
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
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Dresden den 6 Ap 1837.
Mein theuerster Freund,1
Als ich von dem Heimgang Ihres verehrten
Vaters2 hörte wollte ich Ihnen sogleich schrei=
ben, da ich aber eine Antwort von Ihnen
erwartete dachte ich die Briefe würden
sich kreuzen, was ich nicht gern habe, und
verschob deshalb das Schreiben. Die Nachricht
hat mich tief erschüttert, obgleich ich Ihren
theuren Vater nicht kannte, und meine
Gedanken waren immer bei Ihnen. Ich
weiß wie Sie die Ihrigen lieben, und wie tief
dieser Verlust Sie schmerzen wird, auch
fällt in ein Herz das der Freude geöffnet
ist, der Kummer doppelt schwer, und die
Hoffnung ein auf ein baldiges, und so frohes
Wiedersehen3 hatte Ihnen gewiß den Gedan=
ken des Verlustes noch mehr aus den Au=
gen gerückt als sonst. Was Sie mir über
den Vater schreiben hat mich unbeschreiblich
gerührt. Auch er hat vielfache Leiden getra=
gen. Gott vergüte ihm jeden irdischen
Schmerz durch ewige, unendliche Freuden!
Meine Gedanken sind fast ununterbrochen
mit dem Tode beschäftigt, und ich möchte
sagen: nur dadurch wird es mir möglich
das Leben zu ertragen. Seit ich das gelieb=
1 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 210) fehlt die Anrede.
2 Friedrich Joseph Peter von Uechtritz war am 11. März 1837 gestorben.
3 Anlässlich der für Mai 1837 anberaumten Hochzeit Uechtritz' mit Marie Balan.
teste Wesen, was die Erde für mich trug
kalt, starr und bleich gesehen, und die
Augen auf immer geschlossen, die mich nie
anders als mit unendlicher Liebe anschau=
ten, fühle ich es zu deutlich, wie ich auf
Erden nie wieder heimisch werden kann.
Ich besuche das Grab4 mit Agnes sehr oft,
und wenn ich nicht hin gehen kann so sind doch
meine Gedanken dort, jetzt, denke ich dan̄,
scheint die Sonne darauf, jetzt breitet
die Nacht sich darüber hin mit ihren Ster=
nen. Ich habe früher nicht geglaubt daß
eine solche Erfahrung, ein Fall, den man
sich doch so oft der als möglich, ja als noth=
wendig denken mußte, so mächtig auf
eine Seele wirken kann, die doch auch
früher nicht einzig und allein dem Ir=
dischen zugewendet war, jetzt fühle
ich erst wie sehr ich es doch, mir selbst unbe=
wußt, noch gewesen. Bei Ihnen, mein
theurer Freund, ist das nun wohl anders
da das Leben Ihnen noch so viel Schönes
bietet. Ich habe auch eine gewisse Ruhe er=
langt von der ich früher keine Ahndung
hatte, ich weiß, Gott kann mir noch manches
nehmen, aber den tiefsten Schmerz den ich
fühlen kann habe ich empfunden, und dies
Bewußtseyn giebt eine Kraft die ich früher
nie gefühlt.
4 Amalia Tieck wurde, wie später Dorothea, auf dem Alten Katholischen Friedhof in der Dresdner Friedrichstadt begraben. Die Gräber sind heute verschwunden. Einzig eine Gedenktafel erinnert an Dorothea Tieck als Übersetzerin.
Gestern haben wir Bendemann gesehen,
ich war sehr darauf gespannt, und dies
5 wirklich das erste was mich lebendig auf=
geregt hat. Es ist ein ganz eignes Gefühl
einen solchen Genius, der so sichtlich von
Gott begeistert ist, in seiner körperlichen
Erscheinung zu sehen, und in unserm ge=
wöhnlichen Zimmer. Ich denke mir immer
so muß dem Abraham gewesen seyn, als
die Engel zu ihm eintraten. Ein solcher
Geist ist doch auch ein Bote aus jener
herrlichen Welt, der uns in seinen Werken
eine Kunde von dort herunter bringt, einen
Abglanz der ewigen Schönheit, nach der
wir uns alle sehnen, und in deren Strah=
len auch Ihr Vater und meine Mutter nun
sich erquicken. Es war uns eine große Ueber=
raschung, als wir hörten Bendemann sey in
Dresden.6 Ich hatte eine kleine Furcht ihn zu
sehen, ich dachte es würde mich sehr betrüben
wenn er mir persönlich gar nicht gefiele.
