Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Nachschrift zum Briefe der Günderode.

 

 

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    Nachschrift zum Briefe der Günderode.
    (Roter Stempel der Preußischen Staatsbibliothek, heute Staatsbibliothek zu Berlin: PR. ST. BIBLIOTHEK BERLIN)

    Zwischen d 4 -7 Junius, u während in Schlesien Bluth
    floß,1 wurde der Brief geschrieben, den Sie gedruckt in einem
    Ihnen zugeeingneten Werke bekom̄en hätten, doch H. Sgouta
    hat eine Gelegenheit nach Berlin, u so übertrag ich
    ihm eine Botschaft, u hoffe daß dies Entgegen kom̄en
    auf gleichem Weg Bettina willkom̄en ist, das Buch,
    dem dieser Brief gleichsam als Zueignung vorsteht,
    erfüllt einen großen Theil Ihrer Aufforderung,
    die in den Zeitungen stand, u die im Brief der Gunderode
    gedrängt wiederholt ist: Wo ist die Noth? woher die Noth?
    u. s. w.2 Der Titel heißt: Dies Buch gehört Bettinen.3

    Wie ahnungsvoll ist der Brief der Günderode!
    Wie durchweht von den letzten Seufzern der Opfer
    in Schlesien! Liebes gutes Schlesien! Meiner
    Großmutter und Mutter Heimath!4

    Otto Lüning, so sagen die Zeitungen, hat
    wegen des Buches, das dem Volke gehört, viel
    garstige Unannehmlichkeiten erfahren,5 die Zeitungen sagen, Sie würden die Beweis=
    stücke wegen der Weber-Unruhen &c. in
    Druck geben, sollten Sie vorziehen dies

    Kommentare

    1 Der Weberaufstand 1844 in Schlesien erregte großes mediales Interesse und inspirierte diverse poetische Erzeugnisse, die der politischen Lyrik des Vormärz' zugerechnet werden.

    2 Bettina von Arnim ließ im Mai 1844 in mehreren großen Zeitungen für ihr sogenanntes Armenbuch-Projekt einen Aufruf schalten, „an Alle, welche über den Zustand des Armenwesens in Gemeinden, Kreisen, Bezirken, Provinzen u.s.w. des gesammten deutschen Vaterlandes genaue Auskunft zu geben vermögen, [...] der Frau von Arnim getreue Berichte darüber zukommen zu lassen. Besonders wünschenswerth würde es auch seyn, wenn in diesen Berichten angeführt würde, was bis jetzt zur Abhelfung des Uebels [...] geschehen ist und welche Mittel sich wohl zur Verminderung des Noth als wirksam erweisen dürften.“ Der Aufruf erschien am 15.5.1844 in Nr. 113 der Magdeburger Zeitung, 18.5.1844 in der Kölnischen Zeitung, 23.5.1844 in Nr. 144 der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 1151

    3 Die drei Kapitel, die von diesem Buchprojekt verwirklicht wurden, sind in der vorliegenden Online-Edition unter dem Titel „Bettinen gehört dies Buch! Die Günderode an Bettina (Buchprojekt)“ ediert.

    4 Die Großmutter Helmina von Chézys, die Dichterin Anna Louisa Karsch, ist in ärmlichen und lieblosen Verhältnissen in Schlesien geboren und aufgewachsen. Im Jahr 1761 gelang ihr aufgrund der Aufmerksamkeit, die sie mit ihren Gedichten auf sich gezogen hatte, mit ihrer damals elfjährigen Tochter, der späteren Schriftstellerin Caroline von Klencke, die Übersiedlung nach Berlin.

    5 Der Armenarzt und Publizist Otto Lüning geriet aufgrund sozialkritischer und demokratiebewegter Aktivitäten 1844 ins Visier der Justiz, trotzdem gelang es ihm 1845/46 eine Schriftensammlung mit dem Titel Diß Buch gehört dem Volke in drei Bänden herauszugeben.

