Briefe und Texte
aus dem intellektuellen
Berlin um 1800

Peter Schlemiels Wundersame Geschichte (Abschrift)

 

 

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    XV 537
    IV 60/240 Q

    (Hier findet sich der braune Stempel des Märkischen Museums.)

    Peter Schlemiels
    SoWunderbsareme Geschichte
    mitgetheilt
    von
    Adelbert von Chamisso


    (Hier findet sich der braune Stempel des Märkischen Museums.)
    a

    a Dem
    Herrn Regierungs=Assessor
    und Buchhändler J. E. Hitzig.
    Wohlgeboren.
    in
    Berlin.

    1.

    Du vergiß'st Niemanden, du wirst
    dich noch eines gewissen Peter Schlemiel
    erinnern, den du in früheren Jahren
    ein paar Mal bei mir gesehen hast,
    ein langbeiniger Bursch', den man
    ungeschickt1 glaubte, weil er linkisch2 war,
    und der wegen seiner Trägheit
    für faul galt. Ich hatte ihn lieb,–
    du kannst nicht vergessen haben,
    Eduard3, wie er uns einmal in
    unserer grünen Zeit4 durch die Son=
    nette lief, ich brachte ihn mit auf
    einen der poetischen Thee's5 wo er
    mir noch während des Schreibens
    einschlief, ohne das Lesen abzuwar=
    ten. Nun erinnere ich mich auch
    eines Witzes, den du auf ihn mach=
    test.


    Du

    Kommentare

    1 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    2 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    3 Julius Eduard Hitzig

    4 1803-1805. Entstehungszeit der sogenannten grünen Musenalmanache.

    5 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    2
    Du hattest ihn n[e]ämlich schon, Gott weiß
    wo und wann, in einer alten schwar=
    zen Kurtka6 gesehen, die er frei=
    lich damals noch immer trug, und
    sagtest: "der ganze Kerl wä=
    re glücklich zu schätzen, wenn sei=
    ne Seele nur halb so unsterblich wä=
    re als seine Kurtka". – So we=
    nig galt er bei eEuch. – Ich hatte ihn
    lieb. – Von diesem Schlemiel nun,
    den ich seit langen Jahren aus
    dem Gesicht verloren hatte, rührt
    das Heft her, das ich dir mitthei=
    len will – Dir nur, Ede7, mei=
    nem nächsten, innigsten Freund,
    meinem bess'rem Ich, vor dem ich kein
    Geheimniß verwahren kann, theil
    ich es mit, nur dir und, es ver=
    steh't sich von selbst, unserm Fou-
    qué
    8, gleich dir in meiner Seele ein=
    gewurzelt – aber in ihm theil' ich

    es

    Kommentare

    6 langer, mit Pelz und Schnüren besetzter polnischer Rock

    7 Julius Eduard Hitzig

    8 Friedrich de la Motte Fouqué

    3
    es bloß dem Freunde mit, nicht dem
    Dichter. – Ihr werdet einsehen,
    wie unangenehm es mir seyn wür=
    de, wenn etwa die Beichte, die ein ehr=
    licher Mann in Vertrauen auf
    meine Freundschaft und Red=
    lichkeit an meiner Brust ab=
    legt, in einem Dichterwerke an
    den Pranger geheftet würde,
    oder nur wenn überhaupt unhei=
    lig verfahren würde wie mit
    einem Erzeugniß schlechten Wit=
    zes, mit einer Sache, die das
    nicht ist, und seyn darf. Frei=
    lich, muß ich selbst gestehen, daß
    es um die Geschichte Schad' ist, die
    unter des guten Mannes Feder
    nur albern geworden, daß sie
    nicht von einer geschickteren frem=
    den Hand in ihrer ganzen komi=
    schen Kraft dargestellt werden kann. –

    Was

    4
    Was würde nicht Jean Paul9 dar=
    aus gemacht haben. – Uebrigens,
    lieber Freund, mögen hier Manche
    genannt seyn, die noch leben; auch
    das will beachtet seyn. – Noch
    ein Wort über die Art, wie diese
    Blätter an mich gelangt sind. Ge=
    stern früh bei meinem Erwachen,
    gab man sie mir ab, – ein wun=
    derlicher Mann, der einen langen
    grauen Bart trug, eine ganz
    abgekürznutztete schwarze Kurtka an
    hatte, eine botanische Kapsel
    darüber umgehangen, und bei
    dem feuchten regnichten Wetter
    Pantoffel über seine Stiefeln, hat=
    te sich nach mir erkundigt und
    dieses für mich hinterlassen, er hat=
    te aus Berlin zu kommen, vor=
    gegeben. – – –

    Cunersdorf, den 27ten September 1813.


    I.,

    P S. ich lege dir eine Skitze vom Schlemiel bei die der
    kunstreiche Leopold10 nach der Natur entworfen da er von seinem Fenster
    den seltsamen Mann auf dem Hofe sah.
    11

    Kommentare

    9 Johann Paul Friedrich Richter

    10 Franz Joseph Leopold

    11 Dieser Zusatz aus Chamissos Feder findet sich nicht in der Urschrift. Im Erstdruck von 1814 findet sich eine inhaltlich ähnliche Stelle, wenn auch in anderem Wortlaut und mit einer weiteren Ergänzung. Dort heißt es: „Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche Leopold, der eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen hat. Als er den Werth, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat er sie mir gerne geschenkt.“

    5
    I.

    Nach einer glücklichen, jedoch für
    mich sehr beschwerlichen Seefahrt,
    erreichten wir endlich den Hafen.
    Sobald ich mit dem Boote an's Land
    kam, belud ich mich selbst mit
    meiner kleinen Habseligkeit, und
    durch das wimmelnde Volk mich
    drängend, ging ich in das nächste,
    geringste Haus hinein, in vor welchem
    ich ein Schild hängen sah. Ich begehr-
    te ein Zimmer, der Hausknecht
    maaß mich mit einem Blick und
    führte mich unters Dach. Ich ließ
    mir frisches Wasser geben und
    genau beschreiben, wo ich den
    Thomas John aufzusuchen habe: –
    "Vor dem BNorder-Thor, das er-
    ste Landhaus zur rechten Hand,
    ein großes, neues Haus, von

    roth

    6
    roth und weißem Marmor, mit
    vielen Säulen12." Gut – – Es war
    noch früh an der Zeit, ich schnür=
    te sogleich mein Bündelchen auf,
    nahm meinen umneugewandten
    schwarzen Rock heraus, zog
    mich reinlich an in meine beste
    Kleider, steckte das Empfehlungs=
    schreiben zu mir, und setzte
    mich als bald auf den Weg zu
    dem Manne der mir bei mei=
    nen bescheidenen Hoffnungen för=
    derlich seyn sollte. Nachdem ich
    die lange Norderstraße13 hinaufgestie=
    gen, und das Thor erreicht, sah
    ich bald die Säulen durch das
    Grüne schimmern ," "also hier"
    dacht' ich. Ich wischte den Staub
    von meinen Füßen mit meinem
    Schnupftuch ab, setzte mein Hals=
    tuch in Ordnung, und zog in

    Gottes

    Kommentare

    12 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    13 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    7
    Gottes Namen die Klingel. Die
    Thür' sprang auf. Auf dem
    Flur hatt' ich ein Verhör zu be=
    stehn, der Portier ließ mich
    aber anmelden, und ich hatte
    die Ehre in den Park gerufen zu
    werden, wo Herr John – mit
    einer kleinen Gesellschaft sich
    erging14. Ich erkannte gleich den Man̄
    am Glanze seiner wohlbeleib=
    ten Selbstzufriedenheit. Er em=
    pfing mich sehr gut, – wie ein
    Reicher einen armen Teufel,
    wandte sich sogar gegen mich,
    ohne sich jedoch von der übrigen
    Gesellschaft abzuwenden, und
    nahm mir den dar gehaltenen
    Brief aus denr Häand.en "So, so!
    von meinem Bruder, ich habe
    lange nichts von ihm gehört.
    Er ist doch gesund? –

    Dort"

    Kommentare

    14 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    8
    Dort", fuhr er gegen die Gesell=
    schaft fort, ohne die Antwort zu
    erwarten, und wies mit dem
    Brief auf einen Hügel, "dort
    laß ich das neue Gebäude auf=
    führen." Er brach das Siegel
    auf und das Gespräch nicht ab,
    das sich auf den Reichthum lenk=
    te. "Wer nicht Herr ist we=
    nigstens einer halben Million,
    warf er hinein, "der ist, man
    verzeihe mir das Wort, ein
    Schuft. "O wie wahr!" rief
    ich aus, mit vollem überströmen=
    den Gefühl. Das mußte ihm ge=
    fallen, er lächelte mich an und
    sagte: "bleiben Sie nur hier,
    lieber Freund, nachher hab' ich
    vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen,
    was ich hiezu denke," er deutete
    auf den Brief, den er sodann

    ein=

    2.
    9
    einsteckte, und wandte sich wieder
    zu der Gesellschaft. – Er bot ei=
    ner jungen Dame den Arm, an=
    dere Herr'n bemühten sich um an=
    dere Schönen, es fand sich was sich
    suchtepaßte, und man wall'te dem
    Rrosen umblüh'ten Hügel zu. Ich
    schlich hinterher ohne Jemanden be=
    schwerlich zu fallen, denn kei=
    ne Seele bekümmerte sich weiter
    um mich. Die Gesellschaft
    war sehr aufgeräumt, es ward
    getändelt und gescherzt, man
    sprach zu weilen von leichtsinni=
    gen Dingen witzchig, von – witzch=
    tigen öfters leichtsinnig, und ge=
    mächlich erging besonders der Witz
    über abwesende Freunde und
    deren Verhältnisse. Ich war da
    zu fremd, um von alle dem Vie-
    les zu verstehen, zu bekümmert

    und

    10
    und in mich gekehrt, um den Sinn
    auf solche Räthsel zu haben. Wir hatten den Rosenhain er=
    reicht. Die schöne Fanny15, wie
    es schien, die Herrin des Tages,
    wollte aus Eigensinn einen blü=
    henden Zweig selbst brechen, sie
    verletzte sich an einem Dorn,
    und, wie von den dunkeln Ro=
    sen, floß der Purpur auf ihre
    zarte Hand. Dieses Ereigniß
    brachte die ganze Gesellschaft
    in Bewegung. Es wurde Englisch
    Pflaster gesucht. Ein stiller,
    dünner, hag'rer, länglichter, ält=
    licher Mann, der neben mirt ging,
    und den ich noch nicht bemerkt hat=
    te, steckte sogleich die Hand in die
    knapp anliegende Schooßtasche
    seines altfränkischen grautaf=
    fentnen Rockes, brachte eine

    kleine

    Kommentare

    15 Das große „F“ von „Fanny“ scheint entweder im Nachhinein oder von einer anderen Hand hinzugefügt zu sein. Vergleicht man mit anderen „F“s auf den Folgeseiten, wird deutlich, dass es nicht der gängigen Schreibweise des Schreibers entspricht.

    11
    kleine Brieftasche daraus her=
    vor, öffnete sie, und reichte der
    Dame mit devoter Verbeugung
    das Verlangte. Sie empfing es
    ohne Aufmerksamkeit für den
    Geber u. ohne Dank, die Wunde
    ward verbunden und man ging
    weiter den Hügel hinan, von
    dessen Rücken man die weite
    Aussicht über das grüne Labiy=
    rinth des Parkes nach dem un=
    ermeßlichen Ozean genießen
    wollte. Der Anblick war wirk=
    lich groß und herrlich. Ein lichter
    Punkt erschien am Horizont
    zwischen der dunklen Fluth und
    der Blaäue des Himmels. "Ein
    Fernrohr her," rief Herr John,
    und noch bevor das auf den Ruf
    erscheinende Dienervolk in
    Bewegung kam, hatte der graue

    Mann

    12
    Mann, bescheiden sich verneigend,
    die Hand schon in die Rocktasche
    gesteckt, daraus einen schönen
    Dolon16 hervorgezogen und es
    dem Herrn John eingehändigt.
    Dieser es sogleich an das Auge
    bringend, benachrichtigte die
    Gesellschaft: es sei das Schiff,
    das gestern ausgelaufen, und
    das widrige Winde im Ange=
    sicht des Hafens zurücke hiel=
    ten. Das Fernrohr ging von
    Hand zu Hand und nicht wieder
    in die des Eigenthümers; ich aber
    sah verwundert[...] den Mann
    an, und wußte nicht, wie die
    große Maschine aus der win=
    zigen Tasche herausgekommen
    war, es schien aber Nieman=
    dem aufgefallen zu seyn, und
    man bekümmerte sich nicht mehr
    um den grauen Mann als um

    mich

    Kommentare

    16 Das achromatische Fernrohr wurde nach seinem Erfinder John Dollond Dollond genannt.

    13
    mich selber. Erfrischungen wur=
    den gereicht, das seltenste Obst al=
    ler Zonen in den kost[üm']barsten Ge=
    fäßen. Herr John machte die
    Honneur's mit leichtem Anstand
    und richtete da zum zweiten Mal
    ein Wort an mich: "Essen Sie
    nur, das haben Sie auf der
    See nicht gehabt." Ich verbeug-
    te mich, aber er sah es nicht, er
    sprach schon mit jemand Anderem.
    Man hätte sich gern auf den
    Rasen, am Abhange des Hü=
    gels, der ausgespannten
    Landschaft gegen über gelagert,
    hätte man die Feuchtigkeit der
    Erde nicht gescheut. Es wäre
    göttlich, meinte Wer aus der Ge=
    sellschaft, wenn man Türkische
    Teppiche hätte sie hier aus zu brei-
    ten. Der Wunsch war nicht so=

    bald

    14
    bald ausgesprochen, als schon der
    Mann im grauen Rock die Hand
    in der Tasche hatte, und mit
    bescheidener, ja demüthiger Ge=
    berde, einen reichen, golddurch=
    wirkten Türkischen Teppich dar=
    aus zu ziehen bemüht war. Be=
    diente neahmen ihn in Empfang als
    müße es so seyn, und entfal=
    ten ihn am begehrten Ort. Die
    Gesellschaft nahm ohne Umstände
    Platz darauf; ich wiederum
    sah betroffen den Mann, die
    Tasche, den Teppich an, der über
    20. Schritte in der Länge und 10.
    in der Breite maaß, und rieb
    mir die Augen, nicht wissend,
    was ich dazu denken sollte, be=
    sonders, da Niemand etwas Merk-
    würdiges darin fand. Ich hätte
    gern Aufschluß über den Mann

    gehabt,

    15
    gehabt, und gefragt, wer er
    sei, nur wußt ich nicht an wen
    ich mich richten sollte, denn ich
    fürchtete mich fast noch mehr vor
    den Herrn Bedienten als vor
    den bedienten Herr'n. Ich faß=
    te mir endlich ein Herz und trat
    an einen jungen Mann heran, der
    mir von minderem Ansehn schien
    als die Andern und der öfters
    allein gestanden hatte. Ich bat
    ihn leise, mir zu sagen, wer der
    gefällige Mann sei dort im grau=
    en Kleide, – "dieser? der
    wie Eein Ende Zwirn aussieht,
    der einem Schneider aus der
    Nadel entlaufen ist?" Ja, der
    allein steht – "den kenn ich
    nicht," gab er mir zur Antwort,
    und wie es schien, eine längere
    Unterhaltung mit mir zu ver-
    meiden, wandt' er sich weg und

    sprach

    16
    sprach von gleichgültigen Dingen
    mit einem Andern.

    Die Sonne fing jetzt stärker
    zu scheinen an und ward den
    Damen beschwerlich; die schöne
    Fanny richtete nachläßig an
    den grauen Mann, den so viel
    ich weiß, noch Niemand ange=
    redet hatte, die leichtsinnige
    Frage: ob er nicht auch vielleicht
    ein Zelt bei sich habe? Er beant=
    wortete sie durch eine so tiefe
    Verbeugung als widerführe
    ihn eine nuunverdiente Ehre, und
    hatte schon die Hand in der
    Tasche, aus der ich Zeuge, Stan=
    gen, Schnüre, Eisenwerk, kurz
    Alles was zu dem rastprachtvoll=
    sten Lustzelt gehört, heraus=
    kommen sah. Die jungen Herrn
    halfen es auspacken und es ü=
    berhing die ganze Ausdehnung des

    Teppichs, –

    3.
    17
    Teppichs, – und keiner fand
    noch etwas Außerordentliches
    darin. – Mir war schon lang'
    unheimlich, ja graulich zu Muthe,
    wie ward mir vollends, als beim
    nächst ausgesprochenem Wunsch
    ich ihn noch aus seiner Tasche drei
    Reitpferde, ich sage, die drei
    schönen, großen Rappen mit Sat=
    tel und Zeug heranus ziehen sah, –
    denke Dir um Gotteswillen! drei
    gesattelte Pferde noch aus dersel=
    ben Tasche, woraus schon eine
    Brieftasche, ein Fernrohr, ein
    gewirkter Teppich, 20. Schritt lang
    und 10. breit, ein Lustzelt von der=
    selben Größe, und alle dazu gehör=
    ige Stangen und Eisen herausge=
    kommen waren,! wenn ich Dir nicht
    betheuerte, es selbst mit eigenen
    Augen angesehen zu haben, wür=
    dest Du es gewiß nicht glauben.

    So

    18
    So verlegen und demüthig der Man̄
    selbst zu seyn schien, so wenig
    Aufmerksamkeit ihm auch die
    Andern schenkten, so ward
    mir doch seine blaße Erscheinung,
    von der ich kein Aug' abwenden
    konnte, so schauerlich, daß ich sie
    nicht länger ertragen konnte. Ich
    beschloß mich aus der Gesell=
    schaft zu stehlen, was bei der
    unbedeutenden Rolle, die ich darinnen
    spielte, mir ein Leichtes schien.
    Ich wollte nach der Stadt zurück=
    kehren, am andern Morgen mein
    Glück beim Herrn John wieder
    versuchen, und, wenn ich den
    Muth dazu fände, ihn über den
    seltsamen grauen Mann be=
    fragen. – Wäre es mir nur so
    zu entkommen geglückt! Ich
    hatte mich schon wirklich denurch den
    rRosenhain den Hügel hinab

    glücklich

    19
    glücklich geschlichen, und befand mich
    auf einem freien Rasenplatz,
    als ich aus Furcht ausßer den We=
    gen durchs Gras gehend ange=
    troffen zu werden einen for=
    schenden Blick um mich warf. –
    Wie erschrack ich als ich den Man̄
    im grauen Rock hinter mich
    her und auf mich zukommen sah.
    Er nahm sogleich den Hut ab v vor
    mir ab, und verneigte sich so
    tief, als noch Niemand vor mir
    gethan hatte. Es war kein Zwei=
    fel, er wollte mich anreden, und
    ich konnte ohne grob zu seyn es nicht
    vermeiden. Ich nahm den Hut
    auch ab, verneigte mich wieder,
    und stand da in der Sonne mit
    bloßem Haupt wie angewurzelt.
    Ich sah' ihn voller Furcht stier an,
    und war wie ein Vogel, den eine
    Schlange gebannt hat. Er selber

    schien

    20
    schien sehr verlegen zu seyn, er hob
    den Blick nicht auf, verbeugte
    sich zu verschiedenen Malen,
    trat näher und redete mich an
    mit leiser unsicherer Stimme, ungefähr
    im Tone eines Bettelnden. "Möge
    der Herr meine Zudringlich=
    keit entschuldigen, wenn ich es
    wage, ihn so unbekannter
    Weise aufzusuchen, ich habe ei=
    ne bBitte an ihn. vVergönnen17
    Sie gnädigst: – aber um Got=
    teswillen, mein Herr, brach ich
    in meiner Angst aus, was kann
    ich für einen Mann thun, der ....
    wir stutzten beide, und wurden,
    wie mir deäucht, roth. Er nahm
    nach einem Augenblick Schweigen
    wieder das Wort: "während der
    kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich
    in Ihrer Nähe zu befinden, hab'
    ich, mein Herr, einige Mal,

    erlauben

    Kommentare

    17 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung eines für den Schreiber schwer zu entziffernden Wortes. Eine eben solche findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    21
    erlauben Sie, daß ich es Ihnen
    sage, – wirklich mit unausspech=
    licher Bewunderung den schönen,
    schönen Schatten betrachten kön=
    nen, den Sie in der Sonne,
    und gleichsam mit einer ge=
    wissen edlen Verachtung, ohne
    selbst darauf zu merken, von
    Ssich warfen, den herrlichen
    Schatten da zu Ihren Füßen.
    Verzeihen Sie mir die heifreiligch
    kühne Zumuthung: SSollten
    Sie Sich wol nicht abgeneigt
    finden, mir diesen Ihren Schatten
    zu überlassen." Er schwieg, und
    mir ging's wie ein Mühlrad im
    Kopf herum. Was sollt' ich aus
    dem seltsamen Antrag machen,
    mir meinen Schatten abzukaufen?
    Er muß verrückt seyn, dacht' ich,
    und mit verändertem Tone, der
    zu der Demuth ders seinigen besser

    paßte,

    paßte, erwiederte ich also. Ei,
    ei! guter Freund, habt Iihr denn
    nicht an euerm eigenen Schatten
    genug? das hieß' eich mir einen
    Handel von einer ganz abson-
    derlichen Sorte. Er fiel sogleich
    wieder ein: "Ich hab' in mei=
    ner Tasche Manches, was dem
    Herrn nicht ganz unwerth
    scheinen möchte; für diesen un=
    schätzbaren Schatten, halt' ich
    den höchsten Preis zu gering.
    Nun überfiel es mich wieder
    kalt, da ich an die Tasche erinert
    ward, und ich wußte nicht, wie
    ich ihn hatte guter Freund nennen
    können. Ich nahm wieder das Wort,
    und suchte es, wo möglich, mit un=
    endlicher Höflichkeit wieder gut
    zu machen. "Aber, mein Herr,
    verzeihen Sie Ihrem unterthänig=
    sten Knecht – Ich verstehe wol

