Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Dresden, 15. Juli 1831)

 

 

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    1. 1.

    Sie haben mich dadurch daß Sie einen
    fremden Engländer1 anstiften mir zu
    schreiben in große Verlegenheit gesetzt,
    und zur Strafe dafür erhalten Sie nun
    statt seiner die Antwort. Es kommt
    mir gar zu seltsam vor einem Menschen
    zu schreiben den ich gar nicht kenne; auch
    wird es ihm vielleicht schwer deutsche
    Schrift, besonders die meinige, zu le=
    sen, und einen englischen Brief habe ich
    in meinem Leben noch nicht geschrieben
    und würde ihn auch wohl nicht zu Stande
    bringen: darum halte ich es denn für
    das Beste ihm durch Sie die Antwort
    sagen zu lassen. Mein Vater hätte Ihnen
    gern Selbst geschrieben; aber er hat in
    diesem Augenblick wirklich so viel zu
    thun daß es ihm nicht möglich ist um
    mehrere Novellen2 die für das nächste
    Jahr versprochen sind, und die er auch
    schon angefangen hat, zu beendigen;
    besonders da ein Schnupfenfieber ihn in
    der letzten Zeit sehr am Arbeiten ge=
    hindert hat. Er grüßt Sie herzlich und
    trägt mir auf Ihnen zu sagen, daß

    Kommentare

    1 Der als Mittelsmann auftretende Engländer konnte nicht identifiziert werden.

    2 Hierbei handelt es sich um folgende Novellen: Der Mondsüchtige, Der Jahrmarkt und vermutlich Der Hexensabbath.

    schon vor einigen Jahren eine Ueber=
    setzung3 des Dichterlebens angekündigt
    aber nicht erschienen sey, und jener Ue=
    bersetzer
    , dessen Namen er aber nicht
    weiß, also die Sache gewiß aufgegeben
    habe.4 Es wird ihn sehr freuen wenn die
    junge Dame5 ihren Vorsatz ausführt,
    und er wünscht und bittet sie, das Fest
    zu Kenilworth
    auch zu übersetzen, weil
    es fast nothwendig ist, besonders um
    den zweiten Theil des Dichterlebens
    zu verstehen. Wollen Sie so gut seyn
    dies dem Engländer zu sagen, ihm
    meine und meines Vaters Empfehlung
    zu machen, und mich zu entschuldigen
    daß ich ihm nicht selbst antworte. Ich
    bin überzeugt daß das Dichterleben in
    England vielen Beifall finden wird
    wenn die Uebersetzung nur einiger
    maaßen gelingt, und bei der Dame
    verräth es viel Sinn für Poesie und
    eine große Kenntniß unsrer Sprache
    daß sie gerade diese Novelle wählt.
    Ich glaube das Uebersetzen ist eigentlich
    mehr ein Geschäft für Frauen als für
    Männer, gerade weil es uns nicht
    gegeben ist etwas Eigenes hervor
    zu bringen.

    Kommentare

    3 A. W. Schlegel hatte Ludwig Tieck 1828 dazu angeregt, das Dichterleben ins Englische übersetzen zu lassen; vgl. Brief von A. W. Schlegel vom 30. März 1828, in: Holtei: Briefe an Ludwig Tieck, S. 296.

    4 Im Verlags-Bericht des Ernst Fleischer-Verlages in Leipzig vom Juli 1827 wurde die Übersetzung von Tiecks Dichterleben als Punkt XXXIII angekündigt. Auch hier wird kein Übersetzer genannt. 1830 erschien diese dann aber doch, wohl ohne Tiecks Wissen, als anonyme Übersetzung unter dem Titel The Life of Poets bei Fleischer in Leipzig. Vermutlich verzögerte sich jedoch die Distribution, denn im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung von August 1832 (Nr. 49, Sp. 397) erscheint sie unter der Rubrik „ist so eben versandt worden“. Eine weitere Übersetzung ist nicht bekannt.

