Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Dresden, 22. Juli 1833)

 

 

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    z 9a


    Mein theuerster Freund.

    Seit Ihrem ich Ihnen schrieb haben
    sich unsre Pläne für diesen Sommer
    ganz verändert, wir sehen uns nun
    nicht,2 und ich kann selbst Ihren schö=
    nen Brief nur flüchtig beantwor=
    ten. Weil mein Vater in seinen Ar=
    beiten noch sehr zurück ist hat er
    die Reise für diesen Sommer ganz
    aufgegeben, dagegen aber meiner
    Mutter vorgeschlagen mit mir und
    Agnes auf einige Wochen nach Schle=
    sien
    zu gehen, und ihre Brüder3
    dort zu besuchen. So werden wir also
    den August im Gebirge zubringen
    wir reisen schon Donnerstag,4 gehen
    über Teplitz und Prag wo wir uns
    einige Tage aufhalten, und sind
    auf jeden Fall in den letzten Tagen
    des August wieder hier. Den Rück=

    Kommentare

    1 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 179) wird der Brief auf den 20. Juli 1833 datiert.

    2 Die geplante Reise nach Baden-Baden und der damit verbundene Besuch bei Uechtritz in Düsseldorf wurden nicht realisiert.

    3 Johann Gustav Wilhelm und Friedrich Wilhelm Alberti.

    4 Donnerstag, d. 25. Juli 1833.

    weg nehmen wir über Bautzen, und
    wenn Zeit und Geld zureicht wünsche
    ich sehr Ihre Schwester5 in Görlitz zu
    besuchen und auch nach Heidersdorf6
    zu fahren, Sie machten mir als Sie
    bei uns waren7 Muth dazu, und es
    würde mich sehr erfreuen Ihre Eltern
    und Ihre Heimath kennen zu lernen
    doch alles dies ist noch unbestimmt.

    Was Sie mir über die Bedingungen
    wegen der Rosamunde schreiben habe
    ich meinem Vater vorgelesen, und er
    meint es sey so recht gut, und Sie
    möchten es nur annehmen.8 Wegen
    der Recension9 hat er sich gar nicht
    geäußert, auch vermag ich gar nichts
    über ihn und er kann es nicht ein=
    mal vertragen wenn man ihn wegen
    so etwas frägt. Auch ist er jetzt
    sehr fleißig und mitten in der Arbeit
    Eine Novelle, die Sommerreise ist
    fertig, und kommt in die Urania

    Kommentare

    5 Uechtritz' Schwester Asta.

    6 Gut Heidersdorf in Niederschlesien, wo Uechtritz' Eltern lebten.

    7 Uechtritz hatte die Familie Tieck im September 1832 in Dresden besucht.

    8 Uechtritz war auf der Suche nach einem Verleger für die Rosamunde gewesen. Nachdem Ludwig Tiecks Verhandlungen mit Reimer und Brockhaus gescheitert waren, hatte Uechtritz offenbar ein Angebot des Düsseldorfer Verlegers Schreiner bekommen, welches er letztlich auch annahm.

    9 Vermutlich hatte Uechtritz Tieck um eine Besprechung der Rosamunde gebeten.

    es ist viel Schönes darin, doch gehört
    sie für mich zu den unbedeutendern
    weil fast alles selbst erlebt und gesehen10
    ist, so hat sie eine gewisse Frische
    und Lebendigkeit, doch auf den inn=
    ren Zusam̄enhang ist wenig gegeben
    Jetzt schreibt er nun eine für Rei=
    mers
    Taschenbuch, sie heißt: der Tod
    des Dichters
    , und dieser Dichter ist
    Camoens, ich habe einige Bogen da=
    von gehört und bin überzeugt daß
    dies eines der schönsten und groß=
    artigsten Werke wird. Ich freue mich
    schon darauf wenn Sie es lesen werden
    schreiben Sie mir nur recht viel dar=
    über. In 14 Tagen soll diese Novelle
    fertig seyn, dann will er die Noten
    zum letzten Bande des Shakspear
    schreiben. Wenn ich Ihnen rathen darf
    so meine ich es wäre am besten Sie
    schrieben etwa in drei Wochen dem
    Vater noch einmal selbst, dann ent=

    Kommentare

    10 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) steht „geschehen“ statt „gesehen“.

