
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Bibliothek
Dresden den 21 Jan 1835.
Haben Sie den herzlichsten Dank für Ihren
schönen Brief, mein theuerster Freund. Ich
fürchtete immer es möchten unangenehme
Geschäfte schuld an Ihrem langen Schweigen
seyn, und kann Ihnen nicht sagen wie sehr
ich mich gefreut habe zu hören daß Ihr
Fleiß die einzige Ursach davon war. Ich
verspreche mir unendlich viel von Ihrem Ge=
dicht,1 und wünschte nur wir wären beisam=
men, um den Genuß daran zu theilen,
der für uns nun wohl noch auf lange hin=
aus geschoben seyn wird.
Gewiß wird es Sie erfreuen daß ich
Ihnen heut mit leichterem Herzen schreibe
als das letzte mal. Der Zustand meiner
Mutter hat sich doch etwas gebessert, ist
es auch nicht bedeutend so ist es doch ein
großer Trost, weil es bis dahin immer
schlimmer und schlimmer ging, und man
kann doch wieder Hoffnung und Muth fassen
1 Das dramatische Gedicht Die Babylonier in Jerusalem.
2Die Operationen3 waren immer schneller Ich kann Ihnen nicht beschrei=
aufeinander gefolgt, und die letzte nur
4 Wochen nach der vorigen. Seitdem sind
nun doch schon 6 Wochen vergangen, und
obgleich sie wohl schon wieder stark gewor=
den ist, fühlt sie sich doch noch nicht sehr
beschwert und es ist noch von keiner Ope=
ration die Rede, sie ist kürzlich zweimal
an den Beinen geschröpft worden, die
Wunden sind lange offen geblieben und
es hat sich viel Wasser dadurch entledigt,
dies findet Carus ein sehr gutes Zeichen
und hofft die Krankheit immer mehr da=
hin zu || lei||ten.
ben welche Rührung und Dankbarkeit mich
erfüllt für diese unverhoffte Gnade, ist
auch in ihrem Alter4 nicht die Aussicht für
eine vollkommne Heilung da, so kann
man doch jetzt hoffen daß das Uebel sich
mildert und sie lange dabei erhalten
wird. Der Vater ist bis auf etwas Schnupfen
und Husten5 immer wohl gewesen, er hat
2 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 192) folgt eine angezeigte Auslassung der nächsten zwei Sätze bis einschließlich „dahin zu leiten“.
3 Amalia Tieck hatte bereits mindestens vier Operationen überstanden; vgl. Briefe vom 30. September 1834, S. 1 (Bl. 1 recto) und 21. November 1834, S. 3 (Bl. 2 recto).
4 Amalia Tieck war zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt.
5 Bei Sybel: Erinnerungen steht „Husten und Schnupfen“.
fleißig gearbeitet, und zwei kleinere
Novellen geschrieben, die mit einigen der
alten bei Max gedruckt werden,6 wir haben
noch nichts davon gehört, da er die böse
Gewohnheit hat alle seine Sachen gleich ab=
zuschicken so wie sie fertig sind. Der Vater
ist unbeschreiblich gut und sorgsam für die
Mutter, und sucht alles für sie zu thun
was ihr ihr Leiden erleichtern kann; bei
ihr hat die Krankheit auch jedes Schroffe und
Heftige in ihrem Charakter gemildert,
7so ist plötzlich das Verhältnis wie verwan=
delt, und von dieser beständigen Bitter=
keit und uneinigkeit, die sich an jedem
Tage und bei jeder Gelegenheit äußerte
und mir so viele tausend Thränen ge=
kostet hat, ist fast keine Spur mehr.
So führt jedes Leiden seinen Seegen mit
sich, und ich genieße, bei aller Sorge die ich
doch fortwährend um die Mutter habe da=
bei eines äußern und innern Friedens
wie er mir nie zu Theil ward. Ich denke
6 Bei Josef Max erschien 1835 der erste Band der Gesammelten Novellen, die Novellen Der Wassermensch (als Erstdruck) und Der Mondsüchtige enthaltend. Der Erstdruck der ebenfalls neu entstandenen Novelle Weihnacht-Abend erfolgte in Band 2.
7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 192) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Satzes.
oft dies Glück ist zu groß, und kann des=
halb nicht dauern, es ist der letzte Glanz=
punkt meines Lebens, und es muß ein
großes Unglück oder ein schmerzlicher
Verlust darauf folgen.