    Jenseits des Rheins zu bewerkstelligen
    so lassen Sie mir das Manuskript
    zugelangen, wo möglich aber nicht auf
    Postwegen, sondern durch solche
    Gelegenheit, ich werde es treu u
    schnell besorgen. Meine Lebenstage
    sind gezählt, meine Lebensstunden
    gehören der guten Sache. Wie schwer
    u bitter der Kampf habe ich bei den
    Lazaretten6 u in Oestreich ob der Enns,7
    zum Theil auch schon hier erfahren,
    denn wies Welcker in den Ständeverhandl.
    vortrug — ich glaube in der 72. oder sonst einer
    70sten Sitzung, werden Sie kennen, u
    die versteckte Quelle dieser Behandlung
    war die dauernde Verfolgung, die ich
    mir erweckt[am Rande: erweckt].             Wie Sie habe ich stets
    mit Vertrauen u Liebe am Thron Hülfe
    gesucht, u mir dort Wolwollen erweckt
    u erhalten — Stehn Sie in keiner Verbindung mit Prinzeß Marianne

    Kommentare

    6 1813 bis 1816 engagierte sich Chézy in Hospitälern für die während der Befreiungskriege verwundeten Soldaten. Als sie auf verschiedenen Wegen auf die Missstände dort hinwies, wurde sie im Rheinland wegen Verleumdung angeklagt und verurteilt. Sie floh nach Berlin, wo sie in einem neu angesetzten Prozeß nach dem alten preußischen Gesetz freigesprochen wurde.

    7 1826 unternahm Chézy eine Reise mit ihren Kindern Wilhelm und Max zur Luftkur und zum Wandern in Oberösterreich. Während und nach dieser Reise setzte sie sich durch Petitionen für die Salinenarbeiter, Weber und verarmten Bergbbewohner ein und veröffentlichte 1829 Jugendschicksale, Leben und Ansichten eines papierenen Kragens und 1833 den Reiseführer Norika, die beide sozialkritische Töne anschlugen. Nur ihre Kontakte zum kaiserlichen Hof konnten Chézy vor einem Prozeß bewahren. Norika wurde von der Zensur verboten.

    Wilhelm von Preußen? Bei der Sache der
    Verwundeten u Invaliden 1816 hat diese
    engelgütige höchste Frau, so wie die selige
    Schwester der Königin Luise, Charlotte
    Herzogin von Hildburghausen
    beim
    König viel Gutes, u zum Sieg der
    Wahrheit viel bewirkt — Ich wirke hier
    im Badenschen, wirkte im Caiserthum durch gleiche Vermittlung, in Preußen
    haben wir ja auch die himmlischgute liebe
    Königin mit dem vollen tiefen Herzschlag
    für die Menschheit! Das Uebel ist so gros,
    der Krebsschaden so tief, daß man weder
    behutsam noch kräftig genug zu Werk
    gehen kann. O, wie oft hat mein Herz
    Blut geweint!              Mir kommt es
    vor – es ist aber nur Vermuthung –
    als verlangten viele der freisinnigen
    Männer einen Umsturz, ich war
    nie dafür, denn ich war lange in
    Frankreich, die erste Frucht, die nach dem
    endlichen Stillstand der Waffen, nach
    der Erholung der von den Temps de la terreur

    reifte, war das Kaiserthum — Despotismus
    u Aristokratie in allerhöchster Potenz — die
    zweite Bourbon Rückkehr8 u.s.w. jetzt
    stehn rund um Paris her die furchtbarsten
    Bastillen in Menge statt der am 14 Juli
    1791
    9 niedergerissenen — u die kampfmüde Masse,
    die ganz Fleisch geworden, fügt sich Allem,
    u vergißt der über sie gebrachten Schmach
    des Hochverraths an Polen,10 Allem
    was die Welt 1830 von ihr verlangt.
    Unheilbar wund ist Europa, wir können
    alle, die wir’s redlich meinen, nur
    Balsam, nur Kühlung u Linderung
    vermitteln, u diese kann nur von
    der Ueberzeugung, die wir am Thron
    erwecken, ausgehn. Sehn wir uns aber
    das Volk recht durch u durch an, so
    finden wir in seiner eignen – nicht
    angebornen
    , sondern anerzognen,
    eingeimpften
    Verderbniß, in der mit der Muttermilch eingesognen
    Knechtung die Ursach daß es gedrückt
    gemißbraucht, ausgesaugt wird, ich

    Kommentare

    8 Gemeint sind Ludwig XVIII. und Karl X., die von 1814 bis 1830 einer Restauration der Bourbonen-Dynastie vorstanden.

    9 Gemeint ist der Sturm auf die Bastille 1789.

    10 Nachdem der sogenannte Novemberaufstand 1830/1831 in Polen von der russischen Armee niedergeschlagen worden war, verlor das Königreich Polen seine Verfassung. Es folgte eine große Emigrationsbewegung, die viele Polen nach Westeuropa brachte, wo sie im Zuge der Begeisterung für nationale Bewegungen mit viel Sympathie und Anteilnahme aufgenommen wurden.

