
Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz
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Dresden den 7 Januar 39.
Vorgestern, mein theuerster Freund, erhielt
ich Ihren Brief,1 den ich wahrlich nicht verdient
habe. Denken Sie nicht, daß ich mich entschuldigen
werde, ich sage nur peccavi2 und bekenne, daß
ich mich selbst ganz schändlich und mein Betra=
gen unverzeihlich finde; doch glauben Sie es mir,
wenn Sie es noch nicht wissen sollten: Ein jedes
Verbrechen führt die Strafe mit sich, daß habe
ich in den Gewissensbissen empfunden, die mich
quälten, so oft ich an Sie dachte. Daß Sie böse
sind freut mich sehr; denn ich sehe daraus, daß
es Ihnen noch nicht ganz gleichgültig ist, ob Sie
etwas von mir hören oder nicht, und ich habe
bei dieser Gelegenheit die Erfahrung gemacht
wie ich doch noch nicht so ganz unempfänglich
für die Freude bin, als ich es oft glaube.
Daß ich absichtlich nicht geschrieben hätte, weil
Sie mich damals so lange warten ließen, kann
Ihnen wohl nie im Ernste eingefallen seyn, im
Gegentheil nahm ich mir vor, als Ihr lange er=
warteter Brief kam, sogleich zu antworten.
3(Von Ihren erfreulichen Aussichten hatte ich schon
gehört, und mich herzlich darüber gefreut,
möge Gott Seinen Segen dazu geben, und Ihnen
Allen die Zeit der Sorge und des Leidens glücklich
überstehen helfen.4)
Obgleich ich mich nicht entschuldigen wollte, muß
ich Ihnen doch im Ernste Ssagen, weshalb ich so
ungern schreibe, und mir oft vornehme es
1 Es handelt sich hierbei um den einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838. (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.)
2 Lat. ,ich habe gesündigt‘.
3 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
4 Es handelt sich bei den „erfreulichen Aussichten“ möglicherweise um eine Schwangerschaft Marie von Uechtritz'. Vgl. den einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838, Bl. 2 verso: „Meine Frau wird wohl Ihrer Schwester das nähere über die frohen Hoffnungen melden, denen ich mich für das nächste Jahr hingeben darf.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.) Über die Geburt eines Kindes ist jedoch nichts bekannt; die Ehe blieb offiziell kinderlos.
gar nicht mehr zu thun, und allen Verkehr mit
meinen Freunden, oder vielmehr mit Ihnen, den̄
Sie sind der einzige, den ich wahrhaft so nen̄en
kann, abzubrechen: Ich hätte Ihnen so Vieles zu
sagen, was sich so schwer schreiben läßt, und
nur so Weniges, das sich für einen Brief eignet.
Ich mache mir fast Vorwürfe, über meine La=
ge und meine Verhältnisse nachzudenken, und
möchte mich am liebsten nie darüber ausspre=
chen; Sie sind der Einzige auf der Welt, gegen
den ich mir eine Mittheilung erlaube, doch wie viel
leichter würde es mir mündlich werden. 5(Wer
unser Leben so äußerlich mit ansieht, denckt viel=
leicht es sey recht erträglich, ja sogar angenehm,
und doch glaube ich oft darunter erliegen zu müs=
sen. Daß wir alle gesund geblieben habe ich am
Schlusse des Jahres mit der innigsten Dankbar=
keit gegen Gott erkannt, denn ein jedes Uebel
vor dem wir bewahrt werden, ist auch eine Wohl=
that. Doch finde ich, daß des Vaters Hypochon=
drie immer zunim̄t, seine Ansichten immer bitt=
rer werden, leider wendet sich diese Bitterkeit
meist gegen uns, so löst sich dies Verhältniß im̄er
mehr, jede Offenheit muß schwinden, wenn man
nur immer mit Aengstlichkeit darauf bedacht
ist, ihn nicht zu reizen, nicht gegen sich aufzubrin=
gen; die Gräfinn wird mit jedem Jahre stumpf=
sinniger, spricht alle seine schon scharfen Mei=
nungen mit doppelter Schärfe nach, und beför=
dert, ohne es so böse zu meinen, die Richtung
in ihm, welche uns so unglücklich macht.) Ich weiß
nicht worin es liegt, es ist aber, als wäre mit
dem Scheiden der Mutter6 alles weit schlim̄er
geworden, und doch wünsche ich sie nicht zurück.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) folgt eine angezeigte Auslassung der folgenden drei Sätze bis einschließlich „so unglücklich macht“.
6 Amalia Tieck war am 11. Februar 1837 gestorben.
Weshalb sollte sie das auch noch empfinden, was
mich so tief betrübt, und was sie nun im helleren
Lichte sieht. Wenn ich daran denke, was mein Va=
ter mit seinem großen Geiste für Deutschland
und für viele7 künftige Geschlechter hätte seyn
können, wie er durch sein herrliches Gemüth die
Seinigen hätte beglücken können, so ergreift
mich bei diesem Gedanken eine Schwermuth, ein
so tiefer Lebensüberdruß, daß ich schwere
Kämpfe mit mir selbst durchzumachen habe, um
das Gleichgewicht nur einigermaßen wieder her=
zustellen. Wie schrecklich sind die Folgen dieser un=
natürlichen Verbindung für den armen Vater
in seinem ganzen Leben gewesen! seine schrift=
stellerische Laufbahn ist dadurch gehemmt, seine
schönste Kraft gebrochen worden, sie hat ihn ver=
hindert sich eine sorgenfreie Existenz zu begrün=
den, alles häusliche Glück und Familienleben
für immer zerstört, und welche bittre Früchte
trägt sie nun seinen Kindern und ihm selbst
in seinem Alter! Als ich noch für meine gelieb=
te Mutter leben und schaffen konnte habe ich
alles dies nicht so scharf empfunden, und meine
angeborne Heiterkeit kämpfte den trüben
Vorstellungen entgegen, seitdem ist es aber
anders, und ich bin im eigentlichen Sinne alt
geworden. Mein Sinn für das Göttliche hat sich
erweitert und gestärkt, dort fühle ich mich in
lichten, wonnevollen Räumen, aber für die
Welt tauge ich wirklich nicht mehr, um in und mit
der Welt fortzuleben ist doch einige frische des
Gefühls und Lebenslust unentbehrlich. Können Sie
es mir wohl, nach diesen Bekenntnissen noch ver=
denken, wenn ich ungern schreibe? Ich wünsche
7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) fehlt „viele“.
oft, kein Mensch bekümmerte sich mehr um mich, und
früge nach mir. Was soll es nutzen? Und nun vor=
züglich Sie, Sie sind glücklich, und alles was ich Ihnen
mittheilen kann trübt entweder Ihre Heiterkeit
oder dünkt Ihnen, was ich noch eher glaube, über=
trieben und eingebildet.
