Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Fragment) (ohne Ort, ohne Datum)

 

 

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    1836 21

    1Ich sitze jetzt fast den ganzen Tag oben
    in meiner Stube und arbeite sehr fleißig an
    meiner Uebersetzung,2 mit der ich gern im No=
    vember
    fertig werden wollte. Abends lesen
    wir einen Roman, den meine verstorbene
    Tante, die Schwester meines Vaters, kurz vor
    ihrem Tode3 geschrieben hat, und den mein Vater
    jetzt, mit einem Vorwort begleitet heraus
    gegeben hat: er heißt Evremont und der erste
    Band
    gefiel mir ganz außerordentlich so
    daß ich in Versuchung gerieth ihn den Epigonen
    vorzuziehen, im zweiten Band ist aber ein sehr
    bedeutender Abfall und auch der dritte und
    letzte Band, den wir nun angefangen haben,
    scheint sich nicht wieder zu heben. Lesen sie doch
    das Buch, es ist immer der Mühe werth. X 4Wie
    mein Vater eigentlich darüber denkt weiß
    ich nicht, da er, wie gesagt,5 nicht zu Wor[te] ko[m̄t]
    und ich auch hierüber nur das Urtheil der Grä=
    finn
    höre. X

    Zu meinem Kummer muß ich gestehen daß
    mir die letzte Novelle6 meines Vaters, die wir
    erst kennen lernten seit er zurück gekom̄en7
    ist, nicht sehr gefällt, ich glaube aus der Anlage
    hätte sich mehr machen lassen, und sie mag wohl
    wieder zu flüchtig gearbeitet seyn, er schrieb
    sie indem er oft gestört und unterbrochen
    ward, und mußte sie gerade zu der Zeit
    schreiben, um sich dadurch das Geld zu der un=
    glücklichen8 Reise zu erwerben. Ich gestehe daß
    ich wünschte Novelle und Reise wären unterblie=
    ben. 9Die Klausenburg dagegen gefällt mir
    bei öfterem Lesen recht gut, und es thut mir
    leid daß Sie sie noch nicht kennen, wir hätten Sie
    ihnen aber doch nicht gut mit geben können

    Kommentare

    1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten und fehlt auch bei Sybel: Erinnerungen.

    2 Die anonyme Übersetzung von Cervantes' Leiden des Persiles und der Sigismunda erschien 1837 in 2 Bänden, mit einem Vorwort von Ludwig Tieck begleitet.

    3 Sophie von Knorring (geb. Tieck, gesch. Bernhardi) starb am 1. Oktober 1833. Den Roman Evremont hatte sie 1830 fertiggestellt.

    4 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    5 „Wie gesagt“ verweist vermutlich auf den fehlenden Anfangsteil des Briefs.

    6 Vermutlich ist die Novelle Wunderlichkeiten gemeint.

    7 Tieck und die Gräfin Finckenstein kehrten Ende September 1836 aus Baden-Baden zurück.

    8 Auf der Fahrt nach Baden-Baden erlitt Tieck einen schweren Unfall, bei dem die Kutsche gegen eine Mauer geschleudert wurde. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf und Nacken zu, die eine leichte Schrägstellung des Kopfes zur Folge hatten. (Vgl. Köpke: Ludwig Tieck, S. 91.)

    9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    da wir nur ein Exemplar haben und Vater
    sie wenige Tage nach seiner Rückkehr vorlas.

    Wir hatten noch herrliches Wetter und ich
    hoffe Sie haben es in Schlesien10 recht genossen
    ich habe dabei oft an Sie gedacht, was ich über=
    haupt sehr häufig thue. Ueber alles was mir
    wichtig ist möchte ich immer gern mit Ihnen
    sprechen, 11mein liebster und einziger Freund, X
    und das Zusammenseyn mit Ihnen beglückt
    mich doppelt da ich diese Freude mit meinem
    Vater nie haben kann, den so viele Vorurthei=
    le von mir trennen und wirklich oft ungerecht
    gegen mich machen. X Der Umgang mit der Lütti=
    chau
    gewährt mir viele Freude, macht mir aber
    auch manche trübe Stunde, wie ich Ihnen auch
    sagte. Doch mit Ihnen fühle ich mich so ganz frei
    und ungestört, und die Aussicht Sie erst in zwei
    Jahren12 wieder zu sehen ist mir deshalb ein sehr
    betrübender Gedanke. Doch Alles muß ja
    so gut seyn wie es ist.

    Aus Berlin13 werden Sie mir wohl nicht schreiben
    wenn Sie aber erst in Düsseldorf sind hoffe ich
    recht bald Nachricht von Ihnen zu erhalten. Mei=
    nem Vater that es sehr leid sie verfehlt zu
    haben und er fragte mich noch, ob ich Ihnen
    auch gesagt hätte, wie außerordentlich er mit
    Ihren Babyloniern zufrieden sey.

    14Vater Mutter und Schwester grüßen herzlich
    Grüßen Sie doch Scholzens15 von mir und sagen Sie
    Ihnen ich freue mich darauf wenn sie künftigen
    Sommer her kämen. Leben Sie wohl und er=
    innern Sie sich zuweilen

    Ihrer treuen Freundinn
    Dorothea.

    Kommentare

    10 Uechtritz fuhr, nachdem er in Dresden gewesen war, nach Heidersdorf zu seinen Eltern und anschließend nach Berlin.

    11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    12 Uechtritz und Dorothea Tieck sahen sich bereits 1837 anlässlich seiner Hochzeit wieder.

