
Bibliothèque des Sciences de Haute-Lusace à Görlitz
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Dresden den 28 Decem
40.
Ihr und der lieben Marie Briefe1 haben
uns sehr erfreut, mein theurer Freund,
ich will auch das alte Jahr nicht zu Ende
gehen lassen ohne Ihnen auch noch Nachricht
von uns zu geben. Diese Nachricht läßt
sich in den wenigen Worten zusammen
fassen, daß es uns wohl geht sonst ist
alles beim Alten und man kann nichts
davon erzählen.
Was Sie mir von Ihrer Reise2 erzählen
hat mich sehr interessirt. Was Sie von
Ihrem Bruder3 schreiben habe ich Petsch=
kens mitgetheilt, die sich sehr darüber
freuten, ich hatte schon etwas davon4
gehört, aber nicht so ausführlich wie
durch Sie. Es ist ein erfreulicher Gedan=
ke sich einen Menschen vorzustellen,
der so kräftig und thätig ist, genau
weiß was er will und fest auf seinem
Platze steht. Dabei ist es wieder das
aller natürlichste, das was eigentlich
einem jeden Menschen obliegt, so
daß man denken sollte, keiner kön̄e
1 Marie von Uechtritz und Agnes Tieck unterhielten einen freundschaftlichen Briefwechsel; vgl. Brief vom 1. November 1836, S. 1 (Bl. 1 recto).
2 Wohin Uechtritz gereist war, konnte nicht ermittelt werden.
3 Vermutlich Rudolph von Uechtritz, den Dorothea persönlich kannte.
4 Möglicherweise ist die Ernennung Rudolph von Uechtritz' zum Landrat in Marklissa 1840 gemeint.
es verfehlen, weil weder ausgezeichnete
Gaben noch Talente, sondern nur ein
ächter und reiner menschlicher Sinn da=
zu gehört; und doch findet man diese
Tüchtigkeit am aller seltensten, und
selbst in der Geschichte tritt uns das
Große noch öfter entgegen als das
rein Menschliche
Wie traurig Ihnen die Ankunft in
Düsseldorf seyn mußte, kann ich mir
ganz vorstellen. Ich kann mir den
Ort selbst und Ihr Leben dort gar nicht
ohne Immermann5 denken, und es freut
mich recht für Sie, daß Sie in den letz=
ten Jahren in einem so guten Verneh=
men mit ihm waren und ihn öfter
sahen als früher. Schreiben Sie mir
doch gelegentlich wie die Aussichten
für die arme kleine Frau6 sind, und
wie die Lützow7 sich benommen hat.
Man hört von alle dem nichts und auch
unsre Maler hier haben, wie ich glaube
nicht viel Briefwechsel mit den Düssel=
dorfern. Bendemanns8 und Hübners9 sa=
hen wir viel, mit des armen Bende=
mann Augen geht es aber noch nicht
5 Immermann war am 25. August 1840 unvermutet an einer Lungenentzündung verstorben. Erst kurz zuvor, am 12. August 1840, war seine Tochter Caroline (spätere Geffcken) zur Welt gekommen.
6 Immermann hatte erst im Oktober 1839 Marianne Niemeyer geheiratet.
7 Immermanns langjährige Geliebte Elisa Gräfin von Lützow.
8 Eduard Bendemann und seine Frau Lida (geb. Schadow) lebten seit 1838 in Dresden. Bendemann hatte von König Friedrich August II. den Auftrag bekommen, drei Säle im Dresdner Residenzschloss auszumalen; vgl. Brief vom 10. November 1837, S. 3 (Bl. 2 recto).
9 Der Maler Julius Hübner und seine Frau Pauline (geb. Bendemann), die Schwester Eduard Bendemanns. Hübner wurde 1839 an die Dresdner Kunstakademie berufen.
im mindesten besser.10 Er kann we=
der lesen noch zeichnen, kurz, sich gar
nicht beschäftigen. Es ist unbeschreiblich
traurig und nie hat mich ein Unglück
das andre betraf so tief geschmerzt
als dies, in diesem Falle scheint mir
alles andre Leiden leichter zu ertra=
gen, und es gehört auch wirklich sein
Charakter dazu um so still und er=
geben zu seyn, wie er es ist, und seine
Umgebung nie durch Launen oder Un=
geduld zu drücken. Es kann noch alles
gut werden, aber auch im besten Fall
sind einige verlorene Jahre eines
so reichen und bedeutenden Lebens
schon ein großer Verlust.