    habe darüber die schmerzlichsten begründetsten
    Erfahrungen, es ist auch dem Volke Be=
    dürfnis zu gehorchen, ja es will Glanz
    über sich, wo es hinaufblikken kann, u
    es bedarf des Glaubens nicht allein, auch
    des Aberglaubens, denn sein niedres
    dunkles, einfaches Loos will es nicht, kann
    es nicht so tragen tragen, wie es ist, es verlangt
    Poesie hinein, u greift sich diese überall
    heraus. In der Gefahr u Noth seiner Helfer
    zeigen es alle Zeiten, wie es Goethe
    im Egmont geschildert. Ja, es soll
    arbeiten, es soll beten, es soll gehorchen,
    aber satt u fröhlich soll es seyn!
    O, wer es dahin bringen könnte, wo
    es Heinrich IV haben wollte — "der Bauer alle
    "Sonntag sein Huhn im Topf!“11
    aber Ravaillac senkt den Dolch in
    das wahre Königsherz, das für
    sein Volk schlug.12

    Anworten Sie mir Bettina! Ich
    habe Sie in Ihrem schönen Wollen
    u treuen Wirken in tiefster Seele
    lieb, u meine Sporen hab ich mir redlich
    verdient, ich mein‘ ich könnte Ihnen

    Kommentare

    11 Als geflügeltes Wort überliefertes Zitat von Heinrich dem IV., das er im Gespräch mit Karl Emanuel I. von Savoyen geäußert haben soll: „Si Dieu me donne encore de la vie, je feray qu’il n’y aura point de laboureur en mon Royaume qui n’ait moyens d’avoir une poule dans son pot!“. Erstmals gedruckt in der Histoire du roy Henry Le Grand composée par Messire Hardouin de Perefixe, Paris 1662, S. 549.

    12 François Ravaillac ermordete Heinrich IV. von Frankreich am 14. Mai 1610.

    ein guter Waffenbruder werden. Nach
    Berlin kann ich nicht, kom̄en Sie nach
    Heidelberg, ist doch Welcker hier!

    Ich lege Ihnen das Concept einer
    Schrift bei, die ich gleich nach der 59.
    Sitzung der Kam̄er im Aprill a. c.
    schrieb noch eh ich Ihr Buch für
    den König
    gelesen, diese soll
    auch in das Buch, die Abschrift
    habe ich längst machen lassen,
    Welcker u ich sprechen viel von Ihnen
    wenn ich ihn sehe, Sie kennen seinen
    Genius, sein Herz, seine Treue. Ich
    sehe ihn kämpfen u leiden, ihn u seine
    edlen Kampfgefährten. In einer der
    letzten Sitzungen nannte Hekker
    mit Begeisterung Bettinen. Haben
    Sie die Berichte von den Sitzungen?

    Ihr Briefwechsel mit Clemens ist hier gleich
    vergriffen worden, ich habe ihn also nicht
    empfangen. Sgouta hat mir Ihre Gunderode
    u das Buch für den König zu lesen
    gegeben. Er ist sehr brav u lieb, dieser
    Grieche, u Ihr ächter Verehrer. Ich konnte
    ihn nur wenig sehen, doch ungern werde ich
    ihn vermissen, er verläßt uns nun.

    Ja, Sie sollten herkom̄en, denn nur dann
    ließe viel sich bewirken, u Werkthätigkeit
    in dem Sinn, in welchem Sie schon durch
    den Brief aus dem Voigtland13 gehandelt, u
    in noch viel ausgedehnteren u umfassendern,
    dazu könnte ich Ihnen Wege, die Sie nicht
    ahnen, zeigen, doch mit Briefen geht
    das zu langsam, kom̄en Sie! Wenn
    Sie aber keines Gefährten bedürfen, oder
    wenn der Gedanke daran Sie gar stören
    sollte, so nehmen Sie doch den Seegen
    meiner Liebesthränen, meiner Muttersorge
    u Zärtlichkeit auf Ihre Bahn mit,
    Gott wird ihn hören!

