Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Ludwig Tieck an Friedrich von Raumer (Dresden, 10. Dezember 1825)

 

 

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    235
    Tieck an Raumer 10 Dec. 25

    Mein theuerster Freund,

    Diesmal benutze oder mißbrauche ich Sie nur zu allerhand Be=
    stellungen. Vorerst beschwöre ich Sie, beikom̄ende Rolle sogleich
    an Ihre Rosalie Wagner zu befördern, damit das gute Kind in Berlin
    und auf der Rückreise noch lernen kann: Sie wissen gewiß ihre
    Wohnung, wo nicht, sie ist Jägerstrasse, no. 42: beim Juwelier
    Gericke. – Und was sagen Sie, daß ich so aus der Art schlage, u
    einen Brief an Uechtritz, noch einen längern an Hering beilege,
    nachdem ich Ihnen neulich das Geschwätz über Lad. Macbeth gesendet
    habe?1 – Ich bitte Sie, die Briefe zu befördern; ich lege sie offen bei,
    theils, des Couverts wegen, theils auch, damit Sie sie ansehn mögen, ob
    Sie sie zweckmässig finden: dann haben Sie wohl die Güte, sie zusam̄en
    zu legen, uzu versiegeln, u die Aufschriften zu machen, oder machen zu
    lassen. Hering wird es bei dieser Empfindlichkeit und bei dem Bewußtsein
    seines Talentes nicht weit bringen.
       Nur Bettler wissen ihres Guts Betrag. (Julie)2
    Er dauert mich, ich zweifle aber, daß ihm zu helfen steht. – Von allen
    Seiten höre ich, daß Holtei öffentlich ausschreit, wie sehr ich den Alexan=
    der
    lobe. Er kann unmöglich wissen und einsehn, wie ich es meine, und ich
    finde es unbescheiden von ihm: nebenher, so wie die Menge nun einmal ist,
    wird es dem jungen Dichter schaden, ja es kann dem glücklichen Erfolge der
    Aufführung in den Weg treten. Es ist empfindlich, immer mit solchem
    unnützen Geschrei zusammen zu treffen. – Haben Sie Kalkreuth gesehn,
    der schon seit einigen Wochen in Berlin ist? Der Beifall, den ich diesem Alex=
    ander
    schenken muß, wird mehr als einen jungen Poeten beleidigen.
    Was machen Sie? Jezt wird sehr bald der 2te Theil der dramaturgischen Blät=
    ter
    erscheinen, der viel Neues, vielleicht Unnützes enthält. – Wie ich mir
    oft dumm vorkomme, das wollen Sie nun einmal nicht glauben.

    Kommentare

    1 Im vorangehenden Brief hatte Tieck Raumer einige Anmerkungen zu Lady Macbeth für die Schauspielerin Auguste Stich mitgeschickt, ihn aber gebeten, diese nicht öffentlich werden zu lassen. Vgl. den Brief vom 6. Dezember 1825, S.2f. sowie den Kommentar zu S.2. Raumer publizierte den Text 1861 in den Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, S.191-196.

    2 Vgl. die sechste und letzte Szene des zweiten Aufzugs aus Romeo und Julia in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels (1797). Der erste Band der von Tieck und Schlegel gemeinsam herausgegebenen Shakespeare-Ausgabe erschien 1825, also in dem Jahr, aus dem der Brief stammt. Romeo und Julia erschien innerhalb dieser Ausgabe erneut 1833 im 9. und letzten Band.

    Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich 21 Bogen von Solgers Nach=
    laß
    erhalten habe? Aber zu meinem Erstaunen stehn die kleinen Auf=
    sätze und die Correspondenz im Ersten Bande. Die kurze Ansicht der
    Wahlverwandschaften
    3 ist mehr rein philosophisch, [das]als daß sie den Punkt
    träfe, oder wegräumte, über den wir uns verständigt haben. Es wäre
    auch gut gewesen, wen̄ die Erste Seite mit der kurzen Lebensbeschreibung
    anhöbe, die ich voran geschickt habe; da nachher doch immer, wie ich sehe,
    meine kleinen Zwischensätze eintreten. – Habe ich Ihnen schon gesagt, daß
    ich den Berlinern, unter denselben Bedingungen eine Novelle schicken
    werde, Anfang May? Wenn sie nur nicht noch länger wird, als die
    vorige. Ich bin noch unentschieden, welche von den angefangenen ich
    vollende. Denn Sie glauben nicht, zu wie vielen Erzählungen dieser Art ich
    Stoff gesammelt habe, und ich fange in guten Stunden wohl diese u jene
    an, weil ich mir mit den ersten Worten und Seiten gleich den Ton ganz fest=
    stelle, aus welchem sie singen muß. Anfang, Mittel u Ende ist mir von
    je im̄er höchst wichtig gewesen: was dazwischen liegt ist schon leichter zu
    bezwingen.

    (Stempel: "Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz")

    Ich fürchte, meine hingeworfenen Gedanken über Mad. Macbeth
    sind auf jeden Fall für die Mad. Stich zu spät gekommen. Je nun, so
    heben Sie sie zum Andenken auf.4 Die ganze Macbeth Geschichte wird doch
    in Berlin nichts Sonderliches werden: und wohl nirgend nicht. Das Edle ist
    leider am Gemeinen schon längst untergegangen, und darum ist es auf
    der Bühne nicht mehr darzustellen.

    Leben Sie aber für heute wohl, Sie haben nun doch wenigstens ein
    Paar Zettel von mir, wenn auch keine Briefe erhalten. Ich fürchte, –
    Sie prakticiren alle Ihre Briefe aus dem Nachlaß wieder hinaus, die ich
    hinein praktizirt hatte? Nicht wahr, denn steh ich mit den meinigen
    blank und bloß unverschämt da? – Ich umarme Sie herzlichst, grüssen
    Sie Löbell von Herzen, so wie Ihre liebe Frau, u Ihre Kinder.

    Ihr Freund
    Lud. Tieck.

    Kommentare

    3 Vgl. Solgers Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, Bd. 1, S. 175-185.

    4 Vgl. den Kommentar zu S.1 dieses Briefes.

    Mein theuerster Freund,

    Diesmal benutze oder mißbrauche ich Sie nur zu allerhand Bestellungen. Vorerst beschwöre ich Sie, beikommende Rolle sogleich an Ihre Rosalie Wagner zu befördern, damit das gute Kind in Berlin und auf der Rückreise noch lernen kann: Sie wissen gewiß ihre Wohnung, wo nicht, sie ist Jägerstrasse, no. 42: beim Juwelier Gericke. – Und was sagen Sie, daß ich so aus der Art schlage, und einen Brief an Uechtritz, noch einen längern an Hering beilege, nachdem ich Ihnen neulich das Geschwätz über Lady Macbeth gesendet habe?1 – Ich bitte Sie, die Briefe zu befördern; ich lege sie offen bei, theils, des Couverts wegen, theils auch, damit Sie sie ansehn mögen, ob Sie sie zweckmässig finden: dann haben Sie wohl die Güte, sie zusammen zu legen, zu versiegeln, und die Aufschriften zu machen, oder machen zu lassen. Hering wird es bei dieser Empfindlichkeit und bei dem Bewußtsein seines Talentes nicht weit bringen. Nur Bettler wissen ihres Guts Betrag. (Julie)2 Er dauert mich, ich zweifle aber, daß ihm zu helfen steht. – Von allen Seiten höre ich, daß Holtei öffentlich ausschreit, wie sehr ich den Alexander lobe. Er kann unmöglich wissen und einsehn, wie ich es meine, und ich finde es unbescheiden von ihm: nebenher, so wie die Menge nun einmal ist, wird es dem jungen Dichter schaden, ja es kann dem glücklichen Erfolge der Aufführung in den Weg treten. Es ist empfindlich, immer mit solchem unnützen Geschrei zusammen zu treffen. – Haben Sie Kalkreuth gesehn, der schon seit einigen Wochen in Berlin ist? Der Beifall, den ich diesem Alexander schenken muß, wird mehr als einen jungen Poeten beleidigen. Was machen Sie? Jezt wird sehr bald der 2te Theil der dramaturgischen Blätter erscheinen, der viel Neues, vielleicht Unnützes enthält. – Wie ich mir oft dumm vorkomme, das wollen Sie nun einmal nicht glauben.

