
Staatsbibliothek Berlin / Manuscripts section
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Es ist so Vieles vorgefallen, seit dem wir uns nicht
gesehn haben, daß ich nicht weiß, wo ich anheben soll. Dem
Him̄el sei Dank, daß Sie wieder hergestellt sind, daß alle Ge=
fahr und alle Schmerzen und Leiden vorüber sind. Ich war Tag
und Nacht Ihretwegen in Angst, denn gerade dergleichen, was
oft im Anfange unbedeutend scheint, wird, irgend vernach=
lässiget, tödlich. Was Sie indessen Alles in England
erlebt haben, ist merkwürdig, u ich freue mich, wenn Sie
mir vorlesen und erzählen werden. Werden Sie wieder über
Ihren Aufenthalt dort und Ihre Erfahrungen etwas drucken
lassen?1 Ueber jene Berliner Clique läßt sich gar nichts
mehr sagen, denn diese Menschen sind allzu verächtlich: sie
wissen auch selbst um ihre Lügen, Verdrehungen und Verleum=
dungen recht gut. Dies mal glaube ich, ist es nicht Fried. II, über
den sie die Beleidigten spielen, sondern wohl wegen der
Russischen Elisabeth, was sie aber nicht sagen wollen, weil
sie sich schämen. Dies ganze Wesen ist jezt so heillos
und albern, daß die Armseligkeit gewiß bald enden muß.
Die Censur wird ihre Rolle auf diese Art nicht fortspielen
können. Und wenn Sie sich nicht gekränkt fühlen, so hat
die Abgeschmacktheit auch nichts zu bedeuten.2
Brockhaus3 hat mir die Marie und den Friedrich noch
nicht gesendet.4 Sie schreiben als etwas Gewisses, daß Sie Ostern
hier sein werden, und ich rechne nun auch schon fest darauf und
sehe dieser Zeit mit Sehnsucht entgegen, welche Sie und den war=
men Frühling herbeiführen wird; ich habe diesmal von dem
Winter eine grosse Furcht: viel mehr als sonst.
1 Raumer war bereits 1835 zu Forschungszwecken nach England gereist, woraus die Reisebeschreibung England im Jahre 1835 entstanden war. 1836 hatte er, nach einem Besuch bei den Tiecks im April, den Sommer wieder in England verbracht, wie aus einem Brief Dorothea Tiecks vom 7. April (S. 4) hervorgeht.
2 Raumer, der selbst Mitglied des preußischen Oberzensurkollegiums gewesen war, hatte dieses Amt 1831 gekündigt. Auf welche spezifischen Konflikte mit der Zensur Tieck hier referiert, ist bisher nicht bekannt.
3 Gemeint ist entweder Heinrich oder Friedrich Arnold Brockhaus (der Jüngere).
4 Durch den Kontext ist es sehr wahrscheinlich, dass Tieck hier auf die 1836 bei Brockhaus erschienenen ersten zwei Teile von Raumers „Beiträgen zur neueren Geschichte aus dem britischen Museum und Reichsarchive“ anspielt. „Marie“ bezieht sich demnach auf Maria Stuart als Thema von Teil 1, und „Friedrich“ auf Friedrich II. als Thema von Teil 2 der Reihe. Raumers 1828 entstandene Erzählung Marie kommt dagegen hier nicht in Frage, da sie erst 1869 in Raumers „Litterarischem Nachlaß“ publiziert wurde.