    11schließt er sich vielleicht schnell Ihnen
    die Recension zu machen.12

    13Es thut mir sehr leid, liebster Freund,
    wenn ich Schuld bin daß Sie ein Miß=
    trauen gegen Immermann fassen
    ich glaube auch daß Sie ganz unrecht
    darin haben. Manche Frauen haben ein
    Vergnügen an der Intrigue und die
    Lützow hat es wohl übel genommen
    daß Sie ihre Bekanntschaft nicht ge=
    sucht haben.14 Da alles keinen Einfluß
    gehabt hat ist es sehr unwichtig und
    ich möchte um nichts in der Welt daß
    Sie meinetwegen jemand anders
    Unrecht thäten.

    Haben Sie Cabanis gelesen? Es ist das
    schlechteste Buch, nicht nur was ich je ge=
    lesen, sondern auch was ich mir mög=
    licher Weise denken kann. Mir hat der
    ganze Hering15 mit samt seinen Büchern
    nie gefallen. Nun hat er etwas von
    der Ironie reden hören, und daß

    Kommentare

    11 Die folgende Manuskriptseite wurde komplett mit Bleistift gestrichen, vermutlich von Heinrich von Sybel während der Vorbereitungen für den Druck.

    12 Ludwig Tieck schrieb letztlich keine Rezension zur Rosamunde.

    13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) folgt eine unmarkierte Auslassung der folgenden zwei Absätze.

    14 Elisa von Lützow verband, nachdem sie sich von ihrem Mann, General von Lützow, getrennt hatte, eine längere Liebesbeziehung mit Immermann, dem sie nach Düsseldorf gefolgt war.

    15 Georg Wilhelm Heinrich Häring schrieb unter dem Pseudonym „Willibald Alexis“.

    16der Dichter über seinem Stoff stehen
    muß, da solche oberflächliche Menschen
    aber immer nur Läuten und nicht
    anschlagen hören17 hat der die Sache
    ganz falsch aufgefasst, und schildert
    nun alle seine Helden und Heldinnen
    recht gemein und nichtswürdig, da ist
    es denn freilich keine Kunst darüber
    zu stehen.

    Sie schreiben daß Sie trübe gestim̄t
    sind, das thut mir recht leid, Ihret=
    wegen, als18 auch wegen Ihrer Ar=
    beiten. Ich bin heitrer als ich es war,
    seitdem ich nichts mehr von der Welt
    hoffe und wünsche, und auch das klein=
    ste Gut als ein unerwartetes Ge=
    schenk empfange. Doch hat man sich
    auch der Welt entschlagen so viel dies
    überhaupt möglich ist, so trägt man
    doch immer noch schwer genug an sich
    selbst. Deshalb bin ich auch oft noch sehr
    melancholisch, und habe einen rechten

    Kommentare

    16 Die Bleistiftstreichung, beginnend auf der vorherigen Manuskriptseite, wird hier bis zum Ende des Absatzes, vermutlich von Heinrich von Sybel, fortgeführt.

    17 Gemeint ist das Sprichwort „Er hat anschlagen, aber nicht läuten hören.“ (Vgl. Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Sp. 775.)

    18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) steht „und“ statt „als“.

    Widerwillen gegen mich selbst. Ich
    begreife es dann nicht wie Gott noch
    meine Lauigkeit und Schwäche in allem
    Guten so lange erträgt.

    19Ich hätte Ihnen noch manches zu sagen,
    mein theurer Freund, aber ich bin sehr
    eilig. Ich würde sagen ich freue mich
    Sie künftiges Jahr zu sehen, wenn es
    mir nicht vorwitzig schiene so lange
    voraus zu denken. Ich würde mich
    sehr freuen wenn ich Anfang Septembre
    einen Brief von Ihnen bekäme, dan̄
    könnte ich Ihnen von meiner Reise
    etwas erzählen. Alle grüßen
    Sie.
    Leben Sie wohl und gedenken
    Sie zuweilen
    Ihrer Dorothea.

