
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
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Schon seit lange hat mein Vater die Absicht Ihnen
zu schreiben, theurer Freund, da er es aber viel=
leicht noch nicht so bald thun wird, muß ich es über=
nehmen Ihnen Nachricht von uns zu geben. Ich
weiß nur zu wohl welch ein schlechter Ersatz dies
für Sie ist, und erscheine mir selbst sehr anma=
ßend indem ich Ihnen schreibe, denke aber doch
es ist Ihnen lieber als wenn Sie gar nichts von
uns erfahren.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief, und
danke Ihnen in unser Aller und besonders in
meines Vaters Namen für Ihre Rosamunde,1
mehr als ich es Ihnen aussprechen kann. Mein
Vater will Ihnen selbst seine Meinung darüber
schreiben, aber weil dies sehr ausführlich geschehen
soll, und er sich überhaupt schwer zu einem Brief
entschließt, wird es wohl nicht so bald geschehen.
Ich kann Ihnen vorläufig sagen daß er ganz
und durchaus zufrieden ist, ja, daß er entzückt
und begeistert2 ist sollte ich lieber sagen, denn
jeder andre Ausdruck scheint mir zu kalt. Drei=
mal hat er uns die Rosamunde vorgelesen, und
ich wünsche dann nur immer Sie wären hier und
könnten Ihrem ihn darüber sprechen hören, und
sich an seiner Freude erfreuen, daß unsre arme
betrübte Zeit so etwas Großes und Edles
1 Uechtritz hatte Tieck das Trauerspiel in Manuskriptform geschickt, er selbst verfügte über keine weitere Abschrift; vgl. Brief vom 12. September 1833, S. 1 (Bl. 1 recto).
2 Im Brief vom 26. Oktober 1831 an seine Eltern berichtet Uechtritz von Dorotheas Brief: „Ihr seht, daß der Beifall Tieck's noch weit größer und entschiedener ist, als beim Alexander und welchen Werth dieser Beifall grade jetzt für mich hat, kann ich nicht aussprechen. Abgesehen von dem bedeutenden äußeren Vortheil, den er mir bringt, und die Verlegenheit, in die der Herr Graf Redern gerathen werden, wenn sie davon hören, ist er für mein inneres Leben von unzuberechnender Wichtigkeit.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 130.) Vgl. dagegen Uechtritz' Äußerung im Brief an seine Eltern, zitiert im Kommentar zum Brief vom 15. Juli 1831, S. 3 (Bl. 2 recto).