    Ihre

    23
    Ihre Meinung nicht ganz gut,
    wie könnt' ich nur meinen Schat=
    ten ... Er unterbrach mich:
    Ich erbitte mir nur Dero Erlaub=
    niß, hier auf der Stelle diesen
    edlen Schatten von der Erde
    aufheben zu dürfen, und zu
    mir zu stecken, wie ich das mache,
    sei meine Sorge. Dagegen als
    Beweis meiner Erkenntlichkeit
    gegen den Herrn, überlasse
    ich ihm die Wahl unter allen Klei=
    nodien, die ich in der Tasche bei
    mir führe. Die ächte SSpring=
    Wurzel18, die Alraunwurzel19,
    Wechselpfennige20, Raubthaler21,
    das Tellertuch von Rolands Knap=
    pen22, ein Galgenmännlein23 zu
    beliebigem Preis;24 doch das wird
    wol nichts für Sie seyn, besser
    Fortunati Wuünschhütlein25, neu
    und haltbar wieder restaurirt,

    auch

    Kommentare

    18 Der Springwurzel als Märchenrequisite wird die Kraft Türen und Schlösser zu öffnen nachgesagt. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Die Springwurzel öffnet alle Türen und sprengt alle Schlösser. Der schwarze Specht (picus martius) kennt sie. Er macht sein Nest in hohlen Bäumen, man muß die Öffnung, wenn der Vogel ausgeflogen, verstopfen. Er holt die Wurzel, um sein Nest zu öffnen, man muß ihn fangen, um sie sich zu verschaffen.“

    19 Verfügt man über die Alraunwurzel, erhält man die Unterstützung eines dienstbaren Geistes, der dem Besitzer zu Reichtum verhelfen kann. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Alraunwurzel ist glaube ich die Mandragore. Die Erzählungen darüber sind sehr verschieden, es ist sehr schwierig, sie sich zu verschaffen, sie gibt ein besonderes Geschick, um sich Schätze zu verschaffen.“

    20 Der Wechselpfennig ist im Märchen eine Kupfermünze, die jedes Mal, wenn man sie umdreht, ein Goldstück hervorbringt. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Wechsel- oder Heck-Pfennige sind Kupfermünzen, die jedesmal, wenn man sie umdreht, ein Goldstück hervorbringen.“

    21 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Der Raubtaler ist ein Taler, der jedesmal zu seinem Herren zurückkehrt und alle Gedlstücke, die er berührt, mit zurückbringt.“

    22 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Das Tellertuch, ein Tischtuch, das sich mit allen Gerichten, die man verlangt, bedeckt.“

    23 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Das Galgenmännlein ist ein Teufel in einer Flasche, der tut alles, was man will und gibt was man verlngt. Man kauft ihn für Geld, man kann ihn aber nur für einen geringeren Preis, als man selbst gegeben, wieder verkaufen. Sein Recht ist dem letzten Besitzer, der ihn nicht mehr los werden kann, da der Preis zu gering geworden, als sein Eigentum mitzunehmen.“

    24 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    25 Bei dem Wunschhütlein handelt es sich um den wunderkräftigen Hut des Fortunatus, des Helden des deutschen Volksbuchs Fortunatus.

    auch oder ein Glücksseckel26 wie das
    seine ge....wesen", "Fortunati Glücks=
    Seckel,! fiel ich ihm in die Rede,
    und wie groß meine Angst
    auch war, hatte er mit dem einemn
    Wort meinen ganzen Sinn ge=
    fangen. Ich bekam einen
    Schwindel, und es flimmerte
    mir wie doppelte Dukaten vor
    den Augen. – Belieben gnädigst
    der Herr, dies Seckel zu be=
    sichtigen und zu erproben, er
    steckte die Hand in die Tasche und
    zog einen mäßig großen, fest
    genähten Beutel von starkem
    Korduanleder27, an zwei tüchtigen
    ledernen Schnüren heraus und
    händigte mir selbigen ein.
    Ich grif hinein, und zog 10. zehn Gold=
    stücke daraus, und wieder 10. , zehn
    und wieder 10.zehn, und wieder 10.zehn,
    ich hielt ihm schnell die Hand hin:

    Topp!

    Kommentare

    26 Beim Glücksseckel handelt es sich um den wunderkräftigen Sack des Fortunatus, des Helden des deutschen Volksbuchs Fortunatus.

    27 Ziegenleder

    4.
    25
    Topp! der Handel gilt, für den Beu=
    tel haben Sie meinen Schatten.
    Er schlug ein, knie'te sodann un=
    gesäumt vor mir nieder, und
    mit einer bewundernswürdigen
    Geschicklichkeit sah ich ihn meinen
    Schatten, vom Kopf herab bis zu
    meinen Füßen, leise von dem Gra=
    se lösen, aufheben, zusammen=
    rollen und falten, und zuletzt ein=
    stecken. Er stand auf, verbeugte
    sich noch einmal vor mir, und
    zog sich nach dem Rosengebüsche
    züurück. Mich dünkt, ich hörte ihn
    da leise für sich lachen. Ich aber
    hielt den Beutel bei den Schürennüren
    fest, rund um mich her war die
    Erde sonnenhell, u. in mir war
    noch keine Besinnung.


    II.
    II.

    Ich kam endlich wieder zu Sin̄en,
    und eilte diesen Ort zu verlas=
    sen, wo ich hoffentlich nichts mehr
    zu thun hatte. Ich füllte erst mei=
    ne Taschen mit Gold, dann band
    ich mir die Schnüre des Beutels um
    den Hals fest, und vers[...]barg ihn
    selbst auf meiner Brust. Ich
    kam unbeachtet aus dem Park,
    erreichte die Landstraße, und
    nahm meinen Weg nach der
    Stadt. Wie ich imn Gedanken
    dem Thore zu ging, hört' ich hinter
    mir schreien: "junger Herr! he!
    junger Herr! hören Sie doch! –
    Ich sah mich um, ein alltes Weib
    rief mir nach: Sehe sich der hHerr
    doch vor, Sie haben Ihren Schat=
    ten verloren. – Danke, Müt=
    terchen, ich warf ihr ein Goldstück
    für den wohlgemeinten Rath

    hin

    27
    hin, und trat unter die Bäume. Am Thore mußt'
    ich gleich wieder von der Schildwacht
    hören: "Wo hat der seinen Schatten
    gelassen?" und gleich darauf wie=
    der von ein paar Frauen: "Jesus
    Maria! der arme Mensch hat kei=
    nen Schatten!" Das fing an
    mich zu verdrießen, und ich ver=
    mied sehr sorgfältig in die Sonne
    zu treten. Das ging aber nicht
    überall an, zum Beispiel28 nicht über die
    Breitestraße, die ich zunächst durch=
    kreuzen mußte, und zwar zu
    meinem Unheil in eben der Stun=
    de, wo die Knaben aus der
    Schule gingen. Ein verdam̄ter
    buckelichgter Schlingel, ich seh' ihn
    noch, hatte es gleich weg, daß mir
    ein Schatten fehle. Er verrieth
    mich mit großem Geschrei der
    sämmtlichen litterarischen Stra=
    ßenjugend der Vorstadt, welche

    dann

    Kommentare

    28 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    dann mich zu rezensiren und mit
    Koth zu bewerfen anfing: "Or=
    dentliche Leute pflegten ihren Schat=
    ten mit sich zu nehmen wann
    sie in die Sonne gingen." Um
    sie mir abzuwehren warf ich
    Goold zu vollen Händen unter sie,
    und sprang in einen Miethswagen
    zu dem mir mitleidige Seelen ver=
    halfen. Sobald ich mich in der
    rollenden Kutsche allein befand,
    fing ich bitterlich an zu weinen.
    Es mußte schon die Ahndung in mir
    aufsteigen: daß, um so viel das
    Gold
    auf Erden Verdienst und Tugend
    überwiegt, um so viel der Schat=
    ten höher als selbst das Gold ge=
    schätzt werde, und wie ich frü=
    her demn Reichthum meinem Ge=
    wissen aufgeopfert, hatte ich
    jetzt den Schatten für bloßes Gold
    hingegeben, was konnte, was

    sollte

    29
    sollte auf Erden aus mir werden!
    Ich war noch sehr verstört, als der
    Wagen vor meinem alten Wohnirthshaus
    hielt, ich erschrack über die Vorstell=
    ung, nur noch jenes schlechte Dachzim=
    mer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen her=
    abholen, empfing den ärmlichen
    Bündel mit Verachtung, warf
    einige Goldstücke hin und befahl
    vor das vornehmeste Hotel vorzu=
    fahren. Das Haus war gegen
    Norden gelegen, ich hatte die Son=
    ne nicht zu fürchten, ich schickte den
    Kutscher mit Gold weg, ließ mir
    die besten Zimmer vorn heraus
    anweisen, und verschloß mich
    darin, sobald ich konnte. Was
    denkest Du, daß ich nun anfing? –
    O mein lieber Chamisso29, selbst
    vor Dir es zu gestehen, macht mich
    erröthen. Ich zog den unglückli=
    chen Seckel aus meiner Brust

    hervor,

    hervor, und mit einer Art Wuth,
    die, wie eine flackernde Feuers=
    Brunst, sich in mir durch sich selbst
    mehrte, zog ich Goold daraus, und
    Goold, und Goold, und immer mehr
    Goold, und streu'te es auf den
    Estrich, und schritt darüber hin,
    und ließ es klirren, und warf,
    mein armes Herz an dem Glanz,
    an dem Klang weidend, im̄er
    des Metalle's mehr zu dem Metal=
    le, bins ich ermüdet selbst auf
    das reiche Lager sank und schwel=
    gend darin wühlte, mich dar=
    über wälzte. So verging der
    Tag, der Abend, ich schloß meine
    Thür' nicht auf, die Nacht fand
    mich liegend auf dem Golde,
    und darauf übermannte mich
    der Schlaf. Da träumt' es
    mir von Dir, es ward mir als
    stände ich hinter der Glasthür

    dieses

    30
    d ies es deines kleinen Zimmers, und sähe
    Dich von da an Deinem Arbeits=
    Tische zwischen einem Skelet und
    einem Bunde getrockneter Pflan=
    zen sitzen, vor Dir waren Haller30,
    Humboldt31 und Linneé32 aufgeschlagen,
    auf Deinem Sopha lagen ein Band
    Göthe33 und der Zauberring34, ich
    betrachtete Dich lange, und je=
    des Ding in Deiner Stube, und
    dann Dich wieder, Du rührtest
    Dich aber nicht, Du holtest auch
    nicht Athem, Du warst todt. Ich
    erwachte,. eEs schien noch sehr früh
    zu seyn. Meine Uhr stand. Ich
    war wie zerschlagen, durstig und
    hungrig auch noch, ich hatte seit
    dem vorigen Morgen nichts ge=
    nossen. Ich stieß von mir mit
    Unwillen und Ueberdruß die=
    ses Gold, an dem ich kurz vor=
    her mein thörichtes Herz gesättiget,

    nun

    Kommentare

    30 Gemeint ist die „Bibliotheca botanica“ von Albrecht von Haller.

    31 Es kommen unterschiedliche Werke Alexander von Humboldts in Betracht.

    32 Vermutlich ist Carl von Linnés Hauptwerk „Systema naturae“ gemeint, in dem er Mineralien, Pflanzen und Tiere zu klassifizieren versucht.

    33 Es kommen unterschiedliche Werke Johann Wolfgang von Goethes in Betracht.

    34 Der Ritterroman „Der Zauberring“ von Friedrich de la Motte-Fouqué erschien 1813.

    nun wußt' ich verdrießlich nicht,
    was ich damit anfangen sollte.
    Es durfte nicht so liegen bleiben –
    ich versuchte, ob es der Beutel wie=
    der verschlingen wollte, – Nein
    Keines meiner Fenster öffnete
    sich über die See. Ich mußte mich
    bequemen, es mühsam und mit
    sauerm Schweiß zu einem gro=
    ßen Schrank, der in einem Ka=
    binet stand, zu schleppen und es
    darin zu verpacken. Ich ließ nur
    einige Handvoll da liegen. Nach=
    dem ich mit der Arbeit fertig
    geworden, legt' ich mich erschöpft
    in einen Lehnstuhl und erwar=
    tete, daß sich Leute im Hause zu
    regen anfingen. Ich ließ, so bald
    es möglich war, zu essen bringen,
    und den Wirth zu mir kommen.
    Ich besprach mit diesem Mann die
    künftige Einrichtung meines

    Hauses

    5.
    33
    Hauses. Er empfahl mir für den
    hern Dienst um meine Person
    einen gewißen Bendel35, dessen treue
    und verständige Physionomie
    mich gleich gewann. Derselbe war's dessen36
    Anhänglichkeit mich so lange durch
    das Elend des Lebens begleitete,
    und mir mein düst'res Loos er=
    tragen half. Ich brachte den gan=
    zen Tag auf meinen Zimmern,
    mit herrenlosen Knechten, Schuh=
    stern, Schneidern, und Kaufleu=
    ten zu, ich richtete mich ein, und
    kaufte besonders sehr viele
    Kostbarkeiten und Edelsteine,
    um nur Eetwas des vielen aufgespei-
    cherten
    37 Goldes loß zu seyn, es schien
    aber gar nicht, als könne der
    Haufen sich vermindern. Ich
    schwebte indeß über meinen Zu=
    stand in den ängstigendsten Zwei-
    feln. Ich wagte keinen Schritt aus

    meiner

    Kommentare

    35 Bendel war der Name von Chamissos Bursche während seiner Leutnantszeit.

    36 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Worte und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    37 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    meiner Thür, und ließ Abends vier=
    zig Wachskerzen in meinem
    Saal anzünden, bevor ich aus
    dem Dunkel heraus kam. Ich
    gedachte mit Grauen des fürch=
    terlichen Auftrittes mit den
    Schulknaben. Ich beschloß, so viel
    Muth ich auch dazu bedurfte, die
    öffentliche Meinung noch einmal
    zu prüfen. – Die Nächte waren
    zu der Zeit mondhell. Abends
    spät warf ich einen weiten Man=
    tel um, drückte mir den Hut
    tief in die Augen, und schlich, zit=
    ternd, wie ein Verbrecher, aus
    dem Hause. Erst auf einem ent=
    legenen Platz trat ich aus dem
    Schatten der Häuser, in deren
    Schutz ich so weit gekommen war,
    an das Mondeslicht hervor, gefaßt38
    mein Schicksal aus dem Mun=
    de der Vorübergehenden zu ver=
    nehmen.

    Erspare

    Kommentare

    38 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    35
    Erspare mir, lieber Freund, die
    schmerzliche Wiederholung alles des=
    sen, was ich erdulden mußte.
    Die Frauen bezeugten oft das
    tiefeste Mitleid, das ich ihnen ein=
    flößte, Aeußerungen, die mir die
    Seele nicht minder durchborten als
    der Hohn der Jugend, und die
    hochmüthige Verachtung der Män=
    ner, besonders solcher dickern, wohl-
    beleibtern, die selbst einen brei=
    ten Schatten warfen. Ein schö=
    nes, holdes Mädchen, die, wie es
    schien, ihre Eltern begleitete, in=
    dem diese bedächtig nur vor ihre
    Füße sahen, wandte von Uungefähr
    ihr leuchtendes Auge auf mich; sie
    erschrack sichtbarlich, indem sie mich
    schattenlos bemerkte, verhüllte ihr
    schönes Antlitz in ihren Schleier, ließ
    den Kopf sinken, und ging lautlos39
    vorüber. Ich ertrug es länger nicht.

    Salzige

    Kommentare

    39 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    Salzige Ströme brachen aus mei=
    nen Augen, und mit durchschnitte=
    nem Herzen zog ich mic schwankend
    ins Dunkel zuruück. Ich mußte mich
    an den Häusern halten, um meine
    Schritte zu sichern, und erreichte
    langsam und spät meine Wohnung.
    Ich brachte die Nacht schlaflos zu.
    Am andern Tage war meine er=
    ste Sorge nach dem Mannee im grau-
    en Rocke überall suchen zu lassen.
    Vielleicht sollte' es mir gelingen,
    ihn wieder zu finden, und wie
    selig, wenn ihmn wie mirch der thör=
    ichte Handel gereuen sollte. Ich
    ließ Bendel vor mich kommen,
    er schien Gewandtheit und Geschick=
    lichkeit
    zu besitzen, – ich schilderte
    ihm genau den Mann, in dessen
    Besitz ein Schatz sich befand, ohne den
    mir das Leben nur eine GQual sei.
    Ich sagte ihm die Zeit, den Ort, wo

    ich

    37
    ich ihn gesehen; beschrieb ihm Alle, die
    zugegen gewesen, und fügte dieses
    Zeichen noch hinzu: er solle sich nach
    einem doloni'schen Fernrohr, nach
    einem golddurchwirkten Türkischen
    Teppich, nach einem Prachtlustzelt,
    und endlich nach drei schwarzen
    Reithängsten genau erkundigen,
    deren Geschichte, ohne zu bestimmen,
    wie's, mit der des räthselhaften
    Mannes zusammenhinge, welcher
    Allen unbedeutend geschienen,
    und dessen Erscheinung die Ruhe
    und das Glück meines Lebens
    zerstört hatte. Wie ich ausge=
    redet, holt' ich Goold her, eine Last,
    wie ich sie nur zu tragen vermochte,
    und legte Edelsteine und Juwelen
    noch hinzu für einen größern Werth,
    "Bendel, sprach ich, "dieses ebnet
    viele Wege und macht vVieles

    leicht

    leicht, was unmöglich schien; sei
    nicht karg damit, wie ich es nicht
    bin, sondern geh, und erfreue
    deinen Herrn mit Nachrichten,
    auf denen seine alleinige Hoffnung
    beruht. Er ging. Spät kam
    er, und traurig, zurück. Keiner
    von den Leuten des Herrn John,
    Keiner von seinen Gästen, er
    hatte Alle gesprochen, wußte sich
    nur entfernt an dem Mann im
    grauen Rocke zu erinnern.
    Der neue Theleskop war da, und
    Niemand wußte, woher ihn Herr
    John bekommen hatte; der Tep=
    pich, das Zelt waren da, noch
    auf demselben Hügel ausgebrei=
    tet und aufgeschlagen, die Knech=
    te rühmten den Reichthum ihres
    Herrn, und Keiner wußte von
    Wem wannen diese neuen Kostbarkeiten
    ihm zugekommen,. eEr selbst hatte

    seinen

    39
    seinen Wohlgefallen daran,
    und ihn kümmerte es nicht, daß
    er nicht wiße, woher er sie habe;
    die Pferde hatten die jungen Herrn,
    die sie geritten, in ihren Ställen,
    und sie priesen die Freigebigkeit
    des Herrn John, der sie ihnen
    an jenem Tage geschenkt. So viel
    erhellte aus der ausführlichen
    Erzählung Bendels, dessen rascher
    Eifer und verständige Führung
    auch bei so fruchtlosem Erfolg, mein
    verdientes Lob erhielten. Ich
    winkte ihm düster mich allein zu las=
    sen. Ich habe, hub er wieder an,
    meinem Herrn Bericht abgestattet,
    über die Angelegenheit, die ihm am
    wichtigsten war. Mir bleibt
    noch einen Auftrag auszurichten,
    den mir heute früh Jemand gege=
    geben, welchem ich vor der Thür

    begegnete,

    begegnete, da ich zu dem Geschäft
    aus ging, worin ich so unglücklich
    gewesen. Die eigenen Worte
    des Mannes waren: Sagen Sie
    dem Herrn Peter Schlemiel, er
    würde mich hier nicht mehr sehen,
    da ich über's Meer gehe, und ein
    günstiger Wind mich so eben nach
    dem Hafen ruft. Aber Ueüber Jahr
    und Tag wüerde ich die Ehre haben
    ihn selber aufzusuchen, und ein
    anderes, ihm dann vielleicht
    annehmliches Geschäft, vorschla=
    gen. Empfehlen Sie mich ihm un=
    terthänigst und versichern ihn
    meines Dankes. Ich frug ihn
    wer er wäre, er sagte aber,
    Sie kennten ihn schon. – Wie sah
    der Mann aus,? rief ich voller
    Ahndung. Und Bendel beschrieb
    mir den Mann im grauen Rocke,
    Zug für Zug, Wort für Wort,

    wie

    6.
    41
    wie er getreu in seiner vorigen
    Erzählung des Mannes erwähnt,
    nachdem er sich erkundigt. –
    Unglücklicher!, schrie ich händerin=
    gend, das war er ja selbst,! und
    ihm fiel es wie Schuppen von den
    Augen. – Ja, er war es, war
    es wirklich, rief er erschreckt,
    und ich Verblendeter, Blödsinni=
    ger, habe ihn nicht erkannt, ihn
    nicht erkannt, und meinen Herrn
    verrathen! Er brach, heiß wei=
    nend in die bittersten Vorwürfe
    gegen sich selber aus, und die
    Verzweiflung, in der er war,
    mußte mir selber Mitleiden
    einflößen. Ich sprach ihm Trost
    ein, versicherte ihn wiederholt,
    ich sähe setzte keinen Zweifel in seiner
    Treue, und schickte ihn alsbald
    nach dem Hafen40, um, wo möglich

    die

    Kommentare

    40 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    die Spuren des seltsamen Man=
    nes zu verfolgen. Aber an
    diesem selben Morgen waren
    zehn verschiedene Schiffe, die
    widrige Winde im Hafen zu=
    rückgehalten, ausgelaufen,
    alle nach anderen Weltstrichen,
    alle nach anderen Küsten be=
    stimmt, und der graue Mann
    war spurlos wie ein Schatten
    verschwunden.

