stützen weiß,
u. den̄och bleibt sie die kräftigste aller
Thronensäulen.
Theodolinde30 Königin̄ der Langobarden die
im 31 Jahrhundert ihr Volk zum Christenglaube
brachte, Pabpst Gregors Freundin̄, der ihr 4
Bücher de vitae sanctuorum zueignete,32 Paulus33
— Theano, Pythagoras Gattin34 „war schön u. lieb=
lich“35 stand nach Pythagoras Tode etliche Jahre
mit Ruhm seiner Schule vor — „Theano,
Brontini Cratiniatae Gemahl, gute Philoso=
phin, u. artige Poetin, sonderlich unvergleich=
lich in Lyrici —“36
Thekla, zuerst Adelaga,37 kam im VIII Jahrhundert
mit der H. Walburg aus England nach Deutsch=
land, wurde nach Caspar Hedionis38 Bericht39
dem neuen Benediktinerkloster zu Kitzingen
in Franken vorgesetzt, mußte auf Anord=
nen des h. Bonifatius öffentlich in Kirchen
lehren u. predigen — Tarquinis Molza40
aus Modena, sprach u. schrieb nebst dem
Italienischen Hebräisch, Griechisch, Latein.
War in der Philosophie gelehrt — in Historien
29 Amalasuntha, Königin der Ostgoten, Tod 535. Alle Sätze des Absaztes (mit Ausnahme des letzten) sind Paraphrasen von Eberti S. 12f.
30 Theolinde, geboren um 570, gestorben 627 bei Varenna am Comer See, Königin der Langobarden. Alle Sätze über sie sind Paraphrasen von Eberti S. 359.
31 Bei Eberti S. 359 steht hier „VI. Seculo“.
32 Die Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum I-IV handeln von Leben und Wundern italienscher Heiliger. Das zweite Buch ist jedoch explizit Benedikt von Nursia gewidmet.
33 Hier handelt es sich um einen aus einem Flüchtigkeitsfehler entstandenen Kopierfehler: In einer Handschrift Helmina von Chézys, die sich im Archiv der Berlin Brandenburgeischen Akademie der Wissenschaften befindet, steht „Pretas“, für das die Editorinnen des Textes im Internationalen Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft plausibel vermuten, dass eigentlich „Cretas“ gemeint sei. Im Artikel zu Theano bei Eberti, aus dem Chézy exerpiert hat, wird die „Insul Creta“ genannt, in keiner Weise jedoch Paulus.
34 Theano, spätes 6. Jahrhundert vor Christus, Pythagoreerin, wird oft als Gattin des Phliosophen Phythagoras (um 570 bis 510 v. Chr.) und Muster weiblicher Tugend dargestellt. In einigen Quellen wird ein Phythagoreer namens Brontinos oder Brotinos als ihr Ehemann oder auch Vater genannt. Eberti schreibt in seinem Paragraphen (S. 355-357) über Theano, dass es drei berühmte Frauen dieses Namens gegeben habe, die in der Rezeption häufig vermischt würden. Alle Angaben Chézys über Theano sind Paraphrasen dieses Paragraphen, wobei auch sie nicht zwischen den drei dort aufgeführten Frauen unterscheidet.
35 Dies ist kein wörtliches Zitat von Eberti. Dort steht auf S. 356: „ganz ungemeine Annehmlichkeit und schöne Leibes-Gestalt“.
36 Wörtliches Zitat von Eberti S. 355.
37 Eigentlich wird Hadeloga von Kitzingen, geboren um 710, gestorben um 750, als Gründerin und erste Äbtissin des Benediktiner Klosters in Kitzingen überliefert, während die heilige Thekla von Kitzingen, geboren in England, gestorben um 790 in Kitzingen, als ihre Nachfolgerin als Äbtissin gilt. Chézy übernimmt auch hier fast wörtlich die Angaben von Eberti S. 350f.
38 Kaspar Hedio, geboren 1494 in Ettlingen, gestorben 1552 in Straßburg, Historiker, Theologe und Reformator.
39 Bei Eberti wird als Quelle „Lege Zeilleri Typographiam Franconiae, fol. 29.“ angegeben.
40 Tarquinia Molza, geboren 1542 in Modena, gestorben 1617 ebd., italienische Dichterin, Übersetzerin und Musikerin. Auch die Angaben über sie sind bis auf den Einschub in Klammern eine nahzu wörtliche Wiedergabe von Eberti S. 349.
u. allen Poeten trefflich belesen — (Ist jetzt un=
möglich!) — in der Poesie wol geübt, in der
Oratorie überaus fertig, wurde sie vom
Rathe zu Rom mit dem Bürgerrecht be=
günstigt. Starb 1600. War so hochgeehrt,
dass man ihr Tasso’s u. ––––––41 Werke zur
Censur übergab. — Tehsa42 Tochter Ache=
lodoros, lebte in der sechs u. siebenzigsten
Olympiade, Zeitgenosin̄ Plato’s u. Pindar’s,
mit welchem sie rühmlich Wettstreit hielt;43
Sie war in der Poesie so kostlich und vortreff=
lich erfahren, daß man sie lyrische Muse
hieß. Ihre Dichtungen44 sind 1568 griechisch u.
lateinisch in Antorf erschienen, auch trefflich
musikalisch war sie. Prinz gedenkt ihrer
in seiner Historia ––––––45 u. erwähnt, daß
sie 50 Lieder geschrieben. Sie starb sechs'zehn
Jahr alt.
Properz u. Statius rühmen sie. Als Corin̄a führt Ebert sie an. Lotichius46 nen̄t sie:
Corin̄a die Dritte — Alpaides47, eine in der
h. Schrift sehr verständige Jungfrau in der
sie wol u. gründlich gelehrt gewesen, hat geist=
reich die h. Schrift erklärt. Wurde Pipin
vermählt, u. gerbar ihm Carl Martell. —
Alkonora48 Königin̄ in England, Mutter
König Johan̄s lebte in den 1199 ger Jahren,
starb 1216 in Kum̄er um ihren Sohn, schrieb
etliche vortreffliche Episteln an Papst Coeles=
tins, u. Briefe an Kaiser Heinrich VI, die
berühmt geworden —
Und nun übergehend mehre hundert, von denen
jede zum Mindesten eine bessere Heldin als Viktor=
ia Akkoromba zu einer Dichtung wäre,49
kom̄e ich zu Deiner Namensverwandtin
Bettina Andrea,50 Tochter des, um das Jahr 1335
berühmten Italischen Juristen Johann An=
drea, Gemahlin̄ des trefflichen Dr. Johan̄es
von San Gregorio, zu Bonona u. Pavia,
gepriesen als Ausbund eines in den
Rechten erfahrenen Weibes, welche "
41 Bei Eberti S. 349 steht hier „Gvarini“. Giovanni Battista Guarini, geboren 1538 in Ferrara, gestorben 1612 in Venedig, war ein italienischer Dichter.
42 Gemeint ist die sagenumwobene griechische Dichterin Korinna, gelebt und gestorben um das 5. Jahrhundert vor Chr. in Boiotien. Wieder wird Eberti (S. 109f.) paraphrasiert.
43 Die Anekdote eines Dichterwettstreits zwischen Korinna und Pindar wird von mehreren Autoren, u.a. Pausanias, wiedergegeben.
44 Die Angaben zu dieser Veröffentlichung sind von Eberti übernommen, der als Quelle „Simlerus l.p.c.m. 174.“ angibt. Tatsächlich sind von den Gedichten Korinnas nur wenige in Zitaten von anderen Autoren erhalten, die im Altertum erwähnte fünfbändige, vermutlich aus hellenistischer Zeit stammende Ausgabe ihrer Werke mit dem Titel „Mele“ ist nicht erhalten.
45 Der Gedankenstrich dient als Platzhalter: Bei Eberti S. 109f. steht Historia Musices und die Seitenangabe 53. Das enstsprechende Werk von Wolfgang Caspar Printz konnte leider nicht ermittelt werden.
46 Johann Peter Lotichius, geboren 1598 in Nauheim, gestorben 1669 in Frankfurt am Main, Arzt und Schriftsteller und Autor des Buches Gynaicologia i.e. de nobilitate et perfectione sexus feminei, Rinteln 1630. Chézy übernimmt den Hinweis auf seine Erwähnung Korinnas allerdings wieder von Eberti (S. 110) und unterschlägt, dass Eberti verschiedene Frauen des Namens aufführt, die sie als eine vorstellt.
47 Alpais, auch Chalpaida, lebte im 7. Jahrhundert und war Friedelfrau von Pippin II. Alle Angaben sind von Eberti S. 11f. übernommen.
48 Eleonore von Aquitanien, geboren um 1122 in Poitiers, gestorben 1204 im Kloster Fontevrault, Königin von Frankreich und England. Auch hier sind alle Angaben von Eberti (S. 11) übernommen.
49 Ludwig Tieck veröffentlichte 1840 den historischen „Roman in fünf Bänden“ Vittoria Accorambona, über die dramatische Lebensgeschichte der italienischen Herzogin Accoramboni.
