Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Brief von Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz (Dresden, 24. September 1839)

 

 

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    29.


    Theurer Freund,

    Gestern erhielten wir durch Frau von
    Siebel
    Ihre Briefe,1 und da sie bald
    nach Düsseldorf zurück kehrt, eile ich
    zu schreiben, um ihr wenigstens einen
    Dank und einige Nachrichten mitge=
    ben zu können. Gestern Abend wa=
    ren Siebels2 bei uns, ich habe mit der
    Frau gesprochen, so viel es bei der Un=
    ruhe der vielen Menschen und des Thee=
    trinkens möglich war: sie gefällt mir
    sehr, und weit besser als ich erwartet
    hatte, ich dachte sie mir weniger na=
    türlich und einfach, auch der Mann
    hat ein ganz angenehmes Wesen. Ich
    hoffe sie noch einige mal zu sehen
    und mir noch mancherlei aus Düssel=
    dorf
    erzählen zu lassen.

    (Ich freue mich herzlich, daß Sie end=
    lich über den Zustand Ihrer Frau

    Kommentare

    1 Neben dem an Dorothea gerichteten Brief, war auch ein Brief von Marie von Uechtritz an Agnes übermittelt worden, der heute verschollen ist.

    2 Heinrich Philipp Ferdinand von Sybel und Amalie von Sybel (geb. Brügelmann), die Eltern Heinrich von Sybels, dem Herausgeber der Erstausgabe der Briefe Dorothea Tiecks an Uechtritz, waren vermutlich durch Vermittlung Uechtritz' bei Tieck zu Gast. Uechtritz (wie bspw. auch Immermann, Karl Schnaase und Felix Mendelssohn Bartholdy) verkehrte oft im Hause der Sybels in Düsseldorf.

    beruhigt seyn können. Ich habe mich sehr
    geängstigt, hoffe nun aber mit Zuver=
    sicht, daß alles sich zum Glück entwickelt
    und ohne Gefahr vorüber gehen wird.3
    Diese Zeit der Prüfung is ja nun
    bald überstanden, und ich verlasse
    mich darauf, daß Sie mir alsdann so=
    gleich Nachricht davon geben.)

    Ihr Buch4 habe ich sogleich gelesen. Vieles
    hat mich sehr interessirt, und dennoch
    wollte ich, Sie hätten es nicht geschrie=
    ben. Wie Frau von Siebel mir sagt,
    ist Ihr Verhältniß mit den Malern,
    das doch früher so angenehm für Sie
    war, seitdem ganz zerstört.5 Schrei=
    ben Sie doch lieber etwas rein Poeti=
    sches, das würde mir mehr Freude
    machen. Ich möchte Ihnen gern mehr
    darüber sagen, weiß mich aber nicht
    recht auszudrücken, mündlich würde
    es besser gehen. Auch bin ich heut
    sehr eilig und zerstreut.

    Kommentare

    3 Vermutlich war Marie von Uechtritz erneut schwanger. Die bereits im Januar 1839 angedeutete Schwangerschaft (vgl. Brief vom 7. Januar 1839, S. 1 (Bl. 1 recto)) scheint nicht glücklich ausgegangen zu sein. Möglicherweise ergaben sich auch bei diesem Kind Komplikationen, denn das Paar blieb offiziell kinderlos.

    4 Der erste Band von Uechtritz' Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben.

    5 Der erste Band von Uechtritz Abhandlung (vor allem das Kapitel über Carl Lessing, welches im zweiten Band fortgesetzt werden sollte) hatte einige Düsseldorfer Maler gekränkt, die sich in einem zu wenig positiven Licht dargestellt sahen – zu Unrecht, wie es in einer Rezension vom 30. Juni 1843 zum zweiten Band heißt: „In Deutschland kann zwar der Gelobte außerordentlich viel ungehöriges Lob, und je mehr desto besser, vertragen, nur der Nichtgelobte das noch so kärglich gespendete, aber verdiente Lob nicht, welches einem Andern zu Theil wird. Wir können uns in die unerquickliche Lage, in welche sich Hr. v. Üchtritz nach dem Erscheinen des ersten Bandes versetzt sah, recht gut hineindenken.“ (Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung, Bd. 1, S. 725.) Uechtritz selbst begründet im Vorwort zum zweiten Band, welcher erst 1840 erschien, das Fehlen der Fortsetzung des Kapitels über Lessing folgendermaßen: „Bei dem unerfreulichen Aufsehen, welches das Erscheinen des ersten Bandes in einem Theile der hiesigen Künstlerwelt machte und wegen dessen ich auf den ebenerwähnten Aufsatz [über Lessing, S.Z.] verweise, kann es nicht befremden, daß Lessing den Wunsch gegen mich äußerte, diese Aufregung, wenigstens in Beziehung auf seine Persönlichkeit, nicht wiederholt zu sehen. Ebenso verstand es sich von selbst, daß ich dem Verlangen des Freundes nachkam.“ (S. 3.)