Daß Sie keine Hoffnung auf Verbeßrung
Ihrer Umstände8 haben thut mir leid, erst
Ihretwegen, dann kann ich aber auch nicht
lassen dabei an mich zu denken. Wenn
es so steht werden Sie wohl das nächste Jahr
nicht kommen können, oder vielmehr dies
Jahr, und darauf hatte ich doch im stillen
gehofft, und es mir, seit ich wieder wa=
ge an die Zukunft zu denken, als eine
schöne Aussicht für den Herbst gedacht.9
So wie man den Kopf wieder etwas oben
hat kann man es doch nicht lassen mit
den Gedanken weit voraus zu gehen und
an Glück und Freude zu denken. Das Herz
hängt doch immer an dem Irdischen,
vielleicht soll man sich aber auch nicht ganz
davon los machen so lange man auf der
Erde lebt.
8 Uechtritz hatte im April 1833 eine Versetzung nach Cleve, mit der eine Gehaltserhöhung von 100 Talern einhergegangen wäre, abgelehnt; vgl. Brief von Uechtritz an seine Eltern vom 14. April 1833, in: Sybel: Erinnerungen, S. 135 f.
9 Uechtritz unternahm im Herbst 1835, vermutlich aus finanziellen Gründen, keine Reise nach Dresden.
10(Ich habe nicht gewußt daß der Vetter Stel=) Sie
zer jetzt in Düsseldorf ist, ich glaubte ihn
noch in Köln, Sie werden ihn wohl nicht viel
sehen, er schien mir immer ein gewöhnlicher
unbedeutender Mensch wie der Vater.
haben auf jeden Fall wohl daran gethan
nicht nach Elberfeld zu gehen,11 ich denke
mir Ihr Leben in Düsseldorf sehr angenehm
wie hübsch ist es daß man Ihnen zu Weih=
nachten eine Freude gemacht hat.12 Wir
haben dies Jahr gar keine Feier gehabt,
das erste Mal in unserm Leben, sonst ist
immer ein Baum ausgeschmückt worden
Wir leben sehr ruhig und darum besser
als sonst, den Abend kommen gewöhnlich
einige her und es wird nicht immer ge=
lesen. Eine unbeschreibliche Theilnahme
und Freundlichkeit zeigt sich uns von
allen Seiten, 13besonders auch von Petsch=
kens, die mir immer besser gefallen
je näher ich sie kennen lerne. Eine solche
Theilnahme hat doch etwas wohlthuendes,
10 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 193) folgt eine unmarkierte Auslassung des folgenden Satzes.
11 Vermutlich hatte Uechtritz auch einer Versetzung nach Elberfeld, wo er einen Herrn Brecht kannte (vgl. Sybel: Erinnerungen, S. 117.), nicht zugestimmt; s. o. Anmerkung zu S. 5.
12 Uechtritz erhielt zu Weihnachten 1834 eine Mappe mit Zeichnungen von Malern der Düsseldorfer Kunstakademie, wie Lessing, Schirmer, Schadow und Bendemann. Vgl. Brief von Uechtritz an seine Eltern vom 25. Dezember 1834, in: Sybel: Erinnerungen, S. 138.
13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 193) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes auf der folgenden Manuskriptseite.
besonders wenn man die Menschen früher)
so wenig aufgesucht hat. Neulich bekam
ich auch einen sehr schönen, herzlichen Brief
von Raumer.14 Ich gehe fast gar nicht aus
habe aber neulich die Buttlar und die Scholzens15
besucht und Ihre Grüße bestellt. Ich fand
sie alle wohl. (Ich habe diesen Winter fast
immer gekränkelt, das ganze Weihnachts=
fest hatte ich wieder so fürchterliche
Zahnschmerzen, daß ich einen Tag wirk=
lich glaubte ich würde davon sterben.
Nach Neujahr bekam ich wieder ein Schnupfen=
fieber was mich sehr angegriffen hat, erst
seit einigen Tagen habe ich wieder ein Ge=
fühl von Gesundheit.