50 Es wird von zwei juristisch tätigen Schwestern berichtet: Bettina d'Andrea, von der nur das Sterbejahr 1335 und die Lebensorte Bologna und Padua bekannt sind, und ihre Schwester Novella d'Andrea, die als „erste Dozentin des Kirchenrechts in der Geschichte der Kanonistik“ gilt (so Willibald M. Plöchl), und von der die französische Schriftstellerin Christine de Pisan (die jedoch erst Jahrzehnte nach den d'Andreas lebte) berichtet, sie habe den Vater bei Vorlesungen vertreten. Chézy übernimmt jedoch alle Angaben von Eberti, der nur eine der beiden Schwestern aufführt (S. 16f.)
"wen̄ denn ihr Gemahl durch Krankheit oder sonst=
"ige Abhaltungen am Lesen verhindert wurde,
"selbst öffentlich lehrte u. erklärte den Studenten
"die Rechte von dem Catheder, – so berichtet
die Leborin,51 u. nennt, wie bei jeder ihrer
Biographien, auch diesmahl ihre Quellen:52
Gilario da Caste, in Libr. de vitis ill. foemime,
Vossius, Paschius, Leander Albertus u. a.
– Constanze Pipelet53, die als Republikanerin̄
lebte, u. als Fürstin̄ starb, sang in der
Epitre aux femmes, in den Tagen der
Republik:
54
Si la nature a fait deux Sex diffèrens,
Elle a changé la forme, et non les élémens _
u. großartiger noch als jeder Zeitenpunkt
der Vorzeit haben unsre Tage dieser Worte
Wahrheit beurkundet; aber es bleibt den̄=
noch beim Alten, u. wenige der Män̄er,
die Geist u. Genius bei Frauen zu ehren
scheinen, sind aufrichtig, kaum, oder höch=
stens die Vernünftigen u. Billigen. Und
doch Bettina, geht es nicht mit Gemüth,
Genius u. Thatkraft der Frauen, wie mit
Tullia’s55 Grablampe, die seit 1550 Jahren
an ihrer Grabststätte brannte, doch so wie sie
an die Luft kam, erlosch. Sieh darüber
das Werk nach, das ich Dir nannte,56 u. Ci=
ceros Werke, dessen Tochter Tullia war.
Er hieß sie anima mea,57 Lucem Desiderium, Delicias Deliciotas.58
Unter Pabst Paul III wurde Tullias Gruft
gefunden, u. das treue Licht ihrer Nächte
ohne Tag schied von ihr, als Menschenodem
u. Menschforschgier es berührte. Die in̄re
Leuchte die ja auch an einer Grabstätte
flam̄t, den̄ was Leben heißt ist der Tod,
der Leben lügt, wie das Leben der Schein=
todten dern Toden erlischt nicht vom Luftzug,
51 Die einzige Frau in der gesamten Aufzählung dieses Textteils, über die auch Leporin berichtet, ist Theano. Obiges Zitat stammt ebenso wie die meisten anderen Passagen von Eberti (S. 16): „wenn etwas ihr Gemahl durch Kranckheit oder andere Geschäffte zu lesen verhindert wurde/ sie dann keine Stunde vorbey gehen lassen wolte/ sondern prositierte öffentlich und erklärte den Studiosis die Rechte von der Catheder“.
52 Auch diese Literaturverweise sind alle von Eberti (S. 17) übernommen.
53 Constance zu Reifferscheidt-Dyck, geborene de Théis, in erster Ehe de Pipelet, geboren 1767 in Nantes, gestorben 1845 in Paris, war eine französische Schriftstellerin. Um die Jahrhundertwende herum engagierte sie sich für die Gleichstellung der Frauen. Nach ihrer zweiten Hochzeit 1803 hielt sie sich große Teile des Jahres im Schloß ihres Mannes Graf Joseph zu Salm-Reiffenscheidt-Dyck im Rheinland auf. Die Zeilen über die Zeitgenossin Chézys sind die ersten in der Aufzählung, die nicht aus Ebertis Werk paraphrasiert oder zitiert sind. Warum Chézy Salm-Reifferscheidt-Dyck für tot erklärt, obwohl diese erst 1845 starb, ob aufgrund einer Fehlinformation, einer Vermutung oder der der Geschlossenheit ihrer Argumentition, läßt sich nicht ermitteln.
54 Épître aux femmes, S. 5.
55 Tullia, um 79 v. Chr. Bis 45 v. Chr., einzige Tochter Ciceros.
56 Tatsächlich ist auch diese Passage nicht aus dem Werk von Leporin, sondern aus dem Ebertis zusammengestellt (S. 363f.). Selbständig werden die Formulierungen nach der noch von Eberti übernommenen Erwähnung Papst Pauls III. und lösen sich bei der Reflexion über den Tod komplett von der Vorlage.
57 Meine Seele.
58 Irritierende grammatische Formen durch die Übernahme der Akkusativkonstruktion von Eberti (S. 363). Dort steht, dass Cicero Tullia „bald suam animam, Lucem und Desiderium, bald aber Delicias und Deliciosas nennte.“ Lux lat. Licht, desiderium lat. Wunsch, deliciae lat. Liebling, deliciolae lat. kleiner Schatz.
noch von der Entweihung welche die Nähe des roh=
en Haufens mit sich bringt. Weil ihre Nahrung
him̄lisch ist u. ihre Kraft von Gott. Warum sind
Män̄er so zufrieden, wenn Frauen ihre Zeit
vergeuden: Warum rufen sie wie Hierony=
mus der Madonna am Altar ihr Mulier
tacet59 jedem Weibe zu, das für Menschen=
recht u. Volkeswohl fühlt u. kämpft, wo die Män̄er
die Flügel hängen? Wen̄ rege Sorg=
falt für Gemeinwohl in allen Herzen lebte,
wen̄ Män̄er, die es überwachen sollen, ihre
Schuldigkeit thaten, so brauchte die Stim̄e in
Weibesbrust, die, wie der Germanen Gattin̄=
en die Flüchtlinge in die Schlacht zurücktreibt,
nicht laut zu werden, u. der süße Frieden
des weiblichen Daseyns bliebe ungestört.
Seliger ist’s Efeu, als Eiche seyn, wie Geben
seliger ist, den̄ Nehmen, aber warum giebts
morsche Eichen?
Manuel sagte 1792: Es war eine Zeit, wo
eine Gesellschaft von Män̄ern die Frage auf=
warf ob Frauen eine Seele haben?60 Sollte
diese Zeit wirklich schon ganz vorüber sein?
In der zweiten Kam̄er des Großherzogthums
Baden 59te Sitzung wurde noch die Frage
aufgeworfen, ob man Frauen zu den öffent=
lichen u. mündlichen Gerichtsverhandlungen, die
nun schon längst in Aussicht gestellt sind, den
Zutritt gestatten sollte. Überm Rhein war
das nie eine Frage. Die Gegener brachten viel
Ergötzliches in diesen Streit. Sie erschöpften
sich in Redensarten, in Betheuerungen der über=
schwänglichsten Hochachtung für die Frauen,
nur in die Assisen sollten sie nicht, sie
würden die Richter bethören, die Advokaten
zerstreuen, die Eitelkeit aufreitzen den
59 Lat.: „Es schweige das Weib.“ In Anlehnung an I. Korinther 14, 34 aus der Bibel.
60 Hundt und French vermuten diese Aussage im Vorwort des 1792 von Manuel herausgegebenen Briefwechsels Mirabeaus mit Sophie Ruffeis, das kann leider nicht bestätigt werden.
Platz verengen, ja, sie gaben zu verstehen, die
Herrn, wenn ich sie anders recht verstanden,
daß es Verbrechen geben würde, wie Sand
am Meer, denn kein geringer Anreitz zur
Unthat wäre der Frauen Gegenwart, in wel=
cher die Sache ganz dramatisch würde, u. wo
der Übelthäter des Drama‘s Seele, Held u.
Dichter zugleich. Hecker meinte, das müßte
ein ganz miserabler WReiicht[...]er [am Rande: Richter] sein, der sich
von Frauenblikken bei den Verhandlungen
bethören ließe, wo man Einem solchen auf
die Spur käme, sollte man ihn lieber gleich
absetzen! Staatsrath von Iolly, die Depu=
tirten v. Stockhorn, Junghanns, Boehme,
Poßelt, Weyzel u. A, standen da als die er=
klärten Bewunderer der Damen, wenig
fehlte, so hätten sie Schillers Dichtung vor=
getragen, doch ließen sie’s, dem Sin̄e
nach bei der ersten Zeile bewenden:
„Ehret die Frauen, sie flechten
/spin̄en/ u. weben61
Welcker, Mathy, Hecker, Gottschalk, Rindi=
schwender die Veteranen Itzstein u. Ger=
bel u. a. stim̄ten für Zulaßung der Frau=
en, die Welker die edle großartige Hälfte
des Menschengeschlechts nan̄te, die nicht min=
der tief u. fein, oft reiner u. richtiger
fühlt. Wahrscheinlich sprach jede Parthei nach
den Wahrnehmungen, die sie in ihrem eignen
weiblichen Kreise gewan̄. Untauglich, schäd=
lich, Unheil stiftend für sich u. andre in
jedem anderm Wirkungskreise, als im häus=
lichen, dort aber auch der höchsten Achtung
werth, pries der Abgeordnete Boehme die
Frauen, ihres Daseyns u. Wirkens Schranken
scharf bezeichnend, indeß erschöpften sich selbst
diejenigen, welche jedes weibliche Wesen aus
jedem Kreise außerhalb des häuslichen Waltens,
verban̄en wollten, Verehrung in den Ausdrück=
en einer nahmhaften Verehrung für das
61 Erster Vers aus Schillers Gedicht „Die Würde der Frauen“, verändert durch das Einfügen des Wortes spinnen in Schrägstrichen.
weibliche Geschlecht; vorausgesetzt, daß es in
seiner Spähre bleibe.