    III.

    Was hülfen Flügel dem in ei=
    sernen Ketten [F]fest angeschmie=
    deten,? er müßte dennoch, und
    schrecklicher, verzweifeln. Ich
    lag, wie Faffner bei seinem
    Hort41, fern von jedem mensch=
    lichen Zuspruch, bei meinem
    Golde darbend, aber ich hatte
    nicht das Herz nach ihm, sondern

    ich

    Kommentare

    41 In einem Brief an seinen Bruder Hippolyte vom 22.3.1821 (Nachl. Adelbert von Chamisso, K. 17, Nr. 17, Bl. 3-5) schreibt Chamisso dazu: „nom du thresor Dragon qui quardoit le thresor (hort, Schatz) des Niebellungen et que tuo Sigrud, Siegfrid, Sigefroid – une de plus abbrs histoires de notre presie, tradition des Edda sujet du diens passu Allemand das Lied der Niebellungen, et du poem de Fouque, der Held des Norden [...].“ Zu Deutsch etwa: Name des Drachens, der den Hort, Schatz der Nibelungen bewacht und den Sigurd, Siegfried, Sigefroid tötet - eine der berühmtesten Geschichten unserer alten Dichtung, Überlieferung der Edda, Gegenstand der alten deutschen Dichtung 'Das Lied der Nibelungen' und der Dichtung von Fouqué 'Der Held des Nordens' [...].

    43
    ich fluchte ihm, um dessentwillen ich
    mich von allem Leben abgeschnitten
    sah. Bei mir allein mein düst'=
    res Geheimniß hegend, fürchtete
    ich mich vor dem letzten meiner
    Knechte, den ich zugleich beneiden
    mußte; denn er hatte einen Schat=
    ten, er durfte sich sehen lassen
    in der Sonne. Ich vertrauerte
    einsam in meinen Zimmern die
    Tag' und Nächte und Gram zehr=
    te an meinem Herzen. Noch eEinser
    härmte sich unter meinen Au=
    gen ab,: mein treuer Bendel
    hörte nicht auf, sich mit stillen
    vVorwürfen zu martern, dasß
    er das Zutrauen seines gütigen
    Herrn betrogen, und Jjenen
    nicht erkannt, nach dem er aus=
    geschickt war, und mit dem er
    mein trauriges Schicksal in
    enger Verflechtung42 denken mußte.

    Ich

    Kommentare

    42 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    Ich aber konnte ihm keine Schuld
    geben, ich erkannte in dem Ereig=
    niß die fabelhafte Natur des
    Unbekannten. Nichts unver=
    sucht zu lassen, schickt ich einst
    Bendel mit einem kostbaren
    brillantenen Ring zu dem be=
    rühmtesten Möblerahler der Stadt, den
    ich, mich zu besuchen, einladen
    ließ. Er kam, ich entfernte
    meine Leute, verschloß die
    Thür', setzte mich zu dem
    Manne, und nachdem ich seine Kunst
    gepriesen, kam ich mit schwerem
    Herzen zur Sache, ich ließ ihm
    zuvor das strengste Geheimniß
    geloben. Herr Professor, fuhr
    ich fort, könnten Sie wol ei=
    nem Menschen, der auf die
    unglücklichste Weise von der
    Welt um seinen Schatten ge=
    kommen ist, einen falschen

    Schatten

    45
    Schatten malen? — Sie meinen
    einen Schlagschatten, — Den mein'
    ich allerdings. — Aber, frug
    er mich weiter, durch welche Un=
    geschicklichkeit, durch welche Nach=
    läßigkeit konnte er denn sei=
    nen Schlagschatten verlieren?
    Wie es kam, erwiederte ich, mag
    nun sehr gleich gültig seyn, doch
    so viel, log ich ihm unverschämt
    vor: In Rußland, wo er im
    vorigen Winter eine Reise that,
    fror ihm ein mal, bei einer au=
    ßerordentlichen Kälte, sein
    Schatten dergestalt am Boden fest,
    daß er ihn nicht wieder loß be=
    kommen konnte. Der falsche
    Schlagschatten, den ich ihm malen
    könnte, sagte der Professor, wür=
    de doch nur ein solcher seyn, den er
    bei der leisesten Behruhr[un]gwegung wie=
    der verlieren müßte, — zumal

    wer

    wer an dem eignen angebornen
    Schatten so wenig fest hing, als
    aus iIhrer Erzählung selbst sich ab=
    nehmen läßt: wer keinen Schatten
    hat, gehe nicht in die Sonne, das
    ist das Vernünftigste und Sicherste.
    Er stand auf und entfernte sich,
    indem er auf mich einen durch=
    bohrenden Blick warf, den der
    meine nicht ertragen konnte. Ich
    sank in meinen Sessel zu=
    rück, und verhüllte mein AngGe=
    sicht in meine Hände. So fand
    mich noch Bendel, als er herein=
    trat. Er sah den Schmerz sei=
    nes Herrn, und wollte sich still[...]
    ehrerbietig zuruckziehen — Ich blick=
    te auf — ich erlag unter der Last
    meines Kummers, ich mußte
    ihn mittheilen. Bendel, rief ich
    ihm zu, Bendel! Du Einziger

    der

    47
    der du meine Leiden sieh'st und ehr'st,
    sie nicht erforschen zu wollen, son=
    dern still und fromm mitzufüh=
    len scheinst, komm zu mir, Bendel,
    und sei der Nächste meinesm Her=
    zens. Die Schätze meines Goldes hab'
    ich vor dir nicht verschlossen, nicht
    verschließen will ich vor dir die
    Schätze meines Grames — Ben=
    del, verlasse mich nicht. Bendel,
    du sieh'st mich reich, freigebig,
    gütig, du wähnst, es sollte die
    Welt mich verherrlichen, und du
    sieh'st mich die Welt flieh'n, und
    mich vor ihr verschließen. Ben=
    del, sie hat gerichtet, die Welt,
    und mich verstoßen, und auch
    du vielleicht, wirst dich von mir
    wenden, wenn du mein schreck=
    liches Geheimniß erfährst. Ben=
    del, ich bin reich, freilgebig, gütig,
    aber — o Gott! — ich habe keinen

    Schatten

    Schatten! — Keinen Schatten? rief
    der gute Junge erschreckt aus,
    und die hellen Thränen stürzten
    ihm aus den Augen. – Weh mir,
    daß ich geboren ward einem
    schattenlosen Herrn zu dienen!
    Er schwieg, und ich hielt mein Ge=
    sicht in meinen Händen. — Ben=
    del, setzt' ich spät und zitternd
    hinzu, nun hast du mein Vertrau=
    en, nun kannst du es verra=
    then. Geh' hin, und zeuge wider
    mich. — Er schien in schwerem
    Kampfe mit sich selber, endlich
    stürzte er vor mir nieder, und
    ergrif meine Hand, die er mit
    seinen Thränen benetzte. Nein,
    rief er aus, was die Welt auch
    meine, ich kann und werde um
    Schattens willen meinen güti=
    gen Herrn nicht verlassen,
    ich werde recht, und nicht

    klug

    7.
    49
    klug handeln, ich werde bei Ihnen
    bleiben, iIhnen meinen Schatten bor=
    gen, Ihnen helfen wo ich kann, und
    wo ich nicht kann, mit Ihnen wei=
    nen. Ich fiel ihm um den Hals,
    ob solcher ungewohnten Gesinn=
    ung staunend, denn ich war von
    ihm überzeugt, daß er es nicht
    um Gold that. Seitdem änder=
    ten sich in eEtwas mein Schicksal
    und meine Lebensweise. Es ist
    unbeschreiblich, wie fürvorsorglich
    Bendel mein Gebrechen zu ver=
    helen s[...]wußte. Ueberall war er
    vor mir und mit mir, alles
    vorherrsehend, Anstalten treffend,
    und wo Gefahr unversehens droh=
    te, mich schnell mit seinen Schat=
    ten überdeckend, denn er war
    größer und stärker als ich. Soo
    wagt ich mich wieder unter die
    Menschen, und begann eine

    Rolle

    Rolle in der Welt zu spielen. Ich
    mußte freilich viel Eigenheiten
    und Laune scheinbar anneh=
    men. Solche stehen aber, dem
    Reichen gut, und so lang die
    Wahrheit nur verborgen blieb,
    genoß ich alle der Ehre und
    Achtung, die meinem Golde zu=
    kam. Ich sah ruhiger dem
    über Jahr und Tag verheiieße=
    nen Besuch des räthselhaften
    Unbekannten entgegen. Ich
    fühlte sehr wohl, daß ich mich
    nicht lange an einem Orte
    aufhalten durfte, wo man
    mich schon ohne Schatten gesehen,
    und wo ich leicht verrathen
    werden konnte, auch dacht' ich
    vielleicht nur allein noch dar=
    an, wie ich mich bei'm Herrn
    John gezeigt, und es war mir
    eine drückende Erinnerung,

    dem=

    51
    demnach wollt' ich hier bloß Pro=
    be halten, um anderswo leich=
    ter und zuversichtlicher auf=
    treten zu können — doch fand
    sich, was mich eine Zeitlang an
    meiner Eitelkeit festhielt: das
    ist es im Menschen, wo der An=
    ker am zuverläßigsten Grund
    faßt. Eben die schöne Fanny,
    die ich am dritten Ort wieder
    begegnete, schenkte mir, ohne
    sich zu erinnern, mich jemals
    gesehen zu haben, einige Auf=
    merksamkeit, denn jetzt hat
    ich Witz und Verstand. – Wenn
    ich redete, hörte man mir zu, und
    ich wußte selber nicht, wie ich zu
    der Kunst gekommen, das Ge=
    spräch so leicht zu führen und
    zu beherrschen. Der Eindruck,
    den ich auf die Schöne gemacht
    zu haben einsah, [was]machte aus

    mir,

    mir, was sie eben begehrte, ei=
    nen Narren, und ich folgte ihr
    seither mit tausend Mühen
    durch Schatten und Dämmerung,
    wo ich nur konnte. Ich war
    nur eitel darauf, sie über mich
    eitel zu machen, und konnte mir,
    selbst mit dem besten Willen
    nicht, den Rausch aus dem Kop=
    fe in's Herz zwingen. Aber
    wozu die ganz gemeine Ge=
    schichte Dir lang und breit wie=
    derholen? – Du selber hörst sie
    nur oft genug von andern Eh=
    renleuten erzählt. — Zu dem
    alten wohlbekannten Spiele,
    worin ich gutmüthig eine abge=
    droschene Rolle übernommen,
    kam freilich eine ganz eigens
    gedichtete Katastrophe hinzu,
    mir und ihr und Allen unerwar=
    tet.


    Da
    53

    Da ich an einem schönen Abend nach
    meiner Gewohnheit eine Gesellschaft
    in einem unerleuchteten Garten
    versammelt hatte, wandelte ich
    mit der Herrin Arm in Arm,
    in einigem Entfernung vor den
    übrigen Gästen, und bemühte
    mich, ihr Redensarten vorzu=
    drechseln., Sie sah sittlichig vor
    sich nieder und erwiederte lei=
    se den Druck meiner Hand,
    da trat unversehens hinter uns der Mond
    aus den Wolken hervor – und
    sie sah nur ihren Schatten vor
    sich hinfallen. Sie fuhr zusam=
    men und blickte bestürzt mich
    an, dann wieder auf die
    Erde, mit dem Auge meinen
    Schatten begehrend; und was
    in ihr vorging, malte sich so
    sonderbar in ihren Mienen,
    daß ich in ein lautes Gelächter

    hätte

    hätte ausbrechen mögen, wenn es
    mir nicht selber eiskalt über
    den Rücken gelaufen wäre.
    Ich ließ sie aus meinem Arm
    in eine Ohnmacht sinken, schoß
    wie ein Pfeil durch die entsetz=
    ten Gäste, erreichte die Thür',
    warf mich in den ersten Wa=
    gen, den ich da haltend fand,
    und fuhr nach der Stadt zurück,
    wo ich diesmal zu meinem
    Unheil den vorsichtigen Ben=
    del gelassen hatte. Er er=
    schrack, als er mich sah, ein
    Wort entdeckte ihm Alles.
    Es wurden auf der Stelle gutePost=
    pferde geholt. Ich nahm nur
    einen meiner Leute mit mir,
    einen abgefeimten Spitzbuben,
    Namens Rascal, der sich mir
    durch seine Gewandtheit noth=
    wendig zu machen gewußt, und

    der

    55
    der nichts vom heutigen Vorfall
    ahnden konnte. Ich legte in der
    selben Nacht noch dreißig Meilen
    zurück. Bendel blieb hinter mir,
    mein Haus aufzulösen, Goold
    zu spenden, und mir das Nöth=
    igste nachzubringen. Als er
    mich am andern Tag einhol=
    te, warf ich mich in seine
    Arme und schwur ihm, nicht
    etwa keine Thorheit mehr zu
    begehen, sondern nur künf=
    tiger vorsichtiger zu seyn.
    Wir setzten unsere Reise un=
    unterbrochen fort, über die
    Grenze und das Gebirg, und
    erst am andern Abhang durch
    das hohe Bollwerk von jenem
    Unglücksboden getrennt, ließ
    ich mich bewegen, in einem nah'
    gelegenen und wenig besuchten
    Bad'ort, von den überstandenen
    Mühseligkeiten auszurasten.


    IV.
    43
    IV.

    Kommentare

    43 Die Seite ist vom Schreiber leer gelassen, allerdings mit einer Zeilenaufteilung versehen worden.

    8.
    57
    IV.

    Ich werde in meiner Erzählung
    schnell über eine Zeit hin eilen mü=
    ßen, bei der ich, wie gerne ver=
    weilen würde, wenn ich ihren
    lebendigen Geist in der Erinn=
    erung herauf zu beschwören
    vermöchte. Aber die Farbe
    die sie belebte, und nur wie=
    der beleben kann, ist in mir
    erloschen, und wann ich in mei=
    ner Brust wiederfinden will,
    was sie damals so mächtig
    erhob, die Schmerzen und das
    Glück, desn frommen Wahn's, —
    da schlag ich vergebens an ei=
    nen Felsen, der keinen lebend=
    igen Quell mehr gewährt, und
    der Gott ist von mir gewichen.
    Wie verändert blickt sie
    mich jetzt an, diese vergangene

    Zeit

    Zeit? — Ich sollte dort auf in dem
    Bade eine heroische Rolle tra=
    giren, schlecht einstudirt, und
    ein Neuling auf der Bühne,
    vergaftf' ich mich aus dem GlStücke
    heraus, in ein paar blaue
    Augen. Die Eltern vom Spie=
    le getäuscht, bieten Alles
    auf, den Handel nur schnell
    forest zu machen, und die gemei=
    ne RPollsse beschließt eine Ver=
    höhnung. Und das ist Alles,
    Alles! — Das kommt mir
    albern und abgeschmackt vor,
    und schrecklich wiederum, dasß
    so mir vorkommen kann,
    was damals so reich, so groß,
    die Brust mir schwellte. Min=
    na, wie ich damals weinte,
    als ich dich verlor, so wein' ich
    jetzt dich auch in mir verloren
    zu haben. Bin ich denn so

    alt

    59
    alt geworden, — o traurige Ver=
    nunft! Nur noch ein Puulsschlag
    jener Zeit, ein Moment jenes Wah=
    nes, — aber nein! einsam
    auf dem hohen öden Mere dei=
    ner bittern FFluth, und längst aus
    dem letzten Pokale der Cham=
    pagner Elffe entsprüht!