Mein Verhältniß mit Agnes ist so schön, wie ich
es mir nur wünschen kann, nur daß ich sie nicht
glücklich sehe, ist ein doppelter Schmerz. Sie empfin=
det alles noch heftiger, was uns beide drückt, und
es erregt in ihr noch mehr Bitterkeit weil sie
jünger ist. Ich glaube ich habe alle Liebe, mit der
ich an der Mutter hing, auf sie übertragen, es
ist wohl sehr natürlich, daß wir uns lieben, da wir
so ganz und ausschließend aufeinander ange=
wiesen sind, mir ist es oft, als lebten wir auf
einer wüsten Insel miteinander. Die hiesigen Be=
kannten erzeigen uns viele Freundlichkeit und
ich bin ihnen auch sehr dankbar dafür, da man
aber Niemanden in die innern Verhältnisse mag
blicken lassen, kann auch kein Vertrauen ent=
stehen, und es bleibt nur ein erheiternder Um=
gang, was allerdings sehr zu schätzen ist, und
was wir auch nicht vernachlässigen.
Sie werden mich ausschelten, theuerster Freund,
aber ich quäle mich immer mit dem Gedanken,
die Schwester wird mir auch noch genommen
werden, weil ich es fühle, wie ich sie zu sehr liebe
wie es das einzige, aber auch ein mächtiges
Band ist, was mich noch an die Erde fesselt.
Um sie zu begleiten, gehe ich, wenn sich die Gele=
genheit findet, in Gesellschaft, und weil ich dann
mit ihr darüber sprechen kann, besuche ich flei=
ßig das Theater, beides erheitert und zer=
streut mich dann oft. Ja, dies Verhältniß ist
ganz ungetrübt, und daher mein Glaube, daß es
2.
nicht dauern kann. Auch arbeite ich nur deshalb
so fleißig und suche etwas zu erwerben, weil
ich denke, es kann ihr vielleicht einmal8 das Leben
erleichtern. Jetzt kann ich mit Iphigenie sagen:
Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt, 9 und
vielleicht schelten Sie mit Thoas auf die weibliche
Schwäche. Deshalb bleibe ich immer dabei, es ist
besser daß solche Briefe ungeschrieben bleiben
und wie sollte ich Ihnen wohl anders schreiben?
einen Höflichkeitsbrief, eine abgetragene
Schuld? das kann ich noch weniger. Schwerlich wird
ein Mann je begreifen können, welche Kämpfe
eine Frau zu bestehen hat, die ihren Beruf
verfehlte, der entweder darin besteht einem
Hauswesen vorzustehen und für andre zu sor=
gen, oder sich von der Welt zurück zu ziehen und
in stiller Verborgenheit zu leben. Ersteres
war wohl ursprünglich die Bestimmung meiner
Schwesters, letzteres die meinige. Gott gefiel
es, uns auf einer rauheren Bahn zu führen,
und deshalb sollte auch jede Klage verstum̄en.
Haben Sie denn des Vaters Novelle: Des Le=
bens Ueberfluß, gelesen? und wie gefällt sie
Ihnen, mir hat sie sehr gefallen. Weniger das
Liebeswerben, was auch in diesem Jahre erschienen
ist. Münchhausen lasen wir des Abends gemein=
schaftlich, Sie haben recht, die zweite Hälfte des
ersten Theils gehört zu dem schönsten, was ich
je gelesen habe. Dies Naturgefühl, diese vor=
treffliche Bauerwirthschaft, und vor allem der Jä=
ger und das blonde Mädchen. Wie sie vor der
Blume kniet und er sie betrachtet,10 es ist ein
Bild, das ich nie vergessen werde. Die erste,
komische Hälfte hat mich sehr ergötzt und mir
aber doch nicht so durchgängig gefallen, einiges
finde ich zu stark, ja geradezu ekelhaft, am
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 220) steht „mal“.
9 Goethe: Iphigenie auf Tauris, S. 28 (1. Akt, 3. Szene).
10 Die Stelle findet sich im 1. Band von Immermanns Münchhausen, S. 413.
meisten gefiel mir, was keine unmittelbare
Beziehung hat, z. B. das Volk mit dem lan=
gen Namen,11 auf dem grünen Plateau und
den Schippermilchskühen,12 dann der Schulmeister
wie er sich Schilf aus dem Eurotas schneidet,13
und die Erklärung wie dem Baron das Kupfer
in's Blut getreten ist.14 Raupach's Lebensge=
schichte15 hat mich vergnügt, weil ich seine Stücke
nicht leiden kann, ich habe mir aber selbst über
dies16 Vergnügen Vorwürfe gemacht. Sollte ein
so scharfer, persönlicher Angriff nicht schon zu
dem Unerlaubten gehören? Wissen Sie denn
nicht, wann der zweite Theil erscheinen wird?17
Zur Strafe dafür, daß mein armer Persiles18
Ihnen nicht mehr gefallen hat, werde ich Ihnen,
sobald sie vollendet ist, meine Uebersetzung des
Washington19 schicken, und wenn Sie diese lesen,
was Sie aber nicht thun werden, können Sie
dabei, in grenzenloser Langeweile alle Ketze=
reien abbüßen, die sie gegen den him̄lischen
Cervantes vorgebracht haben; denn für einen
Dichter scheint mir Ihr Urtheil doch, so viel
wahres auch daran seyn mag, im Ganzen
ketzerisch. Während des Sommers habe ich den
ersten Band dieses weitläufigen Werkes,
welcher Washingtons Leben enthält,20 übersetzt
und er wird jetzt gedruckt, im großen Octav,21
wie die Hohenstaufen, werden es ungefähr 36
Bogen, den zweiten Band22 füllen dann Briefe
von Washington und andre Aufsätze, welche sich
auf ihn beziehen. Im Original sind dies eilf
Bände, Raumer hatte eine Auswahl in diesenvgetroffen, von dem was ich übersetzen sollte,
11 Das Volk besaß den langen Namen „Apapurincasiquinitschchiquisaquaner“; vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 9.
12 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 220) steht „Schlippermilchskühen“.
13 Vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 158.
14 Vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 234.
15 Immermann persifliert Raupach im Münchhausen in der Figur des Wachtfriseurs Isidor Hirsewenzel (Raupach hatte unter dem Pseudonym Lebrecht Hirsemenzel geschrieben); vgl. Münchhausen, Bd. 1, S. 43–59, wo es bspw. heißt: „Als in Isidor der Gedanke an sein verfehltes Daseyn einmal recht zum Durchbruch gekommen war, da rief er aus: Weil Ihr mich im Leben nicht habt zum Leder kommen lassen, so will ich Euch, da ich Euch leider nicht an's Leben selbst kommen kann, wenigstens das Bild des Lebens, die Bühne ruinieren.“ (Ebd., S. 51.)
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „das“.
17 Der zweite Band des Münchhausen erschien, ebenso wie Band drei und vier, 1839.
18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „Persilas“.
19 Im Auftrag Friedrich von Raumers fertigte Dorothea Tieck eine auszugsweise Übersetzung der von Jared Sparks verfassten 12-bändigen Washington-Biographie The Life and Writings of George Washington an.
20 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „erhält“.