Er ist aber ein ganz allerliebster Mensch.
Schon aus seinen schönen Augen strahlt sein
herrlicher Geist, dann ist sein Wesen und
seine Rede so einfach, anspruchslos und kind=
lich. Er kam gestern vor Mittag und saß
lange bei uns, er gerieth gleich mit dem
Vater in ein sehr gründliches Gespräch über
Kunst, besonders über Michel Angelo, er
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 211) wurde „ist“ eingefügt.
6 Bereits 1836 war Bendemann eine Professur an der Dresdner Akademie der Künste angeboten worden, die er jedoch abgelehnt hatte. Möglicherweise war er nun erneut auf Einladung des Königs Friedrich August II. in Dresden, der ihn vermutlich, zusammen mit einer wiederholten Einladung an die Akademie, mit der Ausmalung von drei Sälen des Dresdner Schlosses beuftragte; vgl. Brief vom 10. November 1837, S. 3 (Bl. 2 recto).
sagte seine Meinung so einfach und ohne
alle Scheu, das gefiel mir sehr. Vater
sprach mit vieler Lebendigkeit seine Liebe
und Verehrung für ihn aus, und dabei wur=
de er immer roth bis über die Stirn.
Den Mittag aß Vater mit ihm bei Carus,
den Abend war er bei uns und es ka=
men viele Menschen ihn zu sehen. Vater
las auf seinen Wunsch den Caesar. Ich
faßte mir ein Herz und sprach dann auch
etwas mit ihm, nur ist es mir in einem
solchen Augenblick nie möglich Worte für
mein Gefühl und meine Verehrung zu finden.
Und doch fühlt man einem solchen Geist
gegenüber die gewöhnliche Verlegenheit
nicht, wie sonst gegen einen Fremden,
man möchte mit ihm reden wie mit einem
Bekannten. Sagen Sie ihm doch etwas von
unsrer Verehrung, er war nicht in Düsseldorf
als seine Bilder hier war, und hat also auch
damals nicht erfahren was ich in unser al=
ler Namen darüber schrieb.7 Wie würde
sich die theure Mutter an ihm gefreut ha=
ben! Dieser Gedanke und die Rührung die=
sen von Gott so hoch begnadigten Menschen
in unserm Hause zu sehen hat mich sehr
angegriffen, die körperliche Schwäche kom̄t
jetzt erst bei mir nach, und ich bedarf nach
jeder Aufregung oder Anstrengung der
7 Zur Ausstellung von 20 Gemälden der „Düsseldorfer Malerschule“ in Dresden im Dezember 1836, worunter auch Bendemanns Gemälde „Jeremias auf den Trümmern Jerusalems“ war, das Dorothea besonders gefiel, vgl. Brief vom 27. Dezember 1836, S. 2–5 (Bl. 1 verso bis 3 recto).
Einsamkeit, wo sich dann in strömenden
Thränen das Gemüth und die Nerven
wieder beruhigen. Das Leben wird mir
jetzt sehr schwer, oft mehr als im Anfang
Vater kann es nicht ertragen mich trau=
rig zu sehen, er macht mir jedesmal Vor=
würfe und hält meinen Schmerz für ein
Zeichen der8 Mangel an Liebe zu ihm. Ich
thue deshalb für die Geselligkeit mehr
als ich eigentlich aushalten kann, und die
Gewalt die ich mir anthun muß heiter zu
scheinen ist mir eine große Qual.
Der gute Raumer ist seit 14 Tagen hier,
theilnehmend und freundlich wie immer;
doch kann ich mein innerstes Gefühl gegen
ihn nicht so aussprechen wie gegen Sie.
Sein Geist ist ganz auf das Leben, auf das
Practische gerichtet. Er besteht darauf daß
ich mich beschäftigen soll, und hat sehr recht,
ich muß mich dazu zwingen, ich habe auch
eine Arbeit, die er mir aufgetragen9
angefangen, nur ist mein Kopf so schwach
daß mir das Leichteste nicht gelingen
will. / Die Beschäftigungen welche ich bis jetzt
nur zum Vergnügen und um dem Vater
zu helfen getrieben, werden mir vielleicht
einmal sehr nothwendig seyn. Raumer
nimmt sich unsrer Angelegenheiten an, und
hat mir und Agnes in dieser Hinsicht eine
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „von“ statt „der“.