(So eben erhalte ich Ihren neuesten [...]angen Brief über
Byron5, ich versage mir aber die Freude, ihn jezt schon zu lesen,
[nur] diesen Brief, bei dem ich schon oft gestört bin, nur fertig zu
machen.) Ich wollte also etwas mit Ihnen zanken, daß Sie mich doch
gewissermassen in London vergessen haben: Sie haben mir das
2te Büchelchen von Collier über Shaksp. und die Bühne nicht mit=
gebracht. Aus den Auszügen kann ich nicht klug werden. Können
Sie mir das Büchelchen, welches mir sehr wichtig ist, nicht verschaffen?6
Mich wundert, daß es Ihnen Murray7 nicht mit gegeben hat, da er mir
das Erste sogar zweimal hat zukommen lassen. –
Graf York hat mir endlich, vor wenigen Tagen geschrieben. Wären Sie doch hier, um mit Ihnen dies Geschäft besprechen zu können, da ich in solchen Angelegenheiten so ungeschickt bin.8 Ich schreibe Ihnen die Hauptstelle ab, damit ich nicht falsch berichte:
„ich zahle an Ihre Fräul. Töchter, sobald mir die Biblioth. 10,000 Bände enthaltend, übergeben ist, die Interessen eines Kapitals von 6000 Thal. Preuß. Curr. nach dem Münzfuß von 1764, a 5 pro cent, jedoch verpflichte ich mich auch, einer jeden Ihrer Töchter nach 6 monatlicher Kündigung ein Kapital von 1000 Thalern zu zahlen, die übrigen 4000 können jedoch nicht gekündigt werden, sondern ich bin nur gehalten, die Zinsen in halbjährigen Terminen zu zahlen.“ –
Von dieser lezten Bestim̄ung war damals, als Sie mir den Vorschlag eröffneten, nicht die Rede. Sie sehn also, statt der 4000 Th. wird diese Sache in eine Leibrente von 200 Th. für meine Töchter verwandelt. Wie aber, wenn eine stirbt? Wie, wenn sie sich noch verheiratheten, u Erben hätten? Wenn ein Fall käme, wo sie das Capital sicher u vortheilhafterer, bei dem Kauf eines Besitzes, o dgl. anbringen könnten? – Diese Bedingung, die mir die Sache wieder unklar g macht, hat mich stutzig gemacht. Müßte die Leibrente, als solche, nicht höher verzinst werden, da sie ja nur auf das ungewisse Leben steht, u der Zahler das Ca=pital niemals giebt? Wozu von einem reichen Mann, der auf der andern Seite wieder großmüthig) handelt, diese verwickelnde Bedingung?
5 Gemeint ist der Brief von Raumer an Tieck vom 3., 4. und 5. November 1836. Raumer hat ihn später publiziert, vgl. Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. II, S. 367–377
6 Tieck gelang es offenbar noch, das „Büchelchen“ (Colliers „History of English Dramatic Poetry“) zu ergattern, denn es taucht 1849, als Tiecks Bibliothek versteigert wurde, im Auktionskatalog von Asher auf, vgl. Bibliotheca Tieckiana (Position 6997).
7 In Frage kommen zwei Verleger mit dem Namen John Murray, Vater (1778-1843) und Sohn (1808-1892), die das Verlagshaus John Murray in London in der betreffenden Zeit gemeinsam führten.
8 Tieck plante aus finanzieller Bedrängnis heraus den Verkauf seiner Bibliothek an den Grafen Yorck von Wartenburg, wovon auch der sieben Tage zuvor verfasste Brief von Henriette von Finckenstein an Raumer handelt. Zu der verwickelten Geschichte des mehrfachen Verkaufs von Tiecks Büchersammlungen vgl. Achim Hölters Beitrag zu Tiecks Bibliothek im Tieck-Handbuch. Zur virtuellen Rekonstruktion der Bestände und ihres Verbleibs vgl. das FWF-Projekt Ludwig Tiecks Bibliothek. Anatomie einerromantisch-komparatistischen Büchersammlung. Universität Wien, Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft, Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Achim Hölter, M.A.
Er wünscht, daß ich die Sache sogleich gerichtlich abmache. In einer Hinsicht, wegen der Ungewißheit des Lebens vortheilhaft: – aber ich könnte mir u meinen Kindern durch Uebereilung doch auch Schaden thun. Auch müßte ausgemacht werden, daß der Käufer die Einpackung, die Versendung, die nöthigen Kisten u dergl. (bedeutende Kosten) zu tragen habe. – Schreiben Sie mir darüber, Sie schreibseeliger, fleissiger Freund, der die Briefscheu, an der ich immer laborire, niemals kennen gelernt hat. Haben Sie die Wunderlichkeiten in der Urania schon gelesen? Die Klausenburg in der neu entstandnen Helena?