21 Das Groß-Oktav besitzt eine Buchrückenhöhe von 22,5–25 cm.
22 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „Theil“.
im Frühling, als er und Brockhaus hier waren,
zeigte es sich aber, daß der zweite Band, im
Verhältniß zum ersten, zu schwach wurde, und
ich muß nun alle 11 Bände durchlesen, um in
meiner Uebersetzung aufzunehmen, was mir
noch merkwürdig scheint. Das ganze Werk23 ist
von der äußersten Trockenheit, geht in die
kleinsten Details, und läßt die großen Momen=
te vorüber gehen, ohne ein Gewicht darauf
zu legen, aus den Briefen, die ich in meine
Uebersetzung aufnehme werden Sie urtheilen
können, wie die sind, welche ich als uninteressant
weg gelassen habe, es sind Ordres an die Ge=
nerale, Berichte an den Congreß über Gefan=
gene, Proviant, Rekruten. Als Quellenstudium
kann dies Werk von Nutzen seyn, es wird
aber gewiß nur wenig Leser finden, denn
es ist zu unkünstlerisch geschrieben, und oft
so unlogisch und schlecht stylisirt, daß mir
dadurch die Arbeit schwer wurde, und ich man=
chen Satz völlig umkehren muß um ihn nur
verständlich zu machen. Uebrigens scheint mir
der Verfasser von einer edlen Gesinnung zu
seyn, und mit Liebe zu seinem Helden gearbei=
tet zu haben, er hält sich nur zu streng an
die vorliegenden Documente, und ist der Spra=
che nicht mächtig. Raumer muß alles verant=
worten, denn er hat mich eigentlich zu dieser
Arbeit gezwungen. Ich habe mich eigentlich24
auf einem mir völlig fremden Meere ohne
Lotzen eingeschifft, denn als ich die Sache unter=
nahm versprach mir Raumer, meine Ueberset=
zung durchzulesen, da ich mitten in der Arbeit
war sagte er aber, das sey zu umständlich
und mein Manuscript müsse gleich nach Leipzig
23 Jared Sparks: The Life and Writings of George Washington.
24 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 222) fehlt „eigentlich“.
in den Druck. Ich bin im militairischen und
dipplomatischen Fach auf tausend Dinge gesto=
ßen die mir völlig fremd waren, und wo ich
auch in keinem Lexicon Hülfe fand, es muß nun
gehen wie es kann, an Mühe habe ich es nicht
fehlen lassen, und Vater thut mir den Gefal=
len die Correcturbogen, welche ich mir schicken
lasse durchzulesen, bei den Kriegsschiffen und
dem englischen Gelde hatte ich einige Confusion
angerichtet, sonst ist bis jetzt alles gut ge=
wesen, der arme Vater seufzt aber im̄er
sehr, wenn ich ihm einen Bogen bringe. Man
beklagt mich, wegen dieser trocknen Arbeit,
hat aber ganz unrecht, denn es giebt wohl we=
nig Dinge, für die ich mich nicht interessiren
kann, wenn ich mich ernstlich damit beschäftige
die Arbeit hat mir Freude gemacht, obgleich
ich die Fehler des Buches sehr gut erkannte,
und ich habe Washington so lieb gewonnen,
daß ich beim Schreiben einen ganzen Vormit=
tag in Thränen zubrachte, als ich an die Stel=
le kam, wie er von der Armee Abschied
nim̄t, eben so ging es mir bei seinem To=
de. Wenn Sie das Buch auch nicht lesen, müs=
sen Sie doch etwas darin blättern, um die
heldenmüthige Ausdauer und Geduld die=
ses Mannes verehren zu lernen, die man
wohl noch nie so erkannt hat, wie aus die=
sem Buche. Der Spruch des weisen Salomo ist
mir oft eingefallen, daß der, welcher sich selbst
überwindet größer ist, als wer Städte er=
obert;25 denn nicht in glänzenden Thaten, sondern
in einer fortgesetzten Selbstüberwindung liegt
25 Vgl. die Sprüche des Salomos im Alten Testament 16,32.
3.
seine Größe.
Wann lassen Sie denn nun endlich einmal
drucken, theuerster Freund, ich fürchte Sie
sind zu ängstlich und durch zu vieles Feilen
kann Ihr Werk an Frische einbüßen.26
Daß Raumer im Frühling nach Italien
reist, um wenigstens ein Jahr27 auszublei=
ben, wissen sSie wohl schon, uns schien die=
se Reise, auf so lange Zeit und ohne ei=
gentlichen Zweck, etwas sonderbar, die
Lüttichau schreibt28 mir aber aus Berlin,
bei den mannigfachen Kränkungen und
Zurücksetzungen die er erfahren müsse,
lasse es sich begreifen. Die Lüttichau
bringt den ganzen Winter in Berlin bei
ihrem Vater29 zu, die Mutter30 ist im Früh=
ling gestorben. Lüttichau macht indessen
eine große Reise, nach London, Paris
und Italien, um die ersten Theater
zu sehen, und Maschinerie und Ausschmück=
ung des hiesigen danach einzurichten, den̄
der Bau des neuen Schauspielhauses31 ist
im Sommer schon ziemlich weit gediehen.
Wir haben jetzt viel neue Stücke gegeben
die mittelmäßig, auch wohl schlecht seyn
mochten, sich aber durch die ganz vollende=
te Darstellung zu wahren Kunstwerken
erhoben, daran sieht man, daß die Kunst
des Schauspielers doch eine selbständige
ist. Zu diesen Stücken rechne ich mehrere
von unsrer Prinzeß,32 dann Luise von Lig=
nerolle,33 aus dem Französischen, und die
Geschwister von Leutner, was von dem
26 Im einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838, Bl. 1 verso berichtet Uechtritz von seiner Arbeit an den beiden dokumentarischen Bänden über das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben: „Ich selbst habe, seitdem wir uns nicht gesehen, ganze Schubladen voll geschrieben, verworfen und neu ausgeführt, so daß ich nach Verhältniß meines Eifers nun langsam vorgerückt bin. Doch denke ich, soll der erste Band meines Buches bald das Licht der Welt erblicken.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.)
27 Raumer kehrte bereits am 22. September 1839 aus Italien zurück; vgl. Brief vom 24. September 1839, S. 4 (Bl. 2 verso).
28 Der Brief ist verschollen.
29 Karl Christoph Gottlob von Knobelsdorff.
30 Henriette von Knobelsdorff (geb. von Reppert, verwitw. von Mühlheim).
31 Unter Gottfried Semper entstand von 1838 bis 1841 der Bau des neuen Königlichen Hoftheaters, der sog. ersten Semperoper, die 1869 bei einem Brand zerstört wurde. Sie ersetzte das seit 1761 bestehende Morettische Hoftheater, welches nach der Fertigstellung des neuen Hoftheaters abgerissen wurde.
32 Von Amalie von Sachsen wurden 1838 die Lustspiele Der Zögling und Der Majoratserbe uraufgeführt; vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 632.
33 Die Uraufführung von Luise von Lignerolles von Ernest Legouvé, in einer Berabeitung von Theodor Hell, fand am 18. Dezember 1838 statt.
verstorbenen Prinzen Karl von Meckeln=
burg seyn soll,34 auch ein Stück von dem
Berliner Devrient, die Verirrungen.35
Mit den classischen Stücken gelingt es uns
weniger, der Egmont ist eine durchaus
schlechte Vorstellung,36 recht gut geht hingegen
der Macbeth, der vor kurzem wieder war.