    Ich hatte Bendel mit einigen
    Goldstückensäkken voraus geschickt, um
    mir im Städtchen eine Wohnung
    nach meinen Bedürfnißen ein=
    zurichten. Er hatte dort viel
    Goold ausgestreut, und sich über
    den vornehmen Fremden, dem
    er diente, etwas unbestimmt
    auusgedrückt, denn ich wollte
    nicht genannt seyn, das brachte
    die guten Leute auf sonder=
    bare Gedanken. Sobald
    mein Haus zu meinem Empfang
    bereit war, kam Bendel

    wieder

    wieder zu mir, und holte mich
    dahin ab. Wir setzten machten uns
    auf die Reise. Ungefähr eine
    Stunde vom Orte, auf einem
    sonnigen Plan ward uns der
    Weg durch eine festlich geschmück=
    te Menge versperrt. Der Wa-
    gen hielt. Musik, Glockengeläute,
    Kanonenschüsse wurden gehört,
    ein lautes Vivat durchdrang die
    Luft, — vor dem Schlage des
    Wagens erschien in weißen Klei=
    dern ein Chor Jungfrauen von
    ausnehmender Schönheit, die aber
    vor der Einen, wie die Sterne
    der Nachtt vor der Sonne ver=
    schwanden. Sie trat aus der
    Mitte der Schwestern hervor; die
    hohe, zarte Bildung kniete ver=
    schämt erröthend vor mir nie=
    der, und hielt mir auf seidenem
    Gewande [am Rande: Kißen] einen aus Lorbeer, Oel=

    zweige

    61
    zweigen und Rosen geflochtenen
    Kranz entgegen, indem sie von
    Majestät, Ehrfurcht und Liebe
    einige Worte sprach, die ich nicht
    verstand, aber deren zauberischer
    Silberklang mein Ohr und Herz
    berauschten, – es war mir als
    wäre schon einmal die himmlische
    Erscheinung vor an mir vorübergewalltt.
    Der Chor fiel ein, und sankg
    das Lob eines guten Königes,
    und das Glück seinesr Voölkesr.
    Und dieser Auftritt, lieber
    Freund, mitten in der Sonne, —
    sie kniete noch immer zwei
    Schritte von mir, und ich, ohne
    Schatten, konnte die Kluft
    nicht überspringen, nicht wie=
    der vor denm Engel auf die Knie
    fallen. O, was hätt' ich nicht da
    für einen Schatten gegeben.
    Ich mußte meine Schaam, meine

    Angst

    Angst, meine Verzweiflung
    tief in den Grund meines
    Wagens verbergen. Bendel
    besann sich endlich für mich,
    er sprang von der andern
    Seite aus dem Wagen heraus,
    ich rief ihn noch zurück und reich=
    te ihm aus meinem Kästchen,
    das mir eben zur Hand lag,
    eine reiche diamantene Kro=
    ne, die die schöne Fanny hatte
    zieren sollen. Er trat vor,
    und sprach im Namen seines
    Herrn, welcher solche Ehrenbe=
    zeugungen nicht annehmen kön=
    ne noch wolle, es müße hier
    ein Irthum vorwalten, jedoch
    seiyen den guten Einwohnern
    der Stadt gedankt für ihren guten Willen
    gebedankt. Er nahm indeß den
    dargehaltenen Kranz von
    seinem Ort und legte den

    brillan=

    63
    brillantenen Reif an dessen
    Stelle, dann reichte er ehrerbietig
    der schönen Jungfrau die Hand
    zum Aufstehen, entfernte mit
    einem Wink Geistlichkeit, magi-
    stratus
    und alle Deputationen,
    Niemand ward weiter vor=
    gelassen. Er hieß den Hau=
    fen sich theilen und den Pferden
    Raum geben, sprang sich wieder in
    den Wagen, und fort ging's weiter in
    gestrecktem Galopp unter eine
    aus Laubwerk und Blumen er=
    baute Pforte hinweg, dem Städt=
    chen zu. – Die Kanonen wur=
    den immer frisch weg abge=
    feuert. – Der Wagen hielt
    vor meinem Hause, ich sprang
    behend in die Thür, die Menge
    theilend, die die Begierde mich zu
    sehen herbeigerufen hatte. Der
    Pöbel schrie Vivat unter meinem

    Fenster

    Fenster, und ich ließ doppelte
    Dukaten daraus regnen, am
    Abend ward die Stadt freiwillig
    erleuchtet, – und ich wußte im̄er
    noch nicht, was das Alles be=
    deuten sollte und für wen ich
    angesehen wurde. Ich schickte
    Roaskaln auf Kundschaft aus.
    Er ließ sich denn erzählen, weß=
    maßen man bereits sichere Nach=
    richt gehabt, der gute König von
    Preußen44 reise unter dem Namen
    eines Grafen durch das Land,
    wie mein Adjutdant erkannt
    worden wäre, und wie er sich
    und mich verrathen habe, wie
    groß endlich die Freude gewesen,
    da man die Gewißheit gehabt,
    mich im Orte selbst zu besitzen.
    Nun sah man freilich ein, da ich
    offenbar das strengste Inkognito
    beobachten wolle, wie sehr man

    Unrecht

    Kommentare

    44 Verweis auf Friedrich Wilhelm III., der während der Befreiungskriege in Preußen zum gütigen Landesvater und damit als Gegenfigur zu dem Machtpolitiker Napoleon stilisiert wurde.

    9.
    65
    Unrecht gehabt, den Schleier so
    zudringlich aufzulüften. Ich
    hätte aber so huldreich, so gnaden=
    voll gezürnt, – ich würde gewiß
    dem guten Herzen verzeihen mü=
    ßen. Meinem Schlingel kam die
    Sache so spaßhaft vor, daß er
    mit stroaphfenden Reden sein
    Möglichstes that, die guten Leute
    einstweilen in ihrem Glauben
    zu bestärken. Er stattete mir
    einen sehr komischen Bericht ab,
    und da er mich dadurch erheitert
    sah, gab er mir selbst seine
    verübte Bosheit zum Besten. —
    Muß ich's bekennen? es schmeich=
    elte mir doch, sei es auch nur
    so, für das verehrte Haupt
    angesehen worden zu seyn.
    Ich lhieß zu dem morgenden A=
    bend unter den Bäumen, die
    den Raum vor meinem Hause

    beschatteten,

    beschatteten, ein Fest bereiten,
    und die ganze Stadt dazu einla=
    den. . Der geheimnißreichen Kraft
    meines Seßels,4546 Bendels Bemühungen
    und der Bbehenden Erfindsamkeit
    Roskals gelang es selbst die Zeit
    zu besiegen. Es ist wirklich er=
    staunlich, wie reich und schön sich
    Alles in den wenigen Stun=
    den anordnete, die Pracht und
    der Ueberfluß, die da sich
    erzeugten; auch die sinnreiche
    E[...]leuchtung war so weise ver-
    theilt, daß ich mich ganz sicher
    fühlte. Es blieb mir nichts zu
    erinnern, ich mußte meine Die=
    ner loben. Es dunkelte der
    Abend, die Gäste erschienen und
    wurden mir vorgestellt. Es
    ward die Majestät nicht mehr
    berührt, aber ich hieß in tiefer
    Ehrfurcht und Demuth Herr Graf.

    Was

    Kommentare

    45 Tatsächlich müsste es „Seckels“ heißen.

    46 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    67
    Was sollt' ich thun? Ich ließ mir
    den Grafen gefallen, und blieb
    von Stund' an der Graf Peterr.
    Mitten im festlichen Gewühle be=
    gehrte meine Seele nur nach der
    Einen. Spät erschien sie, die die
    Krone war und trug. Sie folgte
    sittsam ihren Eltern, und schien
    nicht zu wissen, daß sie die sSchön=
    ste sei. Es wurden mir der Herr
    Forstmeister, seine Frau und
    seine Tochter vorgestellt. Ich wußte
    den Alten viel Angenehmes u[...] viel
    Verbindliches zu sagen, vor der
    Tochter stand ich wie ein ausgeschol=
    tener Knabe da, und vermochte
    kein Wort hervor zu lallen. Ich
    bat sie endlich stammeelnd, dies
    Fest zu würdigen, das Amt, deren
    Zeichen sie schmückte, darin zu ver=
    walten. Sie bat verschämt mit
    einem rührenden Blick um Schonung,

    aber

    aber verschämter vor ihr als sie
    selbst, bracht ich ihr als erster Un=
    terthan meine Huldigung in tiefer
    Ehrfurcht, und der Wink des
    Grafen ward allen Gästen ein
    Gebot, dem nachzuleben sich Jeder
    freudig beeiferten. Majestät,
    Unschuld und Größerazie, beherrsch=
    ten mit der Schönheit im Bund
    ein frohes Fest. Die glücklichen
    Eltern Mina's glaubten ihnen nur47 mir zu Ehren
    ihr Kind erhöht, ich selber war in
    einem unbeschreiblichen Rausch.
    Ich ließ Alles, was ich noch von den
    Juwelen hatte, die ich damals um
    beschwerliches Goold los zu werden,
    gekauft, alle Perlen, alles Edelge=
    stein in zwei große verdeckte
    Schüsseln legen, und bei Tische unter
    dem Namen der Königin, ihren Ge=
    spielinnen und allen Damen herum=
    reichen, Gold ward indessen un=

    unter=

    Kommentare

    47 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    69
    unterbrochen über die gezogenen
    Schranken unter das jubelnde Volk
    geworfen. Bendel am andern
    Morgen eröffnete mir im Ver=
    trauen, denr Verdacht, den er längst
    gegen Raskals Redlichkeit gehegt,
    sei nun mehr zur Gewißheit wor=
    den. Er habe gestern ganze Säcke
    Goldes unterschlagen. Laß'et uns,
    erwiedert' ich, dem armen Schel=
    men die kleine Beute gönnen, ich
    spende gern Allen, warum nicht
    auch ihm? Gestern hat er mir,
    haben mir alle neue Leute, die da
    mir gegeben, redlich gedient, sie haben
    mir froh, ein frohes Fest begehen
    helfen. — Es ward nicht weiter die
    Rede davon. Roskal blieb der erste
    meiner Dienerschaft, Bendel war
    aber mein Freund, und mein Vertrau=
    ter. Dieser war gewohnt worden,
    meinen Reichthum als unerschöpf=

    lich

    lich zu denken, und er spähte nicht nach
    dessen Quelle. – Er half mir viel=
    mehr, in meinen Sinn eingehend, Gele=
    genheiten ersinnen, ihn darzuthun, und
    Gold zu vergeuden. Von jenem
    Unbekannten, dem blassen Schlei=
    cher, wußt' er nur so viel: Ich dür=
    fe allein durch ihn vorn dem Fluche
    erlöst werden, der auf mich la=
    stete, und fürchte ihn, auf dem
    meine einzige Hoffnung ruhte.
    Uebrigens sei ich davon überzeugt,
    er könne mich überall auffinden,
    ich ihn nirgends, darum ich, den ver=
    sprochenen Tag erwartend, jede
    vergebliche Nachsuchung eingestellt.
    Die Pracht meines Festes und mein
    Benehmen dabei, erhielten An=
    fangs die starkgläubigen Einwoh=
    ner der Stadt bei ihrer vorgefaß=
    ten Meinung. Es ergab sich freilig
    sehr bald aus den Zeitungen, daß

    die

    71
    die ganze fabelhafte Reise des Kö=
    nigs von Preußen ein bloß un=
    gegründetes Geriücht gewesen. Ein
    König war ich aber nun einmal,
    und mußte schlechterdings ein Kö=
    nig bleiben, und zwar einer
    der reichsten und königlichsten,
    die es immer nur geben mag.
    Nur wußte man nicht recht, wel=
    cher. Die Welt hat nie Grund
    gehabt, über Mangel an Menschen Monarchen
    zu klagen, am wenigsten in
    unsern Tagen, die guten Leute,
    die noch kKeinen mit Augen ge=
    sehen, riethen mit gleichem Glück
    bald auf Diesen, bald auf Jenen –
    Graf Peter blieb immer der er
    war. — Einst erschien unter den
    Badegaästen ein Handelsman̄,
    der Bankerot gemacht hatte
    um sich zu bereichern, die all=

    gemeine

    gemeine Achtung genoß, und
    einen breiten, obgleich etwas
    blassen Schatten von sich warf.
    Er wollte hier das Vermögen,
    das er gesammelt, zum Prunk
    aufsstellen48, und es fiel sogar
    ihm ein, mit mir wetteifern zu
    wollen. Ich sprach meinem
    Seckel zu, und hatte sehr bald
    den armen Teufel so weit,
    daß er, um sein Ansehen zu
    retten, abermals Bankerot
    machen mußte und über das Ge=
    birg ziehen. So ward ich ihn
    los. – Ich habe in dieser Gegend viele
    Taugenichts und Müßigganges ge=
    macht! Bei der Königlichen Pracht
    und Verschwendung womit ich mir
    Alles unterwarf, lebt' ich in mei=
    nem Hause sehr einfach und ein=
    gezogen. Ich hatte mir die größte
    Vorsicht zur Regel gemacht, es

    durfte

    Kommentare

    48 Die Korrektur von „aufstellen“ in „ausstellen“ rührt womöglich von einer anderen Hand als der des Schreibers her. Das lässt sich allerdings nicht eindeutig bestimmen.

    10.
    73
    durfte unter keinem Vorwand
    kein Anderer als Bendel die Zim=
    mer, die ich bewohnte, betreten.
    So lange die Sonne schien, hielt ich
    mich mit ihm darinnen verschlos=
    sen, und es hieß: der Graf arbei=
    te in seinem Kabinet. Mit diesen
    Arbeiten standen die häufigen Kour=
    riere in Verbindung, die ich um jede
    Kleinigkeit abschickte und erhielt –
    Ich nahm nur am Abende unter
    meinen Bäumen oder in meinem
    nach Bendels Angabe geschickt und
    reich erleuchteten Saale Gesellschaft' an.
    Wann ich ausging, wobei mich stets
    Bendel mit Argusaugen bewachen
    mußte, so war es nur nach dem Foör=
    stergarten und um des Einen wil=
    len; denn meines Lebens inner=
    lichstes Herz war meine Liebe. O
    mein guter Chamisso49, ich will hof=
    fen, Du habest mich nicht vergessen

    was Liebe sei! Ich lasse Dir hier
    Vieles zu ergänzzen. Minnna war
    wirklich ein liebwerthes, gutes, from=
    mes Kind. Ich hatte ihre ganze FPhan=
    tasie an mirch gefesselt, sie wußte
    in ihrer Demuth nicht, womit sie werth
    gewesen, daß ich nur nach ihr geblickt;
    und sie vergalt Liebe um Liebe mit
    der vollen jugendlichen Kraft ei=
    nes unschuldigen Herzens. Sie
    liebte wie ein Weib, ganz hin sich
    gebendopfernd; selbst vergessen, hinge=
    geben den nur meinend, der ihr
    Leben war, unbekümmert, solle
    sie selbst zu Grunde gehen, das
    heißt, sie liebte wirklich. – . IIch
    aber – o welche schreckliche Stun=
    aden – – schrecklich! und wuürdig
    dennoch, daß ich sie zurückwünsche,
    hab' ich oft an Bendels Brust ver=
    weint, als nach dem ersten bewußt
    losen Rausch ich mich besonnen,

    mich

    a [...]

    75
    mich selbst scharf angeschaut, der ich
    ohne Schatten, mit tückischer Selbstsucht,
    diesen Engel verderbend, die rei=
    ne Seele an mich gelogen und gestoh=
    len! Dann beschloß ich, mich ihr selber
    zu verrathen, dann gelobte ich mit
    theuerm Eidschwur mich von ihr zu rei=
    ßen und zu entfliehen, dann brach
    ich wieder in Thränen aus, und ver=
    abredete mit Bendeln, wie ich sie auf
    dem Abend im Förstergarten be=
    suchen wolle. – Zu andern Zeiten
    log ich mir selber vom noch nahe bevorste=
    henden Besuch des grauen Unbe=
    kannten große Hoffnungen vor,
    und weinte wieder, wann ich dar=
    an zu glauben vergebens versucht . h atte.
    Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo
    ich den Furchtbaren wieder zu sehen
    erwartete, denn er hatte gesagt',
    in Jahr und Tag, und ich glaubte an
    sein Wort. Die Eltern waren gute

    ehr=

    ehrbare alte Leute, die ihr einziges
    Kind sehr liebten, das ganze Ver=
    hältniß überraschte sie, als es schon
    bestand, und sie wußten nicht,
    was sie dabei thun sollten. Sie
    hatten früher nicht geträumt, der
    Graf Peter könne nur an ihr Kind
    denken, nun liebte er sie gar,
    und ward wieder geliebt. – Die
    Mutter war wolhl eitel genug an
    die Möglichkeit einer Verbindung
    zu denken und darauf hinzuar=
    beiten, der gesunde Menschenver=
    stand des Alten gab solchen über=
    spannten Vorstellungen nicht Raum.
    Beide waren überzeugt von der Rein=
    heit meiner Liebe, – sie konnten
    nichts thun als für ihr Kind beten.
    Es faällt mir ein Brief in die
    Hand, den ich noch aus dieser Zeit
    von Minna habe. – Ja, das
    sind ihre Züge, ich will Dir ihn ab=
    schreiben.

    "Bin

    77
    "Bin ein schwaches, thörichtes Mädchen,
    konnte mir einbilden, daß mein
    Geliebter, weil ich ihn innig, innig
    liebe, dem armen Mädchen nicht
    Weh thun möchte – – Ach Du bist so
    gut, so unaussprechlich gut, aber
    mißverstehe mich nicht. Du sollst
    mir nNichts opfern, mir nichts opfern
    wollen; o Gott! ich könnte mich has=
    sen, wenn Du das thätest. Nein, —
    Du hast mich unendlich glücklich ge=
    macht, Du hast mich Dich lieben ge=
    lehrt. Zeuch hin! – Weiß doch mein
    Schicksal, Graf Peter gehört nicht
    mir, gehört der Welt an. Will stolz
    seyn, wenn ich höre: das ist er gewe=
    sen, und das war er wieder, und
    das hat er vollbracht, da haben sie
    ihn angebetet, und da haben sie ihn ver=
    göttert. Siehe, wann ich das denke,
    zürne ich Dir, dasß Du bei einem ein=
    fältigen Kinde Deiner hohen Schick=

    sale

    sale vergessen kannst. – Zeuch hin,
    sonst macht der Gedanke mich noch un=
    glücklich, die sich ach! durch Dich so
    glücklich, so selig bin. – Hab ich nicht
    auch einen Oelzweig und eine Rosen=
    knospe in Dein Leben geflochten, wie
    icnh den Kranz, den inch Dir überrei=
    chen durfte. Habe Dich im Herzen,
    mein Geliebter, fürchte nicht von mir
    zu gehen — werde sterben ach so seelig,
    so unaussprechlich selig durch Dich."

    Du kannst Dir denken, wie mir
    die Worte durch das Herz schneiden
    mußten. IIch erklaärte ihr, ich sei
    nicht das, wofür man mich anzu=
    sehen schien, ich sei nur ein reicher
    aber unendlich elender Mann. Auf
    mir ruhe ein Fluch, der das einzige
    Geheimniß zwischen ihr und mir seyn
    solle, weil nicht noch ohne Hoffnung
    sei, daß er gelöstt werde. Dies sei
    das Gift meiner Tage: daß ich sie

    mit

    79
    mit in den Abgrund hin reißen
    könne, sie, die das einzige Licht,
    das einzige Glück, das einzige
    Herz meines Lebens sei. Dann
    weinte sie wieder, daß ich unglück=
    lich war, ach sie war so liebevoll,
    so gut. Um eEine Thräne mit nur mir
    zu erkaufen, hätte sie, mit welcher
    Seligkeit, sich selbst ganz hingeop=
    fert. Sie war indeß weit ent=
    fernt, meine Worte richtig zu deu=
    ten, sie ahndete nun in mir ir=
    gend einen FFürsten, den ein schwe=
    rer Bann getroffen, irgend ein
    hohes geächtetes Haupt, und ihre
    Einbildungskraft ma[l]hte mahlte sich ge=
    schäftig, unter herooischen Bildern
    den Geliebten herrlich aus. Einst
    sagte ich ihr: Minna, der letzte
    Tag im künftigen Monat, kann
    mein Schicksal ändern und entschei=
    den – geschieht es nicht, so muß

    ich

    ich sterben, weil ich Dich nicht un=
    glücklich machen will. – Sie ver=
    barg weinend ihr Haupt an
    meiner Brust. Ändert sich Dein
    Schicksal, laß mich nur Dich glück=
    lich wißen, ich habe keinen An=
    spruch an Dirch – bist Du elend, bin=
    de mich an Dein Elend, daß ich
    es Dichr tragen helfe – – Mädchen,
    Mädchen, nimm es zurück, das ra=
    sche Wort, das thorichte, das Dei=
    nen Lippen entflohen. – und
    kenn'st Du es, dieses Elend, kenn'st
    Du ihn, diesen Fluch? Weißt Du,
    wer Dein Geliebter. – ... was
    er ...? – Siehst Du mich nicht krampf=
    haft zusammenschaudern und vor
    dir ein Geheimniß haben? Sie
    fiel schluchzend mir zu fFüßen und
    wiederholte mit Eidschwur ihre
    Bitte. – Ich erklarte mich gegen
    den hereintretenden Forstmei=

    ster

    11.
    81
    ster, meine Absicht sei, am er=
    sten des nächst künftigen Monats
    um die Hand seiner Tochter an=
    zuhalten – ich setzte diese Zeit fest,
    weil sich bis dahin Manches ereig=
    nen duürfte, was Einfluß auf mein
    Schicksal haben könnte. UUnwan=
    delbar sei nur meine Liebe zu sei=
    ner Tochter. – Der gute Mann er=
    schrack ordentlich, als er solche Wor=
    te aus dem Munde des Grafen Pe=
    ter vernahm. Er fiel mir um
    den Hals, und ward wieder ganz
    verschämt, sich vergessen zu haben.
    Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln,
    zu erwägen, und zu forschen, er
    sprach von Mitgift, von Sicherheit,
    für von Zukunft für sein liebes Kind.
    Ich dankte ihm, mich daran zu mah=
    nen. Ich sagte ihm, ich wünsche in
    dieser Gegend, wo ich geliebt zu
    seyn schiene, mich anzusiedeln und ein
    sorgenfreies Leben zu führen.

