
Bibliothèque des Sciences de Haute-Lusace à Görlitz
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Dresden den 31ten Ja1
1832.
Theuerster Freund, ich hätte Ihren schönen Brief
schon früher beantwortet, und wollte nur die
Aufführung der Rosamunde abwarten, um
Ihnen zugleich Nachricht davon zu geben. Gestern
war sie nun endlich, und Sie können überzeugt
seyn, daß von Seiten der Direction und der
Schauspieler2 kein Fleiß gespart ist. Letzteren
hat mein Vater das Stück einige mal vorge=
lesen, und den beiden Frauen3 die Rollen noch
besonders einstudirt, ist dann auch bei allen
Proben zugegen gewesen, und hat wirklich
mehr Interesse dafür gehabt als er für ein eig=
nes Werk haben würde. Das Theater war sehr
voll und es herrschte die größte Stille und Auf=
merksamkeit, die Mevius war, dafür daß sie
nicht so viel Jugend und Kraft hat, als diese
Rolle fordert sehr gut, sie hat sie mit wahrer
Liebe und Begeistrung einstudirt, und das
sah man auch in ihrem Spiel. Der ältere Devrient
Alboin gefiel mir von Allen am besten, er
hatte ein wunderschönes Costüme und machte
schon beim ersten Auftreten einen großarti=
gen poetischen Eindruck, auch der jüngere Devrient
wußte den Helmichis besser herauszubringen
als ich ihm zugetraut hatte. Kurz, man kann die
1 Bei Sybel: Erinnerungen wird der Brief auf den 31. Mai 1832 datiert. Vermutlich aufgrund des bei Wilhelm Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 84 fälschlich angegebenen Premierendatums der Rosamunde (30. Mai 1832). Sie fand jedoch am 30. Januar 1832 im Dresdner Hoftheater statt; vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 617.
2 Zur Besetzung gehörten, soweit ermittelbar: Karl Devrient als Alboin, Emil Devrient als Helmichis und Elise Mevius als Rosamunde.
3 Welche Schauspielerin, neben Elise Mevius, ebenfalls zur Besetzung gehörte, konnte nicht ermittelt werden.
Vorstellung, im Ganzen genommen, eine gute nen=
nen, so viel auch bei einem so tiefsinnigen Werk,
und in so schweren Rollen immer noch zu tadeln
bleibt. In den beiden ersten Acten wurden
die Mevius, beide Devrients und Pauli einige
mal applaudirt, der dritte A und vierte Act
gingen ruhig vorüber, schon während des fünften
entstand eine gewisse ängstliche Unruhe, und
am Schluß, da einige applaudiren wollten, wurde
gepocht, nicht so viel daß man sagen kann es
sey durchgefallen, aber Lüttichau und Vater sind
doch noch unschlüssig ob es wiederholt4 werden
kann. Es wird mir recht schwer Ihnen dies zu
schreiben, aber ich denke Sie müssen es ja doch er=
fahren. Es kann Ihnen wohl kaum so unangenehm
und betrübt seyn als es mir ist, und der gestri=
ge Abend hat mich so angegriffen daß ich wirklich
krank bin, so peinlich war mir die zunehmende
Verstimmung die man unter den Zuschauern
bemerkte. Aergern und kränken Sie sich nicht,
bester Freund, und lassen Sie Ihren heitern
Muth nicht trüben, die Menschen sind nun ein=
mal dumm und wir können das nicht ändern
Etwas wahrhaft Großes wird ja nie verstanden
Glauben sSie wohl daß man bei Tasso und Ihpige=
nie nicht schon im ersten Act anfangen würde zu
pochen stände nicht der Nahme Goethe auf dem
Zettel, nur die Auctorität hält diese Gedichte
die Leute sitzen mit schwerer Langeweile im Thea=
ter und gehen nur Ehren halber das nächste
mal wieder hin, weil sie denken es muß wohl
schön seyn. Schackspear gefällt wegen des Reich=
thums an Begebenheiten und Menge der
Personen, Schiller ist einmal angenommen und
doch merkt bei seinem schönsten Werk, den Räu=
bern kein Mensch worauf es eigentlich ankom̄t
Das pikante der Sitauation und der unnatür=
liche Character des Franz interessirt, aber in
den tiefen Sinn des Dichters dringt keiner ein
So geht ist es mit der Rosamunde, das ganze Stück
geht aus einer Seelenstimmung hervor, die ganz
neu und wahrhaft tragisch ist, dies, was für
uns, die wir uns bemühn in den Sinn des Dichters
einzugehn, die Schönheit des Gedichtes ausmacht,
versteht das sogenannte Publicum nicht, sie be=
greifen ganz5 einfach nicht, was diese Frau will,
und statt zu überlegen daß man ein solches Werk
wie eine große Oper öfter höhren muß um es
zu verstehn, bilden sie sich ein sie müssen den
guten Geschmack retten. Ich möchte mit Hamlet
sagen: Es ist Caviar für die Menge. 6 Doch genug
davon. Ich schreibe Ihnen heut mit wahrhaft be=
trübtem Herzen. Ihre Briefe sind so schön und
machen uns Allen immer so große Freude;
wie gern schriebe auch ich Ihnen immer etwas
Erfreuliches, und muß Sie nun heute kränken.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 163) fehlt „ganz“.