Julius Caesar wird auch von neuem ein=
studirt.
Von einem kleinen Amte, was ich ver=
walte, und was mich vielfach beschäftigt,
muß ich Ihnen doch auch noch erzählen. Schon
seit lange gehöre ich zum katholischen Frau=
enverein, die Mitglieder desselben führen
die Oberaufsicht über die verschiednen Schu=
len und Anstalten. Vor länger als einem
Jahre wurde mir die Aufsicht über die
kleine katholische Schule in der Friedrich=
stadt37 übergeben, die fast nur von ganz
armen Kindern besucht wird. Ich habe nur
die Handarbeiten zu leiten, und die Leh=
rerin steht unter mir, ich muß alles ein=
richten und kaufen was dazu gehört,
und alle Mittwoch bringe ich dort den gan=
zen SVormittag zu, und gebe selbst Unter=
richt im Nähen und Stricken. Zu Weihnach=
ten habe ich auch allen Kindern beschert, meist
Kleidungsstücke, die ich selbst gearbeitet
hatte, und das machte mir viel zu thun.
Der einzig wahre Nutzen, der aus diesen
Bemühungen hervorgeht, ist, daß ich doch zu=
weilen Gelegenheit finde, für ganz ver=
lassene Kinder zu sorgen. Ich habe schon
34 „Emanuel Leutner“ war ein Pseudonym von Ernst Raupach. Das Stück wurde am 1. Januar 1839 erstmals in Dresden aufgeführt.
35 Die Dresdner Erstaufführung der Verirrungen fand am 29. September 1838 statt.
36 Zur Inszenierung des Egmont vgl. Brief vom 7. Oktober 1835, S. 1 (Bl. 1 recto) und S. 5 (Bl. 3 recto).
37 Möglicherweise handelte es sich um das Josephinische Mädchenstift in der Dresdner Friedrichstadt.
mehrere ganz verwahrloste Mädchen bei
rechtlichen Frauen untergebracht, wo sie ganz
einfach und nach ihrem Stande erzogen
werden. Zwar kann ich das nicht alles aus
eignen Mitteln bestreiten, ich finde aber
vielfache Unterstützung, und es wird mir
oft mehr gegeben als ich für den Augen=
blick brauche. Diese unbedeutende Beschäf=
tigung hat mich schon oft mit dem Leben
ausgesöhnt, ich habe dabei viel zu laufen,
was besonders im Winter gut ist, wo man
sonst nicht viel aus geht. Ich mache dabei die
Erfahrung, daß die immer zunehmen=
de Armuth und das grenzenlose Elend
doch hauptsächlich aus der großen Ver=
derbniß der niedren Stände herrührt.
Die meisten der armen Kinder gehen zu
Grunde, weil im Hause keine Ordnung
und Rechtlichkeit ist, und entweder der
Vater, oder die Mutter, oft auch beide
ein schlechtes Leben führen. Nicht nur für
verwaiste Kinder muß man sorgen, viele
kann man nur dadurch retten, daß man
sie den Eltern weg nim̄t, die denn auch
froh sind sie los zu werden, und gar nicht
einmal fragen, wie es ihnen geht. Daher
kommt es denn, daß die reichlichen Samm=
lungen und vielfachen Almosen doch nie aus=
reichen; denn die Wohlthätigkeit hier bei
uns ist sehr groß, und man muß bewun=
dern, wie viel selbst wenig bemittelte
Familien thun.
Ueber die religiösen Angelegenheiten wür=
den wir uns wohl nie ganz vereinigen
können. Sie glauben in der Mitte38 zu ste=
hen und haben gewiß die beste Meinung
verzeihen Sie mir aber wenn ich dießse
Stellung bezweifle. Sie sind einmal ein
Protestant, in dieser Ueberzeugung er=
zogen, und werden es auch bleiben. Sie
kennen die Kirche nur von außen her,
nur als etwas Historisches. Nie haben
Sie die Heiligkeit der Messe, die Kraft
der Sacramente, die Gemeinschaft der
Heiligen, die Ue[...] empfunden, selbst
von der tiefen Bedeutung der hohen christ=
lichen Feste ist Ihnen nur ein Schatten
geblieben. Deuten Sie mir diese Aeußerun=
gen nicht übel und halten Sie mich deshalb
nicht für intollerant; ich gestehe aber auch
gern ein, daß ich nicht in der Mitte stehe
und auch nicht danach strebe. Den Glauben
an innige dereinstige Vereinigung, die viel=
leicht durch alle diese traurigen Ereignisse
eher gefördert als aufgehalten wird, wer=
de ich nie aufgeben, denn er gehört zu
meinen heiligsten Ueberzeugungen. Nur
denke ich mir diese Vereinigung vielleicht
etwas anders als Sie. Alle diejenigen wel=
che Gott mit gläubigem Herzen anhangen,
und die Wahrheit mit Eifer suchen, gehören
ja zu Seiner Kirche, wenn sie sich auch äußer=
lich nicht zu ihr bekennen, und der ewige
Hirt wird sie aufsuchen, erleuchten und
mit seiner Heerde vereinigen, ob dies
bald oder später geschieht, kann uns wohl
38 Im Brief von Dezember 1838 schreibt Uechtritz: „Wie gern möchte ich mit Ihnen einmal die kirchlichen Wirren, die jezt die Welt spalten, so recht gründlich durchsprechen. Aber eben weil wir uns dabey auf nothwendig verschiednem Standpunkte befinden, könnte das nur mündlich geschehn. Genüther, wie das meine, die sich, wie Lessing sagt, auf den Grenzen der streitenden Partheien angebaut haben und schon von einer möglichen Ausgleichung und Versöhnung träumten, leiden vielleicht am meisten dabey.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991, Bl. 1 recto f.)
4.
ängstigen und bekümmern, doch der, vor
welchem tausend Jahre sind wie eEin Tag
hat von Ewigkeit bestimmt wann und wie
es geschehen soll, und die Menschen mögen
thun was sie wollen, sie befördern nur
Seine Zwecke, auch wenn sie das Gegen=
theil zu thun scheinen. In diesem Glauben
kann ich, wie vieles mich auch jetzt betrübt
ruhig seyn.
Je mehr sich die äußere Welt vor mir
verschließt, desto herrlicher erscheint mir
das kirchliche Leben. Der Umlauf des Kir=
chenjahres ist wie eine Reihe göttlicher
Gedichte, immer neue Lichter steigen auf,
neue Geheimnisse erschließen sich, das dünkt
mir oft so herrlich, daß ich denke, man be=
dürfte weiter gar keines Glückes auf
Erden, ja, man würde sich selbst nicht nach
dem Tode sehnen, lebte man ungestört
in diesen Betrachtungen
Doch nun endlich genug. Ich hatte mich ganz
davon entwöhnt, mich Ihnen mitzutheilen
und glaubte auch, es sey so besser, und
doch hat es mir nun so wohl gethan. Wenn
Sie mir erst wegen meines langen Schwei=
gens zürnten, thun Sie es nun vielleicht
noch mehr, wegen dieses langen Briefes.