Da ich jetzt mehr Gemüthsruhe und auch Zeit
habe fange ich meine gewohnten Beschäftigun=
gen wieder an. Ich habe die Promessi sposi
von Manzoni wieder gelesen und mit im̄er
neuem Vergnügen. In der Darstellung, Zeich=
nung der Charaktere und Gesinnung über=
trifft dies Buch fast jedes andre. Sie
14 Der Brief ist verschollen.
15 Vermutlich sind hier Henriette Scholtz und ihre Tochter Emma gemeint, die möglicherweise, wie ein Jahr zuvor, den Winter in Dresden verbrachten.
müssen es wirklich lesen, liebster Freund,
es ist unbegreiflich daß dies Buch nicht mehr
Aufsehen gemacht hat;16 aber es steht zu hoch für
diese Zeit und wird erst künftig die volle
Anerkennung finden. Immermanns Hofer
las mein Vater neulich einmal wieder vor,
er hat mir aber beim zweiten Lesen sehr
wenig gefallen. Es ist immer als wenn der
Hofer selbst seine Einfachheit mit einer
gewissen Eitelkeit zur Schau trüge. Bei
Im̄erman̄s Gedichten soll überhaupt immer
das Bewußtseyn mit dem jedes Wort ge=
schrieben ist und die Schärfe des Verstan=
des Poesie und Begeistrung ersetzen., und
bei dem Dichter muß doch alles mehr aus
der Ahndung hervor gehen. 17(Auch unter I.s) Neulich habe ich
Gedichten, die wir jetzt bekommen haben,
ist doch recht wenig Gutes.
ein indisches Gedicht gelesen von Rückert
übersetzt, Nal und Damajanti, es hat
viel Schönes und gefällt mir besser als
das18 was ich sonst wohl aus dem Indischen
16 Eine deutsche Übersetzung durch Tiecks Bekannten Eduard von Bülow war bereits 1828 erschienen.
17 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) folgt eine unmarkierte Auslassung des folgenden Satzes.
18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) fehlt „das“.
gelesen habe, es erinnert doch einigerma=
ßen an unsre Heldengedichte aus dem
Mittelalter, ich weiß freilich nicht wie viel
durch die Bearbeitung hinein gekommen
ist.
19Schreiben Sie mir bald wieder, mein theuer=
ster Freund, und möchten Sie doch so ge=
sund, heiter und fleißig bleiben wie bis=
her. Für mich ist es immer ein Festtag
wenn ich einen Brief von Ihnen bekom̄e
und höre daß es Ihnen wohl geht.
Die Eltern und Agnes tragen mir die
herzlichsten Grüße an Sie auf, und ich
bleibe mit herzlicher Liebe Ihre Freundin̄
Dorothea T.
19 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) folgt eine markierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
Dresden den 21 Januar 1835. Haben Sie den herzlichsten Dank für Ihren schönen Brief, mein theuerster Freund. Ich fürchtete immer es möchten unangenehme Geschäfte schuld an Ihrem langen Schweigen seyn, und kann Ihnen nicht sagen wie sehr ich mich gefreut habe zu hören daß Ihr Fleiß die einzige Ursach davon war. Ich verspreche mir unendlich viel von Ihrem Gedicht,1 und wünschte nur wir wären beisammen, um den Genuß daran zu theilen, der für uns nun wohl noch auf lange hinaus geschoben seyn wird.
Gewiß wird es Sie erfreuen daß ich Ihnen heut mit leichterem Herzen schreibe als das letzte mal. Der Zustand meiner Mutter hat sich doch etwas gebessert, ist es auch nicht bedeutend so ist es doch ein großer Trost, weil es bis dahin immer schlimmer und schlimmer ging, und man kann doch wieder Hoffnung und Muth fassen
1 Das dramatische Gedicht Die Babylonier in Jerusalem.
2Die Operationen3 waren immer schneller aufeinander gefolgt, und die letzte nur 4 Wochen nach der vorigen. Seitdem sind nun doch schon 6 Wochen vergangen, und obgleich sie wohl schon wieder stark geworden ist, fühlt sie sich doch noch nicht sehr beschwert und es ist noch von keiner Operation die Rede, sie ist kürzlich zweimal an den Beinen geschröpft worden, die Wunden sind lange offen geblieben und es hat sich viel Wasser dadurch entledigt, dies findet Carus ein sehr gutes Zeichen und hofft die Krankheit immer mehr dahin zu leiten. Ich kann Ihnen nicht beschreiben welche Rührung und Dankbarkeit mich erfüllt für diese unverhoffte Gnade, ist auch in ihrem Alter4 nicht die Aussicht für eine vollkommne Heilung da, so kann man doch jetzt hoffen daß das Uebel sich mildert und sie lange dabei erhalten wird. Der Vater ist bis auf etwas Schnupfen und Husten5 immer wohl gewesen, er hat
2 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 192) folgt eine angezeigte Auslassung der nächsten zwei Sätze bis einschließlich „dahin zu leiten“.