    5 Die junge Dame konnte nicht identifiziert werden.

    Wir haben immer gehofft Sie würden
    uns einmal Nachricht von sich geben, und
    meinem Vater Ihr Trauerspiel6 schicken
    Wir erzählten ihm dahlfurvon und er inte=
    ressirt sich sehr dafür, und es ist wirk=
    lich nicht recht von Ihnen daß Sie es ihm
    nicht mitgetheilt haben, es würde ihm,
    schon an sich selbst, große Freude machen,
    und ihm als ein Zeichen des Vertrauens
    von Ihnen, doppelt werth seyn. Es that
    ihm sehr leid Sie im vorigen Sommer ver=
    fehlt zu haben und es würde ihn sehr
    erfreuen wenn Sie einmal wieder her
    kämen und einige Zeit hier bleiben
    könnten; doch in dieser unglücklichen,
    unruhigen Zeit kann man an keine
    Zukunft denken, und muß nur froh
    seyn jeden Tag zu verleben, so gut
    es gehn will.

    Vor kurzem hat mein Vater Ihren
    Alexander wieder zweimal vorgelesen,
    er verfehlt seine Wirkung nie, weder
    auf die welche ihn noch nicht kannten, noch
    auf uns, die ihn fast auswendig wissen.
    Leider kann er hier jetzt nicht gegeben
    werden, da es uns noch immer an einer
    tragischen Schauspielerin fehlt,. und
    Können Sie ihn aber nicht in Wien geben
    lassen? so viel ich von Löwe und Anschütz

    Kommentare

    6 Uechtritz hatte im September 1830 sein Trauerspiel Rosamunde am Königlichen Schauspiel in Berlin bei Graf Redern eingereicht, ohne vorher Tiecks Meinung einzuholen, der 1827 Uechtritz' Alexander und Darius herausgegeben und am Dresdner Theater inszeniert hatte. In einem Brief an seine Eltern vom 12. Dezember 1829 schreibt Uechtritz über die Rosamunde: „Ich glaube auch, daß ich Tieck nicht nöthig haben werde, ja es ist zweifelhaft, ob mir Tieck beim Alexander mehr geschadet oder geholfen hat. Immermann meint das Erste.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 118.) Möglicherweise war Uechtritz aber auch darüber gekränkt, dass Tieck dem 1827 fertiggestellten Trauerspiel Das Ehrenschwerdt nicht zu einer Veröffentlichung oder Aufführung in Dresden verholfen hatte, vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 83.

    weiß würden beide gewiß als Alexan=
    der
    und Darius sehr gut seyn, und die
    Gley würde die Statira ganz vortreff=
    lich7 spielen. Die Gley reiste kam, auf
    ihrer Reise nach Berlin, vor kurzem hier
    durch, um Gastrollen dort zu geben.
    Sie ist in Wien sehr glücklich und zufrieden
    Sie erzählte mir daß Schreivogel Ihre
    Rosamunde schon bekommen habe, sie
    hatte sie noch nicht gelesen.

    Mein Vater ist den Winter durch fast
    immer wohl gewesen, und braucht auch
    diesen Sommer kein Bad. Wir bleiben
    alle ganz ruhig in Dresden und leben
    ziemlich einsam, weil die meisten unsrer
    Bekannten auf dem Lande oder ver=
    reist sind. Oehlenschläger war einige
    Wochen hier. Er hat uns allen sehr ge=
    fallen und ist durch die Rescension8 des
    Correggio so wenig gekränkt, daß er
    herzlicher und liebevoller gegen meinen
    Vater war, als je zuvor. Er las uns
    einige noch ungedruckte Sachen vor die
    uns sehr gefallen haben.

    Verzeihen Sie diesen confusen Brief, und
    seyn Sie nicht böse, daß ich Sie mit diesem
    Auftrag belästige. Meine Mutter,
    Schwester und die Gräfinn grüßen
    Sie herzlich, und ich bin mit der größten
    Hochachtung

    Ihre Ergebene
    Dorothea Tieck

    Kommentare

    7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 157) steht „vorzüglich“ statt „vortrefflich“.

    8 Tiecks Rezension Correggio, von Oehlenschläger erschien erstmals 1827 in den Dramaturgischen Blättern, als Beilage zur Dresdner Morgen-Zeitung. Ein weiterer Abdruck des Aufsatzes erfolgte 1852 im dritten Bändchen der abermals publizierten Dramaturgischen Blätter. In der Rezension heißt es bspw.: „Der vierte Act dieser wunderlichen Composition ist blos seltsam, schwach und ungenügend, ohne schmerzlich zu verletzen, oder einen großen Effekt zu machen; der letzte (fünfte) dagegen widerwärtig, empörend, und so, daß das große Talent des Dichters, indem wir über das Undramatische und Ungeschickte lächeln möchten, uns zum Mitleid, Schrecken, gewissermaßen zum Entsetzen zwingt, und alle unsere Gefühle eben dadurch schmerzlich verletzt, da nichts Wichtiges geschieht […].“ (Ebd., S. 256).

