Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Ludwig Tieck an Friedrich von Raumer (Dresden, 15. September 1823)

 

 

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    Tieck an Raumer Mein geliebter Freund,

    Während Ihres Hierseins fand sich theils nicht die Zeit
    dazu, theils hielt mich eine gewisse Aengstlichkeit ab, mit
    Ihnen noch über einen Gegenstand zu sprechen, der mir sehr schwer
    auf dem Herzen liegt, und bei welchem ich Ihre Freundeshülfe erbitte.
    Meine unvermuthete und lange Krankheit hat mich in Anse=
    hung meiner ökonomischen Einrichtung ausserordentlich zurück
    gesezt: ich habe nicht allein alle die Arbeiten müssen liegen lassen,
    die mir ohne grosse Anstrengung ein tausend Thaler verschafft hätten
    (3 bis 4 schon versprochene und angefangene Novellen, die in
    Taschenbücher gedruckt werden sollten, und für welche ich 8 auch 10
    Frdʼor erhalte, p. Bog. zu 16 gedr. Seiten) sondern mein Aufenthalt
    in Teplitz hat mich auch um einige Hundert ärmer gemacht.
    Während meiner Krankheit im Frühjahr, um uns mit eignen Mö=
    beln einzurichten, hat mir ein hiesiger Banquier auf einen Wechsel
    400 Thaler vorgeschossen, welcher Wechsel Michaelis d. J. fällig
    ist. So bin ich ohne mein Verschulden in grosse Verlegenheit gerathen.
    Meinen Credit hier kann ich nicht völlig aufs Spiel setzen; ich habe
    auch noch andre Zahlungen, die mich sehr bedrängen. – Ich frage nun
    bei Ihnen an, ob Sie mir, vielleicht auch durch Krausens Hülfe 800
    oder 600 Thaler durch einen Wechsel, oder sonst übermachen können, den
    ich Ihnen künftigen Johannis, oder, wenn es sein muß, nach
    der Ostermesse zahle. Ich kann diese Zahlung mit Sicherheit versprechen,
    weil ich durchaus bis dahin wegen der Herausgabe meiner Schriften 1
    im Reinen sein, schon die Ersten Bände geliefert haben will
    und muß, und vom Buchhändler, der es unternimmt, gleich bei
    Ablieferung des ersten Druckvorraths ein Capital verlange.

    Kommentare

    1 Tiecks Schriften erschienen ab 1828 bei Georg Reimer.

    Aber auch ohne dies erhalte ich mehr als das Erbetene für
    jene Novellen, deren Bezahlung ich mir gleich bei Ablieferung des
    Mscpts. für künftiges Jahr bedungen habe. Vieweg u Brockhaus
    geben mir [10] Frdor. macht wenigstens 120 Frdr. – die Kalender in
    Berlin und der Leipziger 8 Frdr.; macht wenigstens 96, mit 120/96 = 2196 Fr.
    Um dies zu erwerben brauche ich kaum 4 Wochen. – Können Sie
    mir von Berl aus (hier weiß ich gar keine Mittel) mit der Erfüllung
    meiner Bitte helfen, so helfen Sie mir wirklich für meine Lebens=
    zeit, ich kann mich dann einrichten und mit Musse und ohne diese Sorge
    arbeiten. Aber freilich muß die Hülfe schnell kommen, wenn Sie sie
    für mich möglich machen können. Daß ich mich jezt nicht an Reimer wenden
    kann, begreifen Sie am besten: von Max kann ich nichts fordern, bevor
    ich nicht mit ihm u Reimer ganz einig bin, auch schadete ich mir, wenn ich
    es mit ihm zu eilig betriebe. – Auf den Sterbefall bis Johannis würde
    die Gräfinn, oder Malsburg, oder Kalkreuth wohl meine Verschreibung,
    als Bürgen unterzeichnen, wenn Sie es verlangten. (Es kommt noch
    hinzu, was aber ganz unter uns beiden bleibt, daß eine Anstellung
    hier beim Theater immer wahrscheinlicher wird.2 Ich darf aber nicht hülfsbe=
    dürftig thun, und noch weniger meinen Credit verliehren: gelingt es, so
    kann ich noch leichter Ihnen, oder dem Freunde, oder Banquier, der durch Ihre
    Vermittlung mir hilft, zurück zahlen.) Ich darf in meiner Verlegenheit auf
    die Zinsen auch nicht zu ängstlich sehn. – Ich füge nichts mehr hinzu, ich
    weiß, Sie helfen mir, wenn Sie Rath wissen. Vielleicht finden Sie durch
    Ihren Credit in dem grossen Berl. doch eher Rath u Hülfe, als ich hier in
    dem kleinen Ort, wo alles gleich allgemein bekannt wird. Meine
    hiesigen Freunde sind nicht so, daß ich sie darum ansprechen kann. –

    Wie Sie mir fehlen, sage ich nicht: ich bin in diesen Wochen
    wieder recht verwöhnt worden. Diese Einsamkeit drückt mich
    manchmal sehr. Die Fortsetzung der Ceven̄en ist begonnen, gestern die
    Arbeit mit Hülfe der Solger3 bei den Solgerschen Papieren4: ich schicke

    Kommentare

    2 Tieck wurde 1825 Dramaturg am Dresdener Theater. Die Stelle, auf die er bereits längere Zeit hingearbeitet hatte, wurde ihm Ende 1824 zugesagt. (Vgl. Ludwig Tieck. Leben - Werk - Wirkung, Berlin 2011, S.409f.)

