
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
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1Ich sitze jetzt fast den ganzen Tag oben
in meiner Stube und arbeite sehr fleißig an
meiner Uebersetzung,2 mit der ich gern im No=
vember fertig werden wollte. Abends lesen
wir einen Roman, den meine verstorbene
Tante, die Schwester meines Vaters, kurz vor
ihrem Tode3 geschrieben hat, und den mein Vater
jetzt, mit einem Vorwort begleitet heraus
gegeben hat: er heißt Evremont und der erste
Band gefiel mir ganz außerordentlich so
daß ich in Versuchung gerieth ihn den Epigonen
vorzuziehen, im zweiten Band ist aber ein sehr
bedeutender Abfall und auch der dritte und
letzte Band, den wir nun angefangen haben,
scheint sich nicht wieder zu heben. Lesen sie doch
das Buch, es ist immer der Mühe werth. X 4Wie
mein Vater eigentlich darüber denkt weiß
ich nicht, da er, wie gesagt,5 nicht zu Wor[te] ko[m̄t]
und ich auch hierüber nur das Urtheil der Grä=
finn höre. X
Zu meinem Kummer muß ich gestehen daß
mir die letzte Novelle6 meines Vaters, die wir
erst kennen lernten seit er zurück gekom̄en7
ist, nicht sehr gefällt, ich glaube aus der Anlage
hätte sich mehr machen lassen, und sie mag wohl
wieder zu flüchtig gearbeitet seyn, er schrieb
sie indem er oft gestört und unterbrochen
ward, und mußte sie gerade zu der Zeit
schreiben, um sich dadurch das Geld zu der un=
glücklichen8 Reise zu erwerben. Ich gestehe daß
ich wünschte Novelle und Reise wären unterblie=
ben. 9Die Klausenburg dagegen gefällt mir
bei öfterem Lesen recht gut, und es thut mir
leid daß Sie sie noch nicht kennen, wir hätten Sie
ihnen aber doch nicht gut mit geben können
1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten und fehlt auch bei Sybel: Erinnerungen.
2 Die anonyme Übersetzung von Cervantes' Leiden des Persiles und der Sigismunda erschien 1837 in 2 Bänden, mit einem Vorwort von Ludwig Tieck begleitet.
3 Sophie von Knorring (geb. Tieck, gesch. Bernhardi) starb am 1. Oktober 1833. Den Roman Evremont hatte sie 1830 fertiggestellt.
4 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
5 „Wie gesagt“ verweist vermutlich auf den fehlenden Anfangsteil des Briefs.
6 Vermutlich ist die Novelle Wunderlichkeiten gemeint.
7 Tieck und die Gräfin Finckenstein kehrten Ende September 1836 aus Baden-Baden zurück.
8 Auf der Fahrt nach Baden-Baden erlitt Tieck einen schweren Unfall, bei dem die Kutsche gegen eine Mauer geschleudert wurde. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf und Nacken zu, die eine leichte Schrägstellung des Kopfes zur Folge hatten. (Vgl. Köpke: Ludwig Tieck, S. 91.)
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
da wir nur ein Exemplar haben und Vater
sie wenige Tage nach seiner Rückkehr vorlas.
Wir hatten noch herrliches Wetter und ich
hoffe Sie haben es in Schlesien10 recht genossen
ich habe dabei oft an Sie gedacht, was ich über=
haupt sehr häufig thue. Ueber alles was mir
wichtig ist möchte ich immer gern mit Ihnen
sprechen, 11mein liebster und einziger Freund, X
und das Zusammenseyn mit Ihnen beglückt
mich doppelt da ich diese Freude mit meinem
Vater nie haben kann, den so viele Vorurthei=
le von mir trennen und wirklich oft ungerecht
gegen mich machen. X Der Umgang mit der Lütti=
chau gewährt mir viele Freude, macht mir aber
auch manche trübe Stunde, wie ich Ihnen auch
sagte. Doch mit Ihnen fühle ich mich so ganz frei
und ungestört, und die Aussicht Sie erst in zwei
Jahren12 wieder zu sehen ist mir deshalb ein sehr
betrübender Gedanke. Doch Alles muß ja
so gut seyn wie es ist.
Aus Berlin13 werden Sie mir wohl nicht schreiben
wenn Sie aber erst in Düsseldorf sind hoffe ich
recht bald Nachricht von Ihnen zu erhalten. Mei=
nem Vater that es sehr leid sie verfehlt zu
haben und er fragte mich noch, ob ich Ihnen
auch gesagt hätte, wie außerordentlich er mit
Ihren Babyloniern zufrieden sey.
14Vater Mutter und Schwester grüßen herzlich
Grüßen Sie doch Scholzens15 von mir und sagen Sie
Ihnen ich freue mich darauf wenn sie künftigen
Sommer her kämen. Leben Sie wohl und er=
innern Sie sich zuweilen
Ihrer treuen Freundinn
Dorothea.