9 Es handelt sich um die auszugsweise Übersetzung der von Jared Sparks verfassten 12-bändigen Washington-Biographie The Life and Writings of George Washington.
sehr trübe Aussicht in die Zukunft eröff=
net, alles steht schlimmer, als wir es den=
ken konnten, Gott sey Dank daß die lie=
be Mutter, die sich wohl viele Sorgen darü=
ber machte, sich doch unsre Zukunft nicht so
sorgenvoll dachte, als sie nach menschlicher
Einsicht seyn wird. Wenn wir uns wieder
sehen10 will ich Ihnen das alles deutlicher er=
klären, zum Schreiben ist es zu weitläuf=
tig.11 Wenn wir den Vater überleben sollen12
wünsche ich nur, daß wir nicht gezwungen
seyn mögen, ich und Agnes nämlich, uns
dann zu trennen. Wir fühlen erst jetzt
wie wir uns lieben und einander nicht
entbehren könnten.
Das Leben ist doch sehr schwer! Sonst
konnte ich oft aller Noth vergessen und
die Welt erschien mir so schön, ich konnte
mich in Natur, in Poesie versenken wie
in ein Meer von Wonne. Das wird nie wie=
der kommen, mit dem Tode der Mutter13
ist alle Jugend, alle Poesie verschwunden
und außer meinem namenlosen Schmerz
werden mir auch schwere Lasten und Pflich=
ten auf die schwache Seele geladen. Vater
war lange Zeit sehr schwach und leidend, er
war mehrere Monathe nichts aus der Stube
gekommen und sah ganz elend aus. Wir
dachten oft wir könnten ihn auch verlieren
10 Anlässlich seiner Hochzeit im Mai 1837, kam Uechtritz auch in Dresden vorbei.
11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „weitläufig“.
12 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „sollten“.
13 Amalia Tieck war am 11. Februar 1837 gestorben.
es könne plötzlich eine Krankheit aus brechen
Gott lob geht es jetzt besser, seit Raumer
hier ist war er öfter mit diesem aus und
ist wieder kräftiger und heitrer geworden
Wir sehen auch wohl alles schlimmer als es
ist, nach einem solchen Unglück ist es im̄er
als müsse nun alles zusammen brechen,
und man denkt mit einer gewissen Ruhe
daran, die früher unmöglich gewesen wä=
re. Vater liest jetzt wieder oft, ich höre
aber gewöhnlich nicht zu, ein Lustspiel anzu=
hören wäre mir unmöglich. Neulich las
er Ihre Babylonier die habe ich angehört
und sie haben einen größeren Eindruck
auf mich gemacht als sonst je.
Da Sie nichts darüber schreiben denke ich
es bleibt wohl dabei daß Ihre Hochzeit
im May ist14 und wir sehen uns also bald
wieder. Ich denke jetzt schon mit tiefer
Rührung an dies Wiedersehen, wir beide
in so ganz verändertem Zustand. Gott
gebe Ihnen viele, viele Freuden! Ein rechtd i
tiefer Schmerz erweckt eine innige Theil=
nahme an dem Glück der Menschen die
uns vielleicht sonst15 gleichgültig waren,
da können Sie denken, wie mir das Ihri=
ge jetzt am Herzen liegt, wirklich noch
weit inniger als sonst. Leiden verschließen
das Herz nicht, sondern öffnen es jedem
14 Die Hochzeit fand am 18. Mai 1837 statt.
15 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 214) steht „sonst vielleicht“.
schönerem Gefühl. Deshalb müssen Sie auch
Nachsicht mit mir haben und mir wegen
dieser langen, schlechten und verwirrten
Briefe, die ich unter Thränen schreibe, nicht
böse werden, mein liebster Freund. Ich
erschrecke eben vor den zwei Bogen auf
denen fast nur von mir die Rede ist.
Ihnen gegenüber geht meine ganze Seele
auf und es ist mir Trost und Erleichtrung
Ihnen zu schreiben. Ich sollte mehr von
Ihrem Schmerz sprechen. Doch was kann
ich Ihnen darüber noch sagen. Sie ken̄en
ja mein Gefühl und es könnte mir nicht
einfallen Sie trösten zu wollen. Den Schmerz
recht tief fühlen ist der einzige Trost.