„Die Sphäre geht über den Rauch=
fang nicht hinaus —"
Die linke Seite — der Mensch hat dort das
Herz, vielleicht die 62 nicht – stürmte
auf die Schranken, in welche die weibliche
Natur eingteilt werden soll, nan̄ten
sie Werke der finstern Gewalt, des blin=
den Vorurtheils des selbstischen Hochmuths —
Zarter, in̄iger, geistreicher als hier, wurde
nie den Frauen gehuldigt. Wahrheiten, von
deren allgemeiner Beherrzigung das Wohl
der Europäischen Gesellschaft abhinge, zuckten
wie Blitze durch die Rednerbühne, man sah
den Abgrund u. die Höhen des Friedens,
wo es gut seyn ist, wo das Herz sagt,
hier lasst uns Hütten bauen.
62 Leerstelle aufgrund von Leseschwierigkeiten des Kopisten: In der Handschrift aus dem Archiv der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die French und Hundt ediert haben, steht an der entsprechenden Stelle „Kammer“.
Am 20t Januar 179263 rollte ein Königs=
haupt blutig in den Sand, gebrochen
die milden Augen, die noch im Scheiden
Segen gestralt, starr das sanfte Herz, das
nur Liebe gekannt.
Siehst Du ihn nicht, wie eine schwarze Wetter=
wolke am Himmel über Frankreich schweben, den Fluch –
nicht des Gerechten! nein, den Fluch dieser
That? Unerfreulich, unerfreut kommen
u schleichen die Gewaltigen vorm
bluthbefleckten Thron, u kein jubelbegrüßter
Erbe reifte dort noch zum Mann.
Der 26t Julius 184465 ruft jede Erinnerung solcher
Frevelthat wieder in das Leben. Auf Erden schlägt
nur Ein Herz, das den Unseligen verzeihen kann,66
wie Ludwig der Sechszehnte Seinem ganzen Volke
verzieh,67 u im Himmel Gott wird verzeihen,
denn Christus sagte am Kreuzt auch für
diesen: vergieb ihnen, Vater, sie wissen
nicht, was sie thun!68
Die Hand, die Sokrates den Schierling braute,
u jede Frevelhand, die einen Gerechten schlug,
folgt dem Herzen, das die Hölle bewohnt, das
der Erbfeind bethört, dort aber über den Sternen
waltet die Allmacht, die unergründliche Vorsehung,
die nur zuläßt, was geschehen muß, das
Warum stralt dort jenseits der Grüfte.
63 Am 21.1.1793 wurde Ludwig XVI hingerichtet.
64 Freies Zitat nach dem fünften Akt (V. 2452f.) Schillers Drama Die Piccolomini, Das eben ist der Fluch der bösen Tat,/ Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.
65 Das mißglückte Attentat auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV durch Heinrich Ludwig Tschech, einen nach Streitigkeiten im Amt entlassenen Bürgermeister, der nach zahlreichen Eigaben und Bittgesuchen um seine Wiedereinstellung den König angegriffen hatte, bewegte die Gemüter im Sommer 1844.
66 Tatsächlich gewährte Friedrich Wilhelm IV dem Attentäter Tschech keine Gnade. Dieser wurde am 14.12.1844 hingerichtet.
67 Von Ludwig XIV werden folgende letzte Worte überliefert: „Meine Herren, ich bin unschuldig an alledem, wessen man mich auch beschuldigt. Ich wünsche, dass mein Blut das Glück der Franzosen kitten möge.“
Heinrich der IV mit dem warmen Herzen für sein Volk, der
da nicht ruh’n wollte bis jeder Bauer in Frankreich am
Sontag sein Huhn in den Topf stecken könne,69 mußte unter
Ravaillac’s Dolch verbluten,70 auch das Messer des Jaques
Clement bohrte sich in kein Tirannenherz; Carl I von England
war gut u milde, auch Gustav von Schweden war ein guteredler
König u der Herzog von Berry ein war ein vortrefflicher, gütiger, geistvoller Prinz;, der Haß der Einzelnen oder der Fanatismus einer Parthei
trifft meuchelmörderisch die Gewaltigen, u wälzt die Thron=
geschicke um, noch kein Volk hat je seinen König gerichtet, zum Richter der Könige ist Gott allein berufen. Schon schon Deutschhatte zweilandsKaiserseinen Johann Parricida
seinen Otto von Wittelsbach erschlugen zwei Mörder, Johannes Otto den Großen vergiftete ein Weib, Frankreich erzeugt einen Meuchler
nach dem andern, doch Ludwig Philipp wird wahrscheinlich, wie
Cesar Augustus die [...] Partheien zügeln, bis die
Hand ihm erstarrt, die sie bändigte; seine Feinde wollen
ihn für Frankreich Oopfern, Tschech ist kein Alibaud,
er ist ein Herostrat. Friedrich Wilhelm IV wird
ihn über die Liebe der Preußen vergessen, u
die Geschichte seiner nur als eines Ruhmtollen
erwähnen, unwerth des Schaffots, dieses ernsten
Ausgleichungsmittel zwischen der menschlichen Gesellschaft
u dem Verbrecher, zwischen der ewigen Gerechtigkeit u
dem Sünder.
69 Als geflügeltes Wort überliefertes Zitat von Heinrich IV., das er im Gespräch mit Karl Emanuel I. von Savoyen geäußert haben soll: „Si Dieu me donne encore de la vie, je feray qu’il n’y aura point de laboureur en mon Royaume qui n’ait moyens d’avoir une poule dans son pot!“. Erstmals gedruckt in der Histoire du roy Henry Le Grand composée par Messire Hardouin de Perefixe, Paris 1662.
70 François Ravaillac ermordete Heinrich IV. von Frankreich am 14. Mai 1610.
Ich woh’n auf dem schönsten, einsamsten Stern, Bettine, doch ich bin viel um Dich, und freue mich Dein, da muß ich Dir’s einmal auch sagen: „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen —“2 Am wenigsten Dir!
Geweint hab ich über Dich, Bettina, und, o. Gott welche selige Thränen! Weinen, Jenseits? fragst Du? Ja, was wäre das Jenseits wenn wir dort beraubt würden? Die Thräne ist der Liebe allerkostbarstes Juwel, meine Thränen flechten Dir eine unvergängliche Krone, schmücke Dich damit, und freue Dich Deiner Geniusstrahlenden Stirne, Deiner Augen, die das Elend suchen, und der Armuth lächeln, wie die himmlische Liebe voll Trost und Milde, sie stralen süßer noch in diesem Kranz!
Erbarmen, der glühende Gottesstrahl, die höchste Beglaubigung Deiner hohen Sendung, wie durchströmts Dich, wie übst Du es heldenkühn! Wie Christus die Seele willst Du das Fleisch erlösen — o, hüthe Dich, Bettina! auch für Dich wird der Baum zu einem Kreuz, und Du wirst dran schmachten,und mit Gall‘ und Essig3 getränkt werden —
Du flogst zu den Sternen, und sie wurden Dir Spiegel des Jammers der Erde, da verläugnetest Du die Seligkeiten Deines Aufschwungs, und Du windest Dich nun, die Leuchte in der Hand, durch die Tropfstein höhlen des Volkselends, daß sie offenbar werden den Blicken der Welt — Gott sei mit Dir! Ach, Bettina! Werden die helfen, für die das Volk nur Mittel ist, nicht Zweck?
Kennst Du den Gott des Reichthums in der Indischen Mythe? Kuvera4 ist sein Name. Er thront, von von Edelsteinen Perlen und Gold überfunkelt, auf einer lastenden Platte
1 Das Datum wurde vermutlich nachträglich hinzugefügt, denn tatsächlich kann der Text erst ab dem Mai 1844 entstanden sein, da er Bezug nimmt auf Bettina von Arnims Werke Die Günderode und Dies Buch gehört dem König, die Chézy erst über Leonidas Sgoutas erhalten hat, den sie im Mai 1844 kennengelernt hat.
2 Zitat aus Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil (V 443), auf das sich auch der im Textverlauf mehrfach aufgerufene Novalis in seinem fragmentarischen Allgemeinen Brouillon bezieht: „Die Geisterwelt ist in der That schon aufgeschlossen“ (Eintrag Nr. 341). Bettina von Arnim gibt dem ersten Brief der Günderode-Figur in ihrem Briefbuch Die Günderode das Fragment Die Manen der wirklichen Karoline von Günderrode mit, in dem in einem Lehrer-Schüler-Gespräch die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit Verstorbenen im Rahmen einer zugänglichen „Geisterwelt“ thematisiert wird.
3 Im Matthäus-Evangelium der Bibel erhält Jesus am Kreuz Wein mit Galle, im Johannes-Evangelium Essig zu trinken gereicht.