Daß Sie mir beides vergeben, können
Sie mir am besten dadurch beweisen, daß
Sie mir recht bald wieder schreiben. 39Sagen
Sie Ihrer lieben Frau und Schwiegermutter40
die herzlichsten Grüße von mir, die Vater
mir auch für Sie aufträgt. Mit unverän=
derter Freundschaft.
Ihre Dorothea.
39 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 225) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Briefs.
Dresden den 7 Januar 39. Vorgestern, mein theuerster Freund, erhielt ich Ihren Brief,1 den ich wahrlich nicht verdient habe. Denken Sie nicht, daß ich mich entschuldigen werde, ich sage nur peccavi2 und bekenne, daß ich mich selbst ganz schändlich und mein Betragen unverzeihlich finde; doch glauben Sie es mir, wenn Sie es noch nicht wissen sollten: Ein jedes Verbrechen führt die Strafe mit sich, daß habe ich in den Gewissensbissen empfunden, die mich quälten, so oft ich an Sie dachte. Daß Sie böse sind freut mich sehr; denn ich sehe daraus, daß es Ihnen noch nicht ganz gleichgültig ist, ob Sie etwas von mir hören oder nicht, und ich habe bei dieser Gelegenheit die Erfahrung gemacht wie ich doch noch nicht so ganz unempfänglich für die Freude bin, als ich es oft glaube. Daß ich absichtlich nicht geschrieben hätte, weil Sie mich damals so lange warten ließen, kann Ihnen wohl nie im Ernste eingefallen seyn, im Gegentheil nahm ich mir vor, als Ihr lange erwarteter Brief kam, sogleich zu antworten. 3Von Ihren erfreulichen Aussichten hatte ich schon gehört, und mich herzlich darüber gefreut, möge Gott Seinen Segen dazu geben, und Ihnen Allen die Zeit der Sorge und des Leidens glücklich überstehen helfen.4
Obgleich ich mich nicht entschuldigen wollte, muß ich Ihnen doch im Ernste sagen, weshalb ich so ungern schreibe, und mir oft vornehme es
1 Es handelt sich hierbei um den einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838. (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.)
2 Lat. ,ich habe gesündigt‘.
3 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) folgt eine unmarkierte Auslassung bis zum Ende des Absatzes.
4 Es handelt sich bei den „erfreulichen Aussichten“ möglicherweise um eine Schwangerschaft Marie von Uechtritz'. Vgl. den einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838, Bl. 2 verso: „Meine Frau wird wohl Ihrer Schwester das nähere über die frohen Hoffnungen melden, denen ich mich für das nächste Jahr hingeben darf.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.) Über die Geburt eines Kindes ist jedoch nichts bekannt; die Ehe blieb offiziell kinderlos.
gar nicht mehr zu thun, und allen Verkehr mit meinen Freunden, oder vielmehr mit Ihnen, denn Sie sind der einzige, den ich wahrhaft so nennen kann, abzubrechen: Ich hätte Ihnen so Vieles zu sagen, was sich so schwer schreiben läßt, und nur so Weniges, das sich für einen Brief eignet. Ich mache mir fast Vorwürfe, über meine Lage und meine Verhältnisse nachzudenken, und möchte mich am liebsten nie darüber aussprechen; Sie sind der Einzige auf der Welt, gegen den ich mir eine Mittheilung erlaube, doch wie viel leichter würde es mir mündlich werden. 5Wer unser Leben so äußerlich mit ansieht, denckt vielleicht es sey recht erträglich, ja sogar angenehm, und doch glaube ich oft darunter erliegen zu müssen. Daß wir alle gesund geblieben habe ich am Schlusse des Jahres mit der innigsten Dankbarkeit gegen Gott erkannt, denn ein jedes Uebel vor dem wir bewahrt werden, ist auch eine Wohlthat. Doch finde ich, daß des Vaters Hypochondrie immer zunimmt, seine Ansichten immer bittrer werden, leider wendet sich diese Bitterkeit meist gegen uns, so löst sich dies Verhältniß immer mehr, jede Offenheit muß schwinden, wenn man nur immer mit Aengstlichkeit darauf bedacht ist, ihn nicht zu reizen, nicht gegen sich aufzubringen; die Gräfinn wird mit jedem Jahre stumpfsinniger, spricht alle seine schon scharfen Meinungen mit doppelter Schärfe nach, und befördert, ohne es so böse zu meinen, die Richtung in ihm, welche uns so unglücklich macht. Ich weiß nicht worin es liegt, es ist aber, als wäre mit dem Scheiden der Mutter6 alles weit schlimmer geworden, und doch wünsche ich sie nicht zurück.
5 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) folgt eine angezeigte Auslassung der folgenden drei Sätze bis einschließlich „so unglücklich macht“.
6 Amalia Tieck war am 11. Februar 1837 gestorben.
Weshalb sollte sie das auch noch empfinden, was mich so tief betrübt, und was sie nun im helleren Lichte sieht. Wenn ich daran denke, was mein Vater mit seinem großen Geiste für Deutschland und für viele7 künftige Geschlechter hätte seyn können, wie er durch sein herrliches Gemüth die Seinigen hätte beglücken können, so ergreift mich bei diesem Gedanken eine Schwermuth, ein so tiefer Lebensüberdruß, daß ich schwere Kämpfe mit mir selbst durchzumachen habe, um das Gleichgewicht nur einigermaßen wieder herzustellen. Wie schrecklich sind die Folgen dieser unnatürlichen Verbindung für den armen Vater in seinem ganzen Leben gewesen! seine schriftstellerische Laufbahn ist dadurch gehemmt, seine schönste Kraft gebrochen worden, sie hat ihn verhindert sich eine sorgenfreie Existenz zu begründen, alles häusliche Glück und Familienleben für immer zerstört, und welche bittre Früchte trägt sie nun seinen Kindern und ihm selbst in seinem Alter! Als ich noch für meine geliebte Mutter leben und schaffen konnte habe ich alles dies nicht so scharf empfunden, und meine angeborne Heiterkeit kämpfte den trüben Vorstellungen entgegen, seitdem ist es aber anders, und ich bin im eigentlichen Sinne alt geworden. Mein Sinn für das Göttliche hat sich erweitert und gestärkt, dort fühle ich mich in lichten, wonnevollen Räumen, aber für die Welt tauge ich wirklich nicht mehr, um in und mit der Welt fortzuleben ist doch einige frische des Gefühls und Lebenslust unentbehrlich. Können Sie es mir wohl, nach diesen Bekenntnissen noch verdenken, wenn ich ungern schreibe? Ich wünsche
7 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 218) fehlt „viele“.
oft, kein Mensch bekümmerte sich mehr um mich, und früge nach mir. Was soll es nutzen? Und nun vorzüglich Sie, Sie sind glücklich, und alles was ich Ihnen mittheilen kann trübt entweder Ihre Heiterkeit oder dünkt Ihnen, was ich noch eher glaube, übertrieben und eingebildet.
