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Ich sende Ihnen auf Verlangen die kleine Vorrede2
sogleich zurück, welche ich sehr passend finde,ob sie gleich
die Unvernünftigen von jenseit auch dem Verständniß [um]
keinen Zoll näher bringen wird. Alles, darauf kom̄e ich
immer zurück, ist epidemisch. Zuweilen selbst die Vernunft.
Gegen dicken Nebel und daraus erzeugten Schnupfen
helfen keine Argumente: er muß sich eben verziehen. [Wann]
den Menschen der gute Wille mangelt, etwas einzusehn:
woher soll die Möglichkeit und die Kraft der Belehrungen
kommen? Und diese Leidenschaftlichkeit nimmt immer
mehr überhand, nicht bloß in unserm Deutschland, sondern in
ganz Europa. Der Vernünftige, der Einsichtsvolle, der
wahre Patriot muß [dann] immer das Opfer, und der
Gegenstand der allgemeinen Verfolgung werden. Dieses
größte Elend, was wir nun schon seit 20 Jahren an Spanien
beweinen mußten, rückt uns Deutschen nun auch immer
näher, und die Regierungen, die Anstalten, die Furcht und
unziemliche despotische Maasregeln, die wieder mit klein=
licher Schwäche wechseln, treiben den [Ru]higen, Kaltblütigen,
[...]tlichen ud Vernünftigen, in eine schroffe, ausge=
sprochene Parthei, der er ursprünglich nicht angehören
möochte, und sich nicht träumen ließ, daß er dahin gerathen
würde. Dies ist für jedes wahre Volk ud jeden ächten Men=
schen das größte Elend. Fast, wie man während des 30 jährigen
Krieges nur mit geladener Flinte den Acker bestellen
konnte. Dies löset nothwendig alle Kraft der Staaten
wie alle Bande, und nur der kann ruhig sein, dem Alles gleich=
gültig ist, der nie König, Vaterland und wahre Freiheit ge=
liebt, hat, der niemals zu Deutschland gehörte, sondern in der
2 Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den kurzen Zusatz im Vorwort zu Raumers Aufsatz „Polens Untergang“ (1832). Der Text hatte für öffentliches Aufsehen gesorgt und Raumer Schwierigkeiten mit der preußischen Regierung bereitet. Er erschien zunächst im Historischen Taschenbuch und anschließend in einer selbstständigen Ausgabe (erweitert um ein Vorwort, datiert auf den 24. Oktober 1831). In der zweiten Auflage dieser Ausgabe setzte Raumer dem Vorwort noch einen auf den 29. Januar 1832 datierten Satz hinzu, in dem er die fast unveränderte Gestalt der zweiten Auflage damit begründet, dass ihm (von staatlicher Seite) noch „keine neuen Quellen eröffnet und keine Berichtigungen zu Theil wurden“ (S. VI).
Vgl. zu „Polens Untergang“ auch den Brief vom 7. oder 5. August 1832 (S.3) sowie den Brief von Dorothea Tieck an Uechtritz vom 31. Januar 1832 (S. 6), hrsg. v. Sophia Zeil, in: Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800.
Schüssel, oder Trägheit, oder in einem leeren Traume,
Ideal, Cosmopolitism, philosophischen Frasen einheimisch
war. Zu diesen können ud wollen wir nicht gehören.
Diese werden aber nächst den Ultras gewissen Leuten bald
für die besseren Patrioten gelten.
3 Im Oktober 1831 hatte Raumer sein Amt im Preußischen Oberzensurkollegium gekündigt. Das Kündigungsschreiben, in dem er Kritik an der Zensur in Preußen übt, wurde veröffentlicht, jedoch scheinbar ohne Raumers Wissen, wie dieser an verschiedenen Stellen beteuert. Vgl. etwa Allgemeine Zeitung vom 13. Oktober 1832, wo Raumer zu diversen Anschuldigungen eines anonymen Artikels in der gleichen Zeitung (24. September 1832) Stellung bezieht.
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eine kecke Herausfoderung der [Regirung] aus. Ich bitte, erhalten Sie
sich den frischen Muth, die schnelle Antwortseligkeit, die ich Ihnen
immer beneidet habe: denn, glaubt man, Sie sind eingeschüchtert,
oder träge, oder schweigsam aus tiefster Kränkung: so ist
Ihre Sache verlohren. Und darum würde ich sie auch unbedingt
verliehren. Ein Geschichtschreiber muß selbst Geschichte erleben;
allen ist es noch so [geworden]! aAber ich wünsche den Verdruß
vorüber, und bitte und wünsche, daß Ihre Gegner sich der
Vernunft bequemen. Der König wird gewiß wieder,
wie im̄er, der vernünftigste sein. Die Billigkeit ist
in aufgeregten Zeiten eine grosse Tugend. – O die
Deutschen! u vor allen die Preussen! Kön̄en [sie] wohl
ein Richtiges, Wahres, bescheiden, ruhig, in̄ig auffassen?