6 William Shakespeare: Hamlet, 2. Akt, 2. Szene, Worte des Hamlet.
Ich fürchte dies macht Sie wieder melancholisch undsSie bekommen eine Abneigung gegen Dresden;
doch denken Sie daß Ihre besten Freunde und Ihre
größten Bewundrer auch hier sind, und lassen
Sie sich nicht abschrecken den nächsten Sommer her
zu kommen, und dann bringen Sie uns Ihre
Chaldäer7 mit, die gewiß bei Ihrer reichen
Phantasie und Ihrem großen Talent zum Tra=
gischen sehr schön werden. Ich bin sehr begierig
darauf und kann es mir gar nicht denken,
doch der Stoff ist schön unsd es gelingt Ihnen gewiß.
Ihre Rosamunde hat Ihnen in unserm, und auch
in dem größern, vornehmen Zirkel8 viel Freunde
erworben, es ist nur ein Unglück daß das Pub=
licum immer von Wenigen und gerade den
dummsten9 beherrscht wird, und die Besseren
sich in keinen Kampf mit diesem Theaterpöbel
einlassen wollen.
Haben Sie noch tausend Dank für Ihren letzten
schönen Brief. Ich bin jetzt jenem Engländer10
recht dankbar, der die erste Veranlassung
zu einer Correspondenz mit Ihnen war. Sie
kommen freilich sehr dabei zu kurz, und ich schäme
mich immer wenn ich daran denke wie dumm
und albern Ihnen meine Briefe vorkommen
müssen. Es freut mich sehr daß Sie in Ihrer Be=
wundrung des Donaubweibchens11 von meinem Vater
ganz mit mir überein stimmen, ich habe es oft
7 Uechtritz begann die Babylonier in Jerusalem unter dem Titel „Die Chaldäer in Jerusalem“. Vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 90.
8 Parallel zur kleineren Runde ausgewählter Zuhörer, vor denen Tieck regelmäßig vorlas (neben den Familienangehörigen und der Gräfin Finckenstein sind hier vor allem Ida und Wolf von Lüttichau, Henriette Solger, Ernst von Malsburg, Carl Gustav Carus, Wolf Heinrich Graf Baudissin und Eduard von Bülow zu nennen), existierte auch ein vielfrequentierter, halb-öffentlicher Vorlesekreis. (Vgl. Känner: „Jeder Ort hat seinen Heiligen…“ Gruppenbildung um Ludwig Tieck in Dresden, S. 9.)
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 164) steht „Dummen“ statt „dummsten“.
10 Den Brief vom 15. Juli 1831 an Uechtritz schrieb Dorothea Tieck auf Veranlassung ihres Vaters, der einer englischen Übersetzung des Dichterlebens zustimmte. Uechtritz sollte die Antwort einem als Mittelsmann auftretenden Engländer (konnte nicht identifiziert werden) weiterleiten.
11 Das zwischen 1801 und 1804 von Tieck begonnene Donauweibchen, auf dem gleichnamigen Stück (1799) von Karl Friedrich Hensler basierend, blieb unvollendet.