    Ich

    Ich boat ihmn, die schönsten Güter, die
    im Lande ausgebooten wurden, un=
    ter dem Namen seiner Tochter zu
    kaufen, und die Bezahlung auf
    mich anzuuweisen. Es könne dar=
    in ein Vater dem lLiebLenden am
    besten dienen. – Es gab ihm viel
    zu thun, denn überall war ihm
    ein Fremder zuvor gekommen,
    er konnte auch nur für einige
    hundert tausend Dukaten auf=
    treiben – dDaß ich ihn damit be=
    schaäftigte, war im Grunde eine
    unschuldige List um ihn zu entfer=
    nen, und ich hatte schon ähnliche mit
    ihm gebraucht, denn ich muß ge=
    stehen, daß er etwas lästig war.
    Die gute Mutter war dagegen et=
    was taub und nicht wie er auf die
    Ehre eifersüchtig, den Herrn Gra=
    fen zu unterhalten. Die Mutter
    kam hinzu, die glücklichen Leute

    dran=

    83
    drangen in mich, den Abend länger
    unter sie ihnen zu bleiben, ich durfte kei=
    ne Minute weilen, ich sah schon den
    aufgehenden Mond am Horizonte
    dämmern. – Meine Zeit war um. –
    Am nächsten Abend ging ich wieder
    nach dem Foörstergarten. Ich hat=
    te den Mantel weit über die
    Schulter geworfen, den Hut tief
    in die Augen gedrückt, ich ging
    auf M[inn]ina zu,; wie sie aufsah,
    und mich erblickte, machte sie eine
    unerklärliche unwillkührliche Bewegung,; da stand
    mir wieder klar vor der Seele
    die Erscheinung jener trschaurigen
    Nacht, wo ich mich im Mondschein
    ohne Schatten gezeigt. Sie war es
    wirklich. Hatte sie mich aber
    auch jetzt erkannt.? Sie war still
    und gedankenvoll — mir lag es
    zentnerschwer auf dieer Brust —
    Ich stand von meinem Sitz auf.

    Sie

    Sie warf sich stille weinend an mei=
    ne Brust. Ich ging — nun fiandd ich
    sie öfters in Thränen, mir wards
    finster und finster um die Seele, –
    nur die Eltern schwammen in un=
    überschwänglicher Glückseligkeit,
    der schicksalige [am Rande: der verhängnißvolle] Tag rückte heran
    bang und darauf dumpf wie eine
    Ge=
    witterwolke. Der Vorabend war
    da – ich konnte kaum mehr ath=
    men. Ich hatte fürvorsorglich einige
    Kösten50 mit Gold angefüllt, ich wach=
    te die zwölfte Stunde heran. –
    Sie schlug – Nun saß ich da, das
    Aug auf die Zeiger der Uhr ge=
    richtet, die Sekunden, die Minuten
    zählend wie Dolchenstiche; bei jedem
    Lerm, der sich regte, fuhr ich auf,
    der Tag brach an. Die bleiernen
    Stunden verdrängten einander,
    es ward Mittag, Abend, Nacht,
    es rückten die Zeiger, welche welkte die

    Hoff=

    Kommentare

    50 Statt des zu erwartenden „ä“s für „Kästen“ schreibt der Schreiber ein „ö“.

    85
    Hoffnung, es schlug elf und nichts er=
    schien, die letzten Minuten, dieder letz=
    ten Stunden fielen, und nichts erschien,
    es schlug der erste Schlag, der letzte
    Schllag der zwölften Stunde, und ich
    sankk hoffnungslos in unendlichen Thrä=
    nen auf mein Lager zurück. Morgen
    sollt' ich – auf immer schattenlos,
    um die Hand der Geliebten anhalten,;
    ein banger Schlaf drückte mir gegen
    den Morgen die Augen zu.

    V.

    Es war noch früh, als mich Stimmen
    weckten, die sich in meinem WohnVorzim=
    mer, in heftigem Wortwechsel er=
    hoben. Ich hhorchte auf. – Bendel ver=
    bot meine Thür,; Roskal schwur hoch
    und theuer keine Befehle von sei=
    nes Gleichen anzunehmen, und be=
    stand darauf, in meine Zimmer
    einzudringen. Der gütige Bendel
    verwies ihm, daß solche Worte,

    falls

    falls sie zu meinem Ohre kämen,
    ihm um einen vortheilhaften Dienst
    bringen würden. Roskal drohte
    Hand an ihn zu legen, wenn er ihm
    den Eingang noch länger vertreten
    w[...]llen wolle. – Ich hatte mich halb
    angezogen, ich riß zornig die Thür
    auf, und fuhr auf Roskaln zu —
    "Was willst du Schurke...., er trat
    zwei Schritt zurück, und antworte=
    te ganz kalt: "Sie unterthänigst
    bitten, Herr Graf, mirch doch einmal
    Ihren Schatten sehen zu lassen,; – die Son̄e
    scheint eben so schön auf dem Hofe.
    — " Ich war wie vom Donner gerührt.
    Es dauerte lange, bis ich die Sprache
    wieder fand. – "Wie kann ein
    Knecht gegen seinen Herrn – – ?
    Er fiel mir ganz ruhig in die Rede:
    Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher Man̄
    seyn und einem Schattenlosen nicht die=
    nen wollen, ich fodre meine Entlassung."

    Ich

    87
    Ich mußte andere Seaiten aufspannenziehen
    "Aber Raskal, lieber Raskal, wer
    hat dich auf die unglückselige IIdeeee
    gebracht, wie kannst du denken....?"
    er fuhr im selben Tone fort. "Es wol=
    len Leute behaupten, sSie hätten keinen
    Schatten — und kurz Sie zeigen mir
    Ihren Schatten, oder geben mir meine
    Entlassung." Bendel, bleich und zitternd,
    aber besonnener als ich, machte
    mir ein Zeichen, ich nahm zu dem Alles
    beschwichtigenden Geldolde meine Zuflucht, –
    auch das hatte seine Macht verloren –
    er warf's mir vor die Füße; von
    einem Schattenlosen nehme ich nichts an."
    Er kehrte mir den Rücken und ging,
    den Hut auf dem Kopf, ein Lied=
    chen pfeifend, langsam auufs dem
    Zimmer. Ich stand mit Bendel
    da wie versteint, gedanken= und
    regungslos ihm nachsehend; schwer51
    52 aufseufzend, und den Tod im

    Her=

    Kommentare

    51 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    52 Hitzig schließt die durch den Schreiber gelassene Lücke durch einen Strich.

    Herzen, schickt ich mich endlich an mein
    Wort zu lösen und wie ein Verbre=
    cher zu vor seinen Richtern in denm För=
    stergarten zu erscheinen. Ich
    stieg in der dunklen Laube ab,
    welche noch mir beknannt war, und
    wo sie mich auch diesmal erwar=
    ten mußten. Die Mutter kam mir
    sorgenfrei und freudig entgegen.
    Minnina saß da, bleich und schön, wie
    der erste Schnee, der manchmal
    im Herbste die letzten Blumen
    küßt, und gleich in bittres53 Wasser
    zerfließen wird. Der Forstmei=
    ster, eiin geschriebenes Blatt in der
    Hand, ging heftig auf und ab, und
    schien Vieles in sich zu unterdrücken,
    was mit fliegender Röthe und Bläs=
    se wechselnd, sich auf seinem sonst
    unbeweglichen Gesichte mahlte. Er
    kann54 auf mich zu, als ich herein trat,
    und bezeugteverlangte, mit oft unterbroche=
    nen Worten, mich allein sprechen

    zu

    Kommentare

    53 Am linken Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    54 In der Handschrift steht tatsächlich ein doppeltes „n“. Gemeint ist wohl „m“ für „kam“.

    12.
    89
    zu wollen. Der Gang, auf den er
    mich, ihm zu folgen, einlud, führte nach
    dem freien, besonnten Theile des
    Gartens – ich ließ mich stumm auf
    einen Sitz nieder und es erfolgte
    ein langes Schweigen, das selbst die
    gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte.
    Der Forstmeister stürmte immer
    noch ungleichen Schrittes die Laube
    auf und ab, er stand mit einem
    Mal vor mir still, blickte ins Pa=
    pier das er hielt, und sfragte mich mit
    prüfendem Blick: "Sollte Ihnen, Herr
    Graf, ein gewisser Peter Schle-
    miel
    wirklich nicht unbekannt seyn"?
    Ich schwieg — "Ein Mann von vorzüg=
    lichem Karakter und von besonde=
    ren Gaben." Er erwartete eine Ant=
    wort. — "Und wenn ich selber der
    Mann wäre.?" "dem, fügte er heftig
    hinzu, sind sein Schatten abhänden gekommen
    ist!!" "O. meine Ahndung, meine

    Ahn=

    Ahndung," rief Minnina aus, "ja, ich
    weiß es längst, er hat keinen Schatten!"
    und sie warf sich in die Arme der
    Mutter, welche erschreckt, sie krampf=
    haft an sich schließend, ihr Vorwürfe
    thatmachte, daß sie zum Unheil solch ein Geheim=
    niß in sich verschlossen. Sie aber war
    wie Arcethuusa in einem Thränenquell
    gewandelt, der beim Klang meiner
    Stimme häufiger floß, und bei meinem
    Hohn Namen stürmisch aufbrauste. "Und Sie
    haben" hub der Forstmeister grim̄ig
    wieder an, "und Sie haben mit uner=
    hörter Frechheit diese und mich zu betrü=
    gen keinen Anstand genommen, und
    Sie geben vor, Ssie zu lieben, die sSie so
    weit heruntergebracht haben, sehen Sie,
    wie sie da weint und ringt. O schreck=
    lich, schrecklich! – Ich hatte dergestalt
    alle Besinnung verloren, daß ich, wie
    irre redend, anfing: "Es wäre doch
    am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatte[n,]

    man

    91
    man könne auch ohne dies das fertig wer=
    den, und es wäre nicht der Mühe
    werth, solchen Lärm davon zu erheben."
    Aber ich fühlte so sehr den Ungrund von
    dem was ich sprach, daß ich von selbst
    aufhörte, ohne daß er mich einer Antwort
    gewürdigt. Ich fügte noch hinzu: was
    man einmal verloren, könne man
    ein andermal wiederfinden. Er fuhr
    mich zornig an. – "Gestehen Sie mir's,
    mein Herr, gestehen Sie mir's, wie sind
    Sie um IIhren Schatten gekommen?" Ich
    mußte wieder lügen. "Es trat mir
    dereinst ein ungeschlachter Mann so flä=
    misch in meinen Schatten, daß er ein gro=
    ßes Loch darinnen riß – ich habe ihn nur
    zum Ausbessern gegeben, denn Goold ver=
    mag viel, ich habe ihn schon gestern wie=
    der bekommen sollen," – "Wol,hl mein
    Herr, ganz wolhl," erwiederte der Forst=
    meister, "Sie werben um meine Toch=
    ter, das thun noch aAndere, ich habe als

    ein

    ein Vater für Ssie zu sorgen, ich gebe
    Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher
    Sie sich nach einem Schatten umthun mö=
    gen, erscheinen Sie binnen drei Tage
    vor mir mit einem wolangepaßten
    Schatten, so sollen Sie mir willkom̄en
    seyn, am vierten Tage aber – das
    sage ich Ihnen, – ist meine Tochter die
    Frau eines aAndern. – Ich wollte noch
    versuchen ein Wort an Minnaina zu richten,
    aber sie schloß sich, heftiger schluchzend,
    fester an ihre Mutter, und diese winkte
    mir stillschweigend, sich mich zu entfernen.
    Ich schwankte hinweg, und mir war's,
    als schlösse sich hinter mir die Welt zu.

    Der liebevollen Aufsicht Bendels ent=
    sprungen, durchschweifte ich in irrem Lauf
    Wälder und Fluren. Angstschweiß tropf,
    von meiner Stirne, ein dumpfes Stöhnen
    entrang sich meiner Brust, in mir tobte
    Wahnsinn. – Ich weiß nicht, wie lange
    es so gedauert haben mochte, als ich mich

    auf

    93
    auf einer sonnigen Heaide beim Aermel
    anhalten fühlte – Ich stand still und
    sah mich um – – es war der Mann
    im grauen Rock, der sich nach mir außer
    Athem gelaufen zu haben schien: Er nahm
    sogleich das Wort. "Ich hatte mich auf dem
    heutigen Tage angemeldet, s S Sie haben die
    Zeit nicht erwarten können. Es steht aber
    Alles noch gut, Sie nehmen Rath an, tau=
    schen Ihren Schatten wieder ein, der IIhnen
    zu Gebote steht, und kehren sogleich wieder
    um. Sie sollen in dem Forstergarten
    willkommen seyn, und Alles ist nur ein
    Spaß gewesen,; den Roskal, der sSie ver=
    rathen hat, und um iIhre Braut wirbtt,
    nehm ich auf mich, der Kerl ist reif." Ich
    stand noch wie im Schlafe da. – "Auf den
    heutigen Tag angemeldet –?" ich über=
    dachte noch einmal die Zeit – er hatte
    Recht, ich hatte mich stets um einen Tag ver=
    rechnet. Ich suchte mit der rechten Hand
    nach dem Seckel auf meiner Brust, – er

    er=

    errieth meine Meinung, und trat zwei
    Schritte zurück. "Nein, Herr Graf, der ist
    in zu guten Händen, den behalten Sie." –
    Ich sah ihn mit stieren Augen, verwun=
    dert fragend an, er fuhr fort: "Ich er=
    bitte mir bloß eine Kleinigkeit zum An=
    denken, Sie sind mir nur so gut und unter=
    schreiben mir den Zettel da" – auf dem
    Pergament standen die Worte: Kraft die=
    ser meiner Unterschrift vermache ich dem
    Inhaber dieses meine Seele nach ihrer na=
    tuürlichen Trennung von meinem Leibe. Ich
    sah mit stummem Staunen die Schrift
    und den grauen Unbekannten abwech=
    selnd an. – Er hatte unterdessen mit
    einer neugeschnittenen Feder einen Trop=
    fen Bluts aufgefangen, der mir aus
    einem frischen Dornenriß auf die Hand
    floß, und hielt sie mir hin. – Wer sind
    Sie denn? frug ich ihn endlich: "was
    thuts," gab er mir zur Antwort, "und
    sieht man es mir nicht an? ein armer
    Teufel, gleichsam so eine Art von Ge=

    lehrten

    95
    lehrten und Physikus, der von seinen Freun=
    den für vortreffliche Künste schlechten
    Dank erntet, und für sich selber auf
    Erden keinen andern Spaß hat als sein
    Bißchen Experimentiren – aber unter=
    schreiben Sie doch. Recht? da unten. Peter
    Schlemiel." – Ich schüttelte mit dem
    Kopf, und sagte, "schreibenverzeihen Sie mein
    Herr, das unterschreibe ich nicht." – "Nicht!
    wiederholte er verwundert, und war=
    um nicht?" – "Es scheint mir doch gewis=
    sermaßen bedenklich, meine Seele an
    meinen Schatten zu setzen. – – "So, so!"
    wiederholte er, "bedenklich," und er
    brach in ein lautes Gelächter gegen mich
    aus. "Und, wenn ich sagen darf, was
    ist denn das für ein Ding Ihre Seele, haben
    Sie es je gesehen, und was denken Sie da=
    mit anzufangen, wann Sie erst todt sind.
    Seieyn Sie doch froh, einen Liebhaber zu
    finden, der ihr ihnen bei Lebenszeit noch den
    Nachlaß dieses [X.]55 dieser galvanischen

    Kraft,

    Kommentare

    55 Am rechten Rand des Textes findet sich ein Bleistiftkreuz. Es handelt sich um eine Markierung des durch den Schreiber ausgelassenen Wortes und findet sich ebenfalls an der entsprechenden Stelle in der Urschrift.

    Kraft, oder palatisirendengalvanisirendenpolari[...]irende[n] Wirksam
    keit, und was alles das närrische Ding
    seyn soll, mit etwas Wirklichem bezah=
    len will, nehmlich, mit ihrem leibhaftigen
    Schatten, durch den sSie zu der Hand Ihrer
    Geliebten und zu der Erfüllung alle Ihrer
    Wünsche gelangen können. Wollen Sie lieber
    Selbst das arme junge Blut dem nieder=
    trächtigen Schurken, dem Roskal, zustoßen
    und auusliefern! – Nein, daß müßen Sie
    doch mit eigenen Augen ansehen, kommen
    Sie, ich leihe Ihnen die Tarnklappe Tarnkappe hier," /: er
    zog Etwas aus der Tasche :/ und wir wall=
    fahrten ungesehen nach derm Förstergarten.
    Ich muß gestehen, daß ich mich überaus schämte,
    von diesem Manne ausgelacht zu werden.
    Er war mir von Herzensgrunde verhaßt,
    und ich glaube, daß mich dieser persönliche
    Widerwillen mehr als Grundsätze oder
    Vorurtheile abhielt, meinen Schatten, so
    nothwendig er mir auch war, mit der be=
    gehrten Unterschrift zu erkaufen.

    Auch

    13
    97
    Auch war mir der Gedanke unerträglich den
    Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft
    zu unternehmen. Diesen häßlichen Schleicher,
    diesen hohnlächelnden Kobolt zwischen mir und
    meiner Geliebten, zwei blutig zerrissenen Her=
    zen, spöttisch hintreten zu sehen, empörte mein
    innerstes Gefühl. Ich nahm wahr, was geschehen
    war, als verhängt an, meinem Elend als
    unabwendbar, und mich zu dem Manne
    kehrend, sagte ich ihm: "Mein Herr, ich
    habe Ihnen meinen Schatten für diesen, an
    sich sehr vorzüglichen Seckel verkauft, und
    es hat mich genug gereu't. Kann der Han=
    del zurückgehen, in Gottes Namen!"
    Er schüttelte mit dem Kopf und zog ein
    sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr fort. –
    So will ich Ihnen auch weiter nichts von mei=
    ner Habe verkaufen, sei es auch um den
    angebotenen Preis meines Schattens,
    und unterschreibe also nichts. Daraus
    läßt sich auch abnehmen, daß die Verkapp=
    ung, zu der Sie mich gefälligst einladen,

    un

    ungleich belustigender für sSie als für mich aus=
    fallen müßte; halten Sie mich also für unt=
    schuldiggt, und da es einmal nicht anders ist, –
    laßt uns scheiden." – "Es ist mir leid, Mon=
    sieur Schlemiel, daß Sie eigensinnig
    das Geschäft aus von der Hand weisen, das
    ich Ihnen freundschaftlich anbot. Indessen,
    vielleicht bin ich ein ander mal glücklicher.
    Auf baldiges Wiedersehen! – "A propos,
    erlauben Sie mir noch Ihnen zu zeigen,
    daß ich die Sachen, die ich kaufe, keines=
    weges verschimmeln lasse, sondern in
    Ehren halte, und daß sie bei mir gut
    aufgehoben sind." – Er zog zugleich sogleich mei=
    nen Schatten aus seiner Tasche, und ihn
    mit einem geschickten Wurf auf der Hei=
    de endtfaltend, breitete er ihn auf der
    Sonnen=Seite zu seinen Füßen aus, so
    daß er zwischen den beiden ihm auf=
    wartenden Schatten, dem meinen und
    dem seinen, daher ging, denn meiner
    mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach

    al=

    99
    len seinen Bewegungen sich richten und be=
    quemen. Als ich nach so langer Zeit einmal
    meinen armen Schatten wiedersah',
    und ihn zu solchem schnöden Dienst herab=
    gewürdigt fand, eben als ich um seinet=
    willen in so namenloser Noth war, da
    brach mir das Herz und ich fing bitterlich
    zu weinen an. Der Verhaßte stolzirte
    mit dem mir abjgejagten Raub, und
    erneuerte unverschämt seinen Antrag:
    "Noch ist er für Sie zu haben, ein Feder=
    zug, und Sie retten damit die arme
    unglückliche Minna aus des Schuftens
    Klauen in des hochgeehrten Herren Gra=
    fen Arme – wie gesagt, nur ein
    Federzug." Meine Thränen brachen
    mit erneuter Kraft hervor, aber
    ich wandte mich weg, und winkte ihm,
    sich zu entfernen.