hervorgebracht hat. Ich wußte zum Voraus
daß dies Gedicht ihm gefallen mußte und drang
deswegen darauf daß Sie es uns schicken möch=
ten.3 Alle meine Zweifel, die ich auch damals
gegen Sie aussprach, ob es auf der Bühne von
Wirkung seyn könne erscheinen mir jetzt recht
vermessen, da mein Vater, gleich wie er es nur
einmal gelesen hatte, entschlossen war, es hier
zu geben. Jetzt da ich es öfter und nicht so un=
terbrochen gelesen, bin ich auch überzeugt, daß
die Darstellung keine Schwierigkeiten haben
kann; dann war ich in der vorigen Woche einige
Tage auf dem Lande4 bei Lüttichaus, wo wir
wieder die Rosamunde miteinander lasen, und
zu meiner großen Freude Lüttichau sogleich
beschloß sie so bald als möglich zu geben; ja,
mich sogar ganz im Ernste auszankte, daß
ich sie nicht gleich den vorigen Sommer hier be=
halten hatte. Mir schien damals für unsre Bühne
die Schwierigkeit zu groß es würdig zu besetzen
da wir jetzt, genau genommen weder eine
Rosamunde noch einen Alboin haben; aber
mein Vater sagt kein Theater dürfe es sich
entgehen lassen durch ein solches Werk sich
selbst zu ehren, auch sey es nicht nur so schön
sondern auch so dramatisch, daß es immer noch,
trotz aller Mängel der Darstellung, den größ=
ten Eindruck machen müsse. Weshalb man es
in Berlin nicht angenommen5 hat ist mir unbegreif=
lich, da dies doch das eigentliche Rollenfach der
3 Im Brief vom 15. Juli 1831, S. 3 (Bl. 2 recto) bat Dorothea Tieck um die Übersendung des Trauerspiels.
4 Vermutlich auf dem Rittergut Wolf Adolf von Lüttichaus in Ulbersdorf bei Sebnitz.
5 Eine Kommission unter dem Vorsitz Ernst Raupachs hatte im April 1831 gegen die Annahme der Rosamunde gestimmt, woraufhin sie Uechtritz nach Wien gesandt hatte. Dort wurde eine Annahme im Sommer 1831 durch die Zensur untersagt, was Uechtritz aber erst im März 1832 erfuhr. Vgl. Brief vom 4. April 1832, S. 1 (Bl. 1 recto) und S. 3 (Bl. 2 recto).
Krelinger6 ist, und sie gar nichts spielen
kann, wenn ihr dies nicht zusagt. Ob man
es in Wien einstudirt, weiß ich nicht, ich habe die
Gley darum gefragt, aber noch keine Antwort
erhalten; ich wünsche jetzt fast daß es dort
noch nicht so schnell gegeben wird, damit es auf
unsrer Bühne zuerst erscheint.7 Statt der Gley
sind jetzt hier zwei junge Mädchen8 engagirt,
beide recht hübsch und nicht ohne Talent, aber
noch so wenig geübt und so unbedeutend
daß man ihnen die Rosamunde nicht anver=
trauen kann, deshalb hist sie der Mevius
zugetheilt worden, die der auch eigentlich das Fach
wozu man die Rosamunde doch rechnen muß
gehört. Freilich ist sie etwas zu alt und zu
scharf in ihrem Spiel, doch hat sie viel Kraft
und Feuer, und giebt einige Rollen, wie z. B.
die Orsina,9 daß man sie kaum besser sehen kan̄,
auch hat sie Verstand und weiß sich meines Vaters
Rath recht gut anzueignen. Den Alboin wird
wohl der jüngere Devrient bekommen, der
jetzt hier engagirt ist; er ist freilich et=
was zu jung und zu zart für die Rolle, doch
hat er viel Haltung und ein sehr schönes Organ
ist dabei ein gescheuter, sinniger Mensch. Den
Helmichis würde dann der andre Devrient
bekommen. Der alte Longobarde und Gepide
werden durch Werdy und Pauli sehr gut besetzt
seyn, beide hörten das Stück neulich bei uns
lesen, und interessirten sich gleich sehr dafür
und da sie jetzt unsre Regisseure sind ist dies
6 Recte: Auguste Crelinger.
7 Die Rosamunde wurde einzig in Dresden aufgeführt.
8 Im August 1831 wurde die 18-jährige Clara Hirschmann und im September die ebenfalls 18-jährige Franziska Berg am Dresdner Hoftheater engagiert, letztere als Ersatz für Julie Gley, die am 1. Oktober 1830 das Hoftheater verlassen hatte. Vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 652.
9 Orsina aus Lessings Emilia Galotti.
nicht unwichtig. Wir sind recht viel mit Ihnen
und Ihrem Gedicht beschäftigt, und ich kann Ihnen
nicht sagen wie sehr mich dies alles Ihretwegen
freut, da ich denke die Anerkennung meines
Vaters wiegt bei Ihnen das verkehrte Urtheil
viel verkehrter, wenn auch wohlmeinender Men=
schen auf, und ist Ihnen ein Sporn die Welt und
Ihre Freunde bald wieder durch ein schönes
Werk zu erfreuen. Auch wegen meines Vaters
freut es mich so sehr, daß er wieder einmal
etwas auf die Bühne bringen kann, woran
er so warmen Antheil nimmt.