4 Kuvera, meist Kubera genannt, ist der indische Gott des Reichtums, in verdischer Zeit galt er oft als Verkörperung des Bösen.
a von Stein, wunderlich ausgeschmückt mit prunkvollen Gebilden, und seine volle Last wägt drückend auf Frauen, Kinder Jünglinge Männer und Greise, die bleich und dürr den feisten Gott kriechend mit den Händen emporhalten; um den Stein her, und auf dem Jammerweg hinter ihm wimmelts von Sterbenden, die unterm Gewicht schon erlagen, Kuvera glotzt vor sich hin, in unbezwinglicher Behaglichkeit —
„So war’s, so ist es!“ Setz ich hinzu: „und so wird es sein?“ Ach! es war ja so vor Tausend und noch Tausend Jahren, in Ostindien, wo der glühende Sonnenstral die Brotfrucht erzeugt, die labend und stärkend herabblinkt von den Zweigen, und des Obstes süßerquickliche Fülle! Wie soll’s nicht noch heut so sein, und zumal in Europa, wo hie u da dem Sandboden, der Steppe karger Ertrag mit rastlosen Mühen abgerungen werden muß, wo der Arme „Im Schweiße seines Angesichts“ nicht „sein Brot ißt“5 sondern um Brot jammert.
Die Indischen Gottheiten sind dahin, aber Kuvera lebt!
Die guten Hindustaner! Die trugen willig den Gott mit seinen Häuptern allen! Eines war Kschatria, eines Bramin,6 dies war das Mächtigste, Indra7 mußt‘ Ihnen sich beugen; die andern Häupter kannst Du Dir denken, nicht alle sind abgebildet, am Wenigsten die seit jenem Jahrtausend noch nachwuchsen. Auf seinem Steinsitz wurde seither noch die Börse erbaut, und noch andre zerquetschende Lasten, die Platte ist übervoll, es geht nichts mehr hinauf. Die Hindustaner konnten Kuvera noch mit den Händen emporhalten, die Europäer schleppen ihn nur noch kriechend auf ihrem Rücken fort. Kuvera drückte, zermalmte, aber Vampyre und Blutigel, die Blut und Mark wegsaugen sah ich nicht auf der Indischen Abblidung
Jahrtausende hindurch hatten die Braminen bei den Kschatria's und selbst bei den Tschoudras8 von der Wiege auf den Wahn genährt: daß ihr Fluch selbst Götter zermalme, und der Erde Seegen durch ihr Gebet nur blühe, so daß endlich die stolzen Kschatria sich ihnen so tief beugten, wie der Lumpenbedeckte Paria aus der Ferne, und der Volkssinn zum Lämmersinn wurde. Da brachen fremde Horden in das Land und die nackten Lämmer legten sich sich zu der Feinde Füßen in den Staub und ließen sich ohne Widerstand ,
5 Abwandlung des Bibel-Verses „Im Schweiße Deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.“ (1. Mose 3,4)
6 Die Kshatriyas und die Brahmanen sind die beiden obersten und herrschenden Kasten (Varnas) im indischen Kastensystem, der Krieger- und der Priesterstand.
7 Indra, die indische Gottheit des Krieges und des Sturms, wurde in der frühindischen Religion als eine der höchsten Gottheiten verehrt, verlor aber später an Bedeutung.
8 Shudra ist im indischen Kastensystem die Bezeichnung der vierten, also im traditionenellen Schema untersten Kaste.
a und ohne Murren abwürgen der Feind metzelte sie nieder, je zu zwanzigtausenden, langsamer giengs, wie’s heut zu Tag mit Congreve. Raketen9 und schwerem Geschütz gehen möchte, doch es gieng, und die Kriegsvölker zogen in die Palläste, in die Pagoden, überfielen die Reichen, plünderten sie, und vertilgten mit der Schärfe des Schwerts ihre gefesselten Söhne, mißbrauchten ihre wehrlosen Töchter, ihre jammernden Frauen. Aufgehäufte Schätze des Denkens, des Wissens der Kunst, fraß die gierige Flamme, und der Fluch der Knechtschaft blieb auf dem Lande, und die Fessel, die Tirannei dem Volke geschmiedet, drückt noch heute das geknechtete Geschlecht, und die Nachkommen seiner Tirannen. — — — —
Ja, Bettine, gern schlachtet die Habsucht die Henne, die ihr täglich ein goldnes Ei legte, um sich mit einem Griff des ganzen Horts zu bemeistern — Gern mag sie, um [etliche] Waben Honigs zu sparen, die fleißigen Arbeitsbienen tödten denn die Habsucht hat blöde Augen, und verrechnet sich vor lauter Rechenkunst, Du aber siehst nur den hohlen Boden, den sie unter sich ausgegraben, und den Jammer, der drunten wüthet; Du siehst nicht, wie dünn die Rinde, auf der sie über der Höhlung mit ihrer aufgespeicherten Beute lastet, siehst nicht, wie sie geborsten klafft, und mit Einsturz droht. Oder hast Du’s wahrgenommen, und rufst Du diesetwegen in die Lande: Man solle Die berichten: wo die Noth? woher die Noth? was geschehen für die Noth? wie zu helfen der Noth?10 Ach! das könnt‘ ich Dir alles sagen, ich seh’s von meinem Sterne, aber wer darf’s bestellen?
[...]
9 Von dem Engländer William Concreve entwickelte Brandraketen, die während der Befreiungskriege, von den Engländern ihren Verbündeten zur Verfügung gestellt, auch erstmals in größerem Stil auf deutschem Boden eingesetzt wurden.
10 Bettina von Arnim ließ im Mai 1844 in mehreren großen Zeitungen für ihr sogenanntes Armenbuch-Projekt einen Aufruf schalten, „an Alle, welche über den Zustand des Armenwesens in Gemeinden, Kreisen, Bezirken, Provinzen und so weiter des gesammten deutschen Vaterlandes genaue Auskunft zu geben vermögen, [...] der Frau von Arnim getreue Berichte darüber zukommen zu lassen. Besonders wünschenswerth würde es auch seyn, wenn in diesen Berichten angeführt würde, was bis jetzt zur Abhelfung des Uebels [...] geschehen ist und welche Mittel sich wohl zur Verminderung des Noth als wirksam erweisen dürften.“ Der Aufruf erschien am 15.5.1844 in Nr. 113 der Magdeburger Zeitung, 18.5.1844 in der Kölnischen Zeitung, 23.5.1844 in Nr. 144 der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 1151
Du hast ein „Buch für den König“ geschrieben – ei, warum trägst Du Eulen nach Athen? Die Könige haben mehr Bücher, als die Bücher Könige haben, es geht ihnen nicht mit den Büchern wie dem Evangelisten, sondern umgekehrt, gleich auf der Zunge sind ihnen Wahrheiten herbe, und wenn sie ein Engel reichte, und sie verschucken das Buch nicht; leichter noch würde der Engel verschluckt. Mit dem Voigtland geh, wo gibt es nicht ein Voigtland?12 Es ist gar nichts besondres!
11 Die ursprüngliche Seite 4 des Textes fehlt komplett. Nur diese Notiz, die eine Variante einer Passage der verlorenen Seite enthält, ist im Originalmanuskript erhalten. Aus einer Abschrift des Textes, die sich auch in der Sammlung Varnhagen in Krakau befindet, läßt sich ersehen, dass die fehlende Seite etwa folgenden Wortlaut hatte: „Du hast ein Buch geschrieben, das gehört, so schreibst Du, dem König – welchem? – Alle könnten glauben, daß es Jedem von Ihnen gehöre. Jedes Reich hat sein Voigtland mit solchem Jammer und jede Republick nicht minder. Liest man nun in Deinem Buche, was unmittelbar einem großgesinnten, hochherzigen, geistfunkelnden König gegenüber ausgesprochen wird, so weiß man gleich, wen Du meinst, und freut sich, daß Du gefühlt, wie ihm die Wahrheit gefällt. Sieh! Was ihm selbst dort gesagt ist, errieth ich aufs Haar, wenn auch tausenderlei in dem Buch steht, das dem Könige nicht gehört! Gefällt’s ihm, so kann Er sich’s aneignen. In Seinen Adern glüth das Blut, das Friedrich II. großes Herz durchquoll, sie haben’s beide vom großen Kurfürsten her, wenn’s auch nicht jede Brust so reichdurchquillt, es fehlt in keiner von diesem Stamm! Kein redlich Wort an Sie ging noch verloren, und wenn’s die Stimme in der Wüste wär! „Schön wär’s, wunderbar groß und herrlich, unberechenbar in der Wirksamkeit, träte die ewige Schöpfungskraft abermals in Menschengestaltan an das Licht, träte sie in einem Mächtigen auf, der in schöner Mäßigung, in vollkommner Geists-Erleuchtung und Denkfreiheit den Baum der Gerechtigkeit einpflanzte.“ Du hast diese Worte der Frau Rath unterstrichen, geh‘ Bettina! Sie unterstreichen sich selbst, wer liest, muß sie fühlen, wie der Apostel das Büchlein, das ihm der Engel reichte. Ein Buch ist eine Harfe, nur die Meisterhand entlockt ihren Seiten Sturm und Wohllaut ihrer Himmelstöne, der Laie kann nur darauf klimpern. Du hast die Harfe gebaut, Bettina, und Du legtest sie in die Meisterhand: „Doch vom Himmel kommt der Segen!“ Geben ist seliger, denn Nehmen! Das zeigst Du, Bettina! wie hast Du die Frau Rath bedacht! Nun steht sie als Goethe’s Mutter da, vor der Welt und den Sternen, doch muß es Marmor sein, aus dem die Meisterhand eine Gottheit meisselt, und der Edelstein muß in der Druhe liegen, wenn ihr Busen funkeln soll; Du hast die Elemente ihres Wesens durchschaut, und sie ächt und reich erfunden, was ihre Zeit an Goethes Mutter versäumt, das thatest Du, ihre künstlerische Entwicklung hast Du vollbracht, hießest blüh’n, was Knospe geblieben, aber die Knospe war da, sonst konntest Du ihr Blühen nicht schauen, nicht zeigen, was mit ihr verhüllt zur Frucht gegangen.„
12 Den Anhang zu Bettina von Arnims Königsbuch bilden die „Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande“: Der Schweizer Pädagoge Heinrich Grunholzer dokumentiert im Armenviertel im Norden Berlins vor dem Hamburger Tor, dem sogenannten Voigtland, das soziale Elend, indem er minutiös aufführt, wieviele Personen jeweils in einem Zimmer wohnen, wieviel Geld sie monatlich in welchem Beruf verdienen und nach Abzug der Miete zur Verfügung haben und wieviele Angehörige sie damit versorgen müssen.