10 Uechtritz fuhr, nachdem er in Dresden gewesen war, nach Heidersdorf zu seinen Eltern und anschließend nach Berlin.
11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
12 Uechtritz und Dorothea Tieck sahen sich bereits 1837 anlässlich seiner Hochzeit wieder.
13 Uechtritz reiste von Niederschlesien über Berlin nach Düsseldorf.
14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
15 Henriette Scholtz und deren Tochter Emma, die Uechtritz in Berlin besuchte.
1Ich sitze jetzt fast den ganzen Tag oben in meiner Stube und arbeite sehr fleißig an meiner Uebersetzung,2 mit der ich gern im November fertig werden wollte. Abends lesen wir einen Roman, den meine verstorbene Tante, die Schwester meines Vaters, kurz vor ihrem Tode3 geschrieben, und den mein Vater jetzt, mit einem Vorwort begleitet heraus gegeben hat: er heißt Evremont und der erste Band gefiel mir ganz außerordentlich so daß ich in Versuchung gerieth ihn den Epigonen vorzuziehen, im zweiten Band ist aber ein sehr bedeutender Abfall und auch der dritte und letzte Band, den wir nun angefangen haben, scheint sich nicht wieder zu heben. Lesen sie doch das Buch, es ist immer der Mühe werth. 4Wie mein Vater eigentlich darüber denkt weiß ich nicht, da er, wie gesagt,5 nicht zu Wor[te] ko[mmt] und ich auch hierüber nur das Urtheil der Gräfinn höre.
Zu meinem Kummer muß ich gestehen daß mir die letzte Novelle6 meines Vaters, die wir erst kennen lernten seit er zurück gekommen7 ist, nicht sehr gefällt, ich glaube aus der Anlage hätte sich mehr machen lassen, und sie mag wohl wieder zu flüchtig gearbeitet seyn, er schrieb sie indem er oft gestört und unterbrochen ward, und mußte sie gerade zu der Zeit schreiben, um sich dadurch das Geld zu der unglücklichen8 Reise zu erwerben. Ich gestehe daß ich wünschte Novelle und Reise wären unterblieben. 9Die Klausenburg dagegen gefällt mir bei öfterem Lesen recht gut, und es thut mir leid daß Sie sie noch nicht kennen, wir hätten Sie ihnen aber doch nicht gut mit geben können
1 Der Beginn des Briefs ist nicht erhalten und fehlt auch bei Sybel: Erinnerungen.
2 Die anonyme Übersetzung von Cervantes' Leiden des Persiles und der Sigismunda erschien 1837 in 2 Bänden, mit einem Vorwort von Ludwig Tieck begleitet.
3 Sophie von Knorring (geb. Tieck, gesch. Bernhardi) starb am 1. Oktober 1833. Den Roman Evremont hatte sie 1830 fertiggestellt.
4 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
5 „Wie gesagt“ verweist vermutlich auf den fehlenden Anfangsteil des Briefs.
6 Vermutlich ist die Novelle Wunderlichkeiten gemeint.
7 Tieck und die Gräfin Finckenstein kehrten Ende September 1836 aus Baden-Baden zurück.
8 Auf der Fahrt nach Baden-Baden erlitt Tieck einen schweren Unfall, bei dem die Kutsche gegen eine Mauer geschleudert wurde. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf und Nacken zu, die eine leichte Schrägstellung des Kopfes zur Folge hatten. (Vgl. Köpke: Ludwig Tieck, S. 91.)
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
da wir nur ein Exemplar haben und Vater sie wenige Tage nach seiner Rückkehr vorlas.
Wir hatten noch herrliches Wetter und ich hoffe Sie haben es in Schlesien10 recht genossen ich habe dabei oft an Sie gedacht, was ich überhaupt sehr häufig thue. Ueber alles was mir wichtig ist möchte ich immer gern mit Ihnen sprechen, 11mein liebster und einziger Freund, und das Zusammenseyn mit Ihnen beglückt mich doppelt da ich diese Freude mit meinem Vater nie haben kann, den so viele Vorurtheile von mir trennen und wirklich oft ungerecht gegen mich machen. Der Umgang mit der Lüttichau gewährt mir viele Freude, macht mir aber auch manche trübe Stunde, wie ich Ihnen auch sagte. Doch mit Ihnen fühle ich mich so ganz frei und ungestört, und die Aussicht Sie erst in zwei Jahren12 wieder zu sehen ist mir deshalb ein sehr betrübender Gedanke. Doch Alles muß ja so gut seyn wie es ist.
Aus Berlin13 werden Sie mir wohl nicht schreiben wenn Sie aber erst in Düsseldorf sind hoffe ich recht bald Nachricht von Ihnen zu erhalten. Meinem Vater that es sehr leid sie verfehlt zu haben und er fragte mich noch, ob ich Ihnen auch gesagt hätte, wie außerordentlich er mit Ihren Babyloniern zufrieden sey.
14Vater Mutter und Schwester grüßen herzlich Grüßen Sie doch Scholzens15 von mir und sagen Sie Ihnen ich freue mich darauf wenn sie künftigen Sommer her kämen. Leben Sie wohl und erinnern Sie sich zuweilen Ihrer treuen Freundinn Dorothea.
10 Uechtritz fuhr, nachdem er in Dresden gewesen war, nach Heidersdorf zu seinen Eltern und anschließend nach Berlin.
11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 200) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
12 Uechtritz und Dorothea Tieck sahen sich bereits 1837 anlässlich seiner Hochzeit wieder.
13 Uechtritz reiste von Niederschlesien über Berlin nach Düsseldorf.
14 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
15 Henriette Scholtz und deren Tochter Emma, die Uechtritz in Berlin besuchte.