Entweder verhöhnen, oder hussitisch schnauben. Wie herrlich
die Jahre 13, 14, 15! Da waren einmal alle, u die besten
Stränge angezogen. – Kom̄en Sie nur, Freund, Freund,
sobald als möglich. Aber halten Sie Ihre Widersacher nur
in einiger Furcht. – Im J. 12, wurden Sie aber so ver=
kannt, u wurden Professor! Ihre Hohenstaufer von den
sich so nen̄enden Liberalen ebenfalls, Ihre Lebenslust, Phi=
losophie, Kunsttrieb von Pietisten im̄erdar: [nun] ver=
kennt der eingebildete Preusse, den ächtesten Preussen[!]
das ist alles in der Ordnung – ein Sprichwort, womit
wir den Blödsinn bezeichnen wollen, der unter 10 Jahren
im̄er 9 die Welt regiret. – Ich bin bewegt, eilig,
schreibe schlecht; ein andermal über Ihr Stück. Ich habe Sie
nie verkannt, u das ist in Ewigkeit nur möglich: Sie ken̄en
mich auch – aber, man bedarf, um zu leben, auch des guten
Wetters. —
Herrn Regirungs=Rath [...]
u Professor Fr. v. Raumer
Hochwohlgebohren
Berlin.
a [32 C4]
Ich sende Ihnen auf Verlangen die kleine Vorrede2 sogleich zurück, welche ich sehr passend finde,ob sie gleich die Unvernünftigen von jenseit auch dem Verständniß [um] keinen Zoll näher bringen wird. Alles, darauf komme ich immer zurück, ist epidemisch. Zuweilen selbst die Vernunft. Gegen dicken Nebel und daraus erzeugten Schnupfen helfen keine Argumente: er muß sich eben verziehen. [Wann] den Menschen der gute Wille mangelt, etwas einzusehn: woher soll die Möglichkeit und die Kraft der Belehrungen kommen? Und diese Leidenschaftlichkeit nimmt immer mehr überhand, nicht bloß in unserm Deutschland, sondern in ganz Europa. Der Vernünftige, der Einsichtsvolle, der wahre Patriot muß [dann] immer das Opfer, und der Gegenstand der allgemeinen Verfolgung werden. Dieses größte Elend, was wir nun schon seit 20 Jahren an Spanien beweinen mußten, rückt uns Deutschen nun auch immer näher, und die Regierungen, die Anstalten, die Furcht und unziemliche despotische Maasregeln, die wieder mit kleinlicher Schwäche wechseln, treiben den [Ru]higen, Kaltblütigen, [...]tlichen und Vernünftigen, in eine schroffe, ausgesprochene Parthei, der er ursprünglich nicht angehören mochte, und sich nicht träumen ließ, daß er dahin gerathen würde. Dies ist für jedes wahre Volk und jeden ächten Menschen das größte Elend. Fast, wie man während des 30 jährigen Krieges nur mit geladener Flinte den Acker bestellen konnte. Dies löset nothwendig alle Kraft der Staaten wie alle Bande, und nur der kann ruhig sein, dem Alles gleichgültig ist, der nie König, Vaterland und wahre Freiheit geliebt, hat, der niemals zu Deutschland gehörte, sondern in der
2 Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den kurzen Zusatz im Vorwort zu Raumers Aufsatz „Polens Untergang“ (1832). Der Text hatte für öffentliches Aufsehen gesorgt und Raumer Schwierigkeiten mit der preußischen Regierung bereitet. Er erschien zunächst im Historischen Taschenbuch und anschließend in einer selbstständigen Ausgabe (erweitert um ein Vorwort, datiert auf den 24. Oktober 1831). In der zweiten Auflage dieser Ausgabe setzte Raumer dem Vorwort noch einen auf den 29. Januar 1832 datierten Satz hinzu, in dem er die fast unveränderte Gestalt der zweiten Auflage damit begründet, dass ihm (von staatlicher Seite) noch „keine neuen Quellen eröffnet und keine Berichtigungen zu Theil wurden“ (S. VI). Vgl. zu „Polens Untergang“ auch den Brief vom 7. oder 5. August 1832 (S.3) sowie den Brief von Dorothea Tieck an Uechtritz vom 31. Januar 1832 (S. 6), hrsg. v. Sophia Zeil, in: Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800.