Mein Verhältniß mit Agnes ist so schön, wie ich es mir nur wünschen kann, nur daß ich sie nicht glücklich sehe, ist ein doppelter Schmerz. Sie empfindet alles noch heftiger, was uns beide drückt, und es erregt in ihr noch mehr Bitterkeit weil sie jünger ist. Ich glaube ich habe alle Liebe, mit der ich an der Mutter hing, auf sie übertragen, es ist wohl sehr natürlich, daß wir uns lieben, da wir so ganz und ausschließend aufeinander angewiesen sind, mir ist es oft, als lebten wir auf einer wüsten Insel miteinander. Die hiesigen Bekannten erzeigen uns viele Freundlichkeit und ich bin ihnen auch sehr dankbar dafür, da man aber Niemanden in die innern Verhältnisse mag blicken lassen, kann auch kein Vertrauen entstehen, und es bleibt nur ein erheiternder Umgang, was allerdings sehr zu schätzen ist, und was wir auch nicht vernachlässigen.
Sie werden mich ausschelten, theuerster Freund, aber ich quäle mich immer mit dem Gedanken, die Schwester wird mir auch noch genommen werden, weil ich es fühle, wie ich sie zu sehr liebe wie es das einzige, aber auch ein mächtiges Band ist, was mich noch an die Erde fesselt. Um sie zu begleiten, gehe ich, wenn sich die Gelegenheit findet, in Gesellschaft, und weil ich dann mit ihr darüber sprechen kann, besuche ich fleißig das Theater, beides erheitert und zerstreut mich dann oft. Ja, dies Verhältniß ist ganz ungetrübt, und daher mein Glaube, daß es
nicht dauern kann. Auch arbeite ich nur deshalb so fleißig und suche etwas zu erwerben, weil ich denke, es kann ihr vielleicht einmal8 das Leben erleichtern. Jetzt kann ich mit Iphigenie sagen: Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt, 9 und vielleicht schelten Sie mit Thoas auf die weibliche Schwäche. Deshalb bleibe ich immer dabei, es ist besser daß solche Briefe ungeschrieben bleiben und wie sollte ich Ihnen wohl anders schreiben? einen Höflichkeitsbrief, eine abgetragene Schuld? das kann ich noch weniger. Schwerlich wird ein Mann je begreifen können, welche Kämpfe eine Frau zu bestehen hat, die ihren Beruf verfehlte, der entweder darin besteht einem Hauswesen vorzustehen und für andre zu sorgen, oder sich von der Welt zurück zu ziehen und in stiller Verborgenheit zu leben. Ersteres war wohl ursprünglich die Bestimmung meiner Schwester, letzteres die meinige. Gott gefiel es, uns auf einer rauheren Bahn zu führen, und deshalb sollte auch jede Klage verstummen.
Haben Sie denn des Vaters Novelle: Des Lebens Ueberfluß, gelesen? und wie gefällt sie Ihnen, mir hat sie sehr gefallen. Weniger das Liebeswerben, was auch in diesem Jahre erschienen ist. Münchhausen lasen wir des Abends gemeinschaftlich, Sie haben recht, die zweite Hälfte des ersten Theils gehört zu dem schönsten, was ich je gelesen habe. Dies Naturgefühl, diese vortreffliche Bauerwirthschaft, und vor allem der Jäger und das blonde Mädchen. Wie sie vor der Blume kniet und er sie betrachtet,10 es ist ein Bild, das ich nie vergessen werde. Die erste, komische Hälfte hat mich sehr ergötzt mir aber doch nicht so durchgängig gefallen, einiges finde ich zu stark, ja geradezu ekelhaft, am
8 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 220) steht „mal“.
9 Goethe: Iphigenie auf Tauris, S. 28 (1. Akt, 3. Szene).
10 Die Stelle findet sich im 1. Band von Immermanns Münchhausen, S. 413.
meisten gefiel mir, was keine unmittelbare Beziehung hat, zum Beispiel das Volk mit dem langen Namen,11 auf dem grünen Plateau und den Schippermilchskühen,12 dann der Schulmeister wie er sich Schilf aus dem Eurotas schneidet,13 und die Erklärung wie dem Baron das Kupfer in's Blut getreten ist.14 Raupach's Lebensgeschichte15 hat mich vergnügt, weil ich seine Stücke nicht leiden kann, ich habe mir aber selbst über dies16 Vergnügen Vorwürfe gemacht. Sollte ein so scharfer, persönlicher Angriff nicht schon zu dem Unerlaubten gehören? Wissen Sie denn nicht, wann der zweite Theil erscheinen wird?17
Zur Strafe dafür, daß mein armer Persiles18 Ihnen nicht mehr gefallen hat, werde ich Ihnen, sobald sie vollendet ist, meine Uebersetzung des Washington19 schicken, und wenn Sie diese lesen, was Sie aber nicht thun werden, können Sie dabei, in grenzenloser Langeweile alle Ketzereien abbüßen, die sie gegen den himmlischen Cervantes vorgebracht haben; denn für einen Dichter scheint mir Ihr Urtheil doch, so viel wahres auch daran seyn mag, im Ganzen ketzerisch. Während des Sommers habe ich den ersten Band dieses weitläufigen Werkes, welcher Washingtons Leben enthält,20 übersetzt und er wird jetzt gedruckt, im großen Octav,21 wie die Hohenstaufen, werden es ungefähr 36 Bogen, den zweiten Band22 füllen dann Briefe von Washington und andre Aufsätze, welche sich auf ihn beziehen. Im Original sind dies eilf Bände, Raumer hatte eine Auswahl in diesen getroffen, von dem was ich übersetzen sollte,
11 Das Volk besaß den langen Namen „Apapurincasiquinitschchiquisaquaner“; vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 9.
12 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 220) steht „Schlippermilchskühen“.
13 Vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 158.
14 Vgl. Münchausen, Bd. 1, S. 234.
15 Immermann persifliert Raupach im Münchhausen in der Figur des Wachtfriseurs Isidor Hirsewenzel (Raupach hatte unter dem Pseudonym Lebrecht Hirsemenzel geschrieben); vgl. Münchhausen, Bd. 1, S. 43–59, wo es bspw. heißt: „Als in Isidor der Gedanke an sein verfehltes Daseyn einmal recht zum Durchbruch gekommen war, da rief er aus: Weil Ihr mich im Leben nicht habt zum Leder kommen lassen, so will ich Euch, da ich Euch leider nicht an's Leben selbst kommen kann, wenigstens das Bild des Lebens, die Bühne ruinieren.“ (Ebd., S. 51.)
16 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „das“.
17 Der zweite Band des Münchhausen erschien, ebenso wie Band drei und vier, 1839.
18 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „Persilas“.
19 Im Auftrag Friedrich von Raumers fertigte Dorothea Tieck eine auszugsweise Übersetzung der von Jared Sparks verfassten 12-bändigen Washington-Biographie The Life and Writings of George Washington an.
20 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „erhält“.