3 Amalia Tieck hatte bereits mindestens vier Operationen überstanden; vgl. Briefe vom 30. September 1834, S. 1 (Bl. 1 recto) und 21. November 1834, S. 3 (Bl. 2 recto).
4 Amalia Tieck war zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt.
5 Bei Sybel: Erinnerungen steht „Husten und Schnupfen“.
fleißig gearbeitet, und zwei kleinere Novellen geschrieben, die mit einigen der alten bei Max gedruckt werden,6 wir haben noch nichts davon gehört, da er die böse Gewohnheit hat alle seine Sachen gleich abzuschicken so wie sie fertig sind. Der Vater ist unbeschreiblich gut und sorgsam für die Mutter, und sucht alles für sie zu thun was ihr ihr Leiden erleichtern kann; bei ihr hat die Krankheit auch jedes Schroffe und Heftige in ihrem Charakter gemildert, 7so ist plötzlich das Verhältnis wie verwandelt, und von dieser beständigen Bitterkeit und uneinigkeit, die sich an jedem Tage und bei jeder Gelegenheit äußerte und mir so viele tausend Thränen gekostet hat, ist fast keine Spur mehr. So führt jedes Leiden seinen Seegen mit sich, und ich genieße, bei aller Sorge die ich doch fortwährend um die Mutter habe dabei eines äußern und innern Friedens wie er mir nie zu Theil ward. Ich denke
6 Bei Josef Max erschien 1835 der erste Band der Gesammelten Novellen, die Novellen Der Wassermensch (als Erstdruck) und Der Mondsüchtige enthaltend. Der Erstdruck der ebenfalls neu entstandenen Novelle Weihnacht-Abend erfolgte in Band 2.
7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 192) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Satzes.
oft dies Glück ist zu groß, und kann deshalb nicht dauern, es ist der letzte Glanzpunkt meines Lebens, und es muß ein großes Unglück oder ein schmerzlicher Verlust darauf folgen.
Daß Sie keine Hoffnung auf Verbeßrung Ihrer Umstände8 haben thut mir leid, erst Ihretwegen, dann kann ich aber auch nicht lassen dabei an mich zu denken. Wenn es so steht werden Sie wohl das nächste Jahr nicht kommen können, oder vielmehr dies Jahr, und darauf hatte ich doch im stillen gehofft, und es mir, seit ich wieder wage an die Zukunft zu denken, als eine schöne Aussicht für den Herbst gedacht.9 So wie man den Kopf wieder etwas oben hat kann man es doch nicht lassen mit den Gedanken weit voraus zu gehen und an Glück und Freude zu denken. Das Herz hängt doch immer an dem Irdischen, vielleicht soll man sich aber auch nicht ganz davon los machen so lange man auf der Erde lebt.
8 Uechtritz hatte im April 1833 eine Versetzung nach Cleve, mit der eine Gehaltserhöhung von 100 Talern einhergegangen wäre, abgelehnt; vgl. Brief von Uechtritz an seine Eltern vom 14. April 1833, in: Sybel: Erinnerungen, S. 135 f.
9 Uechtritz unternahm im Herbst 1835, vermutlich aus finanziellen Gründen, keine Reise nach Dresden.
10Ich habe nicht gewußt daß der Vetter Stelzer jetzt in Düsseldorf ist, ich glaubte ihn noch in Köln, Sie werden ihn wohl nicht viel sehen, er schien mir immer ein gewöhnlicher unbedeutender Mensch wie der Vater. Sie haben auf jeden Fall wohl daran gethan nicht nach Elberfeld zu gehen,11 ich denke mir Ihr Leben in Düsseldorf sehr angenehm wie hübsch ist es daß man Ihnen zu Weihnachten eine Freude gemacht hat.12 Wir haben dies Jahr gar keine Feier gehabt, das erste Mal in unserm Leben, sonst ist immer ein Baum ausgeschmückt worden Wir leben sehr ruhig und darum besser als sonst, den Abend kommen gewöhnlich einige her und es wird nicht immer gelesen. Eine unbeschreibliche Theilnahme und Freundlichkeit zeigt sich uns von allen Seiten, 13besonders auch von Petschkens, die mir immer besser gefallen je näher ich sie kennen lerne. Eine solche Theilnahme hat doch etwas wohlthuendes,
10 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 193) folgt eine unmarkierte Auslassung des folgenden Satzes.