    Helmina v Chezy

    Kommentare

    13 Den Anhang zu Bettina von Arnims Königsbuch bilden die „Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande“: Der Schweizer Pädagoge Heinrich Grunholzer dokumentiert im Armenviertel im Norden Berlins vor dem Hamburger Tor, dem sogenannten Voigtland, das soziale Elend, indem er minutiös aufführt, wieviele Personen jeweils in einem Zimmer wohnen, wieviel Geld sie monatlich in welchem Beruf verdienen und nach Abzug der Miete zur Verfügung haben und wieviele Angehörige sie damit versorgen müssen.

    Nachschrift zum Briefe der Günderode.

    Zwischen dem 4 -7 Junius, und während in Schlesien Bluth floß,1 wurde der Brief geschrieben, den Sie gedruckt in einem Ihnen zugeeingneten Werke bekommen hätten, doch Herr Sgouta hat eine Gelegenheit nach Berlin, und so übertrag ich ihm eine Botschaft, und hoffe daß dies Entgegen kommen auf gleichem Weg Bettina willkommen ist, das Buch, dem dieser Brief gleichsam als Zueignung vorsteht, erfüllt einen großen Theil Ihrer Aufforderung, die in den Zeitungen stand, und die im Brief der Gunderode gedrängt wiederholt ist: Wo ist die Noth? woher die Noth? und so weiter2 Der Titel heißt: Dies Buch gehört Bettinen.3

    Wie ahnungsvoll ist der Brief der Günderode! Wie durchweht von den letzten Seufzern der Opfer in Schlesien! Liebes gutes Schlesien! Meiner Großmutter und Mutter Heimath!4

    Otto Lüning, so sagen die Zeitungen, hat wegen des Buches, das dem Volke gehört, viel garstige Unannehmlichkeiten erfahren,5 die Zeitungen sagen, Sie würden die Beweisstücke wegen der Weber-Unruhen et cetera in Druck geben, sollten Sie vorziehen dies

    Kommentare

    1 Der Weberaufstand 1844 in Schlesien erregte großes mediales Interesse und inspirierte diverse poetische Erzeugnisse, die der politischen Lyrik des Vormärz' zugerechnet werden.

    2 Bettina von Arnim ließ im Mai 1844 in mehreren großen Zeitungen für ihr sogenanntes Armenbuch-Projekt einen Aufruf schalten, „an Alle, welche über den Zustand des Armenwesens in Gemeinden, Kreisen, Bezirken, Provinzen und so weiter des gesammten deutschen Vaterlandes genaue Auskunft zu geben vermögen, [...] der Frau von Arnim getreue Berichte darüber zukommen zu lassen. Besonders wünschenswerth würde es auch seyn, wenn in diesen Berichten angeführt würde, was bis jetzt zur Abhelfung des Uebels [...] geschehen ist und welche Mittel sich wohl zur Verminderung des Noth als wirksam erweisen dürften.“ Der Aufruf erschien am 15.5.1844 in Nr. 113 der Magdeburger Zeitung, 18.5.1844 in der Kölnischen Zeitung, 23.5.1844 in Nr. 144 der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 1151

    3 Die drei Kapitel, die von diesem Buchprojekt verwirklicht wurden, sind in der vorliegenden Online-Edition unter dem Titel „Bettinen gehört dies Buch! Die Günderode an Bettina (Buchprojekt)“ ediert.

    4 Die Großmutter Helmina von Chézys, die Dichterin Anna Louisa Karsch, ist in ärmlichen und lieblosen Verhältnissen in Schlesien geboren und aufgewachsen. Im Jahr 1761 gelang ihr aufgrund der Aufmerksamkeit, die sie mit ihren Gedichten auf sich gezogen hatte, mit ihrer damals elfjährigen Tochter, der späteren Schriftstellerin Caroline von Klencke, die Übersiedlung nach Berlin.

    5 Der Armenarzt und Publizist Otto Lüning geriet aufgrund sozialkritischer und demokratiebewegter Aktivitäten 1844 ins Visier der Justiz, trotzdem gelang es ihm 1845/46 eine Schriftensammlung mit dem Titel Diß Buch gehört dem Volke in drei Bänden herauszugeben.