Tausend Grüße tragen Vater und
Schwester mir auf. Gott sey mit Ihnen,
mein einzig theuerster Freund, und führe
Sie durch Leid und Freude auf Seinen
lichten Wegen.16
Mit inniger, treuer Freundschaft
Ihre Dorothea.
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 214) steht ein Ausrufezeichen anstelle des Punktes.
Dresden den 6 April 1837. Mein theuerster Freund,1 Als ich von dem Heimgang Ihres verehrten Vaters2 hörte wollte ich Ihnen sogleich schreiben, da ich aber eine Antwort von Ihnen erwartete dachte ich die Briefe würden sich kreuzen, was ich nicht gern habe, und verschob deshalb das Schreiben. Die Nachricht hat mich tief erschüttert, obgleich ich Ihren theuren Vater nicht kannte, und meine Gedanken waren immer bei Ihnen. Ich weiß wie Sie die Ihrigen lieben, und wie tief dieser Verlust Sie schmerzen wird, auch fällt in ein Herz das der Freude geöffnet ist, der Kummer doppelt schwer, und die Hoffnung auf ein baldiges, und so frohes Wiedersehen3 hatte Ihnen gewiß den Gedanken des Verlustes noch mehr aus den Augen gerückt als sonst. Was Sie mir über den Vater schreiben hat mich unbeschreiblich gerührt. Auch er hat vielfache Leiden getragen. Gott vergüte ihm jeden irdischen Schmerz durch ewige, unendliche Freuden! Meine Gedanken sind fast ununterbrochen mit dem Tode beschäftigt, und ich möchte sagen: nur dadurch wird es mir möglich das Leben zu ertragen. Seit ich das gelieb=
1 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 210) fehlt die Anrede.
2 Friedrich Joseph Peter von Uechtritz war am 11. März 1837 gestorben.
3 Anlässlich der für Mai 1837 anberaumten Hochzeit Uechtritz' mit Marie Balan.
teste Wesen, was die Erde für mich trug kalt, starr und bleich gesehen, und die Augen auf immer geschlossen, die mich nie anders als mit unendlicher Liebe anschauten, fühle ich es zu deutlich, wie ich auf Erden nie wieder heimisch werden kann. Ich besuche das Grab4 mit Agnes sehr oft, und wenn ich nicht hin gehen kann so sind doch meine Gedanken dort, jetzt, denke ich dann, scheint die Sonne darauf, jetzt breitet die Nacht sich darüber hin mit ihren Sternen. Ich habe früher nicht geglaubt daß eine solche Erfahrung, ein Fall, den man sich doch so oft als möglich, ja als nothwendig denken mußte, so mächtig auf eine Seele wirken kann, die doch auch früher nicht einzig und allein dem Irdischen zugewendet war, jetzt fühle ich erst wie sehr ich es doch, mir selbst unbewußt, noch gewesen. Bei Ihnen, mein theurer Freund, ist das nun wohl anders da das Leben Ihnen noch so viel Schönes bietet. Ich habe auch eine gewisse Ruhe erlangt von der ich früher keine Ahndung hatte, ich weiß, Gott kann mir noch manches nehmen, aber den tiefsten Schmerz den ich fühlen kann habe ich empfunden, und dies Bewußtseyn giebt eine Kraft die ich früher nie gefühlt.
4 Amalia Tieck wurde, wie später Dorothea, auf dem Alten Katholischen Friedhof in der Dresdner Friedrichstadt begraben. Die Gräber sind heute verschwunden. Einzig eine Gedenktafel erinnert an Dorothea Tieck als Übersetzerin.
Gestern haben wir Bendemann gesehen, ich war sehr darauf gespannt, und dies 5 wirklich das erste was mich lebendig aufgeregt hat. Es ist ein ganz eignes Gefühl einen solchen Genius, der so sichtlich von Gott begeistert ist, in seiner körperlichen Erscheinung zu sehen, und in unserm gewöhnlichen Zimmer. Ich denke mir immer so muß dem Abraham gewesen seyn, als die Engel zu ihm eintraten. Ein solcher Geist ist doch auch ein Bote aus jener herrlichen Welt, der uns in seinen Werken eine Kunde von dort herunter bringt, einen Abglanz der ewigen Schönheit, nach der wir uns alle sehnen, und in deren Strahlen auch Ihr Vater und meine Mutter nun sich erquicken. Es war uns eine große Ueberraschung, als wir hörten Bendemann sey in Dresden.6 Ich hatte eine kleine Furcht ihn zu sehen, ich dachte es würde mich sehr betrüben wenn er mir persönlich gar nicht gefiele. Er ist aber ein ganz allerliebster Mensch. Schon aus seinen schönen Augen strahlt sein herrlicher Geist, dann ist sein Wesen und seine Rede so einfach, anspruchslos und kindlich. Er kam gestern vor Mittag und saß lange bei uns, er gerieth gleich mit dem Vater in ein sehr gründliches Gespräch über Kunst, besonders über Michel Angelo, er
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 211) wurde „ist“ eingefügt.