Mein Vater ist wohl und sehr fleißig: zwei
Novellen sind fertig und eine, der Mondsüchti=
ge in der Urania schon gedruckt, ich finde sie
sehr schön, und man sollte glauben er habe sie
in seiner Jugend geschrieben. Die zweite, der
Jahrmarkt ist ganz heiter und gefällt mir
auch sehr, aus der dritten, die noch nicht beendet
ist kann ich noch nicht recht klug werden.10 Ich
bekomme immer die Correcturbogen und
bin also nach dem Setzer der erste Leser und
Kritiker.
Ihr Bruder11 ist vor einiger Zeit bei uns ge=
wesen, es thut mir leid daß ich ihn nicht ge=
sehn habe, er muß Ihnen sehr äbhnlich sehen,
denn mein Vater hat ihn gleich umarmt, weil
er geglaubt hat daß Sie es wären.
Immermann ist viel bei uns gewesen und
wird Ihnen manches von uns erzählen können.
10 Es handelt sich bei dieser Novelle vermutlich um den Hexensabbath.
ich habe mich sehr gefreut von ihm zu hören wie
heiter und zufrieden Sie in Düsseldorf leben.
Er hat uns seinen Merlin vorgelesen, der mir
zu tiefsinnig ist und in dem ich Vieles nicht ver=
standen habe, was ich verstand habe ich aber
sehr schön und merkwürdig gefunden. Die
beiden ersten Stücke12 von Peter dem Großen
haben viel Schönes, doch scheint mir zu viel In=
trigue darin zu seyn, und fast alle Characte=
re haben etwas Verschrobenes, was einen
unangenehmen Eindruck macht. Das Edle,
Großartige, was in der Rosamunde so wohlthu=
end wirkt, und was uns wie ein Spiegel der
Seele scheint, woraus es geflossen, fehlt in
jenem, und deshalb macht es nicht den ächt tra=
gischen Eindruck. Immermann ist sehr geist=
reich und interessant, doch kann ich nicht läugnen
daß in seinem Wesen etwas Unheimliches
liegt, wozu man kein Vertrauen fassen kan̄.
Verzeihen Sie daß ich mein Gefühl so unverhoh=
len ausspreche; es ist wohl nicht recht, denn ich
glaube er ist Ihr beßter Freund, doch da es
einmal geschrieben ist kann ich es nicht mehr
ändern
Wir erwarten jetzt die Cholera täglich; doch
ist man hier nicht so ängstlich und spricht nicht
so viel davon als in Berlin. Ich kann diese
Furcht nicht begreifen, da wir doch überzeugt
sind daß wir keinen Augenblick eher oder spä=
ter sterben, als es Gottes Wille ist, und da,
12 Gemeint sind die beiden ersten Teile von Immermanns Trilogie Alexis.
auch ohne Cholera, uns der Tod täglich so nahe
steht. Doch viele Menschen thun wirklich als wärenSsie bis jetzt unsterblich gewesen, und das Ster=
ben eine ganz neue Erfindung von 1831.
Leben Sie wohl, und rechnen Sie es mir nicht zu
daß ich Ihnen schreibe, und meinem Vater nicht
daß er Ihnen nicht schreibt. Er ist in seiner
Freundschaft unveränderlich wie im Aufschieben
aller seiner Briefe und Arbeiten; die Novel=
len13 sollten längst fertig seyn, denn alle anderen
Taschenbücher liegen schon auf allen Ladenti=
schen. Kommen Sie nur künftigen Sommer zu
uns, und geben Sie uns zuweilen Nachricht
wie es Ihnen geht; halten Sie es aber nicht
für eine Pflicht der Höflichkeit gerade mir
wieder zu antworten, es macht Ihnen na=
türlich mehr Vergnügen meinem Vater zu
schreiben als mir, und wir andern sind zu=
frieden wenn wir erfahren daß Sie wohl
und heiter und fleißig sind. 14Meine Eltern
und Schwester grüßen Sie herzlich
Dorothea Tieck
13 Es handelt sich um Der Mondsüchtige, Der Jahrmarkt und Der Hexensabbath.
14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 161) wird der folgende Satz (bis auf die Unterschrift) ausgelassen.
