
Staatsbibliothek zu Berlin / Handschriftenabteilung
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin
Mein geliebter Freund,
Durch Rosalie Wagner, die Ihnen ja theuer ist, erhalten Sie
dieses Blatt; sie wird in Berl. spielen, u Sie u Ihre Freunde kön̄en ihr
also sehr gefällig sein, wenn sie ihr einigen Beifall mehr verschaffen.
Vielleicht hat sie auch den Wunsch, sich in Berl. zu engagiren, und ich
wollte, daß es ihr unter vortheilhaften Bedingungen gelänge, weil
sie hier durch eine neuaufgetretene noch jüngere Schauspielerinn
sehr verdunkelt wird.1 (Stempel: "Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz")
Gern hätte ich Ihnen längst schon geschrieben, wenn die Briefe
mich nicht bei meiner Schwerfälligkeit so viel Zeit kosteten. Die
Gräfinn wird ihnen2 ein oder zweimal gesagt haben, wie begeistert
sie von Ihrem Werke3 ist; denn das ist mit das Herrliche dieses Buchs,
daß es auf alle bessere Gemüther neben der Belehrung zugleich als
Poesie wirkt. Ich bin jezt, kann ich wohl rühmen, innigst vertraut
mit dem Buch, ich muß mich aber wirklich hüthen, nur irgendwo auf=
zuschlagen, weil ich sogleich dieselben Sachen, die ich schon oft gelesen,
gleich ununterbrochen stundenlang verfolge. Der Him̄el wird
mir die Musse geben, nun endlich zur Rezension zu schreiten; aber
auch den gehörigen Verstand, denn die Aufgabe, wenn Sie irgend zu
Ihrer Zufriedenheit gelöst werden soll, ist eine der schwierigsten. So
wie Böttiger u Aehnliche dergleichen schreiben, wahrlich, das läßt sich
wachend und schlafend verrichten, und man hat selbst nicht nöthig, das
Werk zu [lesen], schweige zu studiren, oder gar Andre nachzuschlagen,
und wieder zu erforschen, um das Verhältniß heraus zu finden. Jezt ist
die Frau von Lüttichau auf kurze Zeit in Berlin, und ich hoffe,
daß Sie sie sehn werden, denn sie ist ihre4 wahre Freundinn, u be=
wundert Sie (indem sie Sie wirklich versteht) so innigst und
aufrichtig, daß sie sich von dem Buch, selbst den lezten Bänden, nicht
hat losreissen können.
1 Möglicherweise handelt es sich bei der Konkurrentin um Julie Gley.
2 [sic]
3 Wahrscheinlich ist Raumers Geschichte der Hohenstaufen gemeint, die erstmals von 1823 bis 1825 erschien.
4 [sic]
Auf diese Weise verstanden zu werden, das ist für den Autor, beim
Licht besehn, der allerschönste Lohn. Gewiß nicht die Acclamation des
Haufens. – Alles, was Sie mir von Hering schreiben, betrübt mich für
den jungen Mann, der gern auf Rosen und Vergißmeinicht wandeln
möchte, und darüber in die Pilze geräth. O was ist die Eitelkeit! Und
diese schwache Theorie, die er am Nagel, und nur dort, hat und haben kann,
welche ihm die kleine Begeisterung des Herzens so verkümmert. Er wird
in diesen kränklichen Verstimmungen vielleicht untergehn. Wenn ich Zeit
finde, will ich ihm eigens einmal darüber schreiben. Gewiß wandelt Uechtriz
auf einem viel richtigeren Wege. An diesen lege ich vielleicht noch ein Blatt
bei. – Apropos Macbeth. – Geht es also noch an, denn ich gehe sogleich
in die Probe, so schwatze ich auf einem Blättchen für die Stich noch Zeug durch
einander: mündlich ist es ganz anders: denn zu einer Abhandlung habe ich keine
Zeit. Die muß es aber werden, oder Schwatzen. Ist sie klug genug, so kann ihr
auch das helfen. Nur hüthen sSie sich, daß so halbgebildete Menschen, wie die
Comödianten jezt sind, meinen guten Willen nicht gänzlich mißverstehen,
u die Kleinigkeit unter Leute bringen, wo sie gar nicht hingehört.5
Grüssen Sie Loebell herzlich, nächstens ein Wort an ihn: [da] das Lexicon nicht das von der Academie war, wie ich glaubte, so danke ich ihm, daß er es ausgestrichen hat. Ich lege wieder einen Zettel für ihn bei, mit meiner demüthigen Bitte. Ich hoffe bald von ihm Löbell zu hören, u auch von ihnen6.
