Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Fragment) (ohne Ort, ohne Datum)

 

 

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    3. /Anfang fehlt/
    1oder was es sonst seyn mag, entschuldigen
    soll; aber es ist etwas, das mit seiner
    Liebe und Freundschaft gar nicht zusam̄en
    hängt. Raumer liebt er doch gewiß sehr,
    und doch ist das ganze Verhältniß einige
    mal fast dadurch zerstört worden, daß
    er sich nicht entschließen konnte jenem auf
    viele empfangene Briefe mit einem einzigen
    zu antworten. Auch werden Sie glauben daß
    er uns, seine Kinder, liebt, und doch hat
    er noch nie daran gedacht wie es einmal
    mit uns werden soll. Jetzt sind es gerade
    9 Jahr als ich die Uebersetzung von Shaks=
    pears
    Sonetten anfing, im Herbst sollte der
    Buchhändler sie haben, und ich arbeitete den
    ganzen Sommer sehr fleißig daran. Nun
    liegen sie noch da, und ich habe Vater in der
    ganzen Zeit nicht dazu bringen können sie
    sich einmal von mir vorlesen zu lassen, weil
    ich sie gern noch überarbeiten wollte.2 Mir
    fällt es gar nicht ein ihm dergleichen übel
    zu nehmen, denn so etwas hängt nicht

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    1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten. Die Manuskriptseite wurde zweifach mit Bleistift, vermutlich von Sybel, durchgestrichen. Bei Sybel: Erinnerungen fehlt die komplette Manuskriptseite.

    2 Bereits 1826 erschienen 26 Sonette in der Übersetzung Dorothea Tiecks als Anhang zu dem Aufsatz Ludwig Tiecks Ueber Shakspears Sonette einige Worte, nebst Proben einer Uebersetzung derselben, in dem die Übersetzung einem „junge[n] Freund“ (S. 338.) zugesprochen wurde. Aber auch alle restlichen 128 Sonette übersetzte Dorothea; allerdings kam es aus ungeklärten Gründen nicht zu der Publikation. Erst 1992 wurden die Sonette vollständig ediert; vgl. Christa Jansohn: Shakespeares Sonette in der Übersetzung von Dorothea Tieck.

    3nothwendig mit den beßten Eigenschaften
    im Menschen zusammen; es betrübt mich aber
    immer wenn seine Freunde darunter leiden
    müssen, und ich fürchte es kann doch eine bittre
    Empfindung in Iihnen zurücklassen.

    Meine Frage über die SchSolz4 war recht eigent=
    lich unbescheiden. Sie ist gewiß vom Gemüth eine
    sehr gute Frau, und Sie haben recht, wo man
    diese Haupteigenschaft findet sollte man das
    übrige nicht so genau nehmen. Doch ich kann
    vieles leichter ertragen als gewisse Phrasen
    und Anstalten: das kommt daher weil mein
    Bedürfniß zur Wahrhaftigkeit an mir und
    andern ein übertriebnes ist, und wie andre
    Menschen sich das Lügen abgewöhnen sollten,
    so müsste ich es mir zuweilen angewöhnen;
    denn ich weiß recht gut daß mein Charakter
    und mein Benehmen einen gewisse Scheuheit
    erhält, die gar nicht liebenswürdig ist, und
    mir auch schon viel Unannehmlichkeiten zuge=
    zogen hat. Es steckt aber zu tief in mir
    und ich kann nichts dagegen thun

    Kommentare

    3 Die Bleistiftstreichung, beginnend auf der vorherigen Manuskriptseite, wird hier bis zum Ende des Absatzes, vermutlich von Heinrich von Sybel, fortgeführt. Bei Sybel: Erinnerungen fehlt die komplette Seite.

    4 Die Legationsrätin Henriette Scholtz gehörte zu Uechtritz' engen Berliner Vertrauten. (Vgl. Wilhelm Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 13.)

    5Sie fragen mich ob ich Virgil liebe, und ich ant=
    worte Ihnen nur, daß ich eben dabei bin die Ae=
    neide
    zum 5ten Mal von Anfang zu Ende durch
    zulesen so sehr liebe ich sie, auch wo die Schilderung
    der Kämpfe zu weitschweifig ist erfreut mich
    die Lieblichkeit der Sprache und die schönen Epi=
    soden, die andern Gedichte kenne ich noch nicht.
    Es ist eigentlich eine Thorheit daß ich so viele
    Zeit mit den alten Sprachen verliere, aber
    meine Leidenschaft dafür ist zu groß. Jetzt
    lese ich den Livius. Im Griechischen glaubte
    ich weiter zu seyn als ich jetzt zu meinem
    Kummer entdeckt habe. Ich las den Homer
    und das neue Testament ziemlich geläufig;
    finde aber jetzt beim Herodot, der doch leicht
    seyn soll, wie viel mir fehlt, da ich oft nicht
    ohne Uebersetzung durch komme. Man glaubt
    irriger Weise von mir, ich habe Talent zu
    Sprachen, es ist aber nicht wahr, die Grammatik
    wird mir schwer und ich kann mir die unregel=
    mäßigen Regeln nicht merken. Lebten wir an
    eEinem Ort so könnten Sie mir zuweilen etwas