[...]14
O, Bettina! Wie hast Du mich überschüttet mit Blumen und Juwelen aus Deinem umermesslichen Hort! Dies Buch ist das wundersamste, das je ein Weib geschrieben, und doch konnte ein Weib nur es schreiben. Diese Musik der Sprache war bei den Engeln bis Du sie ihnen abgelauscht. Novalis war Dein Vorbote, wie das Veilchen den Frühling verkündet und bringt! Novalis! Wir Alle erwachten bei seines Genius Liebestahlen, frischer Kampf ist seines Namens Bedeutung, doch wie der Indische Liebesgott war er gerüstet, Blumen seine Pfeile, seines Wagens Bespannung Bienen. Philosophie, Poesie durch ihn emporgeflügelt wollten ganz Geist werden, seine Jünger hießen sie versteinen, doch zum üppigen Fleische wurde der Stein, und nun kommst Du und bringst Rettung, mit Dir ist der Genius und die Liebe —
Und die himmlische Milde! Ja, Bettina, Du gibst all Dein Gut für die Armen und folgst Christum nach. Höheres bringst Du da, als der Jüngling zu Nain15 der den Erlöser fragte: Meister, was soll ich thun, daß ich selig werde? Der hatte nur irdisches Gut, Du reichst Deinen Geistesschmuck hin. Weißt Du auch welche Schwelle Dein Fuß betritt? Die düstere Schlucht, wo Millionen Gewürme hausen und Schlangen züchten — O, hüthe Dich! und damit viel Dir werde, erstrebe nicht Vieles. Was Du in Deinem nächsten Kreise findest, auf eigner
13 Das Fehlen der vorhergehenden Seite wurde von einem späteren Leser des Manuskripts nicht bemerkt und die Seitenzahl ab dieser Seite, die eigentlich die fünfte Seite des Manuskripts darstellt, als S. 4 angepasst.
14 Zur fehlenden vierten Seite des Originalmanuskripts und ihrem Inhalt siehe die erste Anmerkung auf der vorangehenden Seite.
15 Helmina von Chézy verwechselt hier die neutestamentarischen Geschichte vom „Jüngling zu Nain“ (Lukas-Evangelium 7, 11-17) mit der vom „Reichen Jüngling“ (Matthäus-Evangelium 19, 16-26, Markus-Evangelium 10, 17-27, Lukas-Evangelium 18, 18-23) aus der Bibel.
a Bahn, das beschaue, das durchdringe, und geh behutsam an das Werk der Rettung; die Wunden der Zeit sind so tief und brandig daß Berührungen sie noch mehr entzünden. Gieb ein großes Beispiel, zuvörderst durch weise Beschränkung. Richte nach einem Ziel die überquillende Kraft, wie der Lenker die Rosse zügle sie, und werd‘ ihrer Meister, was Du beginnst, darin sei beharrlich, und was Dir nicht gelingt das stelle Gott anheim, dein Herz wird weinen, doch Jesus spricht: Selig sind, die da weinen, denn sie sollen getröstet werden!17
Bete und kämpfe ruft die Zeit, Kampf ist die Arbeit dieser Tage! Selbst das Friedenerstrebendste Wollen der Guten ist die Losung zum Kampf auf Leben und Tod! Mit dem Hergebrachten kämpft das neue Werden, weh den müssigen Zuschauern! Felsen rollen, zerschmettern, giftgetränkte Geschosse fliegen, nur wer auf dem Wahlplatz steht ist geborgen, sei’s durch Sieg, sei’s durch edeln Fall, keine stille Zufluchtsstätte mehr ist offen. Worte taugen der Zwietracht nicht mehr, sie will Sturm, lechzt nach Blut! Die Basilisken-Eier18 sind aufgesprungen, überall nistet die höllische Brut, vergiftet mit Bruderhaß Christ gegen Christ, Musulmann gegen Christ, Christ und Jud gegen Jude! Blikk in die Kerker!
16 Wieder wurde die Seitenzahl angepasst: Die eigentlich sechste Seite des Textes erhielt als fünfte erhaltene Seite die Ziffer fünf.
17 Bergpredigt aus dem Matthäus-Evangelium (5,4) der Bibel: „Selig sind, die da leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“
18 Basilisken sind unheilbringende Fabelwesen, deren Atem als giftig und Blick als tödlich gilt, beschrieben etwa bei Plinius dem Älteren im achten Buch der Naturalis Historia. Ihre Eier symbolisieren in besonderer Weise die Bedrohung eines plötzlichen Auf- und Ausbrechens des Bösen, siehe Jesaja 59, 5-8, in der Bibel.
Tag für Tag füllen sie sich furchtbarer an — eines Edlen Gefängnispforte wich der Berührung deiner zarten Hand — was noch vermagst Du für Andre ? O, thue es! Blick in die Gauen, sieh die Flammen lodern; jeder Tag bringt Kunde der Einäscherung ganzer Städte, Ortschaften, Gehöfte, List und Kühnheit tragen verhehlte Funken von Ort zu Ort, daß Elendsgemeinschaft entstehe, wo Gütergemeinschaft eine Unmöglichkeit ist, denn zwischen dem Millionär und dem Hunger liegt nur noch die gewissenlose Gier, die trotzige Willkühr, die den Darbenden zur Verzweiflung bringt. O, Bettina! schmilz die Herzen der Reichen und Gewaltigen, daß der Milde Thau diese Flammen kühle, denn der Haß der Mittellosen gegen Bemittelte zerstört in blindem Inngrimm auch bedrängter Brüder geringes Eigenthum — blikke umher, Du wirst überall den Teufel der Eigensucht seine bleichen Opfer langsam würgen sehen, hier als Spielbankhalter, dort als Spekulant, dort als Fabrikherr, dort als gewissenloser Beamte, ach! unter unzähligen Gestalten! Doch jede Wüste hat Oasen, und wenn Du die Syrten irdischer Leiden und Vergehen durchwallst, manche erquikkende Flut wird Dein Stab aus dem Felsen hervorsprudeln lassen, denn Dein Wille ist rein, und Dein Herz ist schön. Nachahmung wirst Du wecken, wuchert das böse Beispiel fort, wie solls das Gute nicht auch? Sei stark und froh!
19 Wieder wurde die Seitenzahl angepasst: Die eigentlich siebte Seite des Textes erhielt als sechste erhaltene Seite die Ziffer sechs.
Hast Du vor Jahren wol einmahl beim Clemens, der viel Altes aufspeicherte, einen Catalog des gelehrten Frauenzimmer20 gelesen?
Ich that es und machte mir Auszüge daraus, denn es ist ein gründlich abgefaßtes lehrreiches Werk aus dem Ende des 17t_ Jahrhunderts, auch von einem Frauenzimmer, sie hieß die Leborin21
Die Sachen standen damahls anders, eigentlich besser, wie heut zu Tage , wenig Frauen schrieben, und die da schrieben waren so grundgelehrt, dass Neid und Schmähsucht verstummen mußten; laß Dir von Einigen was erzählen.
E. Elisabeth Valkiers22 von Genf lebte noch 1685. Sie sprach und schrieb Französisch, Latein, Italienisch, hatte einen philosophischen Curs absolviert, und in Politik und Philosophie sich viel umgesehen – wie? Das wird nicht berichtet, mit den Augen nicht, denn seit ihrem ersten Lebensjahr war sie erblindet — sie sang, spielte mehrere Instrumente, schrieb mit einem holzernm Alphabet. Sie wird als edel und liebreich gepriesen, ihr Sinnbild war ein Diamant mit den Worten In tenebris micat.23 Auch wol eine Perlenmuschel: In tenebris thesauris.24
Sieh! Das machen ihr die Obskuranten25 nach, freilich in einem andern Sinn, denn die Schätze, die sie der Welt in Dunkelheiten verheißen, hat noch keine Wünschelruthe entdeckt.
