
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
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Dresden den 1 Nov 1836.
Gestern, mein theuerster Freund, erhielt
ich Ihren Brief und ich eile Ihnen sogleich zu
antworten, damit meine Zeilen Sie noch in
Berlin1 treffen. Was soll ich Ihnen sagen?
Meine Freude über die unerwartete
Nachricht2 ist eben so groß wie meine Ue=
berraschung, und ich kann nichts thun als
Ihnen aus voller Seele Glück wünschen
und Gott bitten Ihr ferneres Leben eben=
so segensvoll seyn zu lassen, als Ihre
Wahl verständig ist. Ich sage dies nicht
etwarum3 Sie zu erfreuen sondern aus
fester Ueberzeugung, daß Sie nicht besser
hätten wählen können. Sie wissen daß
Balans4 den ganzen vorigen Sommer
hier waren und wir sie viel gesehen ha=
ben, Marie gefiel uns gleich von Anfang
an außerordentlich, sie hatte etwas so
sinniges und verständiges, und zeigte
oft ein so schönes Gemüth, daß sie uns
alle für sich gewann. Agnes hat ein
inniges freundschaftliches Verhältniß mit
ihr geschlossen, sie schreiben sich öfter und
Agnes ist immer über jeden Brief sehr
erfreut, weil, wie sie sagt eben so viel
Geist als Gemüth sich in Allem ausspricht.,
sie läßt Ihnen sagen, sie sey sehr stolz
darauf daß Sie eine ihrer liebsten Freun=
1 Uechtritz befand sich, nachdem er in Dresden und Heidersdorf gewesen war, auf dem Rückweg über Berlin nach Düsseldorf.
2 Uechtritz hatte sich in Berlin mit Marie Balan verlobt. Die Hochzeit fand am 18. Mai 1837 statt.
3 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) steht „etwa, um“.
4 Marie und ihre Mutter Elisabeth Wilhelmine Balan. Der Vater Joseph Wilhelm Balan war bereits 1834 verstorben.
dinnen gewählt haben. Auch meine Eltern
tragen mir die herzlichsten Glückwünsche
auf.
Ich traue Marie Gefühl genug zu um
ihr Glück ganz zu erkennen; denn an
Ihrer Seite zu leben und [und] zu Ihrem
Glücke, mein theuerster Freund, etwas
beitragen zu können, ist wohl das schön=
ste Loos, das einem Mädchen werden
kann. Ich muß Ihnen gestehen daß mir
durch diese Verlobung wirklich eine Sorge
abgenommen wird: Ich glaubte nämlich
Sie würden gar nicht heirathen, und daßs
fand ich eigentlich sehr traurig, denn mir
scheint es fast unmöglich daß ein Mann
der unverheirathet bleibt einem trauri=
gen, einsamen Alter entgehen könnte
Zweitens fürchtete ich auch, und Sie müssen
mir das nicht übel nehmen, Sie könnten
einmal eine recht unpassende Wahl
treffen; denn die Männer lernen uns
doch nie recht kennen, und die klügsten
oft am wenigsten. Dieser Sorgen bin
ich nun überhoben, die mich oft beschäftigt
haben, das darf ich jetzt wohl sagen; den̄
was kann mir wohl mehr am Herzen
liegen als Ihr Glück? Ich bin seit gestern
so heiter wie ich lange nicht war, und im=
mer sind meine Gedanken bei Ihnen.
Wenn es Ihnen irgend möglich ist schreiben
Sie mir recht bald, wie alles so schnell gekom=
men, und wie es nun künftig werden wird
Ich bin heut in großer Eil, denn morgen
wird unter unsern nächsten Bekannten
auch eine Hochzeit gefeier.5 Carus älteste
Tochter wird getraut6 und heut Abend
auf dem Polter Abend ist Comödie
dort in der ich mitspielen muß, des=
halb habe ich noch sehr viel zu thun. Es
ist ein eignes, kleines Festspiel gedichtet,
in dem ich als Muse auftreten soll und
die Liebenden vereinigen. Ich fürchte
aber daß ich meine Rolle wieder vergessen
werde, denn seit gestern habe ich für
nichts Gedanken als für Sie. Ich habe
diese Rolle überhaupt sehr ungern ge=
nommen, denn ich habe gar keine Ue=
bung in dergleichen Dingen, und komme
mir vor wie der alte Magister im
Tischlermeister als man ihm zumuthet
in der Larva7 aufzutreten. Doch es
fand sich niemand mehr zum Mitspielen
und ich mußte mich darin finden.
Es hat mich sehr gerührt daß Sie mir sogleich
von Ihrem Glücke Nachricht gegeben und
dieser Beweis der Freundschaft läßt
mich hoffen daß auch unter den neuen
Verhältnissen Sie mir ein Plätzchen in
Ihrem Angedenken8 lassen werden.
Grüßen Sie Marie auf das herzlichste
von mir und vergessen Sie nicht ganz
Ihre alte Freundinn Dorothea.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 202) steht „gefeiert“.
6 Am 2. November 1836 heiratete Sophie Charlotte Carus den verwitweten Bildhauer Ernst Rietschel.
7 Vgl. Der junge Tischlermeister, Bd. 1, erster Abschnitt, S. 73.
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 203) steht „Andenken“.
9Nachmittag
Eben bekommt Agnes einen Brief10die von Marie Balan, die ihr schreibt Sie
reisten Mittwoch, als morgen, schon von
Berlin ab, ich schicke also meinen Brief
gleich nach Düsseldorf.