Sein Sie so gefällig, durch irgend einen jungen Mann, oder wen sonst, nach meinem eingelegten Zettel auf jene Doubletten der Königl. Bibl. biethen zu lassen. Die Sachen wären mir zu den beigesezten Preisen sehr lieb. – Wis=sen Sie schon, daß ich den höchst seltnen Holinshed v. 1587 für ein wahres Bagatell erhalten habe?9 In meiner Krankheit in Baden, war diese Nachricht, mir ein rechter Trost in Leiden u Schmerzen. Sie werden dies Buche selbst auf grossen Bibl. oft vergebens suchen. Einem reichen Engländer ist es gewiß 100 Frdor werth, u ich habe die 3 Th. in 2 Foliobänden, sehr gut konservirt, für 10 leichte Gulden erhalten. Ich sage Ihnen dies nur im Vertrauen. Für 2 Gulden erhielt ich die von Steevens im J. (1768 oder 72) abgedruckten 20 Quartos Shaksp. für die ich in London, weil sie selten sind, ohngef. 4 lb bezahlen musste: bei Garricks Witwe gingen sie in der Auction mehren Jahre später für 12 oder 13 lb weg: mein zweites Exempl. hat der berühmte Philologe Porson besessen: für die Kleinigkeit war mir dies für den Kritiker unentbehrliche Buch wie geschenkt, um meine Doublette einmal gegen eine spanische, oder andre Seltenheit eintauschen zu können.
9 Holinsheds Chronicles wurden von Shakespeare als Quelle für seine historischen Dramen benutzt und waren daher für den Shakespeareforscher Tieck von Interesse.
Sie sehn, Yorks künftige Bibl. hat sich seitdem um wenigstens 200 Thaler wieder verbessert. Ich will nun an den Catalog gehn, der bis Ostern fertig sein muß. Vielleicht haben Sie die Freundschaft, u schreiben vorläufig auch einen kleinen Brief an York. Zwar weiß ich noch nicht, wie Sie über seine Vorschläge denken, u ob Sie meinen, man solle sie ohne allen Einwand annehmen.
Heut Mittag werden wir Ihren grossen Byrons=Brief
nach Tische gemeinsam lesen10; ich werde ihn denen mittheilen, nachher, die Sin̄ u Ken̄tniß haben. Mich dünkt, ich habe Ihren
zweiten psychologischen Brief11 auch unserm Carus mitge=
theilt. Vielleicht antworte ich Ihnen über Byron, den ich mir sehr
hoch gestellt habe, der aber jezt in meiner Erinnrung etwas
erloschen ist. Ueber Eckerman̄ liesse sich viel sprechen;12 Löbell
hatte die größte Lust, einzelne Stellen zu kom̄entiren,
lobend, fragend, zweifelnd: ich meinte in Heidelberg, ich
könnte auch Com̄entar zum Text schreiben: vielleicht Sie der
dritte Freund: – u wenn das recht frei, ohne System, u von
der Leber weg, geschähe, so könnte es ein eignes, seltsames,
merkwürdiges u lehrreiches Buch geben. Aber Löbell zaudert
zu sehr: seine belgischen Briefe sind noch nicht heraus, von
denen schon damals die Hälfte gedruckt u korrigirt war.
Ich umarme Sie herzlich. Ich bin leidlich wohl, habe
nun beinah meinen schreklichen Unfall verschmerzt.13 Blei=
ben Sie gesund. Tausend Grüsse von uns allen Ihnen
u den Ihrigen.
10 Der betreffende Brief vom 3., 4. und 5. November 1836, von dem bereits die Rede war, ist nachzulesen in Raumers Lebenserinnerungen und Briefwechseln, Bd. II, S. 367–377.
11 Wahrscheinlich handelt es sich bei dem erwähnten Brief um denjenigen vom 9. Januar 1836, wo Raumer sich mit der Psychologie von Carl Gustav Carus auseinandersetzt. Raumer hat den Brief in Auszügen veröffentlicht (vgl. Litterarischer Nachlaß II, S. 168-169).
12 Gemeint sind Eckermanns „Gespräche mit Goethe“. Die ersten zwei der insgesamt drei Bände waren 1836 gerade frisch erschienen.