Eines asiatischen Grafen Tochter, Theresia26 ,27 ihr Vater war ein Christ, herrschte über den oberen Theil der Catey-schen Sartarei,28 unweit Bagdad. Nach überstandner Belagerung der Christen ging Theresia nach Rom um sich dort noch mehr auszu
20 Der gesamte zweite Textteil steht unter einem Doppelbezug auf zwei unterschiedliche Werke: Chézy bezieht sich explizit auf den Titel von Dorothea Erxleben, geborene Leporin: „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleisse, umständlich dargelegt wird von Dorotheen Christianen Leporinin. Nebst einer Vorrede ihres Vaters D. Christiani Ploycarpi Leporin, Med. Pract. in Quedlinburg, Berlin, Zu finden bei Johann Andreas Rüdiger, 1742.“ Aus diesem Werk wird jedoch tatsächlich nichts zititert oder paraphrasiert. Stattdessen besteht der zweite Textteil zu großen Teilen aus wörtlichen und paraphrasierten, jedoch nicht gekennzeichneten Exzerpten aus dem „>Werk von Johann Caspar Eberti: “Eröffnetes Cabinet deß Gelehrten Frauen=Zimmers, Darinnen Die Berühmtesten dieses Beschlechtes umständlich vorgestellt werden Durch Johann Caspar Eberti, Neokirchensem Silesium, Franckfurth und Leipzig, Bey Michael Rohrlachs sel. Wittib und Erben, Anno 1706.„
21 Dorothea Christiane Erxleben war die erste promovierte Ärztin im deutschsprachigen Raum und eine engagierte Befürworterin des Frauenstudiums. Das ist vermutlich ein Grund dafür, dass sie als Patronin besser geeignet ist als der Pastor und Theologe Johann Caspar Eberti, dessen Werk eigentlich zitiert wird.
22 Esther Elisabeth Valkiers, eine gebildete Frau aus Genf, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte, gelangte zu einer gewissen Berühmtheit, auch über ihren Tod hinaus, weil sie, obwohl von Kindheit an erblindet, mittels eines hölzernen Alphabet, das ihr ihr Vater angefertigt hatte, schreiben lernte. Siehe dazu z.B. den Bericht im Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 22 (25.1.1812), S. 87. Alle hier über sie gegebenen Informationen sind paraphrasiert aus dem Artikel in Ebertis Cabinet Deß gelehrten Frauenzimmers, S. 364-366.
23 Es funkelt in der Dunkelheit.
24 In der Dunkelheit ein Schatz.
25 Verschworene Finsterlinge. Seit der Aufklärung war Obskurant ein beliebter Kampfbegriff, um Gegner als rückwärtsgewandt und irrational zu bezichtigen; im 19. Jahrhundert verwendete z.B. Heinrich Heine den Begriff des Öfteren.
26 Gemeint ist Teresa Shirley Tochter des tscherkessischen Adeligen Ismael Kahn aus dem engeren Kreis Schah Abbas I., sie heiratete um 1607 den englischen Reisenden, Abenteurer und Diplomaten Sir Robert Shirley und bereiste mit ihm viele europäische und orientalische Länder. Alle Sätze über sie sind Paraphrasen des Artikel aus Ebertis Cabinet Deß gelehrten Frauenzimmers, S. 353.
27 Immer wieder sind Lücken im Text, in die Helmina von Chézy vermutlich nach einer erneuten Konsultation von Ebertis Cabinet Informationen nachtragen wollte, wozu es aber nie kam. Bei Eberti S. 353: „Teresa. Eine Asiatische Asiatische Gräfin aus Persien/ ihr Vater war Graff Samputh, oder wie wir schreiben Samson“.
bilden, Sie konnte Persisch, Indisch, Türkisch, Moskowitisch, Polnisch, Englisch, Spanisch, Französisch Italienisch reden und schreiben. Die Geschichtsschreiber jener Tage priesen ihren hohen standhaften Muth während der Verfolgung.
Willst Du noch hören von Amalasvinta29 Tochter Theoderichs, Königs der Gothen? Sie lebte im V Jahrhundert, kannte aller Völker Sprachen mit denen die Römer nur zu thun gehabt' Regierte als Vormünderinn ihres Sohnes Adalarich acht Jahr lang mit Ruhm, gewann der Völker Liebe, nahm bei dessen Tode einen nahen Anverwandten Theodat zum Mitregenten an, der sie vom Thron stürzte, verbannte, und dann noch Anno 595 ermorden ließ. Du siehst daß Weisheit und Wissen nicht stets vor Arglist schützt, und dass auch der Völker Liebe nicht immer sinkende Throne zu stützen weiß, und dennoch bleibt sie die kräftigste aller Thronensäulen.
Theodolinde30 Königinn der Langobarden die im 31 Jahrhundert ihr Volk zum Christenglaube brachte, Papst Gregors Freundinn, der ihr 4 Bücher de vitae sanctuorum zueignete,32 Paulus33 — Theano, Pythagoras Gattin34 „war schön und lieblich“35 stand nach Pythagoras Tode etliche Jahre mit Ruhm seiner Schule vor — „Theano, Brontini Cratiniatae Gemahl, gute Philosophin, und artige Poetin, sonderlich unvergleichlich in Lyrici —“36
Thekla, zuerst Adelaga,37 kam im VIII Jahrhundert mit der Heiligen Walburg aus England nach Deutschland, wurde nach Caspar Hedionis38 Bericht39 dem neuen Benediktinerkloster zu Kitzingen in Franken vorgesetzt, mußte auf Anordnen des heiligen Bonifatius öffentlich in Kirchen lehren und predigen — Tarquinis Molza40 aus Modena, sprach und schrieb nebst dem Italienischen Hebräisch, Griechisch, Latein. War in der Philosophie gelehrt — in Historien
29 Amalasuntha, Königin der Ostgoten, Tod 535. Alle Sätze des Absaztes (mit Ausnahme des letzten) sind Paraphrasen von Eberti S. 12f.
30 Theolinde, geboren um 570, gestorben 627 bei Varenna am Comer See, Königin der Langobarden. Alle Sätze über sie sind Paraphrasen von Eberti S. 359.
31 Bei Eberti S. 359 steht hier „VI. Seculo“.
32 Die Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum I-IV handeln von Leben und Wundern italienscher Heiliger. Das zweite Buch ist jedoch explizit Benedikt von Nursia gewidmet.
33 Hier handelt es sich um einen aus einem Flüchtigkeitsfehler entstandenen Kopierfehler: In einer Handschrift Helmina von Chézys, die sich im Archiv der Berlin Brandenburgeischen Akademie der Wissenschaften befindet, steht „Pretas“, für das die Editorinnen des Textes im Internationalen Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft plausibel vermuten, dass eigentlich „Cretas“ gemeint sei. Im Artikel zu Theano bei Eberti, aus dem Chézy exerpiert hat, wird die „Insul Creta“ genannt, in keiner Weise jedoch Paulus.
34 Theano, spätes 6. Jahrhundert vor Christus, Pythagoreerin, wird oft als Gattin des Phliosophen Phythagoras (um 570 bis 510 v. Chr.) und Muster weiblicher Tugend dargestellt. In einigen Quellen wird ein Phythagoreer namens Brontinos oder Brotinos als ihr Ehemann oder auch Vater genannt. Eberti schreibt in seinem Paragraphen (S. 355-357) über Theano, dass es drei berühmte Frauen dieses Namens gegeben habe, die in der Rezeption häufig vermischt würden. Alle Angaben Chézys über Theano sind Paraphrasen dieses Paragraphen, wobei auch sie nicht zwischen den drei dort aufgeführten Frauen unterscheidet.
35 Dies ist kein wörtliches Zitat von Eberti. Dort steht auf S. 356: „ganz ungemeine Annehmlichkeit und schöne Leibes-Gestalt“.
36 Wörtliches Zitat von Eberti S. 355.
37 Eigentlich wird Hadeloga von Kitzingen, geboren um 710, gestorben um 750, als Gründerin und erste Äbtissin des Benediktiner Klosters in Kitzingen überliefert, während die heilige Thekla von Kitzingen, geboren in England, gestorben um 790 in Kitzingen, als ihre Nachfolgerin als Äbtissin gilt. Chézy übernimmt auch hier fast wörtlich die Angaben von Eberti S. 350f.
38 Kaspar Hedio, geboren 1494 in Ettlingen, gestorben 1552 in Straßburg, Historiker, Theologe und Reformator.
39 Bei Eberti wird als Quelle „Lege Zeilleri Typographiam Franconiae, fol. 29.“ angegeben.
40 Tarquinia Molza, geboren 1542 in Modena, gestorben 1617 ebd., italienische Dichterin, Übersetzerin und Musikerin. Auch die Angaben über sie sind bis auf den Einschub in Klammern eine nahzu wörtliche Wiedergabe von Eberti S. 349.
und allen Poeten trefflich belesen — (Ist jetzt unmöglich!) — in der Poesie wol geübt, in der Oratorie überaus fertig, wurde sie vom Rathe zu Rom mit dem Bürgerrecht begünstigt. Starb 1600. War so hochgeehrt, dass man ihr Tasso’s und ––––––41 Werke zur Censur übergab. — Tehsa42 Tochter Achelodoros, lebte in der sechs und siebenzigsten Olympiade, Zeitgenosinn Plato’s und Pindar’s, mit welchem sie rühmlich Wettstreit hielt;43 Sie war in der Poesie so kostlich und vortrefflich erfahren, daß man sie lyrische Muse hieß. Ihre Dichtungen44 sind 1568 griechisch und lateinisch in Antorf erschienen, auch trefflich musikalisch war sie. Prinz gedenkt ihrer in seiner Historia ––––––45 und erwähnt, daß sie 50 Lieder geschrieben. Sie starb sechs'zehn Jahr alt.