Loebells Briefe, jedes Wort von ihm, machen mir im̄er eine wahre Freude,
und alles fodert mich zum Nachdenken auf, u immer lerne ich. Das ist doch
das Erfreulichste, wenn das Individuum mit den Gesinnungen und Ken̄tnissen
ganz in Eins aufgeht. So ist es mit ihm. Er soll sich nur hüthen, allzu
ernsthaft zu werden. Der Holtei wird ein Narr, u ist vielleicht schon – Grüssen Sie
gar einer. Mir hat er hier das leztemal sehr mißfallen.
Ihre liebe Frau u die allerliebsten Kinder. Der Manni soll aber
auch mein Leser u Freund bleiben.
Mit allen Herzensempfindungen
Ihr ganz eigner
Ludwig T.
Dresden
den 6ten Decbr. 1825.
5 Raumer publizierte den Text schließlich selbst, allerdings erst 1861, also nach Tiecks Tod, unter dem Titel Ueber Lady Macbeth von Tieck (vgl. Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, S.191-196). Dass es sich dabei tatsächlich um die Ausführungen für Auguste Stich handelt, leitet sich nicht nur daraus ab, dass der Text sich offenbar an die Darstellerin der Lady Macbeth richtet, sondern auch, weil Raumer den Text in den entsprechenden Zeitraum einordnet, nämlich vor seinen Antwortbrief an Tieck vom 12. Dezember 1825.
6 [sic]
N.S. Welche Gewalt haben Sie über mich: – Sie kön̄en der Stich doch
nun zeigen, wie viel Ihr Wort bei mir gilt: lesen Sie Ihr die Einlage
vor, oder machen Sie einen Com̄entar darüber, wie Sie wollen: – Sie
sehn, ich bin aus Liebe zu Ihnen (nicht der Stich) bis in das Reich der Unmög=
lichkeit gestiegen. Welche Gunst Sie nun dafür bei der reizenden Frau
erwerben können, lasse ich dahin gestellt sein: sei es die lezte oder Erste
Gunst, die Sie dadurch erhalten, so weiß ich im̄er nicht, wie ich sie Ihnen in Rech=
nung stellen soll: verschweigen Sie mir aber nicht, was Sie damit gewinnen. –
Sr. Hochwohlgebohren
des Herrn Regierungsrathes und
Professors von Raumer
in
Berlin
Mein geliebter Freund,
Durch Rosalie Wagner, die Ihnen ja theuer ist, erhalten Sie dieses Blatt; sie wird in Berlin spielen, und Sie und Ihre Freunde können ihr also sehr gefällig sein, wenn sie ihr einigen Beifall mehr verschaffen. Vielleicht hat sie auch den Wunsch, sich in Berlin zu engagiren, und ich wollte, daß es ihr unter vortheilhaften Bedingungen gelänge, weil sie hier durch eine neuaufgetretene noch jüngere Schauspielerinn sehr verdunkelt wird.1
Gern hätte ich Ihnen längst schon geschrieben, wenn die Briefe mich nicht bei meiner Schwerfälligkeit so viel Zeit kosteten. Die Gräfinn wird ihnen2 ein oder zweimal gesagt haben, wie begeistert sie von Ihrem Werke3 ist; denn das ist mit das Herrliche dieses Buchs, daß es auf alle bessere Gemüther neben der Belehrung zugleich als Poesie wirkt. Ich bin jezt, kann ich wohl rühmen, innigst vertraut mit dem Buch, ich muß mich aber wirklich hüthen, nur irgendwo aufzuschlagen, weil ich sogleich dieselben Sachen, die ich schon oft gelesen, gleich ununterbrochen stundenlang verfolge. Der Himmel wird mir die Musse geben, nun endlich zur Rezension zu schreiten; aber auch den gehörigen Verstand, denn die Aufgabe, wenn Sie irgend zu Ihrer Zufriedenheit gelöst werden soll, ist eine der schwierigsten. So wie Böttiger und Aehnliche dergleichen schreiben, wahrlich, das läßt sich wachend und schlafend verrichten, und man hat selbst nicht nöthig, das Werk zu [lesen], schweige zu studiren, oder gar Andre nachzuschlagen, und wieder zu erforschen, um das Verhältniß heraus zu finden. Jezt ist die Frau von Lüttichau auf kurze Zeit in Berlin, und ich hoffe, daß Sie sie sehn werden, denn sie ist ihre4 wahre Freundinn, und bewundert Sie (indem sie Sie wirklich versteht) so innigst und aufrichtig, daß sie sich von dem Buch, selbst den lezten Bänden, nicht hat losreissen können.