    3 Gemeint ist Henriette Solger, die Witwe des 1819 verstorbenen Philosophen und engen Freunds Tiecks K.W.F. Solger.

    4 Die Arbeit an den Solgerschen Papieren bildete die Grundlage für die 1826 von Tieck und Raumer herausgebenen Nachgelassenen Schriften und Briefwechsel Solgers.

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    gewiß Ende der Woche ein Paket ab. Lachen habe ich müssen,
    als ich fand, daß Datum und Jahreszahl in der Abschrift schon
    fast allenthalben beigefügt war; ich hatte mich schon vor
    meiner Krankheit damit beschäftigt, und es während dieser
    nur vergessen. Sie hätten sich also ganz umsonst mit dem
    ungeheuren Paket geschleppt, das Sie mir nachher doch hätten
    wieder senden müssen: ich denke, Sie können die Sachen dann
    gleich nach Leipzig zum Druck senden..

    Sie fehlen uns allen, u alle würden herzlich grüssen, wenn
    man wüßte, daß ich Ihnen so früh schon schreibe. Grüssen Sie
    Frau u Kinder, u zürnen Sie mir nur nicht, daß ich Ihnen mit
    dergleichen Geschichten komme, die auf jeden Fall sehr lästig sind,
    auch oft unter den besten Freunden ein gewisses Mißtrauen u
    Zurückgezogenheit veranlassen. Das hat mich nur nach langem
    Kampf bewogen, mich an Sie zu wenden.

    Auf jeden Fall erhalten Sie mir Ihre bisherige Freundschaft.
    Der Him̄el erhalte Sie gesund und frisch u fleissig. Ich
    denke viel zu arbeiten.

    Ihr
    ewiger Freund,
    L. Tieck.
    (Stempel: "Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz")
    (Stempel: "DRESDEN 15. Sept. 23")
    [99]

    An des Herrn
    Regirungs=Raths und Professors
    Frd. von Raumer hochwohlgeb.
    [333] in
    Berlin.

    [551.3.]
    Mein geliebter Freund,

    Während Ihres Hierseins fand sich theils nicht die Zeit dazu, theils hielt mich eine gewisse Aengstlichkeit ab, mit Ihnen noch über einen Gegenstand zu sprechen, der mir sehr schwer auf dem Herzen liegt, und bei welchem ich Ihre Freundeshülfe erbitte. Meine unvermuthete und lange Krankheit hat mich in Ansehung meiner ökonomischen Einrichtung ausserordentlich zurück gesezt: ich habe nicht allein alle die Arbeiten müssen liegen lassen, die mir ohne grosse Anstrengung ein tausend Thaler verschafft hätten (3 bis 4 schon versprochene und angefangene Novellen, die in Taschenbücher gedruckt werden sollten, und für welche ich 8 auch 10 Friedrich d'or erhalte, p. Bogen zu 16 gedruckte Seiten) sondern mein Aufenthalt in Teplitz hat mich auch um einige Hundert ärmer gemacht. Während meiner Krankheit im Frühjahr, um uns mit eignen Möbeln einzurichten, hat mir ein hiesiger Banquier auf einen Wechsel 400 Thaler vorgeschossen, welcher Wechsel Michaelis dieses Jahres fällig ist. So bin ich ohne mein Verschulden in grosse Verlegenheit gerathen. Meinen Credit hier kann ich nicht völlig aufs Spiel setzen; ich habe auch noch andre Zahlungen, die mich sehr bedrängen. – Ich frage nun bei Ihnen an, ob Sie mir, vielleicht auch durch Krausens Hülfe 800 oder 600 Thaler durch einen Wechsel, oder sonst übermachen können, den ich Ihnen künftigen Johannis, oder, wenn es sein muß, nach der Ostermesse zahle. Ich kann diese Zahlung mit Sicherheit versprechen, weil ich durchaus bis dahin wegen der Herausgabe meiner Schriften 1 im Reinen sein, schon die Ersten Bände geliefert haben will und muß, und vom Buchhändler, der es unternimmt, gleich bei Ablieferung des ersten Druckvorraths ein Capital verlange.