Properz und Statius rühmen sie. Als Corinna führt Ebert sie an. Lotichius46 nennt sie: Corinna die Dritte — Alpaides47, eine in der heiligen Schrift sehr verständige Jungfrau in der sie wol und gründlich gelehrt gewesen, hat geistreich die heilige Schrift erklärt. Wurde Pipin vermählt, und gerbar ihm Carl Martell. — Alkonora48 Königinn in England, Mutter König Johanns lebte in den 1199 ger Jahren, starb 1216 in Kummer um ihren Sohn, schrieb etliche vortreffliche Episteln an Papst Coelestins, und Briefe an Kaiser Heinrich VI, die berühmt geworden —
Und nun übergehend mehre hundert, von denen jede zum Mindesten eine bessere Heldin als Viktoria Akkoromba zu einer Dichtung wäre,49 komm ich zu Deiner Namensverwandtin Bettina Andrea,50 Tochter des, um das Jahr 1335 berühmten Italischen Juristen Johann Andrea, Gemahlinn des trefflichen Dr. Johannes von San Gregorio, zu Bonona und Pavia, gepriesen als Ausbund eines in den Rechten erfahrenen Weibes, welche
41 Bei Eberti S. 349 steht hier „Gvarini“. Giovanni Battista Guarini, geboren 1538 in Ferrara, gestorben 1612 in Venedig, war ein italienischer Dichter.
42 Gemeint ist die sagenumwobene griechische Dichterin Korinna, gelebt und gestorben um das 5. Jahrhundert vor Chr. in Boiotien. Wieder wird Eberti (S. 109f.) paraphrasiert.
43 Die Anekdote eines Dichterwettstreits zwischen Korinna und Pindar wird von mehreren Autoren, u.a. Pausanias, wiedergegeben.
44 Die Angaben zu dieser Veröffentlichung sind von Eberti übernommen, der als Quelle „Simlerus l.p.c.m. 174.“ angibt. Tatsächlich sind von den Gedichten Korinnas nur wenige in Zitaten von anderen Autoren erhalten, die im Altertum erwähnte fünfbändige, vermutlich aus hellenistischer Zeit stammende Ausgabe ihrer Werke mit dem Titel „Mele“ ist nicht erhalten.
45 Der Gedankenstrich dient als Platzhalter: Bei Eberti S. 109f. steht Historia Musices und die Seitenangabe 53. Das enstsprechende Werk von Wolfgang Caspar Printz konnte leider nicht ermittelt werden.
46 Johann Peter Lotichius, geboren 1598 in Nauheim, gestorben 1669 in Frankfurt am Main, Arzt und Schriftsteller und Autor des Buches Gynaicologia i.e. de nobilitate et perfectione sexus feminei, Rinteln 1630. Chézy übernimmt den Hinweis auf seine Erwähnung Korinnas allerdings wieder von Eberti (S. 110) und unterschlägt, dass Eberti verschiedene Frauen des Namens aufführt, die sie als eine vorstellt.
47 Alpais, auch Chalpaida, lebte im 7. Jahrhundert und war Friedelfrau von Pippin II. Alle Angaben sind von Eberti S. 11f. übernommen.
48 Eleonore von Aquitanien, geboren um 1122 in Poitiers, gestorben 1204 im Kloster Fontevrault, Königin von Frankreich und England. Auch hier sind alle Angaben von Eberti (S. 11) übernommen.
49 Ludwig Tieck veröffentlichte 1840 den historischen „Roman in fünf Bänden“ Vittoria Accorambona, über die dramatische Lebensgeschichte der italienischen Herzogin Accoramboni.
50 Es wird von zwei juristisch tätigen Schwestern berichtet: Bettina d'Andrea, von der nur das Sterbejahr 1335 und die Lebensorte Bologna und Padua bekannt sind, und ihre Schwester Novella d'Andrea, die als „erste Dozentin des Kirchenrechts in der Geschichte der Kanonistik“ gilt (so Willibald M. Plöchl), und von der die französische Schriftstellerin Christine de Pisan (die jedoch erst Jahrzehnte nach den d'Andreas lebte) berichtet, sie habe den Vater bei Vorlesungen vertreten. Chézy übernimmt jedoch alle Angaben von Eberti, der nur eine der beiden Schwestern aufführt (S. 16f.)
"wenn denn ihr Gemahl durch Krankheit oder sonstige Abhaltungen am Lesen verhindert wurde, selbst öffentlich lehrte und erklärte den Studenten die Rechte von dem Catheder, – so berichtet die Leborin,51 und nennt, wie bei jeder ihrer Biographien, auch diesmahl ihre Quellen:52 Gilario da Caste, in Libr. de vitis ill. foemime, Vossius, Paschius, Leander Albertus und andere
– Constanze Pipelet53, die als Republikanerinn lebte, und als Fürstinn starb, sang in der Epitre aux femmes, in den Tagen der Republik:
54
Si la nature a fait deux Sex diffèrens,
Elle a changé la forme, et non les élémens _
und großartiger noch als jeder Zeitenpunkt der Vorzeit haben unsre Tage dieser Worte Wahrheit beurkundet; aber es bleibt denn noch beim Alten, und wenige der Männer, die Geist und Genius bei Frauen zu ehren scheinen, sind aufrichtig, kaum, oder höchstens die Vernünftigen und Billigen. Und doch Bettina, geht es nicht mit Gemüth, Genius und Thatkraft der Frauen, wie mit Tullia’s55 Grablampe, die seit 1550 Jahren an ihrer Grabststätte brannte, doch so wie sie an die Luft kam, erlosch. Sieh darüber das Werk nach, das ich Dir nannte,56 und Ciceros Werke, dessen Tochter Tullia war. Er hieß sie anima mea,57 Lucem Desiderium, Delicias Deliciotas.58 Unter Pabst Paul III wurde Tullias Gruft gefunden, und das treue Licht ihrer Nächte ohne Tag schied von ihr, als Menschenodem und Menschforschgier es berührte. Die innre Leuchte die ja auch an einer Grabstätte flammt, denn was Leben heißt ist der Tod, der Leben lügt, wie das Leben der Scheintodten den Tode erlischt nicht vom Luftzug,
51 Die einzige Frau in der gesamten Aufzählung dieses Textteils, über die auch Leporin berichtet, ist Theano. Obiges Zitat stammt ebenso wie die meisten anderen Passagen von Eberti (S. 16): „wenn etwas ihr Gemahl durch Kranckheit oder andere Geschäffte zu lesen verhindert wurde/ sie dann keine Stunde vorbey gehen lassen wolte/ sondern prositierte öffentlich und erklärte den Studiosis die Rechte von der Catheder“.
52 Auch diese Literaturverweise sind alle von Eberti (S. 17) übernommen.
53 Constance zu Reifferscheidt-Dyck, geborene de Théis, in erster Ehe de Pipelet, geboren 1767 in Nantes, gestorben 1845 in Paris, war eine französische Schriftstellerin. Um die Jahrhundertwende herum engagierte sie sich für die Gleichstellung der Frauen. Nach ihrer zweiten Hochzeit 1803 hielt sie sich große Teile des Jahres im Schloß ihres Mannes Graf Joseph zu Salm-Reiffenscheidt-Dyck im Rheinland auf. Die Zeilen über die Zeitgenossin Chézys sind die ersten in der Aufzählung, die nicht aus Ebertis Werk paraphrasiert oder zitiert sind. Warum Chézy Salm-Reifferscheidt-Dyck für tot erklärt, obwohl diese erst 1845 starb, ob aufgrund einer Fehlinformation, einer Vermutung oder der der Geschlossenheit ihrer Argumentition, läßt sich nicht ermitteln.
54 Épître aux femmes, S. 5.
55 Tullia, um 79 v. Chr. Bis 45 v. Chr., einzige Tochter Ciceros.
56 Tatsächlich ist auch diese Passage nicht aus dem Werk von Leporin, sondern aus dem Ebertis zusammengestellt (S. 363f.). Selbständig werden die Formulierungen nach der noch von Eberti übernommenen Erwähnung Papst Pauls III. und lösen sich bei der Reflexion über den Tod komplett von der Vorlage.
57 Meine Seele.
58 Irritierende grammatische Formen durch die Übernahme der Akkusativkonstruktion von Eberti (S. 363). Dort steht, dass Cicero Tullia „bald suam animam, Lucem und Desiderium, bald aber Delicias und Deliciosas nennte.“ Lux lat. Licht, desiderium lat. Wunsch, deliciae lat. Liebling, deliciolae lat. kleiner Schatz.
noch von der Entweihung welche die Nähe des rohen Haufens mit sich bringt. Weil ihre Nahrung himmlisch ist und ihre Kraft von Gott. Warum sind Männer so zufrieden, wenn Frauen ihre Zeit vergeuden: Warum rufen sie wie Hieronymus der Madonna am Altar ihr Mulier tacet59 jedem Weibe zu, das für Menschenrecht und Volkeswohl fühlt und kämpft, wo die Männer die Flügel hängen? Wenn rege Sorgfalt für Gemeinwohl in allen Herzen lebte, wenn Männer, die es überwachen sollen, ihre Schuldigkeit thaten, so brauchte die Stimme in Weibesbrust, die, wie der Germanen Gattinnen die Flüchtlinge in die Schlacht zurücktreibt, nicht laut zu werden, und der süße Frieden des weiblichen Daseyns bliebe ungestört.