gelesen und mich immer sehr gegrämt daß es
nicht vollendet ist. Ueber den Hexensabbath kan̄
ich Ihr Gefühl nicht so ganz theilen, so viel Schönes
im Einzelnen darin̄ ist, wozu ich besonders die
Scene bei der alten Bettlerin12 rechne, so hat mir
doch die Geschichte der ChKatharine etwas sehr herbes
und ich begreife nicht wie eine Frau die ob nun durch
das Schicksal oder ihre Schuld so entsetzliche Dinge
erlebt hat, noch ein so heitres, ich möchte sagen
leichtsinniges Leben führen kann, das Gefühl des
Robert, sich voganz von der Welt zurückzuziehen
scheint mir viel natürlicher. Sie haben Recht daß
dieser Gnosticismus nur als eine Phatntasie
behandelt werden kann, so aufgestellt, wie er
von Immermann wird, ist er mir wenigstens
sehr störend, den Jahrmarkt liebe ich besonders
weil er ein so ganz13 harmloses und reines Ver=
gnügen gewährt, bei allem Witz so fern von jeder
Bitterkeit, der Mondsüchtige wird Ihnen gewiß
gefallen. Ich muß bekennen daß unter allen
Novellen meines Vaters mir keine so hochsteht
als der erste Theil des Dichterlebens, so schön die
andern auch sind, so kommt mir diese doch immer
als ganz einzig und unerreicht vor, weshalb es so
ist davon kann ich mir keine Rechenschaft geben
und ich glaube, es giebt wie zu Menschen auch eine
Sympathie zu Dichtungen, und wir können bei die=
sen wie bei jenen oft nicht sagen warum wir sie
so unbeschreiblich lieben
Ich habe im verfloßnen Jahr den Dante so gründ=
lich studirt als es mir möglich ist. Jetzt lese ich
viel im Calderon, die religiösen, allegorischen
12 Zur Geschichte von der Bettlerin Gertrud vgl. Der Hexen-Sabbath in: Ludwig Tieck's Schriften, S. 272–298.
13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 164) fehlt „ganz“.
Stücke finde ich wunderschön, und das einzige
in dieser Art was so wahrhaft empfunden ist,
von den Lustspielen sind viele sehr witzig, andre
zu verwickelt und im Original schwer zu verstehn
Haben Sie den Aufsatz von Raumer über Polen
gelesen? Ich hoffe Sie sind nicht so Preuße daß
Sie ihn auch deshalb verfolgen. Ich begreife
nicht wie man einen Historiker wegen einer
rein geschichtlichen Darstellung anfeinden kann.14
Wir leben in einer traurigen Zeit man thut
als hätten wir nur die Wahl zwischen franzö=
sischer Anarchie und russischer Knute, letztere
scheint im nördlichen Deutschland den Sieg da=
von zu tragen. Die Aussicht in die Zukunft ist
trübe, nur die Religion und nächst ihr Freude
an Poesie und ein wahres Gefühl für die Men=
schen die uns theuer sind, kann uns Trost und
Muth geben.
Leben Sie nun wohl, liebster Freund, denken
Sie daß es uns gewöhnlichen Menschen auch oft
nicht besser geht als den Dichtern, das Beste in
uns wird oft verkannt, zurückgestoßen, und
lebt doch zu unsrer eignen Erquickung in un=
seren Herzen. Diesmal bitte ich Sie mir recht
bald zu schreiben, denn ich ängstige mich wirk=
lich wie diese Nachricht auf Sie wirken kann.
Wenn die Rosamunde noch einmal gegeben
wird schreibe ich es Ihnen gleich.15 16Alle die
Meinigen tragen mir die herzlichsten Grüße
auf. Ihre aufrichtige Freundinn
Dorothea T.
14 Raumers 1832 erst innerhalb des Historischen Taschenbuchs und noch im selben Jahr als Sonderdruck bei Brockhaus erschienener Aufsatz Polen's Untergang, eine historische Darstellung des polnischen Aufstands 1830–31, erregte durch eine Andeutung Raumers im Vorwort, die als Symphatisierung mit der polnischen Revolution gedeutet wurde, Missfallen beim preußischen König, der daraufhin die erfolgte Wiederwahl Raumers zum Rektor der Berliner Universität nicht bestätigte. Um Raumer die Gelegenheit zur Rehabilitation zu geben, beauftragte er ihn jedoch mit einer dokumentarischen Darstellung der Verhältnisse Preußens zu Polen. Obwohl Raumer diese Darstellung noch 1832 beendet hatte, konnte sie, da die Erlaubnis zur Publikation nicht erteilt wurde, erst 1853 in seinen Vermischten Schriften, Bd. 2, erscheinen. (Vgl. Vorwort Raumers zum 2. Band, S. VI.) Zum Polen-Aufsatz vgl. auch die Briefe Ludwig Tiecks an Raumer vom 23. Januar oder Juni 1832, S. 2 (Bl. 1 verso) und 5. oder 7. August 1832, S. 4 (Bl. 2 recto), bearb. v. Johanna Preusse, in: Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800.