    13 Uechtritz reiste von Niederschlesien über Berlin nach Düsseldorf.

    14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.

    15 Henriette Scholtz und deren Tochter Emma, die Uechtritz in Berlin besuchte.

    1Ich sitze jetzt fast den ganzen Tag oben in meiner Stube und arbeite sehr fleißig an meiner Uebersetzung,2 mit der ich gern im November fertig werden wollte. Abends lesen wir einen Roman, den meine verstorbene Tante, die Schwester meines Vaters, kurz vor ihrem Tode3 geschrieben, und den mein Vater jetzt, mit einem Vorwort begleitet heraus gegeben hat: er heißt Evremont und der erste Band gefiel mir ganz außerordentlich so daß ich in Versuchung gerieth ihn den Epigonen vorzuziehen, im zweiten Band ist aber ein sehr bedeutender Abfall und auch der dritte und letzte Band, den wir nun angefangen haben, scheint sich nicht wieder zu heben. Lesen sie doch das Buch, es ist immer der Mühe werth. 4Wie mein Vater eigentlich darüber denkt weiß ich nicht, da er, wie gesagt,5 nicht zu Wor[te] ko[mmt] und ich auch hierüber nur das Urtheil der Gräfinn höre.

    Zu meinem Kummer muß ich gestehen daß mir die letzte Novelle6 meines Vaters, die wir erst kennen lernten seit er zurück gekommen7 ist, nicht sehr gefällt, ich glaube aus der Anlage hätte sich mehr machen lassen, und sie mag wohl wieder zu flüchtig gearbeitet seyn, er schrieb sie indem er oft gestört und unterbrochen ward, und mußte sie gerade zu der Zeit schreiben, um sich dadurch das Geld zu der unglücklichen8 Reise zu erwerben. Ich gestehe daß ich wünschte Novelle und Reise wären unterblieben. 9Die Klausenburg dagegen gefällt mir bei öfterem Lesen recht gut, und es thut mir leid daß Sie sie noch nicht kennen, wir hätten Sie ihnen aber doch nicht gut mit geben können

    Kommentare

    1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten und fehlt auch bei Sybel: Erinnerungen.

    2 Die anonyme Übersetzung von Cervantes' Leiden des Persiles und der Sigismunda erschien 1837 in 2 Bänden, mit einem Vorwort von Ludwig Tieck begleitet.

    3 Sophie von Knorring (geb. Tieck, gesch. Bernhardi) starb am 1. Oktober 1833. Den Roman Evremont hatte sie 1830 fertiggestellt.

    4 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    5 „Wie gesagt“ verweist vermutlich auf den fehlenden Anfangsteil des Briefs.

    6 Vermutlich ist die Novelle Wunderlichkeiten gemeint.

    7 Tieck und die Gräfin Finckenstein kehrten Ende September 1836 aus Baden-Baden zurück.

    8 Auf der Fahrt nach Baden-Baden erlitt Tieck einen schweren Unfall, bei dem die Kutsche gegen eine Mauer geschleudert wurde. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf und Nacken zu, die eine leichte Schrägstellung des Kopfes zur Folge hatten. (Vgl. Köpke: Ludwig Tieck, S. 91.)

    9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    da wir nur ein Exemplar haben und Vater sie wenige Tage nach seiner Rückkehr vorlas.

    Wir hatten noch herrliches Wetter und ich hoffe Sie haben es in Schlesien10 recht genossen ich habe dabei oft an Sie gedacht, was ich überhaupt sehr häufig thue. Ueber alles was mir wichtig ist möchte ich immer gern mit Ihnen sprechen, 11mein liebster und einziger Freund, und das Zusammenseyn mit Ihnen beglückt mich doppelt da ich diese Freude mit meinem Vater nie haben kann, den so viele Vorurtheile von mir trennen und wirklich oft ungerecht gegen mich machen. Der Umgang mit der Lüttichau gewährt mir viele Freude, macht mir aber auch manche trübe Stunde, wie ich Ihnen auch sagte. Doch mit Ihnen fühle ich mich so ganz frei und ungestört, und die Aussicht Sie erst in zwei Jahren12 wieder zu sehen ist mir deshalb ein sehr betrübender Gedanke. Doch Alles muß ja so gut seyn wie es ist.

    Aus Berlin13 werden Sie mir wohl nicht schreiben wenn Sie aber erst in Düsseldorf sind hoffe ich recht bald Nachricht von Ihnen zu erhalten. Meinem Vater that es sehr leid sie verfehlt zu haben und er fragte mich noch, ob ich Ihnen auch gesagt hätte, wie außerordentlich er mit Ihren Babyloniern zufrieden sey.

    14Vater Mutter und Schwester grüßen herzlich Grüßen Sie doch Scholzens15 von mir und sagen Sie Ihnen ich freue mich darauf wenn sie künftigen Sommer her kämen. Leben Sie wohl und erinnern Sie sich zuweilen Ihrer treuen Freundinn Dorothea.

    Kommentare

    10 Uechtritz fuhr, nachdem er in Dresden gewesen war, nach Heidersdorf zu seinen Eltern und anschließend nach Berlin.

    11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.

    12 Uechtritz und Dorothea Tieck sahen sich bereits 1837 anlässlich seiner Hochzeit wieder.

    13 Uechtritz reiste von Niederschlesien über Berlin nach Düsseldorf.

    14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.

    15 Henriette Scholtz und deren Tochter Emma, die Uechtritz in Berlin besuchte.