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 203) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
10 Der Brief ist vermutlich verschollen.
Dresden den 1 November 1836. Gestern, mein theuerster Freund, erhielt ich Ihren Brief und ich eile Ihnen sogleich zu antworten, damit meine Zeilen Sie noch in Berlin1 treffen. Was soll ich Ihnen sagen? Meine Freude über die unerwartete Nachricht2 ist eben so groß wie meine Ueberraschung, und ich kann nichts thun als Ihnen aus voller Seele Glück wünschen und Gott bitten Ihr ferneres Leben ebenso segensvoll seyn zu lassen, als Ihre Wahl verständig ist. Ich sage dies nicht etwarum3 Sie zu erfreuen sondern aus fester Ueberzeugung, daß Sie nicht besser hätten wählen können. Sie wissen daß Balans4 den ganzen vorigen Sommer hier waren und wir sie viel gesehen haben, Marie gefiel uns gleich von Anfang an außerordentlich, sie hatte etwas so sinniges und verständiges, und zeigte oft ein so schönes Gemüth, daß sie uns alle für sich gewann. Agnes hat ein inniges freundschaftliches Verhältniß mit ihr geschlossen, sie schreiben sich öfter und Agnes ist immer über jeden Brief sehr erfreut, weil, wie sie sagt eben so viel Geist als Gemüth sich in Allem ausspricht, sie läßt Ihnen sagen, sie sey sehr stolz darauf daß Sie eine ihrer liebsten Freun=
1 Uechtritz befand sich, nachdem er in Dresden und Heidersdorf gewesen war, auf dem Rückweg über Berlin nach Düsseldorf.
2 Uechtritz hatte sich in Berlin mit Marie Balan verlobt. Die Hochzeit fand am 18. Mai 1837 statt.
3 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 201) steht „etwa, um“.
4 Marie und ihre Mutter Elisabeth Wilhelmine Balan. Der Vater Joseph Wilhelm Balan war bereits 1834 verstorben.
dinnen gewählt haben. Auch meine Eltern tragen mir die herzlichsten Glückwünsche auf.
Ich traue Marie Gefühl genug zu um ihr Glück ganz zu erkennen; denn an Ihrer Seite zu leben und zu Ihrem Glücke, mein theuerster Freund, etwas beitragen zu können, ist wohl das schönste Loos, das einem Mädchen werden kann. Ich muß Ihnen gestehen daß mir durch diese Verlobung wirklich eine Sorge abgenommen wird: Ich glaubte nämlich Sie würden gar nicht heirathen, und das fand ich eigentlich sehr traurig, denn mir scheint es fast unmöglich daß ein Mann der unverheirathet bleibt einem traurigen, einsamen Alter entgehen könnte Zweitens fürchtete ich auch, und Sie müssen mir das nicht übel nehmen, Sie könnten einmal eine recht unpassende Wahl treffen; denn die Männer lernen uns doch nie recht kennen, und die klügsten oft am wenigsten. Dieser Sorgen bin ich nun überhoben, die mich oft beschäftigt haben, das darf ich jetzt wohl sagen; denn was kann mir wohl mehr am Herzen liegen als Ihr Glück? Ich bin seit gestern so heiter wie ich lange nicht war, und immer sind meine Gedanken bei Ihnen. Wenn es Ihnen irgend möglich ist schreiben
Sie mir recht bald, wie alles so schnell gekommen, und wie es nun künftig werden wird
Ich bin heut in großer Eil, denn morgen wird unter unsern nächsten Bekannten auch eine Hochzeit gefeier.5 Carus älteste Tochter wird getraut6 und heut Abend auf dem Polter Abend ist Comödie dort in der ich mitspielen muß, deshalb habe ich noch sehr viel zu thun. Es ist ein eignes, kleines Festspiel gedichtet, in dem ich als Muse auftreten soll und die Liebenden vereinigen. Ich fürchte aber daß ich meine Rolle wieder vergessen werde, denn seit gestern habe ich für nichts Gedanken als für Sie. Ich habe diese Rolle überhaupt sehr ungern genommen, denn ich habe gar keine Uebung in dergleichen Dingen, und komme mir vor wie der alte Magister im Tischlermeister als man ihm zumuthet in der Larva7 aufzutreten. Doch es fand sich niemand mehr zum Mitspielen und ich mußte mich darin finden.
Es hat mich sehr gerührt daß Sie mir sogleich von Ihrem Glücke Nachricht gegeben und dieser Beweis der Freundschaft läßt mich hoffen daß auch unter den neuen Verhältnissen Sie mir ein Plätzchen in Ihrem Angedenken8 lassen werden.
Grüßen Sie Marie auf das herzlichste von mir und vergessen Sie nicht ganz Ihre alte Freundinn Dorothea.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 202) steht „gefeiert“.
6 Am 2. November 1836 heiratete Sophie Charlotte Carus den verwitweten Bildhauer Ernst Rietschel.
7 Vgl. Der junge Tischlermeister, Bd. 1, erster Abschnitt, S. 73.
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 203) steht „Andenken“.
9Nachmittag Eben bekommt Agnes einen Brief10 von Marie Balan, die ihr schreibt Sie reisten Mittwoch, als morgen, schon von Berlin ab, ich schicke also meinen Brief gleich nach Düsseldorf.
9 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 203) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
10 Der Brief ist vermutlich verschollen.