
Staatsbibliothek zu Berlin / Handschriftenabteilung
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Ich will dir nur einen papiernen Kuß
Brüderlich zu werfen, Geschichte wuürde lang
und schal ausfallen – nur so viel, ich habe
den Winter auf die alte weise verbracht,
am alten Joche gottweißwie gebunden. Ich
war noch dazu [verdam̄t] mit dem zweiten
[...] Sohn[e] im selben Rauchfang weit ab selb ander
einquatiert, da hab ich von ihm und dessen
Freunde sehr schöne Dinge von Quinte1 und
zur abwechselung von der Chasse aux becasses
gelernt – nun ist er Krank gewesen,2 erst
die gebenedeite Venerika, so dann die
gefürchteten ansteckenden Masern,3 da
bin ich mit von der menschlichen gesellschaft
abgesondert worden, [mit] von guten freuden4
war indessen dies Loch nicht leer. –
auch einen Duel hat er gehabt, das
vertreibt alles die Zeit – ich habe
bei dem allen Conaxa, das mir in die
Hand fiel und [...] das ich wohl mochte
in sehr schönen Jamben für die Bün
deutsche Büne üb[er] übersetzt, und zwei abschrifften
verfertiget die eine an Eduard die
andere an Helmina geschickt:5 – von
der letzteren hab ich noch nur Nachricht,
– sie versichert mich nehmlich das Ding wäre
keines weges des Porto wehrt und ich hätte
[sie] ihr die Kosten wohl [...] weislich sparen können
sie weislich damit verschonen können
a 1811 ou 1812
1 Da Quintus ein sehr häufig vorkommender lateinischer Vorname ist, kann man kaum rekonstruieren, welchen Text Chamisso gelesen hat.
2 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt der Textabschnitt ab diesem Punkt bis „ansteckenden Masern“. Die Lücke ist nicht mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
3 In einem Kommentar in der Correspondance Générale der Madame de Staël wird vermutet, dass Albert de Staël an einer Geschlechtskrankheit litt (2008: 548, Kommentar 4), auch wenn in ihren Briefen aus dieser Zeit keine bestimmte Krankheit genannt wird. Tatsächlich wurde die Bezeichnung „venerica“ in Zusammenhang mit der Syphillis verwendet, es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass Chamisso damit den Hautausschlag der Masern meint.
4 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Freunden“ statt „freuden“.
5 Conaxa ou les Gendres dupés wurde vermutlich Anfang 1700 anonym verfasst. Es gelangte zu Bekanntheit, als Charles-Gauillaume Étienne vorgeworfen wurde, dass sein Stück Les deux gendres (1810) ein Plagiat von Conaxa sei (Eintrag zu Etienne der Académie Française [Zugriff 15.07.2012]). Vgl. auch Chamissos Brief an Eduard Hitzig, den er der Übersetzung beilegte (in: Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso, Brief 131). Chamissos Conaxa-Fassung wurde nicht gespielt und ist verlorengegangen (Feudel 1988: 64).
nun lern ich Englisch – siehe so weit
bin ich – Ich g die Herrin ist an Leib
und Seele Krank, elend, elend – ich wollte
nach meinem Norden, wo nun,6 nachden
lezten berichten, alles ruhig [...] bleiben
wird mich sachte zurücke ziehen. Die
vorlesungen fangen April an – ich
kann diese Frau so nicht verlassen, ich bleibe.
Die Tage gehen wir nach unserem
Landgut7 zurüke und das weitere weiß
gott, ich bin müde über alle massen, ich
und habe keinen willen mehr [...] ich
sehe es noch mit an, daß mir die Beine
vom Leibe weg abfaulen [.] in Gottes
nahmen.8 Ich sitze hier biß zum jüngsten
Gesricht,9 das beste ist daß ich nicht mehr geld10
brauche als ich habe, aber mit der so genannten
menschen bestimmung siehts erbärmlich aus.
Den Sommer werd ich wohl nicht einmal
dazu kommen, einen Spa [...] ziergang ins
Gebürg zu unter nehmen, ich seh‘ es kommen.
ich weiß schon wie das alles hier geht.
11 Ich bin mit W. A. Sch. sehr mißvergnügt
wenn wir zusam̄en im selben Loche
eingesperrt sind weiß ich eben nicht
wie es gehen wird – vielleicht schnellt
6 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt dieses „nun“
7 Hiermit ist vermutlich Coppet gemeint.
8 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Namen“ statt „nahmen“.
9 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Tage“ statt „Gericht“.
10 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Gold“ statt „geld“.
11 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt der Textabschnitt ab diesem Punkt bis „auch gut“ auf der folgenden Seite. Die Lücke ist mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
mich das weiter. [auch] gut. – das sind
ungefähr zwei Jahre die mir die Leute
wegfressen – gi[e]b mir immer hie
und da [...]Telegrafische Zeichen deiner
Freund[sch]aft, guter, wenn, [...] (wozu ich alle
Hoffnung aufgegeben habe,) ich wenn
ich doch mich fortbewegen müßtsollte,
so werd ich nicht erlmangeln es dir
zu berichten. – und in welche Richtung
12 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt „deiner liebe“. Die Lücke ist nicht mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
13 Eventuell gibt es hier einen Bezug auf Kleists Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege (1810), in der der folgende Satz vorkommt: „Na!“ sagt der Kerl, die Pfeife, die er sich angeschmaucht, im Maul: „nun sollen doch die Franzosen die Schwerenot kriegen!“ In: Sämtliche Erzählungen und Anekdoten, S. 264 f.
