
Staatsbibliothek zu Berlin / Handschriftenabteilung
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin
verarmt, einzig ihrem Gram — —
Ich muß dir nach so langer Trennung eine
kleine Geschichte von mir und auch von den Freunden
entwerfen — Wie der Ruf an die
Freiwilligen1 erscholl – ward ich in mir sehr zerissen
und gar nicht einig was mir zu thun sei — Es nicht[...]länger ertragend hatte ich wirklich schon an den König geschrieben, [als]
jede Beförderung aber abweisend ich begehrte ich bloß den
Schießprügel zu ergreifen. — ich zeigte Hitzig,
meinem ordentlichen Beichtvater, den schon fertigen
Brief — er ergrim̄te sehr und tadelte mich strenge —
Der Brief ward nicht abgeschickt. — nun konnt
ich aber auch nicht durch unsere verödeten Hallen
von wo alles Tüchtige freudig ausgezogen war,
mich einsam schleppen – Hitzig sagte mir
du must verreisen — — nun fand sich
eben zu der Zeit, daß ein Reicher Edelmann
der Lust an der Botanick hat und in7
Meilen von hier im Schönen OderBruch
Pflanzungen Amerikanischer Bäume
einen Botanischen Garten, ein Herbarium,
eine Bibliothek und mehre Milionen Güter
besitzt sich nach einem jungen Gelehrten
umsah der in die Hand an dieses alles
den Som̄er über anlegte, — ich zog
ich ward hinbefördert und erschien angekündigt als
1 Hiermit ist vermutlich der Aufruf der preußischen Regierung vom 8. Februar 1813 gemeint, freiwillige Jägerverbände, die Freikorps, zu gründen.
ebenbürtiger Gast und Liebhaber der Botanikbei zu dem Herrn von Itzenplitz.2 — ich widmete
da in freündlicher Umgebung und unter guten
Leuten meinen Som̄er ausschließlich der Botanik
und es ward mir so wohl als im̄er mir sein
könnte. — Einige Klotzigkeiten des Reichthumes
die mir nicht entgingen, wurden mir lächerlicher
als drückend — ich spielte meine Rolle als eben=
bürtiger Gast d[...]urch, und ließ sie ungeschicktausin der ihrigen als Wirth sehr ungeschickt sein —
sonst sehr gute Leute, nur ist es ganz ein Haus der
Prosa — aber die Poesie und die Fabel hab ich ohnedem biß
über die Ohren satt — — da fiel es mir dennoch
ein, ich weiß nicht wie ein Buch und zwar ein ganz
fabelhaftes, nehmlich eine Fabel3 zu schreiben, und ich
kriegte es lus[...]tig genuch zu stande — es sollte nur
ein Brief an Hitzig und Fouqué vorstellen —und
dabei sein bewenden haben — Fouqué will es aber
gedrukt wissen, und zwar giebt er es selber heraus —
doch nun ein Wort von den Freünden — Fouqué
der treue bi[d]edre wackere from̄e kunstreiche
Ritterliche Fouqué, ist nächst Hitzig meinder
nächstere meinem Herzen, der auf den
mein Leben wirklich mit lehnt. — Er hat
2 Von Mai bis Oktober 1813 hielt sich Chamisso in Kunersdorf bei Generalintendant von Itzenplitz auf. Hier legte er u.a. ein Herbarium an und verfaßte eine botanische Abhandlung (vgl. Feudel (1988), S. 69).
3 Im Sommer und Herbst 1813 schrieb Chamisso in Kunersdorf Peter Schlemihl's wundersame Geschichte.
den Feldzug freudig und ausgezeichnet mitgemacht
– uns seh lange sehr in Sorgen [ge] erhalten, endlich 98
schwehr erkrankt ist er vom Rhein — non plus ultra
geziert mit dem wohlverdienten Johanniter Kreuz
nach seiner Heimath zurücke gekehrt und dichtet
jetzt ein großes Epos der das die Krone seiner
Werke werden soll — Seit du unsere Litteratur
aus den Augen verlassen hast, hat er sich wirklich
durch den Held des Norden den Zauberring und
Undinee zu dem ersten Range geschwungen,
und throhnt anerkannt unter den Fürsten.