    Jenseits des Rheins zu bewerkstelligen so lassen Sie mir das Manuskript zugelangen, wo möglich aber nicht auf Postwegen, sondern durch solche Gelegenheit, ich werde es treu und schnell besorgen. Meine Lebenstage sind gezählt, meine Lebensstunden gehören der guten Sache. Wie schwer und bitter der Kampf habe ich bei den Lazaretten6 und in Oestreich ob der Enns,7 zum Theil auch schon hier erfahren, denn wies Welcker in den Ständeverhandlung vortrug — ich glaube in der 72. oder sonst einer 70sten Sitzung, werden Sie kennen, und die versteckte Quelle dieser Behandlung war die dauernde Verfolgung, die ich mir erweckt.             Wie Sie habe ich stets mit Vertrauen und Liebe am Thron Hülfe gesucht, und mir dort Wolwollen erweckt und erhalten — Stehn Sie in keiner Verbindung mit Prinzeß Marianne

    Kommentare

    6 1813 bis 1816 engagierte sich Chézy in Hospitälern für die während der Befreiungskriege verwundeten Soldaten. Als sie auf verschiedenen Wegen auf die Missstände dort hinwies, wurde sie im Rheinland wegen Verleumdung angeklagt und verurteilt. Sie floh nach Berlin, wo sie in einem neu angesetzten Prozeß nach dem alten preußischen Gesetz freigesprochen wurde.

    7 1826 unternahm Chézy eine Reise mit ihren Kindern Wilhelm und Max zur Luftkur und zum Wandern in Oberösterreich. Während und nach dieser Reise setzte sie sich durch Petitionen für die Salinenarbeiter, Weber und verarmten Bergbbewohner ein und veröffentlichte 1829 Jugendschicksale, Leben und Ansichten eines papierenen Kragens und 1833 den Reiseführer Norika, die beide sozialkritische Töne anschlugen. Nur ihre Kontakte zum kaiserlichen Hof konnten Chézy vor einem Prozeß bewahren. Norika wurde von der Zensur verboten.

    Wilhelm von Preußen? Bei der Sache der Verwundeten und Invaliden 1816 hat diese engelgütige höchste Frau, so wie die selige Schwester der Königin Luise, Charlotte Herzogin von Hildburghausen beim König viel Gutes, und zum Sieg der Wahrheit viel bewirkt — Ich wirke hier im Badenschen, wirkte im Caiserthum durch gleiche Vermittlung, in Preußen haben wir ja auch die himmlischgute liebe Königin mit dem vollen tiefen Herzschlag für die Menschheit! Das Uebel ist so gros, der Krebsschaden so tief, daß man weder behutsam noch kräftig genug zu Werk gehen kann. O, wie oft hat mein Herz Blut geweint!              Mir kommt es vor – es ist aber nur Vermuthung – als verlangten viele der freisinnigen Männer einen Umsturz, ich war nie dafür, denn ich war lange in Frankreich, die erste Frucht, die nach dem endlichen Stillstand der Waffen, nach der Erholung von den Temps de la terreur

    reifte, war das Kaiserthum — Despotismus und Aristokratie in allerhöchster Potenz — die zweite Bourbon Rückkehr8 und so weiter jetzt stehn rund um Paris her die furchtbarsten Bastillen in Menge statt der am 14 Juli 17919 niedergerissenen — und die kampfmüde Masse, die ganz Fleisch geworden, fügt sich Allem, und vergißt der über sie gebrachten Schmach des Hochverraths an Polen,10 Allem was die Welt 1830 von ihr verlangt. Unheilbar wund ist Europa, wir können alle, die wir’s redlich meinen, nur Balsam, nur Kühlung und Linderung vermitteln, und diese kann nur von der Ueberzeugung, die wir am Thron erwecken, ausgehn. Sehn wir uns aber das Volk recht durch und durch an, so finden wir in seiner eignen – nicht angebornen, sondern anerzognen, eingeimpften Verderbniß, in der mit der Muttermilch eingesognen Knechtung die Ursach daß es gedrückt gemißbraucht, ausgesaugt wird, ich

    Kommentare

    8 Gemeint sind Ludwig XVIII. und Karl X., die von 1814 bis 1830 einer Restauration der Bourbonen-Dynastie vorstanden.

    9 Gemeint ist der Sturm auf die Bastille 1789.

    10 Nachdem der sogenannte Novemberaufstand 1830/1831 in Polen von der russischen Armee niedergeschlagen worden war, verlor das Königreich Polen seine Verfassung. Es folgte eine große Emigrationsbewegung, die viele Polen nach Westeuropa brachte, wo sie im Zuge der Begeisterung für nationale Bewegungen mit viel Sympathie und Anteilnahme aufgenommen wurden.