Ich will dir nur einen papiernen Kuß Brüderlich zu werfen, Geschichte würde lang und schal ausfallen – nur so viel, ich habe den Winter auf die alte weise verbracht, am alten Joche gottweißwie gebunden. Ich war noch dazu mit dem zweiten Sohn[e] im selben Rauchfang weit ab selb ander einquatiert, da hab ich von ihm und dessen Freunde sehr schöne Dinge von Quinte1 und zur abwechselung von der Chasse aux becasses gelernt – nun ist er Krank gewesen,2 erst die gebenedeite Venerika, so dann die gefürchteten ansteckenden Masern,3 da bin ich mit von der menschlichen gesellschaft abgesondert worden, von guten freuden4 war indessen dies Loch nicht leer. – auch einen Duel hat er gehabt, das vertreibt alles die Zeit – ich habe bei dem allen Conaxa, das mir in die Hand fiel und das ich wohl mochte in sehr schöne Jamben für die deutsche Büne übersetzt, zwei abschrifften verfertiget die eine an Eduard die andere an Helmina geschickt:5 – von der letzteren hab ich noch nur Nachricht, – sie versichert mich nehmlich das Ding wäre keines weges des Porto wehrt und ich hätte sie weislich damit verschonen können
1 Da Quintus ein sehr häufig vorkommender lateinischer Vorname ist, kann man kaum rekonstruieren, welchen Text Chamisso gelesen hat.
2 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt der Textabschnitt ab diesem Punkt bis „ansteckenden Masern“. Die Lücke ist nicht mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
3 In einem Kommentar in der Correspondance Générale der Madame de Staël wird vermutet, dass Albert de Staël an einer Geschlechtskrankheit litt (2008: 548, Kommentar 4), auch wenn in ihren Briefen aus dieser Zeit keine bestimmte Krankheit genannt wird. Tatsächlich wurde die Bezeichnung „venerica“ in Zusammenhang mit der Syphillis verwendet, es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass Chamisso damit den Hautausschlag der Masern meint.
4 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Freunden“ statt „freuden“.
5 Conaxa ou les Gendres dupés wurde vermutlich Anfang 1700 anonym verfasst. Es gelangte zu Bekanntheit, als Charles-Gauillaume Étienne vorgeworfen wurde, dass sein Stück Les deux gendres (1810) ein Plagiat von Conaxa sei (Eintrag zu Etienne der Académie Française [Zugriff 15.07.2012]). Vgl. auch Chamissos Brief an Eduard Hitzig, den er der Übersetzung beilegte (in: Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso, Brief 131). Chamissos Conaxa-Fassung wurde nicht gespielt und ist verlorengegangen (Feudel 1988: 64).
nun lern ich Englisch – siehe so weit bin ich – die Herrin ist an Leib und Seele Krank, elend, elend – ich wollte nach meinem Norden, wo nun,6 nachden lezten berichten, alles ruhig bleiben wird mich sachte zurücke ziehen. Die vorlesungen fangen April an – ich kann diese Frau so nicht verlassen, ich bleibe. Die Tage gehen wir nach unserem Landgut7 zurüke und das weitere weiß gott, ich bin müde über alle massen, ich habe keinen willen mehr ich sehe es noch mit an, daß mir die Beine vom Leibe weg abfaulen [.] in Gottes nahmen.8 Ich sitze hier biß zum jüngsten Gericht,9 das beste ist daß ich nicht mehr geld10 brauche als ich habe, aber mit der so genannten menschen bestimmung siehts erbärmlich aus. Den Sommer werd ich wohl nicht einmal dazu kommen, einen Spaziergang ins Gebürg zu unter nehmen, ich seh‘ es kommen. ich weiß schon wie das alles hier geht. 11 Ich bin mit Wilhelm August Schlegel sehr mißvergnügt wenn wir zusammen im selben Loche eingesperrt sind weiß ich eben nicht wie es gehen wird – vielleicht schnellt
6 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt dieses „nun“
7 Hiermit ist vermutlich Coppet gemeint.
8 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Namen“ statt „nahmen“.
9 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Tage“ statt „Gericht“.
10 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits steht „Gold“ statt „geld“.
11 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt der Textabschnitt ab diesem Punkt bis „auch gut“ auf der folgenden Seite. Die Lücke ist mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
mich das weiter. [auch] gut. – das sind ungefähr zwei Jahre die mir die Leute wegfressen – gib mir immer hie und da Telegrafische Zeichen deiner Freund[sch]aft, guter, wenn, (wozu ich alle Hoffnung aufgegeben habe) wenn ich doch mich fortbewegen sollte, so werd ich nicht ermangeln es dir zu berichten. – und in welche Richtung
lebe wohl, ich lebe immer mit dir, deiner liebe,12 deinen Jungen, und deinen Rauch wolken. lebe wohl und mögen die Türken die Schwere noht kriegen!13 -12 Im Druck der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits fehlt „deiner liebe“. Die Lücke ist nicht mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.
13 Eventuell gibt es hier einen Bezug auf Kleists Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege (1810), in der der folgende Satz vorkommt: „Na!“ sagt der Kerl, die Pfeife, die er sich angeschmaucht, im Maul: „nun sollen doch die Franzosen die Schwerenot kriegen!“ In: Sämtliche Erzählungen und Anekdoten, S. 264 f.
Monsieur
Louis de la foye
professeur de Mathematique
au college
de Bayeux
Departement de Calvados.