Vater hatte ohne meine Einwilligung
Ihren zweiten Band11 über Düsseldorf
der Lüttichau mitgegeben, welche
erst auf dem Lande12 und dann in Ber=
lin war, so habe ich erst jetzt anfan=
gen können ihn zu lesen, er macht
mir aber viele Freude. Sonst habe ich
in dieser Zeit nicht viel gelesen. Ich bin
viel mit meiner kleinen Bülow,13 und
10 Von 1839 bis 1842 litt Bendemann an einem chronischen Augenleiden.
11 Der zweite Band von Uechtritz Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben war 1840 erschienen.
12 Vermutlich in Ulbersdorf nahe Sebnitz, auf dem Rittergut ihres Mannes Wolf August von Lüttichau.
13 Louise Bülow von Dennewitz, die spätere (zweite) Frau Eduard von Bülows, war die Tochter des 1816 verstorbenen, berühmten Generals Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz, der während der Befreiungskriege als „Retter Berlins“ galt. Louise lebte mit ihrer Mutter Juliane Pauline in Dresden. Zuvor war sie Hofdame am preußischen Hof gewesen.
wir studiren allerlei mit einander.
Gemeinschaftlich des Abends haben wir
jetzt einige Bücher gelesen, die von
einer Frau14 und aus dem Schwedischen
übersetzt sind, sie heißen: Das Haus,
die Nachbarn und die Töchter des Prä=
sidenten, ersteres hat uns am besten
letzteres am wenigsten gefallen.
Sie zeichnen sich durch ihre Gemüthlich
keit aus, und besonders das erste
hat uns viel Vergnügen gemacht.
Grüßen Sie doch Schnasens15 von mir, ich
denke mit Vergnügen an diese erfreu=
liche Bekanntschaft. Vor allem grüßen
Sie aber Ihre liebe Frau. Wenn Sie mö=
gen auch die Immermann, der aber
wohl dies jetzt zu unwichtig seyn wird
Gott schenke Ihnen ein freudiges
Weihnachtsfest und einen glücklichen
Anfang des neuen Jahres.
Ihre treue Freundinn
Dorothea Tieck.
15 Karl Schnaase und dessen Frau Charlotte (geb. von Schoenowska). Mit dem Oberlandgerichtsrat Karl Schnaase verband Uechtritz seit 1829 eine innige Freundschaft. Er widmete ihm seine Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben.
Dresden den 28 December 40. Ihr und der lieben Marie Briefe1 haben uns sehr erfreut, mein theurer Freund, ich will auch das alte Jahr nicht zu Ende gehen lassen ohne Ihnen auch noch Nachricht von uns zu geben. Diese Nachricht läßt sich in den wenigen Worten zusammen fassen, daß es uns wohl geht sonst ist alles beim Alten und man kann nichts davon erzählen.
Was Sie mir von Ihrer Reise2 erzählen hat mich sehr interessirt. Was Sie von Ihrem Bruder3 schreiben habe ich Petschkens mitgetheilt, die sich sehr darüber freuten, ich hatte schon etwas davon4 gehört, aber nicht so ausführlich wie durch Sie. Es ist ein erfreulicher Gedanke sich einen Menschen vorzustellen, der so kräftig und thätig ist, genau weiß was er will und fest auf seinem Platze steht. Dabei ist es wieder das aller natürlichste, das was eigentlich einem jeden Menschen obliegt, so daß man denken sollte, keiner könne
1 Marie von Uechtritz und Agnes Tieck unterhielten einen freundschaftlichen Briefwechsel; vgl. Brief vom 1. November 1836, S. 1 (Bl. 1 recto).
