
Staatsbibliothek zu Berlin / Handschriftenabteilung
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin
Dieses Blatt, welches keine Antwort auf Ihre vielen erfreulichen Briefe sein kann, erhalten Sie aus der Hand einer liebens=würdigen Dame, das Fräulein Siccard aus Wien. Sie war eine berühmte Sängerinn, die plötzlich, durch Krankheit in Portugall, ihre schöne Stimme verlohr, und jezt sich dem rezitirenden Schauspiel zu widmen wünscht. Sie hat vortrefliche Anlagen und ist in Wien mit grossem Beifall aufgetreten. Die Hauptsache ist, sie hat Gefühl, Phantasie und alles das, was erfordert wird, um zu rühren: – aber, ihr mangelt Uebung, und ihr Hauptwunsch muß jezt sein, recht viel und oft zu spielen, um den Provinz=Dialekt und die Nasaltöne ganz abzulegen, und mit den Mitteln, die ihr dann zu Gebot stehn, gehörig hauszuhalten. Wäre dieses begabte Mädchen ein Jahr früher zu uns gekom=men, so wäre sie gewiß beim hiesigen Theater geblieben, jezt wsind wir, wie Sie auch wissen, mit jungen Schauspielerinnen
1 Es ist unklar, ob der Brief vom 7. oder 27. Juli 1832 datiert. Raumer liest in Tiecks Datierung offenbar den 27. Juli (vgl. Raumers Hand auf S. 1 / Bl. 259r). Tiecks flüchtige Schreibung lässt jedoch auch die Lesart „7ten Jul.“ zu (vgl. Tiecks Hand auf S. 2 / Bl. 259v).
2 Der gesamte Brieftext ist einmal vertikal mit Bleistift durchgestrichen, vermutlich von Raumers Hand bei Durchsicht der Briefe für eine etwaige Veröffentlichung.
3 hier übersezt. Ich hoffe ud bitte darum, Sie können diesem jungen Talente zum Auftreten in Berlin verhelfen. Ich mag mich dem Grafen Reder nicht aufdrängen, sonst hätte ich der jungen Dame gern einige Zeilen an Ihren verehrten Intendanten gegeben. Hier hat Fräulein Siccard am meisten in der Maria Stuart gefallen: vielleicht sind bei Ihnen die Kavanskys von Raupach auf dem Repertoir: diese Rolle, die wir hier von ihr nicht gesehn haben, wünscht sie mehr als andre zu spielen. Können Sie ihr dazu verhelfen, so thun Sie es gewiß. Em=pfehlen Sie das liebenswürdige Fräulein Ihren Freunden und Bekannten, vor allen der Mad. Crelinger, und wer sonst in Berlin ihr helfen kann. Ich bin [fast] überzeugt, daß wir nach einigen Jahren alle diese schönen Anlagen treflich ausgebildet sehn, besonders wenn die Fr. Siccard auch recht viel im Lustspiel und in Conversations=Stücken spielt, und einen gewissen singenden Ton, der in Wien üblich ist, ganz abzulegen.
3 Der gesamte Brieftext ist einmal vertikal mit Bleistift durchgestrichen, vermutlich von Raumers Hand bei Durchsicht der Briefe für eine etwaige Veröffentlichung.
Dem Herrn Regirungs=rath
und Professor Fr. v. Raumer
Hochwohlgebohren
Berlin
Spittel=Brücke.
Dieses Blatt, welches keine Antwort auf Ihre vielen erfreulichen Briefe sein kann, erhalten Sie aus der Hand einer liebenswürdigen Dame, das Fräulein Siccard aus Wien. Sie war eine berühmte Sängerinn, die plötzlich, durch Krankheit in Portugall, ihre schöne Stimme verlohr, und jezt sich dem rezitirenden Schauspiel zu widmen wünscht. Sie hat vortrefliche Anlagen und ist in Wien mit grossem Beifall aufgetreten. Die Hauptsache ist, sie hat Gefühl, Phantasie und alles das, was erfordert wird, um zu rühren: – aber, ihr mangelt Uebung, und ihr Hauptwunsch muß jezt sein, recht viel und oft zu spielen, um den Provinz=Dialekt und die Nasaltöne ganz abzulegen, und mit den Mitteln, die ihr dann zu Gebot stehn, gehörig hauszuhalten. Wäre dieses begabte Mädchen ein Jahr früher zu uns gekommen, so wäre sie gewiß beim hiesigen Theater geblieben, jezt sind wir, wie Sie auch wissen, mit jungen Schauspielerinnen
1 Es ist unklar, ob der Brief vom 7. oder 27. Juli 1832 datiert. Raumer liest in Tiecks Datierung offenbar den 27. Juli (vgl. Raumers Hand auf S. 1 / Bl. 259r). Tiecks flüchtige Schreibung lässt jedoch auch die Lesart „7ten Jul.“ zu (vgl. Tiecks Hand auf S. 2 / Bl. 259v).
2 Der gesamte Brieftext ist einmal vertikal mit Bleistift durchgestrichen, vermutlich von Raumers Hand bei Durchsicht der Briefe für eine etwaige Veröffentlichung.
hier übersezt. Ich hoffe und bitte darum, Sie können diesem jungen Talente zum Auftreten in Berlin verhelfen. Ich mag mich dem Grafen Reder nicht aufdrängen, sonst hätte ich der jungen Dame gern einige Zeilen an Ihren verehrten Intendanten gegeben. Hier hat Fräulein Siccard am meisten in der Maria Stuart gefallen: vielleicht sind bei Ihnen die Kavanskys von Raupach auf dem Repertoir: diese Rolle, die wir hier von ihr nicht gesehn haben, wünscht sie mehr als andre zu spielen. Können Sie ihr dazu verhelfen, so thun Sie es gewiß. Empfehlen Sie das liebenswürdige Fräulein Ihren Freunden und Bekannten, vor allen der Mad. Crelinger, und wer sonst in Berlin ihr helfen kann. Ich bin [fast] überzeugt, daß wir nach einigen Jahren alle diese schönen Anlagen treflich ausgebildet sehn, besonders wenn die Fr. Siccard auch recht viel im Lustspiel und in Conversations=Stücken spielt, und einen gewissen singenden Ton, der in Wien üblich ist, ganz abzulegen.
Dresden den [7ten] Juli 1832. Ihr Freund, L. Tieck. Dem Herrn Regirungs=rath
und Professor Friedrich von Raumer
Hochwohlgebohren
Berlin
Spittel=Brücke.