    Kommentare

    1 Tiecks Schriften erschienen ab 1828 bei Georg Reimer.

    Aber auch ohne dies erhalte ich mehr als das Erbetene für jene Novellen, deren Bezahlung ich mir gleich bei Ablieferung des Manuscripts für künftiges Jahr bedungen habe. Vieweg und Brockhaus geben mir [10] Friedrich d'or macht wenigstens 120 Friedrich d'or – die Kalender in Berlin und der Leipziger 8 Friedrich d'or; macht wenigstens 96, mit 120/96 = 216 Friedrich d'or. Um dies zu erwerben brauche ich kaum 4 Wochen. – Können Sie mir von Berlin aus (hier weiß ich gar keine Mittel) mit der Erfüllung meiner Bitte helfen, so helfen Sie mir wirklich für meine Lebenszeit, ich kann mich dann einrichten und mit Musse und ohne diese Sorge arbeiten. Aber freilich muß die Hülfe schnell kommen, wenn Sie sie für mich möglich machen können. Daß ich mich jezt nicht an Reimer wenden kann, begreifen Sie am besten: von Max kann ich nichts fordern, bevor ich nicht mit ihm und Reimer ganz einig bin, auch schadete ich mir, wenn ich es mit ihm zu eilig betriebe. – Auf den Sterbefall bis Johannis würde die Gräfinn, oder Malsburg, oder Kalkreuth wohl meine Verschreibung, als Bürgen unterzeichnen, wenn Sie es verlangten. (Es kommt noch hinzu, was aber ganz unter uns beiden bleibt, daß eine Anstellung hier beim Theater immer wahrscheinlicher wird.2 Ich darf aber nicht hülfsbedürftig thun, und noch weniger meinen Credit verliehren: gelingt es, so kann ich noch leichter Ihnen, oder dem Freunde, oder Banquier, der durch Ihre Vermittlung mir hilft, zurück zahlen.) Ich darf in meiner Verlegenheit auf die Zinsen auch nicht zu ängstlich sehn. – Ich füge nichts mehr hinzu, ich weiß, Sie helfen mir, wenn Sie Rath wissen. Vielleicht finden Sie durch Ihren Credit in dem grossen Berlin doch eher Rath und Hülfe, als ich hier in dem kleinen Ort, wo alles gleich allgemein bekannt wird. Meine hiesigen Freunde sind nicht so, daß ich sie darum ansprechen kann. –

    Wie Sie mir fehlen, sage ich nicht: ich bin in diesen Wochen wieder recht verwöhnt worden. Diese Einsamkeit drückt mich manchmal sehr. Die Fortsetzung der Cevennen ist begonnen, gestern die Arbeit mit Hülfe der Solger3 bei den Solgerschen Papieren4: ich schicke

    Kommentare

    2 Tieck wurde 1825 Dramaturg am Dresdener Theater. Die Stelle, auf die er bereits längere Zeit hingearbeitet hatte, wurde ihm Ende 1824 zugesagt. (Vgl. Ludwig Tieck. Leben - Werk - Wirkung, Berlin 2011, S.409f.)

    3 Gemeint ist Henriette Solger, die Witwe des 1819 verstorbenen Philosophen und engen Freunds Tiecks K.W.F. Solger.

    4 Die Arbeit an den Solgerschen Papieren bildete die Grundlage für die 1826 von Tieck und Raumer herausgebenen Nachgelassenen Schriften und Briefwechsel Solgers.

    gewiß Ende der Woche ein Paket ab. Lachen habe ich müssen, als ich fand, daß Datum und Jahreszahl in der Abschrift schon fast allenthalben beigefügt war; ich hatte mich schon vor meiner Krankheit damit beschäftigt, und es während dieser nur vergessen. Sie hätten sich also ganz umsonst mit dem ungeheuren Paket geschleppt, das Sie mir nachher doch hätten wieder senden müssen: ich denke, Sie können die Sachen dann gleich nach Leipzig zum Druck senden..

    Sie fehlen uns allen, und alle würden herzlich grüssen, wenn man wüßte, daß ich Ihnen so früh schon schreibe. Grüssen Sie Frau und Kinder, und zürnen Sie mir nur nicht, daß ich Ihnen mit dergleichen Geschichten komme, die auf jeden Fall sehr lästig sind, auch oft unter den besten Freunden ein gewisses Mißtrauen und Zurückgezogenheit veranlassen. Das hat mich nur nach langem Kampf bewogen, mich an Sie zu wenden.

    Auf jeden Fall erhalten Sie mir Ihre bisherige Freundschaft. Der Himmel erhalte Sie gesund und frisch und fleissig. Ich denke viel zu arbeiten.

    Ihr ewiger Freund, L. Tieck.

    An des Herrn
    Regirungs=Raths und Professors
    Friedrich von Raumer hochwohlgebohren
    in
    Berlin.