11 Vermutlich hatte Uechtritz auch einer Versetzung nach Elberfeld, wo er einen Herrn Brecht kannte (vgl. Sybel: Erinnerungen, S. 117.), nicht zugestimmt; s. o. Anmerkung zu S. 5.
12 Uechtritz erhielt zu Weihnachten 1834 eine Mappe mit Zeichnungen von Malern der Düsseldorfer Kunstakademie, wie Lessing, Schirmer, Schadow und Bendemann. Vgl. Brief von Uechtritz an seine Eltern vom 25. Dezember 1834, in: Sybel: Erinnerungen, S. 138.
13 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 193) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes auf der folgenden Manuskriptseite.
besonders wenn man die Menschen früher so wenig aufgesucht hat. Neulich bekam ich auch einen sehr schönen, herzlichen Brief von Raumer.14 Ich gehe fast gar nicht aus habe aber neulich die Buttlar und die Scholzens15 besucht und Ihre Grüße bestellt. Ich fand sie alle wohl. Ich habe diesen Winter fast immer gekränkelt, das ganze Weihnachtsfest hatte ich wieder so fürchterliche Zahnschmerzen, daß ich einen Tag wirklich glaubte ich würde davon sterben. Nach Neujahr bekam ich wieder ein Schnupfenfieber was mich sehr angegriffen hat, erst seit einigen Tagen habe ich wieder ein Gefühl von Gesundheit.
Da ich jetzt mehr Gemüthsruhe und auch Zeit habe fange ich meine gewohnten Beschäftigungen wieder an. Ich habe die Promessi sposi von Manzoni wieder gelesen und mit immer neuem Vergnügen. In der Darstellung, Zeichnung der Charaktere und Gesinnung übertrifft dies Buch fast jedes andre. Sie
14 Der Brief ist verschollen.
15 Vermutlich sind hier Henriette Scholtz und ihre Tochter Emma gemeint, die möglicherweise, wie ein Jahr zuvor, den Winter in Dresden verbrachten.
müssen es wirklich lesen, liebster Freund, es ist unbegreiflich daß dies Buch nicht mehr Aufsehen gemacht hat;16 aber es steht zu hoch für diese Zeit und wird erst künftig die volle Anerkennung finden. Immermanns Hofer las mein Vater neulich einmal wieder vor, er hat mir aber beim zweiten Lesen sehr wenig gefallen. Es ist immer als wenn der Hofer selbst seine Einfachheit mit einer gewissen Eitelkeit zur Schau trüge. Bei Immermanns Gedichten soll überhaupt immer das Bewußtseyn mit dem jedes Wort geschrieben ist und die Schärfe des Verstandes Poesie und Begeistrung ersetzen, und bei dem Dichter muß doch alles mehr aus der Ahndung hervor gehen. 17Auch unter Immermanns Gedichten, die wir jetzt bekommen haben, ist doch recht wenig Gutes. Neulich habe ich ein indisches Gedicht gelesen von Rückert übersetzt, Nal und Damajanti, es hat viel Schönes und gefällt mir besser als das18 was ich sonst wohl aus dem Indischen
16 Eine deutsche Übersetzung durch Tiecks Bekannten Eduard von Bülow war bereits 1828 erschienen.
17 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) folgt eine unmarkierte Auslassung des folgenden Satzes.
18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) fehlt „das“.
gelesen habe, es erinnert doch einigermaßen an unsre Heldengedichte aus dem Mittelalter, ich weiß freilich nicht wie viel durch die Bearbeitung hinein gekommen ist.
19Schreiben Sie mir bald wieder, mein theuerster Freund, und möchten Sie doch so gesund, heiter und fleißig bleiben wie bisher. Für mich ist es immer ein Festtag wenn ich einen Brief von Ihnen bekomme und höre daß es Ihnen wohl geht.
Die Eltern und Agnes tragen mir die herzlichsten Grüße an Sie auf, und ich bleibe mit herzlicher Liebe Ihre Freundinn Dorothea Tieck
19 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 194) folgt eine markierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.