Varhagen, der es seit einiger Zeit darauf
anlegt eine Cariere zu machen, und eine
Figur in der Welt zu erzwingen. Herr
K A Var[h]nhagen von Ense sag ich ist ohne
sonderlichen Patriotischen Antrieb, und weil
es von ihm geheischt ward, mitgegangen
und zwar als Russischer Rittmeiser und
Adjudant des Generals Tettenborn den er
auf eine nicht ganz erfreuliche Weise
flagornirt4 und dbesingt unserer gute leise
lebensmüde Neumann, ist als im Comissariat
angestellt und mit — beide werden noch
in Frankreich sitzen — für Neumann ist
bei seiner Brauchbarkeit und Hitzigs Betriebsamkeit
4 Vom französischen „flagorner“: betätscheln, umschmeicheln.
und unserem Flor zu hoffen, daß er irgendwo
stetig angehängt werde. — Theremin ist
hier ein beweibter angesehener Prediger —
nun zu mir zurücke. — der Winter rief mich
nach der Stadt zurücke und ich ward wieder, was
ich nicht zu sein aufgehört, ein Student unserer
uniwversität,5 ich habe Zoologie, Mineralogie
vergleichende Anatomie geschrie getrieben —
ich bewege mich in der Enkcykclopadie der Natur Wissen=
schaft herum, suche mich tüchtig und tüchtiger
zu machen, nehme bzu Zeiten das Lateinische
wieder vor,6 arbeite auf den Museen an
deren Aufstellung7 – Lichtenstein liebt mich
und findet mich brauchbar, und kurz ich bin
nicht ohne gegründete Hoffnung, binnen ein
Paar Jahre, wenn eine gehlehrte Reise unter=
nom̄en wird – wenn – wie es Plan, ist,
junge Leute für die Mus[eee]n und den
Botanischen Garten 8 reisen sollen. dazu ernannt
ausgesucht werden, und mich dazu als tüchtig[...]dazu svor mir selber zu stehen —
So stehts mit mir Adelf9 — Ich habe
mich von der Spekulation zu der Erfahrung –
5 Chamisso studierte ab Oktober 1812 an der Berliner Universität Medizin.
6 Chamisso nahm an einem Kolleg F. A. Wolfs an der Berliner Universität teil (vgl. Feudel (1988), S. 93).
7 Chamisso half Lichtenstein bei der Aufstellung der Naturaliensammlungen in den Berliner königlichen Museen (vgl. Feudel (1988), S. 93).
8 Die Erwähnung der botanischen Gärten ist in Riegels Edition der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits nicht enthalten.
9 Diese Anrede ist die eingedeutschte, griechische Bezeichnung für „Bruder“ (αδελφός).
verarmt, einzig ihrem Gram — — Ich muß dir nach so langer Trennung eine kleine Geschichte von mir und auch von den Freunden entwerfen — Wie der Ruf an die Freiwilligen1 erscholl – ward ich in mir sehr zerissen und gar nicht einig was mir zu thun sei — Es nicht länger ertragend hatte ich wirklich schon an den König geschrieben, [] jede Beförderung aber abweisend ich begehrte bloß den Schießprügel zu ergreifen. — ich zeigte Hitzig, meinem ordentlichen Beichtvater, den schon fertigen Brief — er ergrimmte sehr und tadelte mich strenge — Der Brief ward nicht abgeschickt. — nun konnt ich aber auch nicht durch unsere verödeten Hallen von wo alles Tüchtige freudig ausgezogen war, mich einsam schleppen – Hitzig sagte mir du must verreisen — — nun fand sich eben zu der Zeit, daß ein Reicher Edelmann der Lust an der Botanick hat und 7 Meilen von hier im Schönen OderBruch Pflanzungen Amerikanischer Bäume einen Botanischen Garten, ein Herbarium, eine Bibliothek und mehre Milionen Güter besitzt sich nach einem jungen Gelehrten umsah der die Hand an dieses alles den Sommer über anlegte, — ich ward hinbefördert angekündigt als
1 Hiermit ist vermutlich der Aufruf der preußischen Regierung vom 8. Februar 1813 gemeint, freiwillige Jägerverbände, die Freikorps, zu gründen.