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    5 An dieser Stelle setzt die Edition von Sybel: Erinnerungen (S. 168) wieder ein. Allerdings wird der gesamte Rest des Brieffragments stillschweigend an das Fragment vom 4. April 1832 angeschlossen, bei dem der Briefschluss fehlt. Der vorliegende Brief wurde aber, auf Grund der Erwähnung des 1833 im Original und 1834 in der deutschen Übersetzung erschienenen Buchs Wanderungen eines irländischen Edelmannes zur Entdeckung einer Religion auf S. 4 (Bl. 2 verso) nicht vor 1833 verfasst.

    helfen, a; Aber so habe ich niemand. Sie werden
    mich wohl sehr verachten wenn ich Ihnen gestehe
    daß ich keinen rechten Sinn für den Sophok=
    les
    habe, und ihn mehr im Glauben an seine
    Größe verehre. Homer erregt mir im̄er
    ein wahres Entzücken und viele Stücke von
    Euripides machen mir eine große Freude
    aber im Sophokles ist mir etwas Fremdes,
    ich weiß nicht worin es liegt. Ich habe ein Buch
    von Moor gelesen: Wanderungen eines Irlän=
    ders zur Entdeckung einer Religion
    .6 Es ist
    viel Gutes darin, und was er von der discip=
    lina arcani
    7 und den Gnostikern sagt hat mich
    sehr interessirt; nur finde ich ihn oft ungerecht
    gegen die Prosttestanten, und er nim̄t auch häufig
    einen Ton des Spottes und Witzes an, der
    bei solchem Gegenstand höchst unwürdig ist.
    Aber in der Hauptsache ist das Buch gut und
    deshalb thut es mir leid daß es diese großen
    Mängel daneben hat.

    8Leben Sie nun wohl, mein theuerster Freund,
    und erfreuen Sie mich bald durch einen Brief.
    Meine Eltern grüßen Sie herzlich. Vor allem
    schreiben Sie mir ob wir uns wohl den Som̄er
    noch sehen werden
    Ihre Dorothea.

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    6 Das englische Original Travels of an Irish Gentleman in Search of a Religion erschien 1833.

    7 Lat. für ,Geheimlehre‘, besonders in Bezug auf die christliche Lehre zur Zeit der Verfolgung im 2.–5. Jh. gebraucht.

    8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 168) folgt ab hier eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.

    1oder was es sonst seyn mag, entschuldigen soll; aber es ist etwas, das mit seiner Liebe und Freundschaft gar nicht zusammen hängt. Raumer liebt er doch gewiß sehr, und doch ist das ganze Verhältniß einige mal fast dadurch zerstört worden, daß er sich nicht entschließen konnte jenem auf viele empfangene Briefe mit einem einzigen zu antworten. Auch werden Sie glauben daß er uns, seine Kinder, liebt, und doch hat er noch nie daran gedacht wie es einmal mit uns werden soll. Jetzt sind es gerade 9 Jahr als ich die Uebersetzung von Shakspears Sonetten anfing, im Herbst sollte der Buchhändler sie haben, und ich arbeitete den ganzen Sommer sehr fleißig daran. Nun liegen sie noch da, und ich habe Vater in der ganzen Zeit nicht dazu bringen können sie sich einmal von mir vorlesen zu lassen, weil ich sie gern noch überarbeiten wollte.2 Mir fällt es gar nicht ein ihm dergleichen übel zu nehmen, denn so etwas hängt nicht

    Kommentare

    1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten. Die Manuskriptseite wurde zweifach mit Bleistift, vermutlich von Sybel, durchgestrichen. Bei Sybel: Erinnerungen fehlt die komplette Manuskriptseite.

    2 Bereits 1826 erschienen 26 Sonette in der Übersetzung Dorothea Tiecks als Anhang zu dem Aufsatz Ludwig Tiecks Ueber Shakspears Sonette einige Worte, nebst Proben einer Uebersetzung derselben, in dem die Übersetzung einem „junge[n] Freund“ (S. 338.) zugesprochen wurde. Aber auch alle restlichen 128 Sonette übersetzte Dorothea; allerdings kam es aus ungeklärten Gründen nicht zu der Publikation. Erst 1992 wurden die Sonette vollständig ediert; vgl. Christa Jansohn: Shakespeares Sonette in der Übersetzung von Dorothea Tieck.

    3nothwendig mit den beßten Eigenschaften im Menschen zusammen; es betrübt mich aber immer wenn seine Freunde darunter leiden müssen, und ich fürchte es kann doch eine bittre Empfindung in ihnen zurücklassen.