15 S. o. Anmerkung zu S. 2 (Bl. 1 verso).
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 165) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
17 Die unten links stehende Zeitangabe „12. Marz Nchm 4 Uhr“ stammt vermutlich von Friedrich von Uechtritz, der so möglicherweise den Tag des Antwortschreibens festhielt.
Dresden den 31ten Januar1 1832. Theuerster Freund, ich hätte Ihren schönen Brief schon früher beantwortet, und wollte nur die Aufführung der Rosamunde abwarten, um Ihnen zugleich Nachricht davon zu geben. Gestern war sie nun endlich, und Sie können überzeugt seyn, daß von Seiten der Direction und der Schauspieler2 kein Fleiß gespart ist. Letzteren hat mein Vater das Stück einige mal vorgelesen, und den beiden Frauen3 die Rollen noch besonders einstudirt, ist dann auch bei allen Proben zugegen gewesen, und hat wirklich mehr Interesse dafür gehabt als er für ein eignes Werk haben würde. Das Theater war sehr voll und es herrschte die größte Stille und Aufmerksamkeit, die Mevius war, dafür daß sie nicht so viel Jugend und Kraft hat, als diese Rolle fordert sehr gut, sie hat sie mit wahrer Liebe und Begeistrung einstudirt, und das sah man auch in ihrem Spiel. Der ältere Devrient Alboin gefiel mir von Allen am besten, er hatte ein wunderschönes Costüme und machte schon beim ersten Auftreten einen großartigen poetischen Eindruck, auch der jüngere Devrient wußte den Helmichis besser herauszubringen als ich ihm zugetraut hatte. Kurz, man kann die
1 Bei Sybel: Erinnerungen wird der Brief auf den 31. Mai 1832 datiert. Vermutlich aufgrund des bei Wilhelm Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 84 fälschlich angegebenen Premierendatums der Rosamunde (30. Mai 1832). Sie fand jedoch am 30. Januar 1832 im Dresdner Hoftheater statt; vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 617.
2 Zur Besetzung gehörten, soweit ermittelbar: Karl Devrient als Alboin, Emil Devrient als Helmichis und Elise Mevius als Rosamunde.
3 Welche Schauspielerin, neben Elise Mevius, ebenfalls zur Besetzung gehörte, konnte nicht ermittelt werden.
Vorstellung, im Ganzen genommen, eine gute nennen, so viel auch bei einem so tiefsinnigen Werk, und in so schweren Rollen immer noch zu tadeln bleibt. In den beiden ersten Acten wurden die Mevius, beide Devrients und Pauli einige mal applaudirt, der dritte und vierte Act gingen ruhig vorüber, schon während des fünften entstand eine gewisse ängstliche Unruhe, und am Schluß, da einige applaudiren wollten, wurde gepocht, nicht so viel daß man sagen kann es sey durchgefallen, aber Lüttichau und Vater sind doch noch unschlüssig ob es wiederholt4 werden kann. Es wird mir recht schwer Ihnen dies zu schreiben, aber ich denke Sie müssen es ja doch erfahren. Es kann Ihnen wohl kaum so unangenehm und betrübt seyn als es mir ist, und der gestrige Abend hat mich so angegriffen daß ich wirklich krank bin, so peinlich war mir die zunehmende Verstimmung die man unter den Zuschauern bemerkte. Aergern und kränken Sie sich nicht, bester Freund, und lassen Sie Ihren heitern Muth nicht trüben, die Menschen sind nun einmal dumm und wir können das nicht ändern Etwas wahrhaft Großes wird ja nie verstanden Glauben Sie wohl daß man bei Tasso und Ihpigenie nicht schon im ersten Act anfangen würde zu pochen stände nicht der Nahme Goethe auf dem Zettel, nur die Auctorität hält diese Gedichte
die Leute sitzen mit schwerer Langeweile im Theater und gehen nur Ehren halber das nächste mal wieder hin, weil sie denken es muß wohl schön seyn. Schackspear gefällt wegen des Reichthums an Begebenheiten und Menge der Personen, Schiller ist einmal angenommen und doch merkt bei seinem schönsten Werk, den Räubern kein Mensch worauf es eigentlich ankommt Das pikante der Situation und der unnatürliche Character des Franz interessirt, aber in den tiefen Sinn des Dichters dringt keiner ein So ist es mit der Rosamunde, das ganze Stück geht aus einer Seelenstimmung hervor, die ganz neu und wahrhaft tragisch ist, dies, was für uns, die wir uns bemühn in den Sinn des Dichters einzugehn, die Schönheit des Gedichtes ausmacht, versteht das sogenannte Publicum nicht, sie begreifen ganz5 einfach nicht, was diese Frau will, und statt zu überlegen daß man ein solches Werk wie eine große Oper öfter hören muß um es zu verstehn, bilden sie sich ein sie müssen den guten Geschmack retten. Ich möchte mit Hamlet sagen: Es ist Caviar für die Menge. 6 Doch genug davon. Ich schreibe Ihnen heut mit wahrhaft betrübtem Herzen. Ihre Briefe sind so schön und machen uns Allen immer so große Freude; wie gern schriebe auch ich Ihnen immer etwas Erfreuliches, und muß Sie nun heute kränken.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 163) fehlt „ganz“.