21 Das Groß-Oktav besitzt eine Buchrückenhöhe von 22,5–25 cm.
22 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 221) steht „Theil“.
im Frühling, als er und Brockhaus hier waren, zeigte es sich aber, daß der zweite Band, im Verhältniß zum ersten, zu schwach wurde, und ich muß nun alle 11 Bände durchlesen, um in meiner Uebersetzung aufzunehmen, was mir noch merkwürdig scheint. Das ganze Werk23 ist von der äußersten Trockenheit, geht in die kleinsten Details, und läßt die großen Momente vorüber gehen, ohne ein Gewicht darauf zu legen, aus den Briefen, die ich in meine Uebersetzung aufnehme werden Sie urtheilen können, wie die sind, welche ich als uninteressant weg gelassen habe, es sind Ordres an die Generale, Berichte an den Congreß über Gefangene, Proviant, Rekruten. Als Quellenstudium kann dies Werk von Nutzen seyn, es wird aber gewiß nur wenig Leser finden, denn es ist zu unkünstlerisch geschrieben, und oft so unlogisch und schlecht stylisirt, daß mir dadurch die Arbeit schwer wurde, und ich manchen Satz völlig umkehren muß um ihn nur verständlich zu machen. Uebrigens scheint mir der Verfasser von einer edlen Gesinnung zu seyn, und mit Liebe zu seinem Helden gearbeitet zu haben, er hält sich nur zu streng an die vorliegenden Documente, und ist der Sprache nicht mächtig. Raumer muß alles verantworten, denn er hat mich eigentlich zu dieser Arbeit gezwungen. Ich habe mich eigentlich24 auf einem mir völlig fremden Meere ohne Lotzen eingeschifft, denn als ich die Sache unternahm versprach mir Raumer, meine Uebersetzung durchzulesen, da ich mitten in der Arbeit war sagte er aber, das sey zu umständlich und mein Manuscript müsse gleich nach Leipzig
23 Jared Sparks: The Life and Writings of George Washington.
24 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 222) fehlt „eigentlich“.
in den Druck. Ich bin im militairischen und dipplomatischen Fach auf tausend Dinge gestoßen die mir völlig fremd waren, und wo ich auch in keinem Lexicon Hülfe fand, es muß nun gehen wie es kann, an Mühe habe ich es nicht fehlen lassen, und Vater thut mir den Gefallen die Correcturbogen, welche ich mir schicken lasse durchzulesen, bei den Kriegsschiffen und dem englischen Gelde hatte ich einige Confusion angerichtet, sonst ist bis jetzt alles gut gewesen, der arme Vater seufzt aber immer sehr, wenn ich ihm einen Bogen bringe. Man beklagt mich, wegen dieser trocknen Arbeit, hat aber ganz unrecht, denn es giebt wohl wenig Dinge, für die ich mich nicht interessiren kann, wenn ich mich ernstlich damit beschäftige die Arbeit hat mir Freude gemacht, obgleich ich die Fehler des Buches sehr gut erkannte, und ich habe Washington so lieb gewonnen, daß ich beim Schreiben einen ganzen Vormittag in Thränen zubrachte, als ich an die Stelle kam, wie er von der Armee Abschied nimmt, eben so ging es mir bei seinem Tode. Wenn Sie das Buch auch nicht lesen, müssen Sie doch etwas darin blättern, um die heldenmüthige Ausdauer und Geduld dieses Mannes verehren zu lernen, die man wohl noch nie so erkannt hat, wie aus diesem Buche. Der Spruch des weisen Salomo ist mir oft eingefallen, daß der, welcher sich selbst überwindet größer ist, als wer Städte erobert;25 denn nicht in glänzenden Thaten, sondern in einer fortgesetzten Selbstüberwindung liegt
25 Vgl. die Sprüche des Salomos im Alten Testament 16,32.
seine Größe.
Wann lassen Sie denn nun endlich einmal drucken, theuerster Freund, ich fürchte Sie sind zu ängstlich und durch zu vieles Feilen kann Ihr Werk an Frische einbüßen.26
Daß Raumer im Frühling nach Italien reist, um wenigstens ein Jahr27 auszubleiben, wissen Sie wohl schon, uns schien diese Reise, auf so lange Zeit und ohne eigentlichen Zweck, etwas sonderbar, die Lüttichau schreibt28 mir aber aus Berlin, bei den mannigfachen Kränkungen und Zurücksetzungen die er erfahren müsse, lasse es sich begreifen. Die Lüttichau bringt den ganzen Winter in Berlin bei ihrem Vater29 zu, die Mutter30 ist im Frühling gestorben. Lüttichau macht indessen eine große Reise, nach London, Paris und Italien, um die ersten Theater zu sehen, und Maschinerie und Ausschmückung des hiesigen danach einzurichten, denn der Bau des neuen Schauspielhauses31 ist im Sommer schon ziemlich weit gediehen. Wir haben jetzt viel neue Stücke gegeben die mittelmäßig, auch wohl schlecht seyn mochten, sich aber durch die ganz vollendete Darstellung zu wahren Kunstwerken erhoben, daran sieht man, daß die Kunst des Schauspielers doch eine selbständige ist. Zu diesen Stücken rechne ich mehrere von unsrer Prinzeß,32 dann Luise von Lignerolle,33 aus dem Französischen, und die Geschwister von Leutner, was von dem
26 Im einzigen an Dorothea Tieck überlieferten Brief Uechtritz' von Dezember 1838, Bl. 1 verso berichtet Uechtritz von seiner Arbeit an den beiden dokumentarischen Bänden über das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben: „Ich selbst habe, seitdem wir uns nicht gesehen, ganze Schubladen voll geschrieben, verworfen und neu ausgeführt, so daß ich nach Verhältniß meines Eifers nun langsam vorgerückt bin. Doch denke ich, soll der erste Band meines Buches bald das Licht der Welt erblicken.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991.)
27 Raumer kehrte bereits am 22. September 1839 aus Italien zurück; vgl. Brief vom 24. September 1839, S. 4 (Bl. 2 verso).
28 Der Brief ist verschollen.
29 Karl Christoph Gottlob von Knobelsdorff.
30 Henriette von Knobelsdorff (geb. von Reppert, verwitw. von Mühlheim).
31 Unter Gottfried Semper entstand von 1838 bis 1841 der Bau des neuen Königlichen Hoftheaters, der sog. ersten Semperoper, die 1869 bei einem Brand zerstört wurde. Sie ersetzte das seit 1761 bestehende Morettische Hoftheater, welches nach der Fertigstellung des neuen Hoftheaters abgerissen wurde.
32 Von Amalie von Sachsen wurden 1838 die Lustspiele Der Zögling und Der Majoratserbe uraufgeführt; vgl. Prölß: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 632.
33 Die Uraufführung von Luise von Lignerolles von Ernest Legouvé, in einer Berabeitung von Theodor Hell, fand am 18. Dezember 1838 statt.
verstorbenen Prinzen Karl von Meckelnburg seyn soll,34 auch ein Stück von dem Berliner Devrient, die Verirrungen.35 Mit den classischen Stücken gelingt es uns weniger, der Egmont ist eine durchaus schlechte Vorstellung,36 recht gut geht hingegen der Macbeth, der vor kurzem wieder war. Julius Caesar wird auch von neuem einstudirt.