    Meine Frage über die Scholz4 war recht eigentlich unbescheiden. Sie ist gewiß vom Gemüth eine sehr gute Frau, und Sie haben recht, wo man diese Haupteigenschaft findet sollte man das übrige nicht so genau nehmen. Doch ich kann vieles leichter ertragen als gewisse Phrasen und Anstalten: das kommt daher weil mein Bedürfniß zur Wahrhaftigkeit an mir und andern ein übertriebnes ist, und wie andre Menschen sich das Lügen abgewöhnen sollten, so müsste ich es mir zuweilen angewöhnen; denn ich weiß recht gut daß mein Charakter und mein Benehmen einen gewisse Scheuheit erhält, die gar nicht liebenswürdig ist, und mir auch schon viel Unannehmlichkeiten zugezogen hat. Es steckt aber zu tief in mir und ich kann nichts dagegen thun

    Kommentare

    3 Die Bleistiftstreichung, beginnend auf der vorherigen Manuskriptseite, wird hier bis zum Ende des Absatzes, vermutlich von Heinrich von Sybel, fortgeführt. Bei Sybel: Erinnerungen fehlt die komplette Seite.

    4 Die Legationsrätin Henriette Scholtz gehörte zu Uechtritz' engen Berliner Vertrauten. (Vgl. Wilhelm Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 13.)

    5Sie fragen mich ob ich Virgil liebe, und ich antworte Ihnen nur, daß ich eben dabei bin die Aeneide zum 5ten Mal von Anfang zu Ende durch zulesen so sehr liebe ich sie, auch wo die Schilderung der Kämpfe zu weitschweifig ist erfreut mich die Lieblichkeit der Sprache und die schönen Episoden, die andern Gedichte kenne ich noch nicht. Es ist eigentlich eine Thorheit daß ich so viele Zeit mit den alten Sprachen verliere, aber meine Leidenschaft dafür ist zu groß. Jetzt lese ich den Livius. Im Griechischen glaubte ich weiter zu seyn als ich jetzt zu meinem Kummer entdeckt habe. Ich las den Homer und das neue Testament ziemlich geläufig; finde aber jetzt beim Herodot, der doch leicht seyn soll, wie viel mir fehlt, da ich oft nicht ohne Uebersetzung durch komme. Man glaubt irriger Weise von mir, ich habe Talent zu Sprachen, es ist aber nicht wahr, die Grammatik wird mir schwer und ich kann mir die unregelmäßigen Regeln nicht merken. Lebten wir an Einem Ort so könnten Sie mir zuweilen etwas

    Kommentare

    5 An dieser Stelle setzt die Edition von Sybel: Erinnerungen (S. 168) wieder ein. Allerdings wird der gesamte Rest des Brieffragments stillschweigend an das Fragment vom 4. April 1832 angeschlossen, bei dem der Briefschluss fehlt. Der vorliegende Brief wurde aber, auf Grund der Erwähnung des 1833 im Original und 1834 in der deutschen Übersetzung erschienenen Buchs Wanderungen eines irländischen Edelmannes zur Entdeckung einer Religion auf S. 4 (Bl. 2 verso) nicht vor 1833 verfasst.

    helfen; Aber so habe ich niemand. Sie werden mich wohl sehr verachten wenn ich Ihnen gestehe daß ich keinen rechten Sinn für den Sophokles habe, und ihn mehr im Glauben an seine Größe verehre. Homer erregt mir immer ein wahres Entzücken und viele Stücke von Euripides machen mir eine große Freude aber im Sophokles ist mir etwas Fremdes, ich weiß nicht worin es liegt. Ich habe ein Buch von Moor gelesen: Wanderungen eines Irländers zur Entdeckung einer Religion.6 Es ist viel Gutes darin, und was er von der disciplina arcani7 und den Gnostikern sagt hat mich sehr interessirt; nur finde ich ihn oft ungerecht gegen die Protestanten, und er nimmt auch häufig einen Ton des Spottes und Witzes an, der bei solchem Gegenstand höchst unwürdig ist. Aber in der Hauptsache ist das Buch gut und deshalb thut es mir leid daß es diese großen Mängel daneben hat.

    8Leben Sie nun wohl, mein theuerster Freund, und erfreuen Sie mich bald durch einen Brief. Meine Eltern grüßen Sie herzlich. Vor allem schreiben Sie mir ob wir uns wohl den Sommer noch sehen werden Ihre Dorothea.

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    6 Das englische Original Travels of an Irish Gentleman in Search of a Religion erschien 1833.

    7 Lat. für ,Geheimlehre‘, besonders in Bezug auf die christliche Lehre zur Zeit der Verfolgung im 2.–5. Jh. gebraucht.

    8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 168) folgt ab hier eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.