13 Der Unfall hatte sich im August 1836 auf der Fahrt zur Kur nach Baden-Baden ereignet.
Es ist so Vieles vorgefallen, seit dem wir uns nicht gesehn haben, daß ich nicht weiß, wo ich anheben soll. Dem Himmel sei Dank, daß Sie wieder hergestellt sind, daß alle Gefahr und alle Schmerzen und Leiden vorüber sind. Ich war Tag und Nacht Ihretwegen in Angst, denn gerade dergleichen, was oft im Anfange unbedeutend scheint, wird, irgend vernachlässiget, tödlich. Was Sie indessen Alles in England erlebt haben, ist merkwürdig, und ich freue mich, wenn Sie mir vorlesen und erzählen werden. Werden Sie wieder über Ihren Aufenthalt dort und Ihre Erfahrungen etwas drucken lassen?1 Ueber jene Berliner Clique läßt sich gar nichts mehr sagen, denn diese Menschen sind allzu verächtlich: sie wissen auch selbst um ihre Lügen, Verdrehungen und Verleumdungen recht gut. Dies mal glaube ich, ist es nicht Friedrich II, über den sie die Beleidigten spielen, sondern wohl wegen der Russischen Elisabeth, was sie aber nicht sagen wollen, weil sie sich schämen. Dies ganze Wesen ist jezt so heillos und albern, daß die Armseligkeit gewiß bald enden muß. Die Censur wird ihre Rolle auf diese Art nicht fortspielen können. Und wenn Sie sich nicht gekränkt fühlen, so hat die Abgeschmacktheit auch nichts zu bedeuten.2
Brockhaus3 hat mir die Marie und den Friedrich noch nicht gesendet.4 Sie schreiben als etwas Gewisses, daß Sie Ostern hier sein werden, und ich rechne nun auch schon fest darauf und sehe dieser Zeit mit Sehnsucht entgegen, welche Sie und den warmen Frühling herbeiführen wird; ich habe diesmal von dem Winter eine grosse Furcht: viel mehr als sonst.
1 Raumer war bereits 1835 zu Forschungszwecken nach England gereist, woraus die Reisebeschreibung England im Jahre 1835 entstanden war. 1836 hatte er, nach einem Besuch bei den Tiecks im April, den Sommer wieder in England verbracht, wie aus einem Brief Dorothea Tiecks vom 7. April (S. 4) hervorgeht.
2 Raumer, der selbst Mitglied des preußischen Oberzensurkollegiums gewesen war, hatte dieses Amt 1831 gekündigt. Auf welche spezifischen Konflikte mit der Zensur Tieck hier referiert, ist bisher nicht bekannt.
3 Gemeint ist entweder Heinrich oder Friedrich Arnold Brockhaus (der Jüngere).
4 Durch den Kontext ist es sehr wahrscheinlich, dass Tieck hier auf die 1836 bei Brockhaus erschienenen ersten zwei Teile von Raumers „Beiträgen zur neueren Geschichte aus dem britischen Museum und Reichsarchive“ anspielt. „Marie“ bezieht sich demnach auf Maria Stuart als Thema von Teil 1, und „Friedrich“ auf Friedrich II. als Thema von Teil 2 der Reihe. Raumers 1828 entstandene Erzählung Marie kommt dagegen hier nicht in Frage, da sie erst 1869 in Raumers „Litterarischem Nachlaß“ publiziert wurde.