Schon seit lange hat mein Vater die Absicht Ihnen zu schreiben, theurer Freund, da er es aber vielleicht noch nicht so bald thun wird, muß ich es übernehmen Ihnen Nachricht von uns zu geben. Ich weiß nur zu wohl welch ein schlechter Ersatz dies für Sie ist, und erscheine mir selbst sehr anmaßend indem ich Ihnen schreibe, denke aber doch es ist Ihnen lieber als wenn Sie gar nichts von uns erfahren.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief, und danke Ihnen in unser Aller und besonders in meines Vaters Namen für Ihre Rosamunde,1 mehr als ich es Ihnen aussprechen kann. Mein Vater will Ihnen selbst seine Meinung darüber schreiben, aber weil dies sehr ausführlich geschehen soll, und er sich überhaupt schwer zu einem Brief entschließt, wird es wohl nicht so bald geschehen. Ich kann Ihnen vorläufig sagen daß er ganz und durchaus zufrieden ist, ja, daß er entzückt und begeistert2 ist sollte ich lieber sagen, denn jeder andre Ausdruck scheint mir zu kalt. Dreimal hat er uns die Rosamunde vorgelesen, und ich wünsche dann nur immer Sie wären hier und könnten ihn darüber sprechen hören, und sich an seiner Freude erfreuen, daß unsre arme betrübte Zeit so etwas Großes und Edles
1 Uechtritz hatte Tieck das Trauerspiel in Manuskriptform geschickt, er selbst verfügte über keine weitere Abschrift; vgl. Brief vom 12. September 1833, S. 1 (Bl. 1 recto).
2 Im Brief vom 26. Oktober 1831 an seine Eltern berichtet Uechtritz von Dorotheas Brief: „Ihr seht, daß der Beifall Tieck's noch weit größer und entschiedener ist, als beim Alexander und welchen Werth dieser Beifall grade jetzt für mich hat, kann ich nicht aussprechen. Abgesehen von dem bedeutenden äußeren Vortheil, den er mir bringt, und die Verlegenheit, in die der Herr Graf Redern gerathen werden, wenn sie davon hören, ist er für mein inneres Leben von unzuberechnender Wichtigkeit.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 130.) Vgl. dagegen Uechtritz' Äußerung im Brief an seine Eltern, zitiert im Kommentar zum Brief vom 15. Juli 1831, S. 3 (Bl. 2 recto).
hervorgebracht hat. Ich wußte zum Voraus daß dies Gedicht ihm gefallen mußte und drang deswegen darauf daß Sie es uns schicken möchten.3 Alle meine Zweifel, die ich auch damals gegen Sie aussprach, ob es auf der Bühne von Wirkung seyn könne erscheinen mir jetzt recht vermessen, da mein Vater, gleich wie er es nur einmal gelesen hatte, entschlossen war, es hier zu geben. Jetzt da ich es öfter und nicht so unterbrochen gelesen, bin ich auch überzeugt, daß die Darstellung keine Schwierigkeiten haben kann; dann war ich in der vorigen Woche einige Tage auf dem Lande4 bei Lüttichaus, wo wir wieder die Rosamunde miteinander lasen, und zu meiner großen Freude Lüttichau sogleich beschloß sie so bald als möglich zu geben; ja, mich sogar ganz im Ernste auszankte, daß ich sie nicht gleich den vorigen Sommer hier behalten hatte. Mir schien damals für unsre Bühne die Schwierigkeit zu groß es würdig zu besetzen da wir jetzt, genau genommen weder eine Rosamunde noch einen Alboin haben; aber mein Vater sagt kein Theater dürfe es sich entgehen lassen durch ein solches Werk sich selbst zu ehren, auch sey es nicht nur so schön sondern auch so dramatisch, daß es immer noch, trotz aller Mängel der Darstellung, den größten Eindruck machen müsse. Weshalb man es in Berlin nicht angenommen5 hat ist mir unbegreiflich, da dies doch das eigentliche Rollenfach der