6 William Shakespeare: Hamlet, 2. Akt, 2. Szene, Worte des Hamlet.
Ich fürchte dies macht Sie wieder melancholisch und Sie bekommen eine Abneigung gegen Dresden; doch denken Sie daß Ihre besten Freunde und Ihre größten Bewundrer auch hier sind, und lassen Sie sich nicht abschrecken den nächsten Sommer her zu kommen, und dann bringen Sie uns Ihre Chaldäer7 mit, die gewiß bei Ihrer reichen Phantasie und Ihrem großen Talent zum Tragischen sehr schön werden. Ich bin sehr begierig darauf und kann es mir gar nicht denken, doch der Stoff ist schön und es gelingt Ihnen gewiß. Ihre Rosamunde hat Ihnen in unserm, und auch in dem größern, vornehmen Zirkel8 viel Freunde erworben, es ist nur ein Unglück daß das Publicum immer von Wenigen und gerade den dummsten9 beherrscht wird, und die Besseren sich in keinen Kampf mit diesem Theaterpöbel einlassen wollen.
Haben Sie noch tausend Dank für Ihren letzten schönen Brief. Ich bin jetzt jenem Engländer10 recht dankbar, der die erste Veranlassung zu einer Correspondenz mit Ihnen war. Sie kommen freilich sehr dabei zu kurz, und ich schäme mich immer wenn ich daran denke wie dumm und albern Ihnen meine Briefe vorkommen müssen. Es freut mich sehr daß Sie in Ihrer Bewundrung des Donauweibchens11 von meinem Vater ganz mit mir überein stimmen, ich habe es oft
7 Uechtritz begann die Babylonier in Jerusalem unter dem Titel „Die Chaldäer in Jerusalem“. Vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 90.
8 Parallel zur kleineren Runde ausgewählter Zuhörer, vor denen Tieck regelmäßig vorlas (neben den Familienangehörigen und der Gräfin Finckenstein sind hier vor allem Ida und Wolf von Lüttichau, Henriette Solger, Ernst von Malsburg, Carl Gustav Carus, Wolf Heinrich Graf Baudissin und Eduard von Bülow zu nennen), existierte auch ein vielfrequentierter, halb-öffentlicher Vorlesekreis. (Vgl. Känner: „Jeder Ort hat seinen Heiligen…“ Gruppenbildung um Ludwig Tieck in Dresden, S. 9.)
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 164) steht „Dummen“ statt „dummsten“.
10 Den Brief vom 15. Juli 1831 an Uechtritz schrieb Dorothea Tieck auf Veranlassung ihres Vaters, der einer englischen Übersetzung des Dichterlebens zustimmte. Uechtritz sollte die Antwort einem als Mittelsmann auftretenden Engländer (konnte nicht identifiziert werden) weiterleiten.
11 Das zwischen 1801 und 1804 von Tieck begonnene Donauweibchen, auf dem gleichnamigen Stück (1799) von Karl Friedrich Hensler basierend, blieb unvollendet.