    Kommentare

    1 Im vorangehenden Brief hatte Tieck Raumer einige Anmerkungen zu Lady Macbeth für die Schauspielerin Auguste Stich mitgeschickt, ihn aber gebeten, diese nicht öffentlich werden zu lassen. Vgl. den Brief vom 6. Dezember 1825, S.2f. sowie den Kommentar zu S.2. Raumer publizierte den Text 1861 in den Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, S.191-196.

    2 Vgl. die sechste und letzte Szene des zweiten Aufzugs aus Romeo und Julia in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels (1797). Der erste Band der von Tieck und Schlegel gemeinsam herausgegebenen Shakespeare-Ausgabe erschien 1825, also in dem Jahr, aus dem der Brief stammt. Romeo und Julia erschien innerhalb dieser Ausgabe erneut 1833 im 9. und letzten Band.

    Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich 21 Bogen von Solgers Nachlaß erhalten habe? Aber zu meinem Erstaunen stehn die kleinen Aufsätze und die Correspondenz im Ersten Bande. Die kurze Ansicht der Wahlverwandschaften3 ist mehr rein philosophisch, als daß sie den Punkt träfe, oder wegräumte, über den wir uns verständigt haben. Es wäre auch gut gewesen, wenn die Erste Seite mit der kurzen Lebensbeschreibung anhöbe, die ich voran geschickt habe; da nachher doch immer, wie ich sehe, meine kleinen Zwischensätze eintreten. – Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich den Berlinern, unter denselben Bedingungen eine Novelle schicken werde, Anfang May? Wenn sie nur nicht noch länger wird, als die vorige. Ich bin noch unentschieden, welche von den angefangenen ich vollende. Denn Sie glauben nicht, zu wie vielen Erzählungen dieser Art ich Stoff gesammelt habe, und ich fange in guten Stunden wohl diese und jene an, weil ich mir mit den ersten Worten und Seiten gleich den Ton ganz feststelle, aus welchem sie singen muß. Anfang, Mittel und Ende ist mir von je immer höchst wichtig gewesen: was dazwischen liegt ist schon leichter zu bezwingen.

    Ich fürchte, meine hingeworfenen Gedanken über Madame Macbeth sind auf jeden Fall für die Madame Stich zu spät gekommen. Je nun, so heben Sie sie zum Andenken auf.4 Die ganze Macbeth Geschichte wird doch in Berlin nichts Sonderliches werden: und wohl nirgend nicht. Das Edle ist leider am Gemeinen schon längst untergegangen, und darum ist es auf der Bühne nicht mehr darzustellen.

    Leben Sie aber für heute wohl, Sie haben nun doch wenigstens ein Paar Zettel von mir, wenn auch keine Briefe erhalten. Ich fürchte, – Sie prakticiren alle Ihre Briefe aus dem Nachlaß wieder hinaus, die ich hinein praktizirt hatte? Nicht wahr, denn steh ich mit den meinigen blank und bloß unverschämt da? – Ich umarme Sie herzlichst, grüssen Sie Löbell von Herzen, so wie Ihre liebe Frau, und Ihre Kinder.

    Ihr Freund Lud. Tieck.

    Kommentare

    3 Vgl. Solgers Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, Bd. 1, S. 175-185.

    4 Vgl. den Kommentar zu S.1 dieses Briefes.