    Den 23ten
    Ich muß Ihnen doch noch erzählen
    daß heut Ihr Namenstag20 ist. Der
    heilige Friedrich war Bischof von
    Utrecht, und lebte zur Zeit Ludwig
    des Frommen
    .

    Kommentare

    19 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 181) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.

    20 Der Namenstag, der auf Friedrich von Utrecht zurückgeht, ist am 18. Juli.

    Mein theuerster Freund. Seit ich Ihnen schrieb haben sich unsre Pläne für diesen Sommer ganz verändert, wir sehen uns nun nicht,2 und ich kann selbst Ihren schönen Brief nur flüchtig beantworten. Weil mein Vater in seinen Arbeiten noch sehr zurück ist hat er die Reise für diesen Sommer ganz aufgegeben, dagegen aber meiner Mutter vorgeschlagen mit mir und Agnes auf einige Wochen nach Schlesien zu gehen, und ihre Brüder3 dort zu besuchen. So werden wir also den August im Gebirge zubringen wir reisen schon Donnerstag,4 gehen über Teplitz und Prag wo wir uns einige Tage aufhalten, und sind auf jeden Fall in den letzten Tagen des August wieder hier. Den Rück=

    Kommentare

    1 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 179) wird der Brief auf den 20. Juli 1833 datiert.

    2 Die geplante Reise nach Baden-Baden und der damit verbundene Besuch bei Uechtritz in Düsseldorf wurden nicht realisiert.

    3 Johann Gustav Wilhelm und Friedrich Wilhelm Alberti.

    4 Donnerstag, d. 25. Juli 1833.

    weg nehmen wir über Bautzen, und wenn Zeit und Geld zureicht wünsche ich sehr Ihre Schwester5 in Görlitz zu besuchen und auch nach Heidersdorf6 zu fahren, Sie machten mir als Sie bei uns waren7 Muth dazu, und es würde mich sehr erfreuen Ihre Eltern und Ihre Heimath kennen zu lernen doch alles dies ist noch unbestimmt.

    Was Sie mir über die Bedingungen wegen der Rosamunde schreiben habe ich meinem Vater vorgelesen, und er meint es sey so recht gut, und Sie möchten es nur annehmen.8 Wegen der Recension9 hat er sich gar nicht geäußert, auch vermag ich gar nichts über ihn und er kann es nicht einmal vertragen wenn man ihn wegen so etwas frägt. Auch ist er jetzt sehr fleißig und mitten in der Arbeit Eine Novelle, die Sommerreise ist fertig, und kommt in die Urania

    Kommentare

    5 Uechtritz' Schwester Asta.

    6 Gut Heidersdorf in Niederschlesien, wo Uechtritz' Eltern lebten.

    7 Uechtritz hatte die Familie Tieck im September 1832 in Dresden besucht.

    8 Uechtritz war auf der Suche nach einem Verleger für die Rosamunde gewesen. Nachdem Ludwig Tiecks Verhandlungen mit Reimer und Brockhaus gescheitert waren, hatte Uechtritz offenbar ein Angebot des Düsseldorfer Verlegers Schreiner bekommen, welches er letztlich auch annahm.

    9 Vermutlich hatte Uechtritz Tieck um eine Besprechung der Rosamunde gebeten.

    es ist viel Schönes darin, doch gehört sie für mich zu den unbedeutendern weil fast alles selbst erlebt und gesehen10 ist, so hat sie eine gewisse Frische und Lebendigkeit, doch auf den innren Zusammenhang ist wenig gegeben Jetzt schreibt er nun eine für Reimers Taschenbuch, sie heißt: der Tod des Dichters, und dieser Dichter ist Camoens, ich habe einige Bogen davon gehört und bin überzeugt daß dies eines der schönsten und großartigsten Werke wird. Ich freue mich schon darauf wenn Sie es lesen werden schreiben Sie mir nur recht viel darüber. In 14 Tagen soll diese Novelle fertig seyn, dann will er die Noten zum letzten Bande des Shakspear schreiben. Wenn ich Ihnen rathen darf so meine ich es wäre am besten Sie schrieben etwa in drei Wochen dem Vater noch einmal selbst, dann ent=

    Kommentare

    10 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) steht „geschehen“ statt „gesehen“.