(So eben erhalte ich Ihren neuesten [l]angen Brief über Byron5, ich versage mir aber die Freude, ihn jezt schon zu lesen, [nur] diesen Brief, bei dem ich schon oft gestört bin, nur fertig zu machen.) Ich wollte also etwas mit Ihnen zanken, daß Sie mich doch gewissermassen in London vergessen haben: Sie haben mir das 2te Büchelchen von Collier über Shakspeare und die Bühne nicht mitgebracht. Aus den Auszügen kann ich nicht klug werden. Können Sie mir das Büchelchen, welches mir sehr wichtig ist, nicht verschaffen?6 Mich wundert, daß es Ihnen Murray7 nicht mit gegeben hat, da er mir das Erste sogar zweimal hat zukommen lassen. –
Graf York hat mir endlich, vor wenigen Tagen geschrieben. Wären Sie doch hier, um mit Ihnen dies Geschäft besprechen zu können, da ich in solchen Angelegenheiten so ungeschickt bin.8 Ich schreibe Ihnen die Hauptstelle ab, damit ich nicht falsch berichte:
„ich zahle an Ihre Fräulein Töchter, sobald mir die Bibliothek 10,000 Bände enthaltend, übergeben ist, die Interessen eines Kapitals von 6000 Thaler Preußisch Current nach dem Münzfuß von 1764, a 5 pro cent, jedoch verpflichte ich mich auch, einer jeden Ihrer Töchter nach 6 monatlicher Kündigung ein Kapital von 1000 Thalern zu zahlen, die übrigen 4000 können jedoch nicht gekündigt werden, sondern ich bin nur gehalten, die Zinsen in halbjährigen Terminen zu zahlen.“ –
Von dieser lezten Bestimmung war damals, als Sie mir den Vorschlag eröffneten, nicht die Rede. Sie sehn also, statt der 4000 Thaler wird diese Sache in eine Leibrente von 200 Thalern für meine Töchter verwandelt. Wie aber, wenn eine stirbt? Wie, wenn sie sich noch verheiratheten, und Erben hätten? Wenn ein Fall käme, wo sie das Capital sicher und vortheilhafterer, bei dem Kauf eines Besitzes, oder dergleichen anbringen könnten? – Diese Bedingung, die mir die Sache wieder unklar macht, hat mich stutzig gemacht. Müßte die Leibrente, als solche, nicht höher verzinst werden, da sie ja nur auf das ungewisse Leben steht, und der Zahler das Capital niemals giebt? Wozu von einem reichen Mann, der auf der andern Seite wieder großmüthig handelt, diese verwickelnde Bedingung?
5 Gemeint ist der Brief von Raumer an Tieck vom 3., 4. und 5. November 1836. Raumer hat ihn später publiziert, vgl. Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. II, S. 367–377
6 Tieck gelang es offenbar noch, das „Büchelchen“ (Colliers „History of English Dramatic Poetry“) zu ergattern, denn es taucht 1849, als Tiecks Bibliothek versteigert wurde, im Auktionskatalog von Asher auf, vgl. Bibliotheca Tieckiana (Position 6997).
7 In Frage kommen zwei Verleger mit dem Namen John Murray, Vater (1778-1843) und Sohn (1808-1892), die das Verlagshaus John Murray in London in der betreffenden Zeit gemeinsam führten.
8 Tieck plante aus finanzieller Bedrängnis heraus den Verkauf seiner Bibliothek an den Grafen Yorck von Wartenburg, wovon auch der sieben Tage zuvor verfasste Brief von Henriette von Finckenstein an Raumer handelt. Zu der verwickelten Geschichte des mehrfachen Verkaufs von Tiecks Büchersammlungen vgl. Achim Hölters Beitrag zu Tiecks Bibliothek im Tieck-Handbuch. Zur virtuellen Rekonstruktion der Bestände und ihres Verbleibs vgl. das FWF-Projekt Ludwig Tiecks Bibliothek. Anatomie einerromantisch-komparatistischen Büchersammlung. Universität Wien, Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft, Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Achim Hölter, M.A.
Er wünscht, daß ich die Sache sogleich gerichtlich abmache. In einer Hinsicht, wegen der Ungewißheit des Lebens vortheilhaft: – aber ich könnte mir und meinen Kindern durch Uebereilung doch auch Schaden thun. Auch müßte ausgemacht werden, daß der Käufer die Einpackung, die Versendung, die nöthigen Kisten und dergleichen (bedeutende Kosten) zu tragen habe. – Schreiben Sie mir darüber, Sie schreibseeliger, fleissiger Freund, der die Briefscheu, an der ich immer laborire, niemals kennen gelernt hat. Haben Sie die Wunderlichkeiten in der Urania schon gelesen? Die Klausenburg in der neu entstandnen Helena?