    Sie haben mich dadurch daß Sie einen fremden Engländer1 anstiften mir zu schreiben in große Verlegenheit gesetzt, und zur Strafe dafür erhalten Sie nun statt seiner die Antwort. Es kommt mir gar zu seltsam vor einem Menschen zu schreiben den ich gar nicht kenne; auch wird es ihm vielleicht schwer deutsche Schrift, besonders die meinige, zu lesen, und einen englischen Brief habe ich in meinem Leben noch nicht geschrieben und würde ihn auch wohl nicht zu Stande bringen: darum halte ich es denn für das Beste ihm durch Sie die Antwort sagen zu lassen. Mein Vater hätte Ihnen gern Selbst geschrieben; aber er hat in diesem Augenblick wirklich so viel zu thun daß es ihm nicht möglich ist um mehrere Novellen2 die für das nächste Jahr versprochen sind, und die er auch schon angefangen hat, zu beendigen; besonders da ein Schnupfenfieber ihn in der letzten Zeit sehr am Arbeiten gehindert hat. Er grüßt Sie herzlich und trägt mir auf Ihnen zu sagen, daß

    Kommentare

    1 Der als Mittelsmann auftretende Engländer konnte nicht identifiziert werden.

    2 Hierbei handelt es sich um folgende Novellen: Der Mondsüchtige, Der Jahrmarkt und vermutlich Der Hexensabbath.

    schon vor einigen Jahren eine Uebersetzung3 des Dichterlebens angekündigt aber nicht erschienen sey, und jener Uebersetzer, dessen Namen er aber nicht weiß, also die Sache gewiß aufgegeben habe.4 Es wird ihn sehr freuen wenn die junge Dame5 ihren Vorsatz ausführt, und er wünscht und bittet sie, das Fest zu Kenilworth auch zu übersetzen, weil es fast nothwendig ist, besonders um den zweiten Theil des Dichterlebens zu verstehen. Wollen Sie so gut seyn dies dem Engländer zu sagen, ihm meine und meines Vaters Empfehlung zu machen, und mich zu entschuldigen daß ich ihm nicht selbst antworte. Ich bin überzeugt daß das Dichterleben in England vielen Beifall finden wird wenn die Uebersetzung nur einiger maaßen gelingt, und bei der Dame verräth es viel Sinn für Poesie und eine große Kenntniß unsrer Sprache daß sie gerade diese Novelle wählt. Ich glaube das Uebersetzen ist eigentlich mehr ein Geschäft für Frauen als für Männer, gerade weil es uns nicht gegeben ist etwas Eigenes hervor zu bringen.

    Kommentare

    3 A. W. Schlegel hatte Ludwig Tieck 1828 dazu angeregt, das Dichterleben ins Englische übersetzen zu lassen; vgl. Brief von A. W. Schlegel vom 30. März 1828, in: Holtei: Briefe an Ludwig Tieck, S. 296.

    4 Im Verlags-Bericht des Ernst Fleischer-Verlages in Leipzig vom Juli 1827 wurde die Übersetzung von Tiecks Dichterleben als Punkt XXXIII angekündigt. Auch hier wird kein Übersetzer genannt. 1830 erschien diese dann aber doch, wohl ohne Tiecks Wissen, als anonyme Übersetzung unter dem Titel The Life of Poets bei Fleischer in Leipzig. Vermutlich verzögerte sich jedoch die Distribution, denn im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung von August 1832 (Nr. 49, Sp. 397) erscheint sie unter der Rubrik „ist so eben versandt worden“. Eine weitere Übersetzung ist nicht bekannt.