Seliger ist’s Efeu, als Eiche seyn, wie Geben seliger ist, denn Nehmen, aber warum giebts morsche Eichen?
Manuel sagte 1792: Es war eine Zeit, wo eine Gesellschaft von Männern die Frage aufwarf ob Frauen eine Seele haben?60 Sollte diese Zeit wirklich schon ganz vorüber sein? In der zweiten Kammer des Großherzogthums Baden 59te Sitzung wurde noch die Frage aufgeworfen, ob man Frauen zu den öffentlichen und mündlichen Gerichtsverhandlungen, die nun schon längst in Aussicht gestellt sind, den Zutritt gestatten sollte. Überm Rhein war das nie eine Frage. Die Gegener brachten viel Ergötzliches in diesen Streit. Sie erschöpften sich in Redensarten, in Betheuerungen der überschwänglichsten Hochachtung für die Frauen, nur in die Assisen sollten sie nicht, sie würden die Richter bethören, die Advokaten zerstreuen, die Eitelkeit aufreitzen den
59 Lat.: „Es schweige das Weib.“ In Anlehnung an I. Korinther 14, 34 aus der Bibel.
60 Hundt und French vermuten diese Aussage im Vorwort des 1792 von Manuel herausgegebenen Briefwechsels Mirabeaus mit Sophie Ruffeis, das kann leider nicht bestätigt werden.
Platz verengen, ja, sie gaben zu verstehen, die Herrn, wenn ich sie anders recht verstanden, daß es Verbrechen geben würde, wie Sand am Meer, denn kein geringer Anreitz zur Unthat wäre der Frauen Gegenwart, in welcher die Sache ganz dramatisch würde, und wo der Übelthäter des Drama‘s Seele, Held und Dichter zugleich. Hecker meinte, das müßte ein ganz miserabler Rich[...]er sein, der sich von Frauenblikken bei den Verhandlungen bethören ließe, wo man Einem solchen auf die Spur käme, sollte man ihn lieber gleich absetzen! Staatsrath von Iolly, die Deputirten von Stockhorn, Junghanns, Boehme, Poßelt, Weyzel und Andere, standen da als die erklärten Bewunderer der Damen, wenig fehlte, so hätten sie Schillers Dichtung vorgetragen, doch ließen sie’s, dem Sinne nach bei der ersten Zeile bewenden:
„Ehret die Frauen, sie flechten /spinnen/ und weben61
Welcker, Mathy, Hecker, Gottschalk, Rindischwender die Veteranen Itzstein und Gerbel und Andere stimmten für Zulaßung der Frauen, die Welker die edle großartige Hälfte des Menschengeschlechts nannte, die nicht minder tief und fein, oft reiner und richtiger fühlt. Wahrscheinlich sprach jede Parthei nach den Wahrnehmungen, die sie in ihrem eignen weiblichen Kreise gewann. Untauglich, schädlich, Unheil stiftend für sich und andre in jedem anderm Wirkungskreise, als im häuslichen, dort aber auch der höchsten Achtung werth, pries der Abgeordnete Boehme die Frauen, ihres Daseyns und Wirkens Schranken scharf bezeichnend, indeß erschöpften sich selbst diejenigen, welche jedes weibliche Wesen aus jedem Kreise außerhalb des häuslichen Waltens, verbannen wollten, in den Ausdrücken einer nahmhaften Verehrung für das
61 Erster Vers aus Schillers Gedicht „Die Würde der Frauen“, verändert durch das Einfügen des Wortes spinnen in Schrägstrichen.
weibliche Geschlecht; vorausgesetzt, daß es in seiner Spähre bleibe.
„Die Sphäre geht über den Rauchfang nicht hinaus —"
Die linke Seite — der Mensch hat dort das Herz, vielleicht die 62 nicht – stürmte auf die Schranken, in welche die weibliche Natur eingteilt werden soll, nannten sie Werke der finstern Gewalt, des blinden Vorurtheils des selbstischen Hochmuths — Zarter, inniger, geistreicher als hier, wurde nie den Frauen gehuldigt. Wahrheiten, von deren allgemeiner Beherrzigung das Wohl der Europäischen Gesellschaft abhinge, zuckten wie Blitze durch die Rednerbühne, man sah den Abgrund und die Höhen des Friedens, wo es gut seyn ist, wo das Herz sagt, hier lasst uns Hütten bauen.
62 Leerstelle aufgrund von Leseschwierigkeiten des Kopisten: In der Handschrift aus dem Archiv der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die French und Hundt ediert haben, steht an der entsprechenden Stelle „Kammer“.
Am 20t Januar 179263 rollte ein Königshaupt blutig in den Sand, gebrochen die milden Augen, die noch im Scheiden Segen gestralt, starr das sanfte Herz, das nur Liebe gekannt.
Siehst Du ihn nicht, wie eine schwarze Wetter wolke am Himmel über Frankreich schweben, den Fluch – nicht des Gerechten! nein, den Fluch dieser That? Unerfreulich, unerfreut kommen und schleichen die Gewaltigen vorm bluthbefleckten Thron, und kein jubelbegrüßter Erbe reifte dort noch zum Mann.
Der 26t Julius 184465 ruft jede Erinnerung solcher Frevelthat wieder in das Leben. Auf Erden schlägt nur Ein Herz, das den Unseligen verzeihen kann,66 wie Ludwig der Sechszehnte Seinem ganzen Volke verzieh,67 und im Himmel Gott wird verzeihen, denn Christus sagte am Kreuzt auch für diesen: vergieb ihnen, Vater, sie wissen nicht, was sie thun!68
Die Hand, die Sokrates den Schierling braute, und jede Frevelhand, die einen Gerechten schlug, folgt dem Herzen, das die Hölle bewohnt, das der Erbfeind bethört, dort aber über den Sternen waltet die Allmacht, die unergründliche Vorsehung, die nur zuläßt, was geschehen muß, das Warum stralt jenseits der Grüfte.
63 Am 21.1.1793 wurde Ludwig XVI hingerichtet.
64 Freies Zitat nach dem fünften Akt (V. 2452f.) Schillers Drama Die Piccolomini, Das eben ist der Fluch der bösen Tat,/ Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.
65 Das mißglückte Attentat auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV durch Heinrich Ludwig Tschech, einen nach Streitigkeiten im Amt entlassenen Bürgermeister, der nach zahlreichen Eigaben und Bittgesuchen um seine Wiedereinstellung den König angegriffen hatte, bewegte die Gemüter im Sommer 1844.
66 Tatsächlich gewährte Friedrich Wilhelm IV dem Attentäter Tschech keine Gnade. Dieser wurde am 14.12.1844 hingerichtet.
67 Von Ludwig XIV werden folgende letzte Worte überliefert: „Meine Herren, ich bin unschuldig an alledem, wessen man mich auch beschuldigt. Ich wünsche, dass mein Blut das Glück der Franzosen kitten möge.“
Heinrich der IV mit dem warmen Herzen für sein Volk, der da nicht ruh’n wollte bis jeder Bauer in Frankreich am Sontag ein Huhn in den Topf stecken könne,69 mußte unter Ravaillac’s Dolch verbluten,70 auch das Messer des Jaques Clement bohrte sich in kein Tirannenherz; Carl I von England war gut und milde, auch Gustav von Schweden war ein edler König und der Herzog von Berry ein ein vortrefflicher, gütiger, geistvoller Prinz;, Haß der Einzelnen oder Fanatismus einer Parthei trifft meuchelmörderisch die Gewaltigen, und wälzt die Throngeschicke um, noch kein Volk hat je seinen König gerichtet, zum Richter der Könige ist Gott allein berufen. DeutschKaiser erschlugen zwei Mörder, Otto den Großen vergiftete ein Weib, Frankreich erzeugt einen Meuchler nach dem andern, doch Ludwig Philipp wird , wie Cesar Augustus die Partheien zügeln, bis die Hand ihm erstarrt, die sie bändigte; seine Feinde wollen ihn für Frankreich opfern, Tschech ist kein Alibaud, er ist ein Herostrat. Friedrich Wilhelm IV wird ihn über die Liebe der Preußen vergessen, und die Geschichte seiner nur als eines Ruhmtollen erwähnen, unwerth des Schaffots, dieses ernsten Ausgleichungsmittel zwischen der menschlichen Gesellschaft und dem Verbrecher, zwischen der ewigen Gerechtigkeit und dem Sünder.
69 Als geflügeltes Wort überliefertes Zitat von Heinrich IV., das er im Gespräch mit Karl Emanuel I. von Savoyen geäußert haben soll: „Si Dieu me donne encore de la vie, je feray qu’il n’y aura point de laboureur en mon Royaume qui n’ait moyens d’avoir une poule dans son pot!“. Erstmals gedruckt in der Histoire du roy Henry Le Grand composée par Messire Hardouin de Perefixe, Paris 1662.
70 François Ravaillac ermordete Heinrich IV. von Frankreich am 14. Mai 1610.