2 Wohin Uechtritz gereist war, konnte nicht ermittelt werden.
3 Vermutlich Rudolph von Uechtritz, den Dorothea persönlich kannte.
4 Möglicherweise ist die Ernennung Rudolph von Uechtritz' zum Landrat in Marklissa 1840 gemeint.
es verfehlen, weil weder ausgezeichnete Gaben noch Talente, sondern nur ein ächter und reiner menschlicher Sinn dazu gehört; und doch findet man diese Tüchtigkeit am aller seltensten, und selbst in der Geschichte tritt uns das Große noch öfter entgegen als das rein Menschliche
Wie traurig Ihnen die Ankunft in Düsseldorf seyn mußte, kann ich mir ganz vorstellen. Ich kann mir den Ort selbst und Ihr Leben dort gar nicht ohne Immermann5 denken, und es freut mich recht für Sie, daß Sie in den letzten Jahren in einem so guten Vernehmen mit ihm waren und ihn öfter sahen als früher. Schreiben Sie mir doch gelegentlich wie die Aussichten für die arme kleine Frau6 sind, und wie die Lützow7 sich benommen hat. Man hört von alle dem nichts und auch unsre Maler hier haben, wie ich glaube nicht viel Briefwechsel mit den Düsseldorfern. Bendemanns8 und Hübners9 sahen wir viel, mit des armen Bendemann Augen geht es aber noch nicht
5 Immermann war am 25. August 1840 unvermutet an einer Lungenentzündung verstorben. Erst kurz zuvor, am 12. August 1840, war seine Tochter Caroline (spätere Geffcken) zur Welt gekommen.
6 Immermann hatte erst im Oktober 1839 Marianne Niemeyer geheiratet.
7 Immermanns langjährige Geliebte Elisa Gräfin von Lützow.
8 Eduard Bendemann und seine Frau Lida (geb. Schadow) lebten seit 1838 in Dresden. Bendemann hatte von König Friedrich August II. den Auftrag bekommen, drei Säle im Dresdner Residenzschloss auszumalen; vgl. Brief vom 10. November 1837, S. 3 (Bl. 2 recto).
9 Der Maler Julius Hübner und seine Frau Pauline (geb. Bendemann), die Schwester Eduard Bendemanns. Hübner wurde 1839 an die Dresdner Kunstakademie berufen.
im mindesten besser.10 Er kann weder lesen noch zeichnen, kurz, sich gar nicht beschäftigen. Es ist unbeschreiblich traurig und nie hat mich ein Unglück das andre betraf so tief geschmerzt als dies, in diesem Falle scheint mir alles andre Leiden leichter zu ertragen, und es gehört auch wirklich sein Charakter dazu um so still und ergeben zu seyn, wie er es ist, und seine Umgebung nie durch Launen oder Ungeduld zu drücken. Es kann noch alles gut werden, aber auch im besten Fall sind einige verlorene Jahre eines so reichen und bedeutenden Lebens schon ein großer Verlust.
Vater hatte ohne meine Einwilligung Ihren zweiten Band11 über Düsseldorf der Lüttichau mitgegeben, welche erst auf dem Lande12 und dann in Berlin war, so habe ich erst jetzt anfangen können ihn zu lesen, er macht mir aber viele Freude. Sonst habe ich in dieser Zeit nicht viel gelesen. Ich bin viel mit meiner kleinen Bülow,13 und
10 Von 1839 bis 1842 litt Bendemann an einem chronischen Augenleiden.
11 Der zweite Band von Uechtritz Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben war 1840 erschienen.
12 Vermutlich in Ulbersdorf nahe Sebnitz, auf dem Rittergut ihres Mannes Wolf August von Lüttichau.
13 Louise Bülow von Dennewitz, die spätere (zweite) Frau Eduard von Bülows, war die Tochter des 1816 verstorbenen, berühmten Generals Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz, der während der Befreiungskriege als „Retter Berlins“ galt. Louise lebte mit ihrer Mutter Juliane Pauline in Dresden. Zuvor war sie Hofdame am preußischen Hof gewesen.
wir studiren allerlei mit einander. Gemeinschaftlich des Abends haben wir jetzt einige Bücher gelesen, die von einer Frau14 und aus dem Schwedischen übersetzt sind, sie heißen: Das Haus, die Nachbarn und die Töchter des Präsidenten, ersteres hat uns am besten letzteres am wenigsten gefallen. Sie zeichnen sich durch ihre Gemüthlich keit aus, und besonders das erste hat uns viel Vergnügen gemacht.
Grüßen Sie doch Schnasens15 von mir, ich denke mit Vergnügen an diese erfreuliche Bekanntschaft. Vor allem grüßen Sie aber Ihre liebe Frau. Wenn Sie mögen auch die Immermann, der aber wohl dies jetzt zu unwichtig seyn wird Gott schenke Ihnen ein freudiges Weihnachtsfest und einen glücklichen Anfang des neuen Jahres. Ihre treue Freundinn Dorothea Tieck.
15 Karl Schnaase und dessen Frau Charlotte (geb. von Schoenowska). Mit dem Oberlandgerichtsrat Karl Schnaase verband Uechtritz seit 1829 eine innige Freundschaft. Er widmete ihm seine Abhandlung Blicke in das Düsseldorfer Kunst- und Künstlerleben.