3 Im Brief vom 15. Juli 1831, S. 3 (Bl. 2 recto) bat Dorothea Tieck um die Übersendung des Trauerspiels.
4 Vermutlich auf dem Rittergut Wolf Adolf von Lüttichaus in Ulbersdorf bei Sebnitz.
5 Eine Kommission unter dem Vorsitz Ernst Raupachs hatte im April 1831 gegen die Annahme der Rosamunde gestimmt, woraufhin sie Uechtritz nach Wien gesandt hatte. Dort wurde eine Annahme im Sommer 1831 durch die Zensur untersagt, was Uechtritz aber erst im März 1832 erfuhr. Vgl. Brief vom 4. April 1832, S. 1 (Bl. 1 recto) und S. 3 (Bl. 2 recto).
Krelinger6 ist, und sie gar nichts spielen kann, wenn ihr dies nicht zusagt. Ob man es in Wien einstudirt, weiß ich nicht, ich habe die Gley darum gefragt, aber noch keine Antwort erhalten; ich wünsche jetzt fast daß es dort noch nicht so schnell gegeben wird, damit es auf unsrer Bühne zuerst erscheint.7 Statt der Gley sind jetzt hier zwei junge Mädchen8 engagirt, beide recht hübsch und nicht ohne Talent, aber noch so wenig geübt und so unbedeutend daß man ihnen die Rosamunde nicht anvertrauen kann, deshalb ist sie der Mevius zugetheilt worden, der auch eigentlich das Fach wozu man die Rosamunde doch rechnen muß gehört. Freilich ist sie etwas zu alt und zu scharf in ihrem Spiel, doch hat sie viel Kraft und Feuer, und giebt einige Rollen, wie zum Beispiel die Orsina,9 daß man sie kaum besser sehen kann, auch hat sie Verstand und weiß sich meines Vaters Rath recht gut anzueignen. Den Alboin wird wohl der jüngere Devrient bekommen, der jetzt hier engagirt ist; er ist freilich etwas zu jung und zu zart für die Rolle, doch hat er viel Haltung und ein sehr schönes Organ ist dabei ein gescheuter, sinniger Mensch. Den Helmichis würde dann der andre Devrient bekommen. Der alte Longobarde und Gepide werden durch Werdy und Pauli sehr gut besetzt seyn, beide hörten das Stück neulich bei uns lesen, und interessirten sich gleich sehr dafür und da sie jetzt unsre Regisseure sind ist dies
6 Recte: Auguste Crelinger.
7 Die Rosamunde wurde einzig in Dresden aufgeführt.
8 Im August 1831 wurde die 18-jährige Clara Hirschmann und im September die ebenfalls 18-jährige Franziska Berg am Dresdner Hoftheater engagiert, letztere als Ersatz für Julie Gley, die am 1. Oktober 1830 das Hoftheater verlassen hatte. Vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 652.
9 Orsina aus Lessings Emilia Galotti.
nicht unwichtig. Wir sind recht viel mit Ihnen und Ihrem Gedicht beschäftigt, und ich kann Ihnen nicht sagen wie sehr mich dies alles Ihretwegen freut, da ich denke die Anerkennung meines Vaters wiegt bei Ihnen das verkehrte Urtheil viel verkehrter, wenn auch wohlmeinender Menschen auf, und ist Ihnen ein Sporn die Welt und Ihre Freunde bald wieder durch ein schönes Werk zu erfreuen. Auch wegen meines Vaters freut es mich so sehr, daß er wieder einmal etwas auf die Bühne bringen kann, woran er so warmen Antheil nimmt.