    In Unruhe und Zerstreuung ist über=
    haupt der ganze Sommer hin gegangen
    Im Juni kam die Tante Alberti aus
    Berlin, und blieb einen Monath hier
    um Brunnen zu trinken. Mit ihr zu=
    gleich war eine Cousine hier mit Man̄
    und Kindern, die Frau von Klewitz
    aus Magdeburg. Im August kamen
    Steffens, nahmen sich hier eine Woh=
    nung und sind sechs Wochen hier ge=
    wesen, die Tante kam aus Teplitz
    zurück und hielt sich wieder eine
    zeitlang bei uns auf. Ihre Schwester
    die Pistor hatte sie von Teplitz ab=
    geholt, und der alte Pistor kam
    auch auch auf acht Tage. Der jüngste
    Bruder der Steffens, der Architekt
    Reichardt, der seit sieben Jahren in
    Amerika und jetzt in Charleston
    lebt war herüber gekommen um die
    Seinigen wieder zu sehen, und ist auch
    seit vier Wochen hier. Morgen reist

    nun Alles ab, und Agnes begleitet
    Steffens nach Berlin, um einige Wochen
    dort zu bleiben. Nur Raumer bleibt
    noch etwas, der vorgestern von seiner
    italiänischen Reise hier eintraf. Es
    wird mir unbeschreiblich schwer mich von
    Agnes zu trennen, doch ihr macht die
    Reise Vergnügen und so lasse ich mir
    nichts merken, um sie nicht zu stören.
    Sobald sie zurück kommt, wird sie
    den Brief Ihrer lieben Frau beant=
    worten, und trägt mir indessen die
    schönsten Grüße auf. Wie ich höre
    wird Immermann nach seiner Verhei=
    rathung6 mit der jungen Frau her
    kommen. Ich freue mich ihn in diesem
    glücklichen Zustande wieder zu sehen.
    Ich habe mich sehr über die Heirath
    gefreut, weil ich es weiß welch ein
    Unglück jedes unnatürliche Verhält=
    niß ist, und wie es die schönsten Kräf=
    te zerstört.7 + Heut muß ich schließen
    nächstens schreibe ich mehr
    Ihre Dorothea T.

    Kommentare

    6 Immermann heiratete am 2. Oktober 1839 Marianne Niemeyer.

    7 Dorothea spielt auf die lange und außereheliche Beziehung Immermanns zu Elisa von Lützow an und bringt diese indirekt in Verbindung mit der illegitimen Verbindung Ludwig Tiecks zu Henriette von Finckenstein; vgl. Brief vom 7. Januar 1839, S. 3 (Bl. 2 recto).

    Theurer Freund, Gestern erhielten wir durch Frau von Siebel Ihre Briefe,1 und da sie bald nach Düsseldorf zurück kehrt, eile ich zu schreiben, um ihr wenigstens einen Dank und einige Nachrichten mitgeben zu können. Gestern Abend waren Siebels2 bei uns, ich habe mit der Frau gesprochen, so viel es bei der Unruhe der vielen Menschen und des Theetrinkens möglich war: sie gefällt mir sehr, und weit besser als ich erwartet hatte, ich dachte sie mir weniger natürlich und einfach, auch der Mann hat ein ganz angenehmes Wesen. Ich hoffe sie noch einige mal zu sehen und mir noch mancherlei aus Düsseldorf erzählen zu lassen.

    Ich freue mich herzlich, daß Sie endlich über den Zustand Ihrer Frau

    Kommentare

    1 Neben dem an Dorothea gerichteten Brief, war auch ein Brief von Marie von Uechtritz an Agnes übermittelt worden, der heute verschollen ist.

    2 Heinrich Philipp Ferdinand von Sybel und Amalie von Sybel (geb. Brügelmann), die Eltern Heinrich von Sybels, dem Herausgeber der Erstausgabe der Briefe Dorothea Tiecks an Uechtritz, waren vermutlich durch Vermittlung Uechtritz' bei Tieck zu Gast. Uechtritz (wie bspw. auch Immermann, Karl Schnaase und Felix Mendelssohn Bartholdy) verkehrte oft im Hause der Sybels in Düsseldorf.

    beruhigt seyn können. Ich habe mich sehr geängstigt, hoffe nun aber mit Zuversicht, daß alles sich zum Glück entwickelt und ohne Gefahr vorüber gehen wird.3 Diese Zeit der Prüfung is ja nun bald überstanden, und ich verlasse mich darauf, daß Sie mir alsdann sogleich Nachricht davon geben.