6 Bereits 1836 war Bendemann eine Professur an der Dresdner Akademie der Künste angeboten worden, die er jedoch abgelehnt hatte. Möglicherweise war er nun erneut auf Einladung des Königs Friedrich August II. in Dresden, der ihn vermutlich, zusammen mit einer wiederholten Einladung an die Akademie, mit der Ausmalung von drei Sälen des Dresdner Schlosses beuftragte; vgl. Brief vom 10. November 1837, S. 3 (Bl. 2 recto).
sagte seine Meinung so einfach und ohne alle Scheu, das gefiel mir sehr. Vater sprach mit vieler Lebendigkeit seine Liebe und Verehrung für ihn aus, und dabei wurde er immer roth bis über die Stirn. Den Mittag aß Vater mit ihm bei Carus, den Abend war er bei uns und es kamen viele Menschen ihn zu sehen. Vater las auf seinen Wunsch den Caesar. Ich faßte mir ein Herz und sprach dann auch etwas mit ihm, nur ist es mir in einem solchen Augenblick nie möglich Worte für mein Gefühl und meine Verehrung zu finden. Und doch fühlt man einem solchen Geist gegenüber die gewöhnliche Verlegenheit nicht, wie sonst gegen einen Fremden, man möchte mit ihm reden wie mit einem Bekannten. Sagen Sie ihm doch etwas von unsrer Verehrung, er war nicht in Düsseldorf als sein Bild hier war, und hat also auch damals nicht erfahren was ich in unser aller Namen darüber schrieb.7 Wie würde sich die theure Mutter an ihm gefreut haben! Dieser Gedanke und die Rührung diesen von Gott so hoch begnadigten Menschen in unserm Hause zu sehen hat mich sehr angegriffen, die körperliche Schwäche kommt jetzt erst bei mir nach, und ich bedarf nach jeder Aufregung oder Anstrengung der
7 Zur Ausstellung von 20 Gemälden der „Düsseldorfer Malerschule“ in Dresden im Dezember 1836, worunter auch Bendemanns Gemälde „Jeremias auf den Trümmern Jerusalems“ war, das Dorothea besonders gefiel, vgl. Brief vom 27. Dezember 1836, S. 2–5 (Bl. 1 verso bis 3 recto).
Einsamkeit, wo sich dann in strömenden Thränen das Gemüth und die Nerven wieder beruhigen. Das Leben wird mir jetzt sehr schwer, oft mehr als im Anfang Vater kann es nicht ertragen mich traurig zu sehen, er macht mir jedesmal Vorwürfe und hält meinen Schmerz für ein Zeichen der8 Mangel an Liebe zu ihm. Ich thue deshalb für die Geselligkeit mehr als ich eigentlich aushalten kann, und die Gewalt die ich mir anthun muß heiter zu scheinen ist mir eine große Qual.
Der gute Raumer ist seit 14 Tagen hier, theilnehmend und freundlich wie immer; doch kann ich mein innerstes Gefühl gegen ihn nicht so aussprechen wie gegen Sie. Sein Geist ist ganz auf das Leben, auf das Practische gerichtet. Er besteht darauf daß ich mich beschäftigen soll, und hat sehr recht, ich muß mich dazu zwingen, ich habe auch eine Arbeit, die er mir aufgetragen9 angefangen, nur ist mein Kopf so schwach daß mir das Leichteste nicht gelingen will. Die Beschäftigungen welche ich bis jetzt nur zum Vergnügen und um dem Vater zu helfen getrieben, werden mir vielleicht einmal sehr nothwendig seyn. Raumer nimmt sich unsrer Angelegenheiten an, und hat mir und Agnes in dieser Hinsicht eine
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „von“ statt „der“.