    5 Die junge Dame konnte nicht identifiziert werden.

    Wir haben immer gehofft Sie würden uns einmal Nachricht von sich geben, und meinem Vater Ihr Trauerspiel6 schicken Wir erzählten ihm davon und er interessirt sich sehr dafür, und es ist wirklich nicht recht von Ihnen daß Sie es ihm nicht mitgetheilt haben, es würde ihm, schon an sich selbst, große Freude machen, und ihm als ein Zeichen des Vertrauens von Ihnen, doppelt werth seyn. Es that ihm sehr leid Sie im vorigen Sommer verfehlt zu haben und es würde ihn sehr erfreuen wenn Sie einmal wieder her kämen und einige Zeit hier bleiben könnten; doch in dieser unglücklichen, unruhigen Zeit kann man an keine Zukunft denken, und muß nur froh seyn jeden Tag zu verleben, so gut es gehn will.

    Vor kurzem hat mein Vater Ihren Alexander wieder zweimal vorgelesen, er verfehlt seine Wirkung nie, weder auf die welche ihn noch nicht kannten, noch auf uns, die ihn fast auswendig wissen. Leider kann er hier jetzt nicht gegeben werden, da es uns noch immer an einer tragischen Schauspielerin fehlt. Können Sie ihn aber nicht in Wien geben lassen? so viel ich von Löwe und Anschütz

    Kommentare

    6 Uechtritz hatte im September 1830 sein Trauerspiel Rosamunde am Königlichen Schauspiel in Berlin bei Graf Redern eingereicht, ohne vorher Tiecks Meinung einzuholen, der 1827 Uechtritz' Alexander und Darius herausgegeben und am Dresdner Theater inszeniert hatte. In einem Brief an seine Eltern vom 12. Dezember 1829 schreibt Uechtritz über die Rosamunde: „Ich glaube auch, daß ich Tieck nicht nöthig haben werde, ja es ist zweifelhaft, ob mir Tieck beim Alexander mehr geschadet oder geholfen hat. Immermann meint das Erste.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 118.) Möglicherweise war Uechtritz aber auch darüber gekränkt, dass Tieck dem 1827 fertiggestellten Trauerspiel Das Ehrenschwerdt nicht zu einer Veröffentlichung oder Aufführung in Dresden verholfen hatte, vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 83.

    weiß würden beide gewiß als Alexander und Darius sehr gut seyn, und die Gley würde die Statira ganz vortrefflich7 spielen. Die Gley kam, auf ihrer Reise nach Berlin, vor kurzem hier durch, um Gastrollen dort zu geben. Sie ist in Wien sehr glücklich und zufrieden Sie erzählte mir daß Schreivogel Ihre Rosamunde schon bekommen habe, sie hatte sie noch nicht gelesen.

    Mein Vater ist den Winter durch fast immer wohl gewesen, und braucht auch diesen Sommer kein Bad. Wir bleiben alle ganz ruhig in Dresden und leben ziemlich einsam, weil die meisten unsrer Bekannten auf dem Lande oder verreist sind. Oehlenschläger war einige Wochen hier. Er hat uns allen sehr gefallen und ist durch die Recension8 des Correggio so wenig gekränkt, daß er herzlicher und liebevoller gegen meinen Vater war, als je zuvor. Er las uns einige noch ungedruckte Sachen vor die uns sehr gefallen haben.

    Verzeihen Sie diesen confusen Brief, und seyn Sie nicht böse, daß ich Sie mit diesem Auftrag belästige. Meine Mutter, Schwester und die Gräfinn grüßen Sie herzlich, und ich bin mit der größten Hochachtung Ihre Ergebene Dorothea Tieck

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    7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 157) steht „vorzüglich“ statt „vortrefflich“.

    8 Tiecks Rezension Correggio, von Oehlenschläger erschien erstmals 1827 in den Dramaturgischen Blättern, als Beilage zur Dresdner Morgen-Zeitung. Ein weiterer Abdruck des Aufsatzes erfolgte 1852 im dritten Bändchen der abermals publizierten Dramaturgischen Blätter. In der Rezension heißt es bspw.: „Der vierte Act dieser wunderlichen Composition ist blos seltsam, schwach und ungenügend, ohne schmerzlich zu verletzen, oder einen großen Effekt zu machen; der letzte (fünfte) dagegen widerwärtig, empörend, und so, daß das große Talent des Dichters, indem wir über das Undramatische und Ungeschickte lächeln möchten, uns zum Mitleid, Schrecken, gewissermaßen zum Entsetzen zwingt, und alle unsere Gefühle eben dadurch schmerzlich verletzt, da nichts Wichtiges geschieht […].“ (Ebd., S. 256).