Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Dresden, 10. April 1835)

 

 

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    — — — — — — —

    Recht lange, theuerster Freund, haben Sie
    uns diesmal auf Nachricht warten lassen;

    doch finde ich es sehr natürlich daß Sie während
    Ihrer poetischen Arbeiten1 keine Lust zum
    Briefe schreiben haben, nur kann man sich
    nicht immer der Besorgniß erwehren ob
    nicht Krankheit das Schweigen veranlasst.
    Ich freue mich sehr daß es Ihnen wohl geht
    und daß Sie fleißig sind. Auch bei uns geht
    es ja, Gott sey Dank, mit der Besserung2
    vorwärts, obwohl sehr langsam. Carus ist
    zufrieden und die Kräfte haben sich doch
    auch seit Monathen sehr gebessert, wir
    fahren und gehen nun schon an schönen
    Tagen etwas aus und wenn es erst so
    ist daß die Mutter fast den ganzen Tag
    im Freien seyn kann wird sie sich wohl
    noch mehr erholen. Dazu haben wir ein so=
    genanntes Sommerplaisir3 in einem
    schönen großen Garten gemiethet, der

    Kommentare

    1 Uechtritz arbeitete am Abschluss der Babylonier.

    2 Dorotheas Mutter, Amalia Tieck, litt seit gut einem Jahr an Unterleibsbeschwerden und Wasseransammlung in den Beinen.

    3 Vermutlich ist die Geißblattlaube gemeint, von der Dorothea bereits im Brief vom 20. Juni 1834, S. 3 f. (Bl. 2 recto f.) berichtete.

    auf das Feld hinaus geht, und wo die Luft
    so frei und rein ist wie auf dem Lande.
    Um dort zu schlafen ist es nicht, das wäre
    auch zu unbequem für die Wirthschaft,
    es ist aber nicht weit von uns und so kan̄
    man leicht jeden Morgen hinaus gehen.

    Daß Sie davon sprachen den Som̄er her
    zu kommen4 wie von einer ausgemachten
    Sache bekglückt uns alle sehr, tdann kön̄en
    wir wieder einer schönen Zeit entgegen
    sehen. Man kann es doch nie lassen zu
    hoffen und an die Zukunft zu denken,
    so bald es einem nur ein wenig besser
    geht; und doch habe ich jetzt eine recht
    melancholische Zeit, zum Theil ist es wohl
    körperlich, denn ich habe fast unaufhör=
    lich so an Zahnweh gelitten daß ich es
    kaum aushalten konnte, es kommt bei
    mir wohl großentheils von den Nerven
    darum sehe ich auch, so wie es vorbei ist
    wieder wohl aus, fühle mich aber ange=
    griffener als nach einer wirklichen

    Kommentare

    4 Uechtritz unternahm 1835 keine Reise nach Dresden.

    Krankheit, und besonders Kopf und Ge=
    dächtniß so schwach daß mir jede Beschäf=
    tigung und jeder Brief sehr schwer wird.
    Auch |wenn ich daran denke wie stark,
    kräftig und blühend die Mutter vor einem
    Jahre noch war und sie jetzt anseh, geht
    es mir immer durch die Seele; und doch
    sind, seit sie krank ist aus unsrer Be=
    kanntschaft schon viele gestorben die
    kräftig und gesund waren. Es ist wohl
    eine ganz besondre Wohlthat Gottes daß
    wir eigentlich nichts auf dieser Welt un=
    ser nennen können, dadurch wird es mit
    jedem Tage von neuem ein liebreiches
    Geschenk des him̄lischen Vaters, das ver=
    gessen wir aber nur gar zu leicht und
    bilden uns ein wir hätten ein Recht
    daran. Der christliche Glaube verschmelzt
    Schmerz und Freude so in eins, daß
    sie gar nicht mehr zu sondern sind

    Vor kurzem hat mein Vater wieder die
    Rosamunde und den Alexander vor=

    gelesen, wir hören immer diese schönen
    Gedichte mit neuem Vergnügen und sie
    verfehlen nie ihre Wirkung auch bei den
    verschiedenartigsten Zuhörern. Ich kan̄
    nicht sagen wie begierig ich auf die Chal=
    däer
    5 bin, die bringen sie doch auf jeden
    Fall mit wenn Sie kommen.

    Was Sie mir über Manzoni schreiben6 ist
    außerordentlich schön und spricht ganz
    mein Gefühl aus,7 daß dies Buch nicht
    mehr Aufsehen gemacht reicht hin um uns=
    re Zeit nicht für eine erleuchtete zu
    halten. Was sagen Sie zu dem Buch8
    von der verrückten Bettina Arnim?
    Baudissin hat uns neulich einen Abend
    Bruchstücke daraus vorgelesen, und ich
    glaube nicht daß je eine ähnliche Frech=
    heit da gewesen ist, denn aus der Un=
    richtigkeit der Daten ergiebt sich daß
    die meisten ihrer Briefe erst jetzt ge=
    schmieret sind, wenigstens in der Gestalt
    wie wir sie sehen, und so klein und un=

    Kommentare

    5 Uechtritz begann die Babylonier in Jerusalem unter dem Titel „Die Chaldäer in Jerusalem“. Vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 90.