    11schließt er sich vielleicht schnell Ihnen die Recension zu machen.12

    13Es thut mir sehr leid, liebster Freund, wenn ich Schuld bin daß Sie ein Mißtrauen gegen Immermann fassen ich glaube auch daß Sie ganz unrecht darin haben. Manche Frauen haben ein Vergnügen an der Intrigue und die Lützow hat es wohl übel genommen daß Sie ihre Bekanntschaft nicht gesucht haben.14 Da alles keinen Einfluß gehabt hat ist es sehr unwichtig und ich möchte um nichts in der Welt daß Sie meinetwegen jemand anders Unrecht thäten.

    Haben Sie Cabanis gelesen? Es ist das schlechteste Buch, nicht nur was ich je gelesen, sondern auch was ich mir möglicher Weise denken kann. Mir hat der ganze Hering15 mit samt seinen Büchern nie gefallen. Nun hat er etwas von der Ironie reden hören, und daß

    Kommentare

    11 Die folgende Manuskriptseite wurde komplett mit Bleistift gestrichen, vermutlich von Heinrich von Sybel während der Vorbereitungen für den Druck.

    12 Ludwig Tieck schrieb letztlich keine Rezension zur Rosamunde.

    13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) folgt eine unmarkierte Auslassung der folgenden zwei Absätze.

    14 Elisa von Lützow verband, nachdem sie sich von ihrem Mann, General von Lützow, getrennt hatte, eine längere Liebesbeziehung mit Immermann, dem sie nach Düsseldorf gefolgt war.

    15 Georg Wilhelm Heinrich Häring schrieb unter dem Pseudonym „Willibald Alexis“.

    16der Dichter über seinem Stoff stehen muß, da solche oberflächliche Menschen aber immer nur Läuten und nicht anschlagen hören17 hat der die Sache ganz falsch aufgefasst, und schildert nun alle seine Helden und Heldinnen recht gemein und nichtswürdig, da ist es denn freilich keine Kunst darüber zu stehen.

    Sie schreiben daß Sie trübe gestimmt sind, das thut mir recht leid, Ihretwegen, als18 auch wegen Ihrer Arbeiten. Ich bin heitrer als ich es war, seitdem ich nichts mehr von der Welt hoffe und wünsche, und auch das kleinste Gut als ein unerwartetes Geschenk empfange. Doch hat man sich auch der Welt entschlagen so viel dies überhaupt möglich ist, so trägt man doch immer noch schwer genug an sich selbst. Deshalb bin ich auch oft noch sehr melancholisch, und habe einen rechten

    Kommentare

    16 Die Bleistiftstreichung, beginnend auf der vorherigen Manuskriptseite, wird hier bis zum Ende des Absatzes, vermutlich von Heinrich von Sybel, fortgeführt.

    17 Gemeint ist das Sprichwort „Er hat anschlagen, aber nicht läuten hören.“ (Vgl. Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Sp. 775.)

    18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 180) steht „und“ statt „als“.

    Widerwillen gegen mich selbst. Ich begreife es dann nicht wie Gott noch meine Lauigkeit und Schwäche in allem Guten so lange erträgt.

    19Ich hätte Ihnen noch manches zu sagen, mein theurer Freund, aber ich bin sehr eilig. Ich würde sagen ich freue mich Sie künftiges Jahr zu sehen, wenn es mir nicht vorwitzig schiene so lange voraus zu denken. Ich würde mich sehr freuen wenn ich Anfang Septembre einen Brief von Ihnen bekäme, dann könnte ich Ihnen von meiner Reise etwas erzählen. Alle grüßen Sie. Leben Sie wohl und gedenken Sie zuweilen Ihrer Dorothea.

    Den 23ten Ich muß Ihnen doch noch erzählen daß heut Ihr Namenstag20 ist. Der heilige Friedrich war Bischof von Utrecht, und lebte zur Zeit Ludwig des Frommen.

    Kommentare

    19 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 181) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.

    20 Der Namenstag, der auf Friedrich von Utrecht zurückgeht, ist am 18. Juli.