Von einem kleinen Amte, was ich verwalte, und was mich vielfach beschäftigt, muß ich Ihnen doch auch noch erzählen. Schon seit lange gehöre ich zum katholischen Frauenverein, die Mitglieder desselben führen die Oberaufsicht über die verschiednen Schulen und Anstalten. Vor länger als einem Jahre wurde mir die Aufsicht über die kleine katholische Schule in der Friedrichstadt37 übergeben, die fast nur von ganz armen Kindern besucht wird. Ich habe nur die Handarbeiten zu leiten, und die Lehrerin steht unter mir, ich muß alles einrichten und kaufen was dazu gehört, und alle Mittwoch bringe ich dort den ganzen Vormittag zu, und gebe selbst Unterricht im Nähen und Stricken. Zu Weihnachten habe ich auch allen Kindern beschert, meist Kleidungsstücke, die ich selbst gearbeitet hatte, und das machte mir viel zu thun. Der einzig wahre Nutzen, der aus diesen Bemühungen hervorgeht, ist, daß ich doch zuweilen Gelegenheit finde, für ganz verlassene Kinder zu sorgen. Ich habe schon
34 „Emanuel Leutner“ war ein Pseudonym von Ernst Raupach. Das Stück wurde am 1. Januar 1839 erstmals in Dresden aufgeführt.
35 Die Dresdner Erstaufführung der Verirrungen fand am 29. September 1838 statt.
36 Zur Inszenierung des Egmont vgl. Brief vom 7. Oktober 1835, S. 1 (Bl. 1 recto) und S. 5 (Bl. 3 recto).
37 Möglicherweise handelte es sich um das Josephinische Mädchenstift in der Dresdner Friedrichstadt.
mehrere ganz verwahrloste Mädchen bei rechtlichen Frauen untergebracht, wo sie ganz einfach und nach ihrem Stande erzogen werden. Zwar kann ich das nicht alles aus eignen Mitteln bestreiten, ich finde aber vielfache Unterstützung, und es wird mir oft mehr gegeben als ich für den Augenblick brauche. Diese unbedeutende Beschäftigung hat mich schon oft mit dem Leben ausgesöhnt, ich habe dabei viel zu laufen, was besonders im Winter gut ist, wo man sonst nicht viel aus geht. Ich mache dabei die Erfahrung, daß die immer zunehmende Armuth und das grenzenlose Elend doch hauptsächlich aus der großen Verderbniß der niedren Stände herrührt. Die meisten der armen Kinder gehen zu Grunde, weil im Hause keine Ordnung und Rechtlichkeit ist, und entweder der Vater, oder die Mutter, oft auch beide ein schlechtes Leben führen. Nicht nur für verwaiste Kinder muß man sorgen, viele kann man nur dadurch retten, daß man sie den Eltern weg nimmt, die denn auch froh sind sie los zu werden, und gar nicht einmal fragen, wie es ihnen geht. Daher kommt es denn, daß die reichlichen Sammlungen und vielfachen Almosen doch nie ausreichen; denn die Wohlthätigkeit hier bei uns ist sehr groß, und man muß bewundern, wie viel selbst wenig bemittelte Familien thun.
Ueber die religiösen Angelegenheiten würden wir uns wohl nie ganz vereinigen können. Sie glauben in der Mitte38 zu stehen und haben gewiß die beste Meinung verzeihen Sie mir aber wenn ich diese Stellung bezweifle. Sie sind einmal ein Protestant, in dieser Ueberzeugung erzogen, und werden es auch bleiben. Sie kennen die Kirche nur von außen her, nur als etwas Historisches. Nie haben Sie die Heiligkeit der Messe, die Kraft der Sacramente, die Gemeinschaft der Heiligen empfunden, selbst von der tiefen Bedeutung der hohen christlichen Feste ist Ihnen nur ein Schatten geblieben. Deuten Sie mir diese Aeußerungen nicht übel und halten Sie mich deshalb nicht für intollerant; ich gestehe aber auch gern ein, daß ich nicht in der Mitte stehe und auch nicht danach strebe. Den Glauben an innige dereinstige Vereinigung, die vielleicht durch alle diese traurigen Ereignisse eher gefördert als aufgehalten wird, werde ich nie aufgeben, denn er gehört zu meinen heiligsten Ueberzeugungen. Nur denke ich mir diese Vereinigung vielleicht etwas anders als Sie. Alle diejenigen welche Gott mit gläubigem Herzen anhangen, und die Wahrheit mit Eifer suchen, gehören ja zu Seiner Kirche, wenn sie sich auch äußerlich nicht zu ihr bekennen, und der ewige Hirt wird sie aufsuchen, erleuchten und mit seiner Heerde vereinigen, ob dies bald oder später geschieht, kann uns wohl
38 Im Brief von Dezember 1838 schreibt Uechtritz: „Wie gern möchte ich mit Ihnen einmal die kirchlichen Wirren, die jezt die Welt spalten, so recht gründlich durchsprechen. Aber eben weil wir uns dabey auf nothwendig verschiednem Standpunkte befinden, könnte das nur mündlich geschehn. Genüther, wie das meine, die sich, wie Lessing sagt, auf den Grenzen der streitenden Partheien angebaut haben und schon von einer möglichen Ausgleichung und Versöhnung träumten, leiden vielleicht am meisten dabey.“ (Westfälisches Handschriftenarchiv, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Signatur: Atg. 1991, Bl. 1 recto f.)
ängstigen und bekümmern, doch der, vor welchem tausend Jahre sind wie Ein Tag hat von Ewigkeit bestimmt wann und wie es geschehen soll, und die Menschen mögen thun was sie wollen, sie befördern nur Seine Zwecke, auch wenn sie das Gegentheil zu thun scheinen. In diesem Glauben kann ich, wie vieles mich auch jetzt betrübt ruhig seyn.
Je mehr sich die äußere Welt vor mir verschließt, desto herrlicher erscheint mir das kirchliche Leben. Der Umlauf des Kirchenjahres ist wie eine Reihe göttlicher Gedichte, immer neue Lichter steigen auf, neue Geheimnisse erschließen sich, das dünkt mir oft so herrlich, daß ich denke, man bedürfte weiter gar keines Glückes auf Erden, ja, man würde sich selbst nicht nach dem Tode sehnen, lebte man ungestört in diesen Betrachtungen
Doch nun endlich genug. Ich hatte mich ganz davon entwöhnt, mich Ihnen mitzutheilen und glaubte auch, es sey so besser, und doch hat es mir nun so wohl gethan. Wenn Sie mir erst wegen meines langen Schweigens zürnten, thun Sie es nun vielleicht noch mehr, wegen dieses langen Briefes. Daß Sie mir beides vergeben, können Sie mir am besten dadurch beweisen, daß Sie mir recht bald wieder schreiben. 39Sagen Sie Ihrer lieben Frau und Schwiegermutter40 die herzlichsten Grüße von mir, die Vater mir auch für Sie aufträgt. Mit unveränderter Freundschaft. Ihre Dorothea.
39 Bei Sybel: Erinnerungen (S. 225) folgt eine angezeigte Auslassung bis zum Ende des Briefs.