    6 Vgl. Dorotheas Urteil über Manzoni im Brief vom 21. Januar 1835, S. 6 f. (Bl. 3 verso f.).

    7 In einem Brief an seinen Vater vom 30. März 1835 schreibt Uechtritz: „[…] der Roman die Verlobten, von Manzoni, […] ist eines der edelsten Bücher, die je geschrieben worden.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 140.)

    8 Bettina von Arnims teilfiktiver und selbstinszenierender Briefroman Goethes Briefwechsel mit einem Kinde war 1835 in 3 Bänden erschienen und hatte für allgemeines Aufsehen gesorgt.

    bedeutend die von Goethe auch sind so scheint
    mir doch auch darin vieles verfälscht.
    Meines Vaters Ausspruch darüber war sehr
    einfach, denn erstlich meinte er in dem
    Titel: Goethes Briefwechsel mit einem
    Kinde
    , solle man das K. in ein R. ver=
    wandeln, und am Schluß sagte er mit
    einem tiefen Seufzer: Ja, man erlebt
    doch mitunter etwas Viehisches! Dergleichen
    Kraftausdrücke scheinen mir die beßte
    Kritik, denn es ist eigentlich zu nichts=
    würdig um ernsthaft darüber zu sprechen

    Ihre Grüße an die Buttlar und Scholz habe
    ich bestellt, letztere läßt Ihnen sagen:
    Es gebe Freunde sehr verschiedner Art,
    sie habe einen der sogar aus [Trir] schrie=
    be. Beide Scholzens sind doch im innersten
    Grunde sehr gut, und wenn man ihnen
    auch zuweilen böse seyn kann, man ge=
    winnt sie doch immer wieder lieb, auch
    können sie aAufrichtigkeit vertragen,
    und das ist für mich ein großer Vortheil

    weil ich sehr gern aufrichtig bin. Ich habe
    alle Bekannten diesen Winter wenig ge=
    sehen, die Pflege der Mutter so wie mei=
    ne eigne Kränklichkeit hat mich sehr an
    das Haus gefesselt.

    Ich muß schließen, mein theuerster
    Freund, denn das Schreiben greift mich
    zu sehr an. Verzeihen Sie meine Krähen=
    füße.
    Tausend Grüße von den Meinigen
    und von Ihrer Dorothea T.

    Recht lange, theuerster Freund, haben Sie uns diesmal auf Nachricht warten lassen; doch finde ich es sehr natürlich daß Sie während Ihrer poetischen Arbeiten1 keine Lust zum Briefe schreiben haben, nur kann man sich nicht immer der Besorgniß erwehren ob nicht Krankheit das Schweigen veranlasst. Ich freue mich sehr daß es Ihnen wohl geht und daß Sie fleißig sind. Auch bei uns geht es ja, Gott sey Dank, mit der Besserung2 vorwärts, obwohl sehr langsam. Carus ist zufrieden und die Kräfte haben sich doch auch seit Monathen sehr gebessert, wir fahren und gehen nun schon an schönen Tagen etwas aus und wenn es erst so ist daß die Mutter fast den ganzen Tag im Freien seyn kann wird sie sich wohl noch mehr erholen. Dazu haben wir ein sogenanntes Sommerplaisir3 in einem schönen großen Garten gemiethet, der

    Kommentare

    1 Uechtritz arbeitete am Abschluss der Babylonier.

    2 Dorotheas Mutter, Amalia Tieck, litt seit gut einem Jahr an Unterleibsbeschwerden und Wasseransammlung in den Beinen.

    3 Vermutlich ist die Geißblattlaube gemeint, von der Dorothea bereits im Brief vom 20. Juni 1834, S. 3 f. (Bl. 2 recto f.) berichtete.

    auf das Feld hinaus geht, und wo die Luft so frei und rein ist wie auf dem Lande. Um dort zu schlafen ist es nicht, das wäre auch zu unbequem für die Wirthschaft, es ist aber nicht weit von uns und so kann man leicht jeden Morgen hinaus gehen.