9 Es handelt sich um die auszugsweise Übersetzung der von Jared Sparks verfassten 12-bändigen Washington-Biographie The Life and Writings of George Washington.
sehr trübe Aussicht in die Zukunft eröffnet, alles steht schlimmer, als wir es denken konnten, Gott sey Dank daß die liebe Mutter, die sich wohl viele Sorgen darüber machte, sich doch unsre Zukunft nicht so sorgenvoll dachte, als sie nach menschlicher Einsicht seyn wird. Wenn wir uns wieder sehen10 will ich Ihnen das alles deutlicher erklären, zum Schreiben ist es zu weitläuftig.11 Wenn wir den Vater überleben sollen12 wünsche ich nur, daß wir nicht gezwungen seyn mögen, ich und Agnes nämlich, uns dann zu trennen. Wir fühlen erst jetzt wie wir uns lieben und einander nicht entbehren könnten.
Das Leben ist doch sehr schwer! Sonst konnte ich oft aller Noth vergessen und die Welt erschien mir so schön, ich konnte mich in Natur, in Poesie versenken wie in ein Meer von Wonne. Das wird nie wieder kommen, mit dem Tode der Mutter13 ist alle Jugend, alle Poesie verschwunden und außer meinem namenlosen Schmerz werden mir auch schwere Lasten und Pflichten auf die schwache Seele geladen. Vater war lange Zeit sehr schwach und leidend, er war mehrere Monathe nicht aus der Stube gekommen und sah ganz elend aus. Wir dachten oft wir könnten ihn auch verlieren
10 Anlässlich seiner Hochzeit im Mai 1837, kam Uechtritz auch in Dresden vorbei.
11 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „weitläufig“.
12 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 213) steht „sollten“.
13 Amalia Tieck war am 11. Februar 1837 gestorben.
es könne plötzlich eine Krankheit aus brechen Gott lob geht es jetzt besser, seit Raumer hier ist war er öfter mit diesem aus und ist wieder kräftiger und heitrer geworden Wir sehen auch wohl alles schlimmer als es ist, nach einem solchen Unglück ist es immer als müsse nun alles zusammen brechen, und man denkt mit einer gewissen Ruhe daran, die früher unmöglich gewesen wäre. Vater liest jetzt wieder oft, ich höre aber gewöhnlich nicht zu, ein Lustspiel anzuhören wäre mir unmöglich. Neulich las er Ihre Babylonier die habe ich angehört und sie haben einen größeren Eindruck auf mich gemacht als sonst je.
Da Sie nichts darüber schreiben denke ich es bleibt wohl dabei daß Ihre Hochzeit im May ist14 und wir sehen uns also bald wieder. Ich denke jetzt schon mit tiefer Rührung an dies Wiedersehen, wir beide in so ganz verändertem Zustand. Gott gebe Ihnen viele, viele Freuden! Ein recht tiefer Schmerz erweckt eine innige Theilnahme an dem Glück der Menschen die uns vielleicht sonst15 gleichgültig waren, da können Sie denken, wie mir das Ihrige jetzt am Herzen liegt, wirklich noch weit inniger als sonst. Leiden verschließen das Herz nicht, sondern öffnen es jedem
14 Die Hochzeit fand am 18. Mai 1837 statt.
15 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 214) steht „sonst vielleicht“.
schönerem Gefühl. Deshalb müssen Sie auch Nachsicht mit mir haben und mir wegen dieser langen, schlechten und verwirrten Briefe, die ich unter Thränen schreibe, nicht böse werden, mein liebster Freund. Ich erschrecke eben vor den zwei Bogen auf denen fast nur von mir die Rede ist. Ihnen gegenüber geht meine ganze Seele auf und es ist mir Trost und Erleichtrung Ihnen zu schreiben. Ich sollte mehr von Ihrem Schmerz sprechen. Doch was kann ich Ihnen darüber noch sagen. Sie kennen ja mein Gefühl und es könnte mir nicht einfallen Sie trösten zu wollen. Den Schmerz recht tief fühlen ist der einzige Trost.
Tausend Grüße tragen Vater und Schwester mir auf. Gott sey mit Ihnen, mein einzig theuerster Freund, und führe Sie durch Leid und Freude auf Seinen lichten Wegen.16
Mit inniger, treuer Freundschaft Ihre Dorothea.
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 214) steht ein Ausrufezeichen anstelle des Punktes.