Mein Vater ist wohl und sehr fleißig: zwei Novellen sind fertig und eine, der Mondsüchtige in der Urania schon gedruckt, ich finde sie sehr schön, und man sollte glauben er habe sie in seiner Jugend geschrieben. Die zweite, der Jahrmarkt ist ganz heiter und gefällt mir auch sehr, aus der dritten, die noch nicht beendet ist kann ich noch nicht recht klug werden.10 Ich bekomme immer die Correcturbogen und bin also nach dem Setzer der erste Leser und Kritiker.
Ihr Bruder11 ist vor einiger Zeit bei uns gewesen, es thut mir leid daß ich ihn nicht gesehn habe, er muß Ihnen sehr ähnlich sehen, denn mein Vater hat ihn gleich umarmt, weil er geglaubt hat daß Sie es wären.
Immermann ist viel bei uns gewesen und wird Ihnen manches von uns erzählen können.
10 Es handelt sich bei dieser Novelle vermutlich um den Hexensabbath.
ich habe mich sehr gefreut von ihm zu hören wie heiter und zufrieden Sie in Düsseldorf leben. Er hat uns seinen Merlin vorgelesen, der mir zu tiefsinnig ist und in dem ich Vieles nicht verstanden habe, was ich verstand habe ich aber sehr schön und merkwürdig gefunden. Die beiden ersten Stücke12 von Peter dem Großen haben viel Schönes, doch scheint mir zu viel Intrigue darin zu seyn, und fast alle Charactere haben etwas Verschrobenes, was einen unangenehmen Eindruck macht. Das Edle, Großartige, was in der Rosamunde so wohlthuend wirkt, und was uns wie ein Spiegel der Seele scheint, woraus es geflossen, fehlt in jenem, und deshalb macht es nicht den ächt tragischen Eindruck. Immermann ist sehr geistreich und interessant, doch kann ich nicht läugnen daß in seinem Wesen etwas Unheimliches liegt, wozu man kein Vertrauen fassen kann. Verzeihen Sie daß ich mein Gefühl so unverhohlen ausspreche; es ist wohl nicht recht, denn ich glaube er ist Ihr beßter Freund, doch da es einmal geschrieben ist kann ich es nicht mehr ändern
Wir erwarten jetzt die Cholera täglich; doch ist man hier nicht so ängstlich und spricht nicht so viel davon als in Berlin. Ich kann diese Furcht nicht begreifen, da wir doch überzeugt sind daß wir keinen Augenblick eher oder später sterben, als es Gottes Wille ist, und da,
12 Gemeint sind die beiden ersten Teile von Immermanns Trilogie Alexis.
auch ohne Cholera, uns der Tod täglich so nahe steht. Doch viele Menschen thun wirklich als wären sie bis jetzt unsterblich gewesen, und das Sterben eine ganz neue Erfindung von 1831.
Leben Sie wohl, und rechnen Sie es mir nicht zu daß ich Ihnen schreibe, und meinem Vater nicht daß er Ihnen nicht schreibt. Er ist in seiner Freundschaft unveränderlich wie im Aufschieben aller seiner Briefe und Arbeiten; die Novellen13 sollten längst fertig seyn, denn alle anderen Taschenbücher liegen schon auf allen Ladentischen. Kommen Sie nur künftigen Sommer zu uns, und geben Sie uns zuweilen Nachricht wie es Ihnen geht; halten Sie es aber nicht für eine Pflicht der Höflichkeit gerade mir wieder zu antworten, es macht Ihnen natürlich mehr Vergnügen meinem Vater zu schreiben als mir, und wir andern sind zufrieden wenn wir erfahren daß Sie wohl und heiter und fleißig sind. 14Meine Eltern und Schwester grüßen Sie herzlich Dorothea Tieck
13 Es handelt sich um Der Mondsüchtige, Der Jahrmarkt und Der Hexensabbath.
14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 161) wird der folgende Satz (bis auf die Unterschrift) ausgelassen.