    Ihr Buch4 habe ich sogleich gelesen. Vieles hat mich sehr interessirt, und dennoch wollte ich, Sie hätten es nicht geschrieben. Wie Frau von Siebel mir sagt, ist Ihr Verhältniß mit den Malern, das doch früher so angenehm für Sie war, seitdem ganz zerstört.5 Schreiben Sie doch lieber etwas rein Poetisches, das würde mir mehr Freude machen. Ich möchte Ihnen gern mehr darüber sagen, weiß mich aber nicht recht auszudrücken, mündlich würde es besser gehen. Auch bin ich heut sehr eilig und zerstreut.

    Kommentare

    3 Vermutlich war Marie von Uechtritz erneut schwanger. Die bereits im Januar 1839 angedeutete Schwangerschaft (vgl. Brief vom 7. Januar 1839, S. 1 (Bl. 1 recto)) scheint nicht glücklich ausgegangen zu sein. Möglicherweise ergaben sich auch bei diesem Kind Komplikationen, denn das Paar blieb offiziell kinderlos.

    4 Der erste Band von Uechtritz' Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben.

    5 Der erste Band von Uechtritz Abhandlung (vor allem das Kapitel über Carl Lessing, welches im zweiten Band fortgesetzt werden sollte) hatte einige Düsseldorfer Maler gekränkt, die sich in einem zu wenig positiven Licht dargestellt sahen – zu Unrecht, wie es in einer Rezension vom 30. Juni 1843 zum zweiten Band heißt: „In Deutschland kann zwar der Gelobte außerordentlich viel ungehöriges Lob, und je mehr desto besser, vertragen, nur der Nichtgelobte das noch so kärglich gespendete, aber verdiente Lob nicht, welches einem Andern zu Theil wird. Wir können uns in die unerquickliche Lage, in welche sich Hr. v. Üchtritz nach dem Erscheinen des ersten Bandes versetzt sah, recht gut hineindenken.“ (Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung, Bd. 1, S. 725.) Uechtritz selbst begründet im Vorwort zum zweiten Band, welcher erst 1840 erschien, das Fehlen der Fortsetzung des Kapitels über Lessing folgendermaßen: „Bei dem unerfreulichen Aufsehen, welches das Erscheinen des ersten Bandes in einem Theile der hiesigen Künstlerwelt machte und wegen dessen ich auf den ebenerwähnten Aufsatz [über Lessing, S.Z.] verweise, kann es nicht befremden, daß Lessing den Wunsch gegen mich äußerte, diese Aufregung, wenigstens in Beziehung auf seine Persönlichkeit, nicht wiederholt zu sehen. Ebenso verstand es sich von selbst, daß ich dem Verlangen des Freundes nachkam.“ (S. 3.)

    In Unruhe und Zerstreuung ist überhaupt der ganze Sommer hin gegangen Im Juni kam die Tante Alberti aus Berlin, und blieb einen Monath hier um Brunnen zu trinken. Mit ihr zugleich war eine Cousine hier mit Mann und Kindern, die Frau von Klewitz aus Magdeburg. Im August kamen Steffens, nahmen sich hier eine Wohnung und sind sechs Wochen hier gewesen, die Tante kam aus Teplitz zurück und hielt sich wieder eine zeitlang bei uns auf. Ihre Schwester die Pistor hatte sie von Teplitz abgeholt, und der alte Pistor kam auch auch auf acht Tage. Der jüngste Bruder der Steffens, der Architekt Reichardt, der seit sieben Jahren in Amerika und jetzt in Charleston lebt war herüber gekommen um die Seinigen wieder zu sehen, und ist auch seit vier Wochen hier. Morgen reist

    nun Alles ab, und Agnes begleitet Steffens nach Berlin, um einige Wochen dort zu bleiben. Nur Raumer bleibt noch etwas, der vorgestern von seiner italiänischen Reise hier eintraf. Es wird mir unbeschreiblich schwer mich von Agnes zu trennen, doch ihr macht die Reise Vergnügen und so lasse ich mir nichts merken, um sie nicht zu stören. Sobald sie zurück kommt, wird sie den Brief Ihrer lieben Frau beantworten, und trägt mir indessen die schönsten Grüße auf. Wie ich höre wird Immermann nach seiner Verheirathung6 mit der jungen Frau her kommen. Ich freue mich ihn in diesem glücklichen Zustande wieder zu sehen. Ich habe mich sehr über die Heirath gefreut, weil ich es weiß welch ein Unglück jedes unnatürliche Verhältniß ist, und wie es die schönsten Kräfte zerstört.7 Heut muß ich schließen nächstens schreibe ich mehr Ihre Dorothea Tieck

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    6 Immermann heiratete am 2. Oktober 1839 Marianne Niemeyer.

    7 Dorothea spielt auf die lange und außereheliche Beziehung Immermanns zu Elisa von Lützow an und bringt diese indirekt in Verbindung mit der illegitimen Verbindung Ludwig Tiecks zu Henriette von Finckenstein; vgl. Brief vom 7. Januar 1839, S. 3 (Bl. 2 recto).