Schüssel, oder Trägheit, oder in einem leeren Traume, Ideal, Cosmopolitism, philosophischen Frasen einheimisch war. Zu diesen können und wollen wir nicht gehören. Diese werden aber nächst den Ultras gewissen Leuten bald für die besseren Patrioten gelten. Ihr Kummer, Ihr Verdruß kümmert mich ganz unendlich: so sehr, daß ich schon, auch mit Freunden, nicht mehr darüber spreche. Das ist bei mir immer das Zeichen des wahren Grames. Glauben Sie, daß ich seit lange dergleichen gefürchtet habe? Bei Ihrem wahren und grossen historischen Sinn, so ächt Sie ein Deutscher sind und ungefälschter Patriot, waren Sie [mir] stets [nur] ein Weniges Deutschland gegen über zu sehr : sahen in Ihrem mit Recht geliebten Vaterlande zu viel Gutes, und entschuldigten, ja rechtfertigten so Manches, was erst unscheinbar nun doch zu dem angewachsen ist, worüber sie mit Recht klagen und zürnen. Vielleicht, hätten Sie dies Gefühl des Argwohnes, was mich leider begleitet, (und ich bin ja auch ein Brandenburger u liebe mein Geburtsland) was Solger schon 18 und 19 so sehr verstimmte, nicht abgewiesen, wären Sie nicht so unendlich wahr, kindlich und poetisch treu, unbedingt hingegeben gewesen: so hätten Sie die Polnische Sache entweder gar nicht, etwas anders beschrieben, oder das Resultat überraschte sie nicht so, wie ein Donner aus heiterm Himmel: Denn die Gewölke waren da. Nöthig scheint mir, zu erfahren, wer Ihre [Eingabe] hat drucken lassen, und so wie Sie es wissen, diesen öffentlich zu nennen. 3 Denn, weil dergleichen eine alltägliche Machination des Autoren ist, glaubt kein Mensch Ihrer Versichrung, und so sieht es, (Ihre Freunde abgerechnet) jenen wie
3 Im Oktober 1831 hatte Raumer sein Amt im Preußischen Oberzensurkollegium gekündigt. Das Kündigungsschreiben, in dem er Kritik an der Zensur in Preußen übt, wurde veröffentlicht, jedoch scheinbar ohne Raumers Wissen, wie dieser an verschiedenen Stellen beteuert. Vgl. etwa Allgemeine Zeitung vom 13. Oktober 1832, wo Raumer zu diversen Anschuldigungen eines anonymen Artikels in der gleichen Zeitung (24. September 1832) Stellung bezieht.
eine kecke Herausfoderung der [Regirung] aus. Ich bitte, erhalten Sie sich den frischen Muth, die schnelle Antwortseligkeit, die ich Ihnen immer beneidet habe: denn, glaubt man, Sie sind eingeschüchtert, oder träge, oder schweigsam aus tiefster Kränkung: so ist Ihre Sache verlohren. Und darum würde ich sie auch unbedingt verliehren. Ein Geschichtschreiber muß selbst Geschichte erleben; allen ist es noch so [geworden]! Aber ich wünsche den Verdruß vorüber, und bitte und wünsche, daß Ihre Gegner sich der Vernunft bequemen. Der König wird gewiß wieder, wie immer, der vernünftigste sein. Die Billigkeit ist in aufgeregten Zeiten eine grosse Tugend. – O die Deutschen! und vor allen die Preussen! Können [sie] wohl ein Richtiges, Wahres, bescheiden, ruhig, innig auffassen? Entweder verhöhnen, oder hussitisch schnauben. Wie herrlich die Jahre 13, 14, 15! Da waren einmal alle, und die besten Stränge angezogen. – Kommen Sie nur, Freund, Freund, sobald als möglich. Aber halten Sie Ihre Widersacher nur in einiger Furcht. – Im Jahre 12, wurden Sie aber so verkannt, und wurden Professor! Ihre Hohenstaufer von den sich so nennenden Liberalen ebenfalls, Ihre Lebenslust, Philosophie, Kunsttrieb von Pietisten immerdar: [nun] verkennt der eingebildete Preusse, den ächtesten Preussen[!] das ist alles in der Ordnung – ein Sprichwort, womit wir den Blödsinn bezeichnen wollen, der unter 10 Jahren immer 9 die Welt regiret. – Ich bin bewegt, eilig, schreibe schlecht; ein andermal über Ihr Stück. Ich habe Sie nie verkannt, und das ist in Ewigkeit nur möglich: Sie kennen mich auch – aber, man bedarf, um zu leben, auch des guten Wetters. —
Dr, den 23ten Juni, 32. Ihr L. Tieck. Herrn Regirungs=Rath [...]
und Professor Friedrich von Raumer
Hochwohlgebohren
Berlin.