ebenbürtiger Gast und Liebhaber der Botanik zu dem Herrn von Itzenplitz.2 — ich widmete da in freündlicher Umgebung unter guten Leuten meinen Sommer ausschließlich der Botanik und es ward mir so wohl als immer mir sein könnte. — Einige Klotzigkeiten des Reichthumes die mir nicht entgingen, wurden mir lächerlicher als drückend — ich spielte meine Rolle als ebenbürtiger Gast durch, und ließ sie ungeschickt in der ihrigen als Wirth sein — sonst sehr gute Leute, nur ist es ganz ein Haus der Prosa — aber die Poesie und die Fabel hab ich ohnedem biß über die Ohren satt — — da fiel es mir dennoch ein, ich weiß nicht wie ein Buch und zwar ein ganz fabelhaftes, nehmlich eine Fabel3 zu schreiben, und ich kriegte es lustig genuch zu stande — es sollte nur ein Brief an Hitzig und Fouqué vorstellen —und dabei sein bewenden haben — Fouqué will es aber gedrukt wissen, und zwar giebt er es selber heraus —
doch nun ein Wort von den Freünden — Fouqué der treue biedre wackere fromme kunstreiche Ritterliche Fouqué, ist nächst Hitzig der nächste meinem Herzen, der auf den mein Leben wirklich mit lehnt. — Er hat
2 Von Mai bis Oktober 1813 hielt sich Chamisso in Kunersdorf bei Generalintendant von Itzenplitz auf. Hier legte er u.a. ein Herbarium an und verfaßte eine botanische Abhandlung (vgl. Feudel (1988), S. 69).
3 Im Sommer und Herbst 1813 schrieb Chamisso in Kunersdorf Peter Schlemihl's wundersame Geschichte.
den Feldzug freudig und ausgezeichnet mitgemacht – uns lange sehr in Sorgen erhalten, endlich schwehr erkrankt ist er vom Rhein — non plus ultra geziert mit dem wohlverdienten Johanniter Kreuz nach seiner Heimath zurücke gekehrt und dichtet jetzt ein großes Epos das die Krone seiner Werke werden soll — Seit du unsere Litteratur aus den Augen verlassen hast, hat er sich wirklich durch den Held des Norden den Zauberring und Undine zu dem ersten Range geschwungen, und throhnt anerkannt unter den Fürsten. Varhagen, der es seit einiger Zeit darauf anlegt eine Cariere zu machen, und eine Figur in der Welt zu erzwingen. Herr Karl August Varnhagen von Ense sag ich ist ohne sonderlichen Patriotischen Antrieb, weil es von ihm geheischt ward, mitgegangen und zwar als Russischer Rittmeiser und Adjudant des Generals Tettenborn den er auf eine nicht ganz erfreuliche Weise flagornirt4 und besingt unserer gute leise lebensmüde Neumann, ist im Comissariat angestellt und mit — beide werden noch in Frankreich sitzen — für Neumann ist bei seiner Brauchbarkeit Hitzigs Betriebsamkeit
4 Vom französischen „flagorner“: betätscheln, umschmeicheln.
und unserem Flor zu hoffen, daß er irgendwo stetig angehängt werde. — Theremin ist hier ein beweibter angesehener Prediger —
nun zu mir zurücke. — der Winter rief mich nach der Stadt zurücke und ich ward wieder, was ich nicht zu sein aufgehört, ein Student unserer universität,5 ich habe Zoologie, Mineralogie vergleichende Anatomie getrieben — ich bewege mich in der Encyclopadie der Natur Wissenschaft herum, suche mich tüchtig und tüchtiger zu machen, nehme zu Zeiten das Lateinische wieder vor,6 arbeite auf den Museen an deren Aufstellung7 – Lichtenstein liebt mich und findet mich brauchbar, und kurz ich bin nicht ohne gegründete Hoffnung, binnen ein Paar Jahre, wenn eine gelehrte Reise unternommen wird – wenn – wie es Plan ist, junge Leute für die Mus[eee]n und den Botanischen Garten 8 reisen sollen. dazu ausgesucht werden, und als tüchtig dazu vor mir selber zu stehen — So stehts mit mir Adelf9 — Ich habe mich von der Spekulation zu der Erfahrung –
5 Chamisso studierte ab Oktober 1812 an der Berliner Universität Medizin.
6 Chamisso nahm an einem Kolleg F. A. Wolfs an der Berliner Universität teil (vgl. Feudel (1988), S. 93).
7 Chamisso half Lichtenstein bei der Aufstellung der Naturaliensammlungen in den Berliner königlichen Museen (vgl. Feudel (1988), S. 93).
8 Die Erwähnung der botanischen Gärten ist in Riegels Edition der Correspondance d'Adalbert de Chamisso, Fragments inédits nicht enthalten.
9 Diese Anrede ist die eingedeutschte, griechische Bezeichnung für „Bruder“ (αδελφός).