    habe darüber die schmerzlichsten begründetsten Erfahrungen, es ist auch dem Volke Bedürfnis zu gehorchen, ja es will Glanz über sich, wo es hinaufblikken kann, und es bedarf des Glaubens nicht allein, auch des Aberglaubens, denn sein niedres dunkles, einfaches Loos will es nicht, kann es nicht so tragen, wie es ist, es verlangt Poesie hinein, und greift sich diese überall heraus. In der Gefahr und Noth seiner Helfer zeigen es alle Zeiten, wie es Goethe im Egmont geschildert. Ja, es soll arbeiten, es soll beten, es soll gehorchen, aber satt und fröhlich soll es seyn! O, wer es dahin bringen könnte, wo es Heinrich IV haben wollte — "der Bauer alle Sonntag sein Huhn im Topf!“11 aber Ravaillac senkt den Dolch in das wahre Königsherz, das für sein Volk schlug.12

    Anworten Sie mir Bettina! Ich habe Sie in Ihrem schönen Wollen und treuen Wirken in tiefster Seele lieb, und meine Sporen hab ich mir redlich verdient, ich mein‘ ich könnte Ihnen

    Kommentare

    11 Als geflügeltes Wort überliefertes Zitat von Heinrich dem IV., das er im Gespräch mit Karl Emanuel I. von Savoyen geäußert haben soll: „Si Dieu me donne encore de la vie, je feray qu’il n’y aura point de laboureur en mon Royaume qui n’ait moyens d’avoir une poule dans son pot!“. Erstmals gedruckt in der Histoire du roy Henry Le Grand composée par Messire Hardouin de Perefixe, Paris 1662, S. 549.

    12 François Ravaillac ermordete Heinrich IV. von Frankreich am 14. Mai 1610.

    ein guter Waffenbruder werden. Nach Berlin kann ich nicht, kommen Sie nach Heidelberg, ist doch Welcker hier!

    Ich lege Ihnen das Concept einer Schrift bei, die ich gleich nach der 59. Sitzung der Kammer im Aprill anni currentis schrieb noch eh ich Ihr Buch für den König gelesen, diese soll auch in das Buch, die Abschrift habe ich längst machen lassen, Welcker und ich sprechen viel von Ihnen wenn ich ihn sehe, Sie kennen seinen Genius, sein Herz, seine Treue. Ich sehe ihn kämpfen und leiden, ihn und seine edlen Kampfgefährten. In einer der letzten Sitzungen nannte Hekker mit Begeisterung Bettinen. Haben Sie die Berichte von den Sitzungen?

    Ihr Briefwechsel mit Clemens ist hier gleich vergriffen worden, ich habe ihn also nicht empfangen. Sgouta hat mir Ihre Gunderode und das Buch für den König zu lesen gegeben. Er ist sehr brav und lieb, dieser Grieche, und Ihr ächter Verehrer. Ich konnte ihn nur wenig sehen, doch ungern werde ich ihn vermissen, er verläßt uns nun.

    Ja, Sie sollten herkommen, denn nur dann ließe viel sich bewirken, und Werkthätigkeit in dem Sinn, in welchem Sie schon durch den Brief aus dem Voigtland13 gehandelt, und in noch viel ausgedehnteren und umfassendern, dazu könnte ich Ihnen Wege, die Sie nicht ahnen, zeigen, doch mit Briefen geht das zu langsam, kommen Sie! Wenn Sie aber keines Gefährten bedürfen, oder wenn der Gedanke daran Sie gar stören sollte, so nehmen Sie doch den Seegen meiner Liebesthränen, meiner Muttersorge und Zärtlichkeit auf Ihre Bahn mit, Gott wird ihn hören! Helmina v Chezy

    Kommentare

    13 Den Anhang zu Bettina von Arnims Königsbuch bilden die „Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande“: Der Schweizer Pädagoge Heinrich Grunholzer dokumentiert im Armenviertel im Norden Berlins vor dem Hamburger Tor, dem sogenannten Voigtland, das soziale Elend, indem er minutiös aufführt, wieviele Personen jeweils in einem Zimmer wohnen, wieviel Geld sie monatlich in welchem Beruf verdienen und nach Abzug der Miete zur Verfügung haben und wieviele Angehörige sie damit versorgen müssen.