    Bendel, der voller Sorgen meine Spu=
    ren bis hieher verfolgt hatte, traf

    in

    in diesem Augenblick ein. Als mich die
    treue fromme Seele weinend fand,
    und meinen Schatten, denn er war nicht zu
    verkennen, in der Gewalt des wunder=
    lichen grauen Unbekannten sah, be=
    schloß er gleich, sei es auch mit Gewalt,
    mich in den Besitz meines Eigenthums
    wieder herzustellen, und da er selbst
    mit dem zarten Dinge nicht umzu=
    gehen verstand, grif er gleich den
    Mann mit Worten an, und ohne vie=
    les Fragesn gebot er ihm stracks, mir
    das Meine unverzüglich verabfol=
    gen zu lassen. Dieser, statt aller
    Antwort, kehrte dem unschuldigen
    Burschen den Rücken und ging. Ben=
    del aber erhob den Kreuzdornknüttel,
    den er trug, und, ihn auf den Fersen
    folgend, ließ er ihn schonungslos unter
    wiederholtem Befehl den Schatten
    herzugeben, die volle Gewalt seines

    nerv=

    101
    nervigten Armes fühlen. Jener, als sei
    er solcher Behandlung gewohnt, bückte
    den Kopf, wölbte die Schultern, und zog
    stillschweigend ruhigen Schrittes seinen
    Weg über die Heiaide weiter, mir meinen
    Schatten zugleich, und meinen treuen Die=
    ner entführend. Ich hörte lange noch
    den dumpfen Schall durch die Einöde drö=
    nen, bis er sich endlich in der Entfern=
    ung verlor. Einsam war ich wie vor=
    her mit meinem Unglück.

    VI.

    Allein zurückgeblieben auf der öden
    Heide ließ ich unendlichen Thränen freien
    Lauf, mein armes Herz war von namen=
    loser banger Last erleichternd. Aber
    ich sah meinem unüberschwänglichen Elend
    keine Grenze, keinen Ausgang, kein
    Ziel, und ich sog besonders mit grim=mi=
    igem Durst an dem neuen Gifte, daß der
    Unbekannte in meine Wunden gegossen.

    Als

    Als ich Minnas Bild vor meine Seele rief,
    und die geliebte, süße Gestalt bleich und
    in Thränen mir erschien, wie ich sie zuletzt
    in meiner Schmach gesehen, da trat frech
    und höhnend R[o]ak[o]als Schemen zwischen sie
    und mich, ich verhüllte mein Gesicht und floh
    durch die Einöde, aber die scheußlicheseelige Er=
    scheinung gab mich nicht frei, sondern ver=
    folgte mich im Laufe, bis ich athemlos amn
    den Boden sank, und die Erde mit erneue=
    tem Thränenquell befeuchtete. Und
    alles um einen Schatten! und diesen Schat=
    ten hätte mir ein Federzug wieder er=
    worben. Ich überdachte den befremden=
    den Antrag und meine Weigerung: Es war
    wüst in mir, ich hatte weder Urtheil, noch
    Fassungsvermögen mehr. Der Tag
    verging. Ich stillte meinen Hunger mit
    wilden Früchten, meinen Durst im nächsten
    Bergstrom, die Nacht brach ein, ich lager=
    te mich unter einem Baum. Der feuchte
    Morgen weckte mich aus einem schweren
    Schlaf, in dem ich mich selber wie im Tode

    rö=

    103
    röcheln hörte. Bendel mußte meine Spur
    verloren haben, und es freute mich, es
    zu denken. Ich wollte nicht unter die Men=
    schen zurückkehren, vor welchen ich schreck=
    haft floh, wie das scheue Wild des Gebir=
    ges. So verlebte ich drei lange Tage. Ich
    befand mich am Morgen des vierten,
    auf einer sandigen Ebene, welche die
    Sonne hell beschien, und saß auf Felsen=
    Trümmern in ihrem Stral, denn ich lieb=
    te jetzt ihren lang' entbehrten Anblick
    zu genießen. Ich nährte still mein Herz
    mit seiner Verzweiflung. Da schreck=
    te mich ein leises Geräusch auf, ich warf
    zur Flucht bereit, den Blick um mich her,
    ich sah Niemand: aber es kam auf dem
    sonnigen Sande an mir vorbei geglitten
    ein Menschenschatten dem meinigen nicht
    unähnlich, welcher allein daher wandelnd
    von seinem Herrn abgekommen zu seyn
    schien. Da erwacht in mir ein maächtiger
    Trieb: Schatten, dacht' ich, suchst du dei=

    nen

    nen Herrn,? der will ich seyn. Und ich sprang
    hinzu mich seiner zu bemächtigen, ich dachte
    nemlich, daß, wenn es mir glückte in seine
    Spur zu treten, so daß er mir an die Füße
    käme, er wohl daran hängen bleiben
    würde und sich mit der Zeit an mich gewöh=
    nen. Der Schatten, auf meine Bewegung,
    nahm vor mir die Flucht, und ich mußte
    auf den leichten Flüchtling eine angestreng=
    te Jagd beginnen, zu der mich allein der
    Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage in
    der ich war, zu retten, mit hinreichenden
    Kräften ausrüsten konnte. Er floh einem
    freilich noch entfernten Walde zu, in des=
    sen Schatten ich ihn nothwendig hätte verlie=
    ren müßen, – ich s[a]ah's, ein Schreck[en] durch=
    zuckte mir das Herz; fachte meine Begierde
    an, beflügelte meinen Lauf – ich gewann
    sichtbarlich auf auf den m n Schatten den Vorsprung ab, ich kam ihm
    nah und näher, ich mußte ihn erreichen. Nun
    hielt er plötzlich an, und kehrte sich nach mir
    um. Wie der Löwe auf seine Beute,

    so

    14.
    105
    so schoß ich mit einem gewaltigen Sprunge
    hinzu, um ihn in Besitz zu nehmen – und traf
    unerwartet und hart auf körperlichen Wi=
    derstand. Es wurden mir unsichtbar die un=
    erhörtesten Rippenstöße ertheilt, die wol je ein
    Mensch gefühlt hat. Die Wirkung des Schreckens
    war in mir die Arme krampfhaft zuzuschla=
    gen, und fest zu drücken was ungesehen vor
    mir stand. Ich stürzte in der schnellen Handlung,
    vorwärts gestreckt auf den Boden, rückwärts
    aber unter mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt,
    und der jetzt erst sichtbar erschien. Nun ward
    mir auch das ganze Ereigniß sehr natürlich er=
    klärbar. Der Man mußte das unsichtbare
    Vogelnest, welches den, der ihn es hält, nicht aber
    seinen Schatten unsichtbar macht, erst getra=
    gen, und jetzt weggeworfen haben. Ich
    spähete mit dem Blick umher, entdeckte gar
    bald den Schatten des unsichtbaren Nestes
    selbst, sprang auf und hinzu, und verfehl=
    te nicht den theuren Raub. Ich hielt un=
    sichtbar, schattenlos das Nest in Han[=
    ]
    den. Der schnell sich aufrichtende

    Mann

    Mann, sich sogleich nach seinem Beglückten
    Bezwinger umsehend, erblickte auf der
    weiten sonnigen Ebene weder ihn, noch
    dessen Schatten, nachdem er besonders
    ängstlich umherlauschte. Denn ddaß ich
    an und für mich schattenlos war, hatte er vor=
    her nicht Muße gehabt zu bemerken,
    und konnte es nicht vermuthen. Als
    er sich überzeugt, daß jede Spur verschwun=
    den, kehrte er in der höchsten Verzweif=
    lung die Hand gegen sich selber und
    raufte sich das Haar aus. Mir aber
    gab der errungene Schatz die Möglich=
    keit und die Begierde zugleich mich wieder
    unter die Menschen zu maischen. Es fehl=
    te mir nicht an Vorwand gegen mirch
    selber meinen schnöden Raub zu be=
    schönigen, oder vielmehr ich bedurfte
    solcher nicht, und jedem Gedanken der
    Art zu entweichen, eilte ich hinweg nach
    dem Unglücklichen nicht zurückeschau=
    end, dessen ängstliche Stimme ich mir
    noch lange nachhallen hörte. So wenig=

    stens

    107
    stens kamen mir damals alle Umstande
    dieses Ereignisses vor.

    Ich brannte nach dem Förstergarten zu
    gehen, und durch mich selbst die Wahrheit
    dessen zu erkennen, was mir jener Ver=
    haßte verkündigt hatte; ich wußte aber
    nicht, wo ich war, ich bestieg, um mich in
    der Gegend umzuschauen, den nächsten Hü=
    gel, ich sah von seinem Gipfel das nahe
    Städtchen und den Förstergarten zu mei=
    nen Füßen liegen. – Heftig klopfte
    mir das Herz, und Thränen einer
    andern Art als die ich bis dahin ver=
    goossen, traten mir in die Augen, ich
    sollte sie wiedersehen. – Bange Sehn=
    sucht beschleunigte meine Schritte auf
    dem richtigsten Pfad hinab. Ich kam
    ungesehen an einigen Bauern vorbei, die
    aus der Stadt kamen. Sie sprachen von
    mir, R[...]ask[...]al'n und dem Förster, ich wollte
    nichts anhören, ich eilte vorüber. Ich trat
    in den Garten, alle Schauern der Erwart=
    ung in der Brust – mir schallte es wie

    ein

    ein Lachen entgegen, mich schauderte, ich
    warf einen schnellen Blick um mich her;
    ich konnte Niemanden entdecken. Ich
    schritt weiter vor, mir war's als ver=
    nähme ich neben mir ein Geräusch wie
    von Mannsenschentritten, es war aber nichts
    zu sehen: ich dachte mich von meinem
    Ohre getäuscht. Es war noch früh, Nie=
    mand in Graf Peter's Laube, noch leer
    der Garten; ich durchschweifte die be=
    kannten Gänge, ich drang bis nach
    dem Wohnhause vor. Dasselbe Ge=
    räusch verfolgte mich vernehmlicher.
    Ich setzte mich mit angstvollem Her=
    zen auf eine Bank, die im sonnigen
    Raum der Hausthür gegenüber stand.
    Es ward mir als [...]hörte ich den ungeseh=
    enen Kobold sich hohnlachend neben mirch
    setzen. Der Schlüssel ward in der
    Thür gedreht, sie ging auf, der Forst=
    meister trat heraus mit Papieren in
    der Hand. Ich fühlte mir wie Nebel
    über den Kopf ziehn, ich sah' mich um, und –

    Ent=

    109
    Entsetzen! – der Mann im grauen Rock
    saß neben mir, mit satanischem Lächeln
    auf mich blickend – Er hatte mir seine
    Tarnkappe mit über den Kopf ge=
    zogen, zu seinen Füßen lagen sein und
    mein Schatten friedlich neben einander,
    er spielte nachläßig mit dem bekann=
    ten Pergament, das er in der Hand
    hielt, und indem der Forstmeister
    mit den Papieren beschäftigt im Schat=
    ten der Linde auf und ab ging – beug=
    te er sich vertraulich zu meinem Ohr
    und flüsterte mir die Worte: "So
    hätten Sie denn doch meine Einladung
    angenommen, und da säßen wir
    einmal zwei Köpfe unter einer Kap=
    pe! – Schon recht! schon recht! Nun
    geben Sie mir aber auch mein Vogel=
    nest zurücke, Sie brauchen es nicht
    mehr, und sind ein zu ehrlicher Mann
    um es mir vorenthalten zu wollen –
    doch keinen Dank dafür, ich versichere
    Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern
    geliehen habe – Er nahm es unweig=

    er=

    erlich aus meiner Hand, steckte es in
    die Tasche und lachte mich abermals aus,
    und zwar so laut, daß sich der Forst=
    meister nach dem Geräusch umsah. –
    Ich saß wie versteinert da. Sie mü=
    ßen mir doch gestehen, fuhr er fort, daß
    so eine Kappe viel bequemer ist. Sie
    deckt doch nicht nur ihren Mann sondern auch
    seinen Schatten mit, und noch so viele an=
    dere, als er mitzunehmen Lust hat.
    Sehen Sie, heute führ' ich wieder ihrer
    zwei – Er lachte wieder. Merken
    Sie sich's, Schlemiel, was man anfangs
    mit Gutem nicht will, daß muß man
    am Ende doch gezwungen. Ich dächte
    noch, Sie kauften mir das Ding ab, neh=
    men die Braut zurücke, /:denn noch ist
    es Zeit, und wir ließen den Roask[...]al[n] am
    Galgen baumeln, das wird uns ein
    Leichtes, so lange es an Stricke nicht
    fehlt – Hören Sie, ich gebe Ihnen
    noch meine Mütze in den Kauf.
    Die Mutter trat heraus, und das Ge=

    spräch

    111
    spräch begann. – Was macht Minna? –
    Sie weint. – Einfältiges Kind! es ist
    doch nicht zu ändern! – Freiligch nicht,
    aber sie so früh einem Andern zu
    geben ... O Mann du bist grausam
    gegen dein eigenes Kind. – Nein,
    Mutter, das siehst du sehr falsch. Wenn
    sie noch, bevor sie ihre doch kindischen
    Thränen ausgeweint hat, sich als die Frau
    eines sehr reichen und geehrten Man̄es
    findet, wird sie getröstet, aus ihrem
    Schmerze wie aus einem Traum er=
    wachen, und Gott und uns danken, das
    wirst du sehen! – Gott gebe es! – Sie
    besitzt freilig jetzt sehr ansehnliche
    Güter, aber nach dem Aufsehn, daß
    die unglückliche Geschichte mit die=
    sem Abentheurer gemacht hat, glaubst
    du, daß sich sobald eine andere für
    sie so passende Parthie als der Herr
    R[...]ask[...]al finden möchte! Weißt du,

    was

    was für ein Vermögen er besitzt der
    Herr R[...]ask[...]al? Er hat für sechs Mil=
    lionen Güter hier im Lande, frei von
    allen Schulden baar bezahlt. Ich ha=
    be die Dokumente in Händen gehabt,
    er war's, der mir überall das Be=
    ste vorweg genommen hatte; und
    außerdem im Portefeuille Papie=
    re auf Thomas John für circa
    Viertehalb Millionen. – Er muß
    sehr viel gestohlen haben. – Was
    sind das wieder für Reden! Er
    hat flweißigslich gespart, wo verschwen=
    det wurde. – Ein Mann, der die
    Livvree getragen hat,! – Dum=
    mes Zeug! er hat doch einen
    untadlichen Schatten – Du hast
    Recht, aber .... der Mann im grau=
    en Rock lachte und sah mich an. Die
    Thüre ging auf, und Minna trat
    heraus. Sie stützte sich auf

    den

    15.
    113
    den Arm einer Kammerfrau,
    stille Thränen flossen auf ihren
    schönen blassen Wangen. Sie setzte
    sich in einen Sessel, der für sie un=
    ter der Linde bereitet war, und ihr
    Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er
    faßte zärtlich ihre Hand und redete
    sie, die heftiger zu weinen anfing,
    mit zarten Worten an. "Du bist
    mein gutes, liebes Kind, du wirst auch
    vernünftig seyn, wirst nicht deinen
    alten Vater betrüben wollen, der nur
    dein Glück will, ich begreife es wol,
    liebes Herz, daß es dich sehr erschütt=
    ert hat, du bist wunderbar deinem
    Unglück entkommen! bevor wir
    den schändlichen Betrug entdeckt,
    hast du diesen Unwürdigen sehr
    geliebt, siehe Minna, ich weiß es,
    und ich mache dir keine Vorwürfe

    dar=

    darüber. Ich selber, liebes Kind,
    habe ihn auch geliebt, so lange ich ihn
    für einen großen Herrn ange=
    sehen habe. Nun siehst du selber ein,
    wie anders Alles geworden. Was!
    ein jeder Pudel hat ja seinen Schatten,
    und mein liebes einziges Kind soll=
    te einen Mann ... Nein, du denkst
    auch gar nicht mehr an ihn. – Höre,
    Minna, nun wirkbt ein Mann fürum
    dich, der die Sonne nicht scheut, ein
    geehrter Mann, der freiligch kein Fürst
    ist, aber zehn Millionen, mehr zehn
    mal mehr als du in Vermögen besitzt,
    ein Mann, der mein liebes Kind
    glücklich machen wird. Erwiedere
    mir nichts, widersetze dich nicht, sei
    meine gute gehorsame Tochter, laß
    deinen liebenden Vater für dich sor=
    gen, deine Thränen trocknen, Ver

    sprich

    115
    sprich mir dem Herrn R[...]ask[...]al deine
    Hand zu geben – Sage, willst du
    mir das versprechen? – Sie ant=
    wortete [...] mit erstorbener Stimme:
    Ich habe keinen Willen, keinen Wunsch
    fürder auf Erden. Geschehe mit mir,
    was mein Vater will. Zugleich ward
    Herr R[...]askal angemeldet und trat
    frech in den Kreis. Minna lag in
    Ohnmacht. Mein verhaßter Gefährte,
    blickte mich zornig an und flüsterte mir
    die schnellen Worte: "Und das könn=
    ten Sie erdulden! was fließt Ih=
    nen denn statt Blutes in den Adern?"
    Er ritzte mir mit einer raschen
    Bewegung eine leichte Wunde in die
    Hand, es floß Blut, er fuhr fort:
    "Wahrhaftig! rothes Blut! .. So un=
    terschreiben Sie!" Ich hatte das Per=
    gament und die Feder in Händen.

    VII.

    VII.

    Ich werde mich Deinem Urtheile bloß
    stellen, lieber Chamisso, und es nicht zu
    bestechen suchen. Ich selbst habe lange
    strenges Gericht an mir selber vollzogen,
    denn ich habe den quälenden Wurm in
    meinem Herzen genährt. Es schweb=
    te immerwährend dieser ernste Mo=
    ment meines Lebens vor meiner
    Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden
    Blickes, mit Demuth und Zerknirschung
    anzuschauen – Lieber Freund, wer
    leichtsinnig den Fuß nur aufs der ge=
    raden Straße setzt, der wird unver=
    sehens in andere Pfade abgeführt, die
    abwärts und immer abwärts ihn
    ziehen, er sieht dann umsonst die Leit=
    sterne am Himmel schimmern, ihm
    bleibt keine Wahl, er muß unaufhalt=
    sam den Abhang hinab, und sich selbst
    der Nemesis opfern. Nach dem über=
    eilten Fehltritt, der den Fluch auf mich
    geladen, hatt' ich durch Liebe frevelnd,

    in

    117
    in eines Andern Wesens Schicksal mich
    gedrängt: was blieb mir übrig, als
    wo ich Verderben gesät, wo schnelle
    Rettung von mir geheischt ward, aber eben
    rennttend blindlings hinzu zu springen?
    denn die letzte Stunde schlug. – Denke nicht
    so niedrig von mir, mein Adalbert, als
    zu meyinen, es hätte mich irgend ein ge=
    foderter Preis zu theuer gedünkt, ich
    hätte mit irgend Etwas, was nur m[...]ein
    war, mehr als eben mit Gold gekargt. –
    Nein, Adalbert; aber mit unüberwind=
    barem Hasse gegen diesen räthselhaf=
    ten Schleicher auf krummen Wegen, war
    meine Seele angefüllt. Ich mochte ihm
    Unrecht thun, doch empörte mich jede Gemein=
    schaft mit ihm. – Auch hier trat, wie so
    oft schon in mein Leben, und wie über=
    haupt so oft in die Weltgeschichte, ein Er=
    eigniß an die Stelle einer That. Spä=
    ter habe ich mich mit mir selber versöhnt.
    Ich habe erstlich die Nothwendigkeit
    verehren lernen, und was ist mehr als

    die

    die gethanene That, das geschehene
    Ereigniß ihr Eigenthum! Dann hab'
    ich auch diese Nothwendigkeit als eine
    weise Fügung verehren lernen, die
    durch das gesammte große Getrieb
    weht, darin wir bloß als mitwirk=
    ende getriebene treibende Räder
    eingreifen,; was seyn soll, muß ge=
    schehn, was seyn sollte, geschah, und
    nicht ohne jene Fügung, die ich endlich
    noch in meinem Schicksale und dem
    Schicksale dererr, die das meine mit er=
    grif, verehren lernte