    Daß Sie davon sprachen den Sommer her zu kommen4 wie von einer ausgemachten Sache beglückt uns alle sehr, dann können wir wieder einer schönen Zeit entgegen sehen. Man kann es doch nie lassen zu hoffen und an die Zukunft zu denken, so bald es einem nur ein wenig besser geht; und doch habe ich jetzt eine recht melancholische Zeit, zum Theil ist es wohl körperlich, denn ich habe fast unaufhörlich so an Zahnweh gelitten daß ich es kaum aushalten konnte, es kommt bei mir wohl großentheils von den Nerven darum sehe ich auch, so wie es vorbei ist wieder wohl aus, fühle mich aber angegriffener als nach einer wirklichen

    Kommentare

    4 Uechtritz unternahm 1835 keine Reise nach Dresden.

    Krankheit, und besonders Kopf und Gedächtniß so schwach daß mir jede Beschäftigung und jeder Brief sehr schwer wird. Auch wenn ich daran denke wie stark, kräftig und blühend die Mutter vor einem Jahre noch war und sie jetzt anseh, geht es mir immer durch die Seele; und doch sind, seit sie krank ist aus unsrer Bekanntschaft schon viele gestorben die kräftig und gesund waren. Es ist wohl eine ganz besondre Wohlthat Gottes daß wir eigentlich nichts auf dieser Welt unser nennen können, dadurch wird es mit jedem Tage von neuem ein liebreiches Geschenk des himmlischen Vaters, das vergessen wir aber nur gar zu leicht und bilden uns ein wir hätten ein Recht daran. Der christliche Glaube verschmelzt Schmerz und Freude so in eins, daß sie gar nicht mehr zu sondern sind

    Vor kurzem hat mein Vater wieder die Rosamunde und den Alexander vor=

    gelesen, wir hören immer diese schönen Gedichte mit neuem Vergnügen und sie verfehlen nie ihre Wirkung auch bei den verschiedenartigsten Zuhörern. Ich kann nicht sagen wie begierig ich auf die Chaldäer5 bin, die bringen sie doch auf jeden Fall mit wenn Sie kommen.

    Was Sie mir über Manzoni schreiben6 ist außerordentlich schön und spricht ganz mein Gefühl aus,7 daß dies Buch nicht mehr Aufsehen gemacht reicht hin um unsre Zeit nicht für eine erleuchtete zu halten. Was sagen Sie zu dem Buch8 von der verrückten Bettina Arnim? Baudissin hat uns neulich einen Abend Bruchstücke daraus vorgelesen, und ich glaube nicht daß je eine ähnliche Frechheit da gewesen ist, denn aus der Unrichtigkeit der Daten ergiebt sich daß die meisten ihrer Briefe erst jetzt geschmieret sind, wenigstens in der Gestalt wie wir sie sehen, und so klein und un=

    Kommentare

    5 Uechtritz begann die Babylonier in Jerusalem unter dem Titel „Die Chaldäer in Jerusalem“. Vgl. Steitz: Friedrich von Uechtritz als dramatischer Dichter, S. 90.

    6 Vgl. Dorotheas Urteil über Manzoni im Brief vom 21. Januar 1835, S. 6 f. (Bl. 3 verso f.).

    7 In einem Brief an seinen Vater vom 30. März 1835 schreibt Uechtritz: „[…] der Roman die Verlobten, von Manzoni, […] ist eines der edelsten Bücher, die je geschrieben worden.“ (Sybel: Erinnerungen, S. 140.)

    8 Bettina von Arnims teilfiktiver und selbstinszenierender Briefroman Goethes Briefwechsel mit einem Kinde war 1835 in 3 Bänden erschienen und hatte für allgemeines Aufsehen gesorgt.

    bedeutend die von Goethe auch sind so scheint mir doch auch darin vieles verfälscht. Meines Vaters Ausspruch darüber war sehr einfach, denn erstlich meinte er in dem Titel: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, solle man das K. in ein R. verwandeln, und am Schluß sagte er mit einem tiefen Seufzer: Ja, man erlebt doch mitunter etwas Viehisches! Dergleichen Kraftausdrücke scheinen mir die beßte Kritik, denn es ist eigentlich zu nichtswürdig um ernsthaft darüber zu sprechen

    Ihre Grüße an die Buttlar und Scholz habe ich bestellt, letztere läßt Ihnen sagen: Es gebe Freunde sehr verschiedner Art, sie habe einen der sogar aus [Trir] schriebe. Beide Scholzens sind doch im innersten Grunde sehr gut, und wenn man ihnen auch zuweilen böse seyn kann, man gewinnt sie doch immer wieder lieb, auch können sie Aufrichtigkeit vertragen, und das ist für mich ein großer Vortheil

    weil ich sehr gern aufrichtig bin. Ich habe alle Bekannten diesen Winter wenig gesehen, die Pflege der Mutter so wie meine eigne Kränklichkeit hat mich sehr an das Haus gefesselt.

    Ich muß schließen, mein theuerster Freund, denn das Schreiben greift mich zu sehr an. Verzeihen Sie meine Krähenfüße. Tausend Grüße von den Meinigen und von Ihrer Dorothea Tieck