Sein Sie so gefällig, durch irgend einen jungen Mann, oder wen sonst, nach meinem eingelegten Zettel auf jene Doubletten der Königlichen Bibliothek biethen zu lassen. Die Sachen wären mir zu den beigesezten Preisen sehr lieb. – Wissen Sie schon, daß ich den höchst seltnen Holinshed von 1587 für ein wahres Bagatell erhalten habe?9 In meiner Krankheit in Baden, war diese Nachricht, mir ein rechter Trost in Leiden und Schmerzen. Sie werden dies Buche selbst auf grossen Bibliotheken oft vergebens suchen. Einem reichen Engländer ist es gewiß 100 Friedrichsdor werth, und ich habe die 3 Th. in 2 Foliobänden, sehr gut konservirt, für 10 leichte Gulden erhalten. Ich sage Ihnen dies nur im Vertrauen. Für 2 Gulden erhielt ich die von Steevens im Jahre (1768 oder 72) abgedruckten 20 Quartos Shakspeare für die ich in London, weil sie selten sind, ohngefähr 4 Pfund bezahlen musste: bei Garricks Witwe gingen sie in der Auction mehren Jahre später für 12 oder 13 Pfund weg: mein zweites Exemplar hat der berühmte Philologe Porson besessen: für die Kleinigkeit war mir dies für den Kritiker unentbehrliche Buch wie geschenkt, um meine Doublette einmal gegen eine spanische, oder andre Seltenheit eintauschen zu können.
9 Holinsheds Chronicles wurden von Shakespeare als Quelle für seine historischen Dramen benutzt und waren daher für den Shakespeareforscher Tieck von Interesse.
Sie sehn, Yorks künftige Bibliothek hat sich seitdem um wenigstens 200 Thaler wieder verbessert. Ich will nun an den Catalog gehn, der bis Ostern fertig sein muß. Vielleicht haben Sie die Freundschaft, und schreiben vorläufig auch einen kleinen Brief an York. Zwar weiß ich noch nicht, wie Sie über seine Vorschläge denken, und ob Sie meinen, man solle sie ohne allen Einwand annehmen.
Heut Mittag werden wir Ihren grossen Byrons=Brief nach Tische gemeinsam lesen10; ich werde ihn denen mittheilen, nachher, die Sinn und Kenntniß haben. Mich dünkt, ich habe Ihren zweiten psychologischen Brief11 auch unserm Carus mitgetheilt. Vielleicht antworte ich Ihnen über Byron, den ich mir sehr hoch gestellt habe, der aber jezt in meiner Erinnrung etwas erloschen ist. Ueber Eckermann liesse sich viel sprechen;12 Löbell hatte die größte Lust, einzelne Stellen zu kommentiren, lobend, fragend, zweifelnd: ich meinte in Heidelberg, ich könnte auch Commentar zum Text schreiben: vielleicht Sie der dritte Freund: – und wenn das recht frei, ohne System, und von der Leber weg, geschähe, so könnte es ein eignes, seltsames, merkwürdiges und lehrreiches Buch geben. Aber Löbell zaudert zu sehr: seine belgischen Briefe sind noch nicht heraus, von denen schon damals die Hälfte gedruckt und korrigirt war.
Ich umarme Sie herzlich. Ich bin leidlich wohl, habe nun beinah meinen schreklichen Unfall verschmerzt.13 Bleiben Sie gesund. Tausend Grüsse von uns allen Ihnen und den Ihrigen.
Dresden den 11ten November 1836. Ludwig Tieck.10 Der betreffende Brief vom 3., 4. und 5. November 1836, von dem bereits die Rede war, ist nachzulesen in Raumers Lebenserinnerungen und Briefwechseln, Bd. II, S. 367–377.
11 Wahrscheinlich handelt es sich bei dem erwähnten Brief um denjenigen vom 9. Januar 1836, wo Raumer sich mit der Psychologie von Carl Gustav Carus auseinandersetzt. Raumer hat den Brief in Auszügen veröffentlicht (vgl. Litterarischer Nachlaß II, S. 168-169).
12 Gemeint sind Eckermanns „Gespräche mit Goethe“. Die ersten zwei der insgesamt drei Bände waren 1836 gerade frisch erschienen.
13 Der Unfall hatte sich im August 1836 auf der Fahrt zur Kur nach Baden-Baden ereignet.