    Ich weiß nicht, ob ich es der Span̄ung
    meiner Seele unter dem Drange so
    maächtiger Empfindungen, zuschreiben
    soll, ob der Erschöpfung meiner physischen
    Kräfte, die während der letzten Tage
    ungewohntes Darben geschwächt, ob end=
    lich dem zerstörenden Aufruhr, den die Nä=
    he dieses grauen Unholdes in meiner gan=
    zen Natur erregte; genug es befiel mich,

    als

    119
    als es an das Unterschreiben ging, eine
    tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit
    wie in den Armen des Todes. Fußstam=
    pfen und Fluchen waren die ersten Töne,
    die mein Ohr trafen, als ich zum Bewußt-
    sein zurückekehrte, ich öffnete die Augen, [...]
    es war dunkel, mein verhaßter Beglei=
    ter war scheltend um mich bemüht. "Heißt
    das nicht wie ein altes Weib sich aufführen?
    Man raffe sich auf, und vollziehe frisch
    was man beschlossen, oder hat man sich
    anders besonnen, und will lieber grei=
    nen.?" – Ich richtete mich mühsam auf
    von der Erde wo ich lag und schaute schwei=
    gend um mich. Es war später Abend, aus
    dem hell erleuchteten Försterhause erscholl
    festliche Musik, einzelne Gruppen von
    Menschen wallten durch die Gänge des
    Gartens. Ein Paar traten im Gespräche
    näher und nahmen Platz auf dieer Bank,
    worauf ich früher gesessen hatte. Sie
    unterhielten sich von der an diesem Morgen

    voll=

    vollzogenen Verbindung des reichen
    Herrn Roaskal mit der Tochter des Hau=
    ses. – Es war also geschehen. – Ich
    streifte mit der Hand die Tarnkappe
    des sogleich mir verschwindenden Un=
    bekannten von meinem Haupt weg,
    und eilte stillschweigend in die tiefste
    Nacht des Gebüsches mich versteckend,senkend den
    Weg über Graf Peters Laube einschla=
    gend, dem Aus gang des Gartens zu.
    Unsichtbar geleitete mich aber mein
    Plagegeist, mich mit scharfen Worten ver=
    folgend: Das ist also der Dank für
    die Mühe, die man genommen hat, Moonsieur,
    der schwache Nerven hat, den langen lieben
    Tag hindurch zu pflegen. Und man soll
    den Narren im Spiele abgeben. Gut,
    Herr Trotzkopf, fliehen Sie nur vor
    mir, wir sind doch unzertrennlich.
    Sie haben mein Goold, und ich Ihren Schat=
    ten, das läßt uns beiden keine Ruhe –
    Hat man je gehört, daß ein Schatten

    von

    16.
    121
    von seinem Herrn gelassen hätte, Ih=
    rer zieht mich Ihnen nach, bis Sie ihn wie=
    der zu Gnaden annehmen, und ich ihn
    los bin. Was Sie versäumt haben aus
    frischer Lust zu thun, werden Sie, nur
    zu spät, aus Ueberdruß und Lange=
    weile nachhoolen müßen; man entgeht
    seinem Schicksale nicht." Esr sprach
    auf demselben Tone fort und fort, ich
    floh umsonst, esr ließ nicht nach, und im̄er
    gegenwärtig, redete höhnend von Gold
    und Schatten. Ich konnte zu keinem
    eigenen Gedanken kommen. Ich
    hatte durch menschenleere Straßen einen
    Weg nach meinem Hause eingeschla=
    gen. Als ich davor stand, und es an=
    sah, konnte ich es kaum erkennen,
    hinter demn eingeschlagenen Fenstern
    brannte kein Licht. Die Thüren waren
    zu, kein Dienervolk regte sich mehr dar=
    innen. Es lachte laut auf neben

    mir

    mir: "Ja, ja,! so geht's, aber Ih=
    ren Bendel finden Sie wol daheim,
    den hat man jüngst fürvorsorglich so
    müde nach Hause geschickt, daß er es
    wol seitdem gehütet haben wird."
    Es lachte wieder. "Der wird Geschich=
    ten zu erzählen haben. – Wohlan den̄!
    für heute gute Nacht, auf baldiges
    Wiedersehen." Ich hatte wieder=
    holt geklingelt, es erschien Licht, Ben=
    del frug von Iinnen wer geklingelt
    habe: a. Als der gute Mann meine Stim̄e
    erkannte, konnte er seine Freude
    kaum bändigen, die Thür' flog auf,
    wir lagen weinend einander in den
    Armen. Ich fand ihn sehr verändert,
    schwach und krank, mir war aber das
    Haar ganz grau geworden. Er
    führte mich durch die verödenten Zimmer
    nach einem innern verschont ge=
    bliebenen Gemach, er holte Speise und

    Trank

    123
    Trank herbei, wir setzten uns, er fing
    wieder an zu weinen. Er erzählte mir,
    daß er letzthin den graugekleideten
    dürren Mann, den er mit meinem
    Schatten angetroffen hatte, so lange und
    so weit geschlagen habe, bis er selbst
    meine Spur verloren und vor Müd=ig=
    igkeit hingesunken sei, daß er nachher,
    wie er mich nicht wiederfinden gekon̄t,
    er nach Hause zurückgekehrt, wo bald
    darauf der Pöbel auf R[...]askal's An=
    stiften, heraunsgestürmt, die Fenster
    eingeschlagen, und seine Zerstörungs=
    lust gebüßt. So hätten sie an ihrem
    Wohlthäter gehandelt. Meine Diener=
    schaft war aus einander geflohn.
    Die örtliche Polizei hatte mich als ver=
    dächtig aus der Stadt verwiesen, und
    mir eine Frist von vier und zwanzig
    Stunden festgesetzt um deren Gebiet
    zu verlassen, z. Zu dem, was mir von
    Roaskal's Reichthum und Vermählung

    be=

    bekannt war, wußte er noch Vie=
    les hinzuzufügen. Dieser Bösewicht,
    von dem Alles ausgegangen, was hier
    gegen mich geschehen war, mußte von
    Anbeginn mein Geheimniß besessen ha=
    ben, es schien, er habe, vom Golde an=
    gezogen, sich an mich zu drängen ge=
    wußt, und schon in der ersten Zeit ei=
    nen Schlüssel zu jenem Goldschrank sich
    verschaft, wo er den Grund zu dem
    Vermögen gelegt, den noch zu ver=
    mehren er jetzt verschmähen konnte.
    Das Alles erzählte mir Bendel un=
    ter häufigen Thränen, und weinte
    dann wieder vor Freuden, daß er
    mich wieder sah, mich wieder hatte,
    und daß, nachdem er lange gezweifelt,
    wohin das Unglück mich gebracht haben
    mochte, er mich es ruhig und gefaßt
    ertragen sah. Denn solche Gestalt=
    tung hatte nun die Verzweiflung in

    mir

    125
    mir genommen. Ich sah mein Elend
    riesengroß, unwandelbar vor mir,
    ich hatte ihm meine Thränen aus geweint,
    es konnte kein Geschrei mehr aus mei=
    ner Brust pressen, ich trug ihm kalt
    und gleichgültig mein entblößtes Haupt
    entgegen. Bendel, hub ich an, du
    weißt mein Loos. Nicht ohne früheres
    Verschulden trift mich schwere Strafe.
    Du sollst länger nicht, unschuldiger Man̄,
    dein Schicksal an das meine binden, ich
    will es nicht. Ich reite die Nacht noch
    fort, hole sattle mir ein Pferd, ich reite al=
    lein, du bleibst, ich will's. Es müßen
    hier noch einige K[...]isten Goldes liegen,
    das behalte dau. Ich werde allein
    unstät in der Welt wandern,; weann
    mir aber je eine heitere Stunde wie=
    der lacht, und das Glück mich versöh=
    net anblickt, dann will ich deiner

    ge=

    getreu gedenken, denn ich habe an
    deiner getreuen Brust in schweren
    schmerzlichen Stunden geweint.

    Mit gebrochenem Herzen mußte der
    Redliche diesem letzten Befehle seines
    Herrn, worüber er in der Seele er=
    schrack, gehorchen, ich war seinen Bitten,
    seinen Vorstellungen taub, blind sei=
    nen Thränen, er führte mir das Pferd
    vor. Ich drückte noch einmal den Wei=
    nenden an meine Brust, schwang mich
    in den Sattel, und entfernte mich un=
    ter dem Mantel der Nacht von dem
    Grabe meines Lebens, unbeküm̄ert
    welchen Weg mein Pferd mich führen
    werde, denn ich hatte weiter auf Er=
    den kein Ziel, keinen Wunsch, keine
    Hoffnung.

    VIII.

    Es gesellte sich bald ein Fußgänger
    zu mir, welcher mich bat, nachdem er
    eine Weile neben meinem Pferde

    ge=

    127
    geschritten war, da wir doch densel=
    ben Weg hielten, einen Mantel, den
    er trug, hinten auf mein Pferd le=
    gen zu dürfen, ich ließ es stillschwei=
    gend geschehen. Er dankte mir mit leich=
    tem Anstand für den leichten Dienst,
    lobte mein Pferd, nahm daraus Ge=
    legenheit, das Glück und die Macht der
    Reichen hoch zu preisen, und ließ sich, ich
    weiß nicht wie, in eine Art von Selbst=
    gespräch ein, bei dem er mich bloß zum
    Zuhörer hatte. Er entfaltete seine An=
    sichten von dem Leben und der Welt, und
    kam sehr bald auf die Metaphysik,
    an die die Foderung erging, das Wort
    aufzufinden, daßs aller Räthsel Lösung
    sei. Er setzte die Aufgabe mit vieler
    Klarheit aus einander und schritt für=
    der zu deren Beantwortung. Du weißt,
    mein Freund, daß ich deutlich erkannt
    habe, seitdem ich den Philosophen durch

    die

    die Schule gelaufen, daß ich zur philoso=
    phischen Spekulation keinesweges
    berufen bin, und daß ich mir dieses
    Feld völlig abgesprochen habe, ich habe
    seither Vieles auf sich beruhen lassen,
    Vieles zu wissen und zu begreifen
    Verzicht geleistet, und bin, wie du es
    mir selber gerathen, meinem gera=
    den Sinn vertrauend, der Stimme
    in mir, so viel es in meiner Macht
    gewesen, auf den eigenen Weg ge=
    folgt. Nun schien mir dieser Rede=
    künstler mit großem Talent ein fest=
    gefügtes Gebäude aufzuführen, das
    in sich selbst begründet sich empor
    trug, und wie durch innere Nothwend=
    igkeit bestand. Nur vermißt' ich
    ganz in ihm, was ich eben darin hätte
    suchen wollen, und so ward es mir zu
    einem bloßen Kunstwerk, dessen zier=
    liche Geschlossenheit und Vollendung dem

    Auge

    17.
    129
    Auge allein zur Ergötzung diente,
    aber ich hörte dem wohlbergedten Man̄e
    gerne zu, der meine Aufmerksam=
    keit von meinen Leiden auf sich selbst
    abgelenkt, und ich hätte mich ihm völlig willig
    ergeben, wenn er meine Seele wie mei=
    nen Verstand in Anspruch genom=
    men hätte. Mittlerweile war die
    Zeit hingegangen, und unbemerkt
    hatte schon die Moorgendämmerung
    den Himmel erhellt, ich erschrak,
    als ich mit einemmal aufblickte und
    im Osten die Pracht der Farben sich
    entfalten sah, die die nahe Sonne
    verkünden, und gegen ihr sie war in
    dieser Stunde, wo die Schlagschatten
    mit ihrer ganzen Ausdehnung prun=
    ken, kein Schutz, kein Bollwerk in
    der offenen Gegend zu ersehn! und
    ich war nicht allein; ich warf ei=

    nen

    nen Blick auf meinen Begleiter
    und erschrak wieder. – Es
    war kein anderer als der Man̄
    im grauen Rock. Er lächelte über
    meine Bestürzung, und fuhr fort,
    ohne mich zum Wort kommen
    zu lassen: "Laßt uns doch, wie
    es einmal in der Welt Sitte
    ist, untsere wechselseitigem Vortheile
    uns auf eine Weise verbiinden,
    zu scheiden haben wir immer noch
    Zeit. Die Straße hier längst dem
    Gebirge, ob Sie gleich noch nicht dar=
    an gedacht haben, ist die einzige,
    die Sie vernünftigerweise ein=
    schlagen können, hinab in das Thal
    dürfen Sie nicht, und über das Ge=
    birg werden Sie noch weniger zu=
    rückkehren wollen, von wo Sie

    her=

    131
    hergekommen sind – diese ist auch ge=
    de meine Straße. – Ich sehe Sie schon
    vor der aufgehenden Sonne erblas=
    sen. Ich will Ihnen Ihren Schatten
    auf die Zeit unserer Gesellschaft
    leihen und Sie dulden mich dafür in
    Ihrer Nähe, Sie haben so Ihrem
    Bendel nicht mehr bei sich, ich will
    Ihnen gute Dienste leisten. Sie
    lieben mich nicht, das ist mir leid,
    Sie können mich darum doch be=
    nutzen. Der Teufel ist nicht so schwarz
    als man ihn malt. Gestern haben
    Sie mich geärgert, das ist wahr, heute
    will ich's Ihnen nicht nachtragen, und ich
    habe Ihnen schon den Weg bis hieher ver=
    kürzt, das müßen Sie selbst gestehen –
    nehmen Sie doch nur einmal Ihren Schat=
    ten auf Probe wieder an." Die Son̄e
    war aufgegangen, auf der Straße

    ka=

    kamen uns Menschen entgegen, ich nahm,
    obgleich mit innerlichem Widerwillen den
    Antrag an. Er ließ lächelnd meinen
    Schatten zur Erde gleiten, der alsbald
    seine Stelle auf des Pferdes Schatten
    einnahm und lustig neben mir hertrab=
    te. Mir war sehr seltsam zu Muth.
    Ich ritt an einem Trupp Landleute vor=
    bei, die vor einem wohlhabenden Man̄
    ehrerbietig mit entblößtem Haupte
    Platz machten. Ich ritt weiter, und blick=
    te gierigen Auges und klopfenden Her=
    zens seitwärts vom Pferde herab auf
    diesen sonst meinen Schatten, den ich jetzt
    von einem Fremden, ja von einem Fein=
    de erborgt hatte. Dieser ging unbeküm=
    mert nebenher und pfiff eben ein Liedchen.
    Er zu Fuß, ich zu Pferd', ein Schwindel
    ergrif mich, die Versuchung war zu

    groß

    133
    groß, ich wandte plötzlich die Zügel,
    drückte beide Sporen an, und so in
    voller Karriere einen Seiten weg
    eingeschlagen, aber ich entführte den
    Schatten nicht, der bei der Wendung vom
    Pferde glitt und seinen gesetzmäßigen
    Eigenthümer auf der Landstraße
    erwartete. Ich mußte beschämt um=
    lenken, der Mann im grauen Rock,
    als er ungestört sein Liedchen zu Ende ge=
    bracht, lachte mich aus, setzte mir den
    Schatten wieder zu recht, und belehrte
    mich, er würde erst an michr festhangen,
    und bei mir bleiben wollen, wann ich
    ihn wiederum als rechtmäßiges Eigen=
    thum besitzen würde. Ich halte Sie,
    fuhr er fort, am Schatten fest, und
    Sie kommen mir nicht los. Ein rei=
    cher Mann wie Sie, braucht einmal
    einen Schatten, das ist nicht anders,
    Sie sind nur darin zu tadeln, daß

    Sie

    Sie es nicht früher eingesehen haben. –
    Ich setzte meine Reise auf derselben
    Straße fort, es stfanden sich bei mir
    alle Bequemlichkeiten des Lebens und
    selbst derie Pracht wieder ein, ich kon̄te
    mich frei und leicht bewegen, da ich
    einen obgleich nur erborgten Schat=
    ten besaß, und ich flößte überall die
    Ehrfurcht ein, die der Reicht[...]hum ge=
    bietet, aber ich hatte den Tod im
    Herzen. Mein wundersamer Be=
    gleiter, der sich selbst für den unwürd=
    igen Diener des reichsten Mannes
    in der Welt aus gab, war von ei=
    ner außerordentlichen Dienstfertig=
    keit, über die Maßen gewandt
    und geschickt, der wahre Inbegrif
    eines Kammerdieners für ei=
    nen reichen Mann, aber er wich
    nicht von meiner Seite und führte
    un aufhörlich das Wort gegen mich,

    stets

    135
    stets die größte Zuversicht an den
    Tag legend, daß ich endlich, sei es auch
    nur um ihn los zu werden, den Han=
    del mit dem Schatten abschließen wür=
    de. – Er war mir eben so lästig
    als verhaßt. Ich konnte mich ordent=
    lich vor ihm fürchten. Ich hatte mich
    von ihm abhängig gemacht. Er hielt
    mich, nachdem er mich in die Herrlich=
    keit der Welt, die ich floh, zurück=
    geführt hatte. Ich mußte seine Be=
    redsamkeit über mich ergehen las=
    sen, und fühlte schier, er habe Recht.
    Ein Reicher muß in der Welt einen
    Schatten haben., Uund sobald ich den
    Stand behaupten wollte, den er mich
    wieder geltend zu machen verlei=
    tet hatte, war nur ein Ausgang =
    zu ersehn. Dieses aber stand
    bei mir fest, nachdem ich meine Lie=
    be hingeopfert, nachdem mir das Leben

    ver=

    verfblaßt war, wollt' ich meine See=
    le nicht, sei es um alle Schatten der
    Welt, dieser Kreatur verschrei=
    ben. Ich wußte nicht, wie es
    enden sollte.

    Wir saßen einst vor einer Höle,
    welche die Fremden, die das Gebirg
    bereisen, zu besuchen pflegen.
    Man hörte dort das Gebrauss un=
    terirdischer Ströme, aus unge=
    messener Tiefe heraufsch[o]allen.,
    Uund kein Grund scheint den Stein, den
    man hineinwirft in seinem hall=
    enden Fall aufzuhalten. Er mach=l=
    te mir, wie er öfters thut, mit
    verschwenderischer Einbildungskraft
    und im schimmernden Reize der glän=
    zendsten Farben, sorgfältig aus=
    geführte Bilder von dem was ich
    in der Welt, Kraft meines Se=
    ckels ausführen würde, wenn ich

    erst

    18.
    137
    erst meinen Schatten wieder in meiner Ge=
    walt['] hätte. Die Ellenbogen auf die
    Kniee gestützt, hielt ich mein Gesicht in
    meinen Händen verborgen, und hör=
    te dem Falschen zu, das Herz zwie=
    fach getheilt zwischen der Verführung
    und dem strengen Willen in mir.
    Ich konnte bei solchem innerlichen Zwie=
    spalt länger nicht aus dauern, und
    begann den entscheidenden Kampf:
    "Sie scheinen mein Herr, zu verges=
    sen, daß ich Ihnen zwar erlaubt
    habe, unter gewissen Bedingungen in
    meiner Begleitung zu bleiben, daß
    ich mir aber meine völlige Frei=
    heit vorbehalten habe" – "Wenn
    Sie befehlen, so pack' ich ein." Die
    Drohung war ihm geläufig, ich schwieg,
    er setzte sich gleich daran, meinen
    Schatten wieder zusammenzu=
    rollen. Ich erblaßte, aber ich

    ließ

    ließ es stumm geschehen: Es erfolg=
    te ein langes Stillschweigen. Er
    nahm zuerst das Wort. "Sie kön=
    nen mich nicht leiden, mein Herr,
    Sie hassen mich, ich weiß es. Doch war=
    um hassen Sie mich? Ist es etwa,
    weil Sie mich auf öffentlicher Stra=
    ße angefallen, und mir mein Vo=
    gelnest mit Gewalt zu rauben ge=
    meint, oder ist es darum, daß Sie
    mein Gut, den Schatten, den Sie Ih=
    rer bloßen Ehrlichkeit anvertraut
    glaubten, mir diebischer wWeise zu
    entwenden gesucht haben? Ich mei=
    nerseits haße Sie darum nicht, ich
    finde ganz natürlich, daß Sie alle
    Ihre Vortheile, List und Gewalt
    geltend zu machen zsuchen, daß Sie
    übrigens die allerstrengsten Grund=
    sätze haben, und wie die Ehrlich=

    keit

    139
    keit selbst denken, ist eine Liebhabe=
    rei, wogegen ich auch nichts habe –
    Ich denke in der That nicht so streng
    als Sie, ich handle bloß wie Sie den=
    ken. Oder hab' ich Ihnen irgendwan̄
    den Daumen auf die Gurgel ge=
    drückt um Ihre wertheste Seele, zu
    der ich einmal Lust habe, an mich zu brin=
    gen! Hab ich von wegen meines
    ausgetauschten Seckels einen Diener
    auf Sie losgelassen, hab' ich Ihnen
    damit durchzugehen versucht?"
    Ich hatte dagegen nichts zu erwiedern,
    er fuhr fort. "Schon recht, mein Herr,
    schon recht, Sie können mich nicht lei=
    den, auch das begreife ich wohl und
    verarge es Ihnen weiter nicht. Wir
    müßen scheiden, das ist klar, und
    auch Sie fangen an mir sehr lang=
    weilig vorzukommen. Um sich
    also meiner ferneren beschämenden