gelesen und mich immer sehr gegrämt daß es nicht vollendet ist. Ueber den Hexensabbath kann ich Ihr Gefühl nicht so ganz theilen, so viel Schönes im Einzelnen darinn ist, wozu ich besonders die Scene bei der alten Bettlerin12 rechne, so hat mir doch die Geschichte der Katharine etwas sehr herbes und ich begreife nicht wie eine Frau die ob nun durch das Schicksal oder ihre Schuld so entsetzliche Dinge erlebt hat, noch ein so heitres, ich möchte sagen leichtsinniges Leben führen kann, das Gefühl des Robert, sich ganz von der Welt zurückzuziehen scheint mir viel natürlicher. Sie haben Recht daß dieser Gnosticismus nur als eine Phantasie behandelt werden kann, so aufgestellt, wie er von Immermann wird, ist er mir wenigstens sehr störend, den Jahrmarkt liebe ich besonders weil er ein so ganz13 harmloses und reines Vergnügen gewährt, bei allem Witz so fern von jeder Bitterkeit, der Mondsüchtige wird Ihnen gewiß gefallen. Ich muß bekennen daß unter allen Novellen meines Vaters mir keine so hochsteht als der erste Theil des Dichterlebens, so schön die andern auch sind, so kommt mir diese doch immer als ganz einzig und unerreicht vor, weshalb es so ist davon kann ich mir keine Rechenschaft geben und ich glaube, es giebt wie zu Menschen auch eine Sympathie zu Dichtungen, und wir können bei diesen wie bei jenen oft nicht sagen warum wir sie so unbeschreiblich lieben
Ich habe im verfloßnen Jahr den Dante so gründlich studirt als es mir möglich ist. Jetzt lese ich viel im Calderon, die religiösen, allegorischen
12 Zur Geschichte von der Bettlerin Gertrud vgl. Der Hexen-Sabbath in: Ludwig Tieck's Schriften, S. 272–298.
13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 164) fehlt „ganz“.
Stücke finde ich wunderschön, und das einzige in dieser Art was so wahrhaft empfunden ist, von den Lustspielen sind viele sehr witzig, andre zu verwickelt und im Original schwer zu verstehn Haben Sie den Aufsatz von Raumer über Polen gelesen? Ich hoffe Sie sind nicht so Preuße daß Sie ihn auch deshalb verfolgen. Ich begreife nicht wie man einen Historiker wegen einer rein geschichtlichen Darstellung anfeinden kann.14 Wir leben in einer traurigen Zeit man thut als hätten wir nur die Wahl zwischen französischer Anarchie und russischer Knute, letztere scheint im nördlichen Deutschland den Sieg davon zu tragen. Die Aussicht in die Zukunft ist trübe, nur die Religion und nächst ihr Freude an Poesie und ein wahres Gefühl für die Menschen die uns theuer sind, kann uns Trost und Muth geben.
Leben Sie nun wohl, liebster Freund, denken Sie daß es uns gewöhnlichen Menschen auch oft nicht besser geht als den Dichtern, das Beste in uns wird oft verkannt, zurückgestoßen, und lebt doch zu unsrer eignen Erquickung in unseren Herzen. Diesmal bitte ich Sie mir recht bald zu schreiben, denn ich ängstige mich wirklich wie diese Nachricht auf Sie wirken kann. Wenn die Rosamunde noch einmal gegeben wird schreibe ich es Ihnen gleich.15 16Alle die Meinigen tragen mir die herzlichsten Grüße auf. Ihre aufrichtige Freundinn Dorothea Tieck
1714 Raumers 1832 erst innerhalb des Historischen Taschenbuchs und noch im selben Jahr als Sonderdruck bei Brockhaus erschienener Aufsatz Polen's Untergang, eine historische Darstellung des polnischen Aufstands 1830–31, erregte durch eine Andeutung Raumers im Vorwort, die als Symphatisierung mit der polnischen Revolution gedeutet wurde, Missfallen beim preußischen König, der daraufhin die erfolgte Wiederwahl Raumers zum Rektor der Berliner Universität nicht bestätigte. Um Raumer die Gelegenheit zur Rehabilitation zu geben, beauftragte er ihn jedoch mit einer dokumentarischen Darstellung der Verhältnisse Preußens zu Polen. Obwohl Raumer diese Darstellung noch 1832 beendet hatte, konnte sie, da die Erlaubnis zur Publikation nicht erteilt wurde, erst 1853 in seinen Vermischten Schriften, Bd. 2, erscheinen. (Vgl. Vorwort Raumers zum 2. Band, S. VI.) Zum Polen-Aufsatz vgl. auch die Briefe Ludwig Tiecks an Raumer vom 23. Januar oder Juni 1832, S. 2 (Bl. 1 verso) und 5. oder 7. August 1832, S. 4 (Bl. 2 recto), bearb. v. Johanna Preusse, in: Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800.
15 S. o. Anmerkung zu S. 2 (Bl. 1 verso).
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 165) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
17 Die unten links stehende Zeitangabe „12. Marz Nachmittag 4 Uhr“ stammt vermutlich von Friedrich von Uechtritz, der so möglicherweise den Tag des Antwortschreibens festhielt.