1 Möglicherweise handelt es sich bei der Konkurrentin um Julie Gley.
2 [sic]
3 Wahrscheinlich ist Raumers Geschichte der Hohenstaufen gemeint, die erstmals von 1823 bis 1825 erschien.
4 [sic]
Auf diese Weise verstanden zu werden, das ist für den Autor, beim Licht besehn, der allerschönste Lohn. Gewiß nicht die Acclamation des Haufens. – Alles, was Sie mir von Hering schreiben, betrübt mich für den jungen Mann, der gern auf Rosen und Vergißmeinicht wandeln möchte, und darüber in die Pilze geräth. O was ist die Eitelkeit! Und diese schwache Theorie, die er am Nagel, und nur dort, hat und haben kann, welche ihm die kleine Begeisterung des Herzens so verkümmert. Er wird in diesen kränklichen Verstimmungen vielleicht untergehn. Wenn ich Zeit finde, will ich ihm eigens einmal darüber schreiben. Gewiß wandelt Uechtriz auf einem viel richtigeren Wege. An diesen lege ich vielleicht noch ein Blatt bei. – Apropos Macbeth. – Geht es also noch an, denn ich gehe sogleich in die Probe, so schwatze ich auf einem Blättchen für die Stich noch Zeug durch einander: mündlich ist es ganz anders: denn zu einer Abhandlung habe ich keine Zeit. Die muß es aber werden, oder Schwatzen. Ist sie klug genug, so kann ihr auch das helfen. Nur hüthen Sie sich, daß so halbgebildete Menschen, wie die Comödianten jezt sind, meinen guten Willen nicht gänzlich mißverstehen, und die Kleinigkeit unter Leute bringen, wo sie gar nicht hingehört.5
Grüssen Sie Loebell herzlich, nächstens ein Wort an ihn: [da] das Lexicon nicht das von der Academie war, wie ich glaubte, so danke ich ihm, daß er es ausgestrichen hat. Ich lege wieder einen Zettel für ihn bei, mit meiner demüthigen Bitte. Ich hoffe bald von ihm zu hören, und auch von ihnen6. Loebells Briefe, jedes Wort von ihm, machen mir immer eine wahre Freude, und alles fodert mich zum Nachdenken auf, und immer lerne ich. Das ist doch das Erfreulichste, wenn das Individuum mit den Gesinnungen und Kenntnissen ganz in Eins aufgeht. So ist es mit ihm. Er soll sich nur hüthen, allzu ernsthaft zu werden. Der Holtei wird ein Narr, und ist vielleicht schon gar einer. Mir hat er hier das leztemal sehr mißfallen. – Grüssen Sie Ihre liebe Frau und die allerliebsten Kinder. Der Manni soll aber auch mein Leser und Freund bleiben.
Mit allen Herzensempfindungen Ihr ganz eigner Ludwig T.
Dresden den 6ten December 1825.
5 Raumer publizierte den Text schließlich selbst, allerdings erst 1861, also nach Tiecks Tod, unter dem Titel Ueber Lady Macbeth von Tieck (vgl. Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, S.191-196). Dass es sich dabei tatsächlich um die Ausführungen für Auguste Stich handelt, leitet sich nicht nur daraus ab, dass der Text sich offenbar an die Darstellerin der Lady Macbeth richtet, sondern auch, weil Raumer den Text in den entsprechenden Zeitraum einordnet, nämlich vor seinen Antwortbrief an Tieck vom 12. Dezember 1825.
6 [sic]
N.S. Welche Gewalt haben Sie über mich: – Sie können der Stich doch nun zeigen, wie viel Ihr Wort bei mir gilt: lesen Sie Ihr die Einlage vor, oder machen Sie einen Commentar darüber, wie Sie wollen: – Sie sehn, ich bin aus Liebe zu Ihnen (nicht der Stich) bis in das Reich der Unmöglichkeit gestiegen. Welche Gunst Sie nun dafür bei der reizenden Frau erwerben können, lasse ich dahin gestellt sein: sei es die lezte oder Erste Gunst, die Sie dadurch erhalten, so weiß ich immer nicht, wie ich sie Ihnen in Rechnung stellen soll: verschweigen Sie mir aber nicht, was Sie damit gewinnen. –
Seiner Hochwohlgebohren
des Herrn Regierungsrathes und
Professors von Raumer
in
Berlin