    Ge=

    Gegenwart völlig zu entziehn, ra=
    the ich es Ihnen noch einmal: Kaufen
    Sie mir das Ding ab." – Ich hielt ihm
    den Seckel hin [...] "Um den Preis?" –
    Nein. – Ich seufzte schwer auf
    und nahm wieder das Wort: Auch al=
    so: Ich dringe darauf, mein Herr,
    laßt uns scheiden, vertreten Sie mir
    länger nicht den Weg auf einer Welt,
    die hoffentlich geräumig genug ist,
    für uns beide. Er lächelte und er=
    wiederte: "Ich gehe, mein Herr, zu=
    vor aber will ich Sie unterrichten, wie
    Sie mich herbeiklingenln können, wenn Sie je
    verlangen nach Ihrem unterthänig=
    sten Knecht tragen sollten: Sie brau=
    chen nur Ihren Säckel zu schütteln, daß
    die ewigen Goldstücke darinnen ras=
    seln, der Ton zieht mich augenblick=
    lich an. Ein Jeder denkt auf sei=

    nen

    141
    nen Vortheil in derieser Welt, Sie sehen,
    daß ich auf iIhren zugleich bedacht bin,
    denn ich eröffne Ihnen offenbar eine
    neue Kraft. – O dieser Säckel! –
    Und hätten gleich die Motten Ihren Schat=
    ten schon aufgefressen, der würde
    noch ein starkers Band zwischen uns
    seyn. Genug, SSie haben mich an meinem Goold,
    bef[e]hlen Sie auch in der Entfer=
    nung über Ihren Knecht, Sie wis=
    sen, daß ich mich meinen Freunden
    dienstfertig genug erweisen kann,
    und daß die Reichen besonders gut
    mit mir stehn, Sie haben es selbst
    gesehen, – nur Ihren Schatten, mein
    Herr, – das lassen Sie sich gesagt
    seyn, – nie wieder, als unter ei=
    ner einzigen Bedingung." Gestalten
    der alten Zeit traten wieder vor
    meine Seele. Ich frug ihn schnell:

    Hat=

    Hatten Sie eine Unterschrift von
    Herr John? – Er lächelte. – "Mit
    einem so guten Freund, hab' ich es
    keinesweges nöthig gehabt." – Wo
    ist er? bei Gott, ich will es wissen!
    Er steckte zögernd die Hand in die
    Tasche, und daraus bei den Haaren
    hervorgezogen erschien Thomas John's
    bleiche entstellte Gestalt, und die blau=
    en Leichenlippen bewegten sich zu schwe=
    ren Worten: TJusto j[...]ud[...]icio Dei judi-
    catus sum, JOusto judici[...]o Dei con-
    demnatus sum
    . Ich entsetzte mich,
    und schnell den klingenden Säckel in
    den Abgrund werfend, spprach ich
    zu ihm die letzten Worte: So be=
    schwöre' ich dich im Namen Gottes,
    Entsetzlicher, hebe dich von dannen und
    lasse dich nie wieder vor meinen Au=
    gen blicken! Er erhub sich finster und
    verschwand sogleich hinter den Felsen=
    Massen, die den wild bewachsenen Ort
    begrenzten.

    IX.

    143

    IX.

    Ich saß da ohne Schatten und ohne Geld,
    aber ein schweres Gewicht war von
    meiner Brust genommen, ich war
    heiter. Hätte ich nicht auch meine
    Liebe verloren, oder hätt' ich mich nur
    bei deren Verlust vorwurfsfrei
    gefühlt, ich glaube, ich hätte glücklich
    seyn können – ich wußte aber nicht,
    was ich anfangen sollte. Ich durchsuch=
    te meine Taschen, und fand noch ei=
    nige Goldstücke darin, ich zählte sie,
    und lachte. – Ich hatte meine Pferde
    unten im Wirthshause, ich schämte mich
    dahin zurückzukehren, ich mußte
    wenigstens den Untergang der Son̄e
    erwarten, die stand noch hoch am Him=
    mel: Ich legte mich im Schatten der
    nächsten Bäume und schlief ruhig ein.
    Anmuthige Bilder verwoben sich

    mir

    mir im luftigen Tanze zu einem
    gefälligen Traum. Minna, ei=
    nen Blumenkranz in den Haaren,
    schwebte an mir vorüber, und läch=
    elte mich freundlich an. Auch der
    ehrliche Bendel war mit Blumen be=
    kränzt und eilte mit freudigem
    Gruße vorüber. Viele sah' ich noch,
    und wie mich dünkt, auch Dich, Cha=
    misso, im fernen Gewühl, ein hel=
    les Licht schien, es hatte aber Keiner
    einen Schatten, und was seltsa=
    mer ist, es sah nicht übel aus, – Blu=
    men und Lieder, Liebe und Freude,
    unter Palmenhainen, ... Ich konnte
    die beweglichen, leicht verwebhten,
    lieblichen Gestalten weder festhal=
    ten noch deuten, aber ich weiß, daß
    ich gerne solchen Traum träumte,
    und mich vor dem Erwachen in Acht

    nahm,

    19.
    145
    nahm, ich wachte wirklich schon, und hielt
    noch die Augen zu, um die weichenden
    Erscheinungen langer vor meiner See=
    le zu behalten. Ich öffnete endlich
    die Augen, die Sonne stand noch am Him=
    mel, aber im Osten: ich hatte die
    Nacht verschlafen. Ich nahm es für
    ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirths=
    hause zurückkehren sollte. Ich gab
    leicht, was ich dort noch besaß, verlo=
    ren, und beschloß, eine Nebenstra=
    ße, die durch den waldbewachsenen
    Fuß56 des Gebirges führte, zu Fuße
    einzuschlagen, dem Schicksale es an=
    heim stellend, was es mit mir vor
    hatte, zu erfüllen. Ich schaute nicht
    hinter mir zurück, und dachte auch nicht
    daran, an Bendel, den ich reich zu=
    rücke gelassen hatte, mich zu wen=
    den, welches ich allerdings gekonnt
    hätte. Ich sah mich auf den neuen

    Ka=

    Kommentare

    56 Es ist nicht eindeutig, ob das Wort „Fuß“ gestichen oder unterstrichen wird. Womöglich soll auf eine Wortwiederholung aufmerksam gemacht werden.

    Karakter an, den ich in der Welt
    bekleiden sollte: Mein Anzug
    war sehr bescheiden. Ich hatte eine
    alte schwarze Kurtka an, die ich schon
    in Berlin getragen, und die mir, ich
    weiß nicht wie, zu dieser Reise erst
    wieder in die Hand gekommen war.
    Ich hatte sonst eine Reisemütze auf
    dem Kopf und ein Paar alte Stie=
    feln an den Füßen. Ich erhub mich,
    schnitt mir an selbiger Stelle einen
    Knotenstock zum Andenken, und trat
    sogleich meine Wanderung an. Ich
    begegnete im Wald einen alten Bau=
    er, der mich freundlich begrüßte, und
    mit dem ich mich imn Gespräch einließ.
    Ich erkundigte mich, wie ein wißbe=
    gieriger Reisende, erst nach dem We=
    ge, dann nach der Gegend und deren
    Bewohner, den Erzeugnissen des Ge=
    birges und derlei mehr: Er antwor=

    te=

    147
    te verständig und redselig auf mei=
    ne Fragen. Wir kamen an das Bette
    eines Bergstromes, der über einen
    weiten Strich des Waldes seine Ver=
    wüstung verbreitet hatte. Mich
    schauderte innerlich vor dem son̄en=
    hellen Raum, ich ließ den Landmann
    voran gehn. Er hielt aber mitten im
    gefährlichen Orte still und wandte sich
    zu mir, um mir die Jahrzahl und die
    Geschichte dieser Verwüstung zu erzäh=
    len. Er bemerkte bald, was mir
    fehlte, und hielt mitten in seiner Rede
    ein: "Aber, wie geht denn das
    zu, der Herr hat ja keinen Schatten." –
    Leider! leider! erwiederte ich seuf=
    zend. Es sind mir während einer
    bösen langen Krankheit, Haare,
    Nägel und Schatten ausgegangen.

    Seht,

    Seht, Vater, in meinem Alter, die
    Haare, die ich wieder gekriegt habe,
    ganz weiß, die Näägel sehr kurz,
    und der Schatten, der will noch nicht
    wieder wachsen. – "Ei! ei! versetz=
    te der alte Mann kopfschüttelnd,
    keinen Schatten, das ist bös! das war
    eine böse Krankheit, die der Herr ge=
    habt hat." Aber, er hub seine Erzähl=
    ung nicht wieder an, und bei dem
    nächsten AusQueerweg, der sich darbot,
    ging er ohne ein Wort zu sagen, von
    mir ab. – Bittere Thränen zitter=
    ten auf's Neue in meinen Wimpern
    und meine Heiterkeit war hin. Ich
    setzte traurigen Herzens meinen
    Weg fort, und suchte ferner kei=
    nes Menschen Gesellschaft. Ich hielt
    mich im dunkelsten Wald, und muß=
    te manchmal um über einen Strich,

    wo

    149
    wo die Sonne schien, zu kommen, Stun=
    den lang darauf warten, daß mir
    keines Menschen Aug den Durchgang
    verbot. Am Abende suchte ich Herberge
    in den Dörfern zu nehmen. Ich ging
    eigentlich nach einem Bergwerk im
    Gebirg, wo ich Arbeit unter der Erde
    zu finden gedachte; denn davon abgesehen
    daß meine jetzige Lage mir gebot,
    für meinen Lebensunterhalt selbst zu
    sorgen, hatte ich dieses wohl erkannt,
    daß mich allein angestrengte Arbeit
    gegen meine zerstörenden Gedanken
    schützen könnte. Ein paar regnich=
    te Tage förderten mich leicht auf
    den Weg, aber auf Kosten meiner
    Stiefeln, deren Soolen für den Gra=
    fen Peter und nicht für den Fuß=
    knecht berechnet worden waren.
    Ich trat schon auf den bloßen Füßen.
    Ich mußte ein Paar neue Stiefeln an=

    schaf=

    schaffen. Am nächsten Morgen besorgte
    ich dieses Geschäft mit vielem Ernst
    in einem Flecken, wo Kirmis war, und
    wo in einer Bude neue und alte Stiefel[n]n
    zu Kauf standen. Ich wählte und han=
    delte lange. Ich mußte auf ein Paar
    neuen, die ich gerne gehabt hätte, Ver=
    zicht leisten, mich schreckte die unbillige
    Forderung. Ich begnügte mich also mit
    alten, die noch gut und stark waren,
    und die mir der schöne blondlockige
    Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich
    baare Bezahlung, freundlich lächelnd
    einhändigte, indem er mir Glück auf
    den Weg wünschte. Ich zog sie gleich
    an, und ging zum noördlich gelegenen
    Thor aus dem Ort. Ich war in mei=
    nen Gedanken sehr vertieft, und sah
    kaum wo ich den Fuß hinsetzte, denn
    ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf

    den

    151
    den Abend noch zu anzulangen hoffte, und
    wo ich nicht recht wußte, wie ich mich an=
    kündigen sollte. Ich war noch keine
    zweihundert Schritt gegangen, als ich
    bemerkte, daß ich aus dem Wege ge=
    kommen war, ich sah mich danach um,
    ich befand mich in einem wüsten ur=
    alten Tannenwalde, woran die Axt
    nie gelegt worden zu seyn schien.
    Ich drang noch einige Schritte vor,
    ich sah mich mitten unter öden Fel=
    sen, die nur mit Moos und Stein=
    brucharten bewachsen waren, und
    zwischen welchen Schnee= und Eisfel=
    der lagen. Die Luft war sehr kalt,
    ich sah mich um, der Wald war hin=
    ter mir verschwunden. Ich machte
    noch einige Schritte – um mich herrsch=
    te die Stille des Todes, unabsehbar
    dehnte sich das Eis, worauf ich stand,
    und worauf ein dichter Nebel

    schwer

    schwer ruhte, die Sonne stand blutig am
    Rande des Horizontes, die Kälte war
    unerträglich. Ich wußte nicht, wie
    mir geschehen war, der erstarrende
    Frost zwang mich meine Schritte zu
    beschleunigen, ich vernahm nur das
    Gebrause ferner Gewässer, ein Schritt,
    und ich war am Eisufer eines Oze=
    ans. Unzählbare H[o]e[r]erden von
    Seehunden stürzten sich vor mir rau=
    schend in die Fluth. Ich folgte die=
    sem Ufer, ich sah wieder nackte
    Felsen, Land, Birken=Tannenwälder,
    ich lief noch ein paar Minuten ge=
    rade vor mir hin. Es ward er=
    stickend heiß, ich sadh mich um, ich stand
    zwischen schön gebauten Reißfeldern
    unter Maulbeerbäumen, ich setzte
    mich in deren Schatten, ich sah nach
    meiner Uhr, ich hatte vor nicht ei=
    ner Viertelstunde den Marktflecken

    ver=

    20.
    153
    verlassen, – ich glaubte zu träu=
    men, ich biß mich in die Zunge um
    mich zu erwecken, aber ich wachte
    wirklich. – Ich schloß die Augen
    zu, um meine Gedanken zusam̄en
    zu fassen. – Ich hörte vor mir selt=
    same Sylben durch die Nase zählen,
    ich blickte auf: zZwei Chinesen, an
    der Asiatischen Gesichtsbildung un=
    verkennbar, wenn ich auch ihrer
    Kleidung keinen Glauben beimessen
    wollte, redeten mich mit landesüb=
    lichen Begrüßungen in ihrer Spra=
    che an, ich stand auf und trat zwei
    Schritte zurück. Ich sah sie nicht
    mehr, die Landschaft war ganz
    verändert: Bäume, Waälder, statt
    der Reißfelder. Ich betrachtete
    diese Bäume und die Kräuter die
    um mich blühten, die ich kannte,

    waren

    waren südostlich Aiatische Gewäch=
    se, ich wollte auf den einen Baum
    zugehen, ein Schritt – und wie=
    derum Alles verändert. Ich trat
    nun an, wie ein Rekrut, der geübt
    wird, und schritt langsam gesetzt
    einher,. wWunderbar veränderliche
    Länder, Fluren, Auen, Gebirge,
    Steppen, Sandwüsten entrollten
    sich vor meinem staunenden Blick,
    es war kein Zweifel, ich hatte Sie=
    benmeilenstiefeln an den Füßen.

    X.

    Ich fiel in stummer Andacht auf
    meine Knie und vergoß Thränen
    des Dankes – denn klar stand
    plötzlich meine Zukunft vor mei=
    ner Seele. Durch frühe Schuld
    von der menschlichen Gesellschaft aus=
    geschlossen ward ich zum Ersatz an
    die Natur, die ich stets geliebt, gewie=

    sen,

    155
    sen, die Erde mir zu einem reichen
    Garten gegeben, das Studium zur
    Richtung und Kraft meines Lebens,,
    zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es
    war nicht ein Entschluß, den ich
    faßte. Ich habe nur seitdem, was
    da hell und vollendet im Urbild
    vor mein inneres Auge trat, ge=
    treu, mit stillem, strengenm, unaus=
    gesetzten Fleiß darzustellen ge=
    sucht, und meine Selbstzufrieden=
    heit hat von dem Zusammenfallen
    des Dargestellten mit dem Urbild
    abgehangen. – 57 Ich raffte mich auf um
    ohne Zeuögenrn mit flüchtigem Ueberblick
    Besitz von dem Felde zu nehmen,
    wo ich künftig eärnten wollte – ich
    stand auf den Höhen des Tibet, und die
    Sonne, die mir vor wenigen Stun=
    den aufgegangen war, neigte

    sich

    Kommentare

    57 An dieser Stelle beginnt in der Urschrift eine mehrseitige Streichung. Die Abschrift folgt in diesem Teil nicht mehr der Urschrift sondern entspricht dem Erstdruck. Den Korrekturen lässt sich entnehmen, dass eine handschriftliche Vorlage für diesen Abschnitt vorgelegen haben muss und der Schreiber sich nicht auf den Erstdruck stützt. Der Befund spricht für die Existenz einer Druckvorlage, die laut Dennerlein als verloren gilt. Vgl. die Faksimile-Ausgabe der Schlemiel-Handschrift (Urschrift), 2013: 98.

    sich hier schon am Abendhimmel, ich
    durchwanderte Asien von Osten
    gegen Westen, sie in ihrem Lauf
    einholend, und trat in Afrika
    ein. Ich sah mich neugierig dar=
    innen um, indem ich es wieder=
    holt in allen Richtungen durchmaß,
    wie ich durch EAegypten die alten
    Pyramiden und Tempel angaffte,
    erblickte ich in der Wüsten unfern
    desr hundertthorigen Theb[...]ben, die
    Hölen, wo christliche Einsiedler sonst
    wohnten. Es stand splötzlich fest
    und klar in mir, hier ist dein
    Haus. – Ich erkohr eine der ver=
    borgensten, die zugleich geraäumig
    bequem und den Schakalen unzugäng=
    lich war, zu meinem künftigen
    Auufenthalte, und setzte meinen
    Stab weiter. Ich trat bei den
    [am Rande: Herkules=]Seulen nach Europa über, und

    nach=

    157
    nachdem ich seine südlichen und nörd=
    lichen Provinzen in Augenschein ge=
    nommen, trat ich von Nordostenasien
    über den Polargl[ä]ätscher nach Grön=
    land und Amerika über, durch=
    schweifte die beiden Theile dieses
    Kontinents, und der Winter, der
    schon inm Süden herrschte, trieb
    mich schnell vom Cap Horn nord=
    wärts zurück. 58Ich entdeckte ge=
    gen den südlichen Wendekreis
    in einer Menschen unbewohnten
    Gegend des Gebirges eine beque=
    me Felsenhöle in einem anmu=
    thigen Thale, und beschloß, sie mir
    zu einem Absteige              zu
    umwandeln, wo ich auch im Fall
    der Noth einen südlichen Winter

    zu=

    Kommentare

    58 Die folgende gestrichene Satz findet sich ähnlich in der Urschrift. Die Urschrift ist aber in diesem Fall nicht die Vorlage für die Abschrift. Im Erstdruck findet sich diese Stelle nicht.

    zubringen könnte, um mir den
                 über ganz durch den nörd=
    lichen Winter über die Behrings=
    Straße zu ersparen, wenn ich
    hier die Natur studiren wollte.
    59Ich genoß dort den Rest eines Strau=
    ßen              den ich von drüben aus
                 mir genommen hatte,
    und da ich erwarten mußte,
    [am Rande: Ich erwartete dort] daß 60es im östlichen Asien Tag
    war, sei[am Rande: werde], und setzte ich erst nach einiger Ruh
    meine Wanderung fort. Ich
    verfolgte durch beide Amerika
    die Bergkette, die die höchsten
    [am Rande: bekan̄ten] Unebenheiten unserer Kugel in sich
    faßt. Ich schritt langsam und
    vorsichtig von Gipfel zu Gipfel,
    bald über flammende Vulkane,
    bald über beschneite Kuppeln, oft
    mit Mühe athmend, ich [...]erraeichtete erreichte

    den

    Kommentare

    59 Der folgende gestrichene Satz findet sich weder in der Urschrift noch im Erstdruck. In der Urschrift findet sich lediglich eine - ebenfalls gestrichene - inhaltliche Entsprechung.

    60 Ab hier entsprechen sich Abschrift und Erstdruck wieder.

    159
    den Eliasberg und spprang über die
    Behring'sstraße nach Asien. –
    Ich verfolgte dessen westliche Kü=
    sten in ihren vielfachen Wendungen,
    und untersuchte mit besonderer Auf=
    merksamkeit, welche der doort geleg=
    enen Inseln mir zugänglich wä=
    ren. Von der Halbinsel Molucka Malakka
    trugen mich meine Stiefel 61auf
    S[mu]umatra, Java, Bali und Lambok,c,
    ich versuchte, selbst oft mit Gefahr,
    und dennoch immer vergebens, mir
    über die kleinern Inseln und Felsen,
    wovon dieses Meer starrt, einen
    Uebergang nordwestlich nach Borneoo
    und anderen Inseln dieses Archipe=
    lagus zu bahnen. Ich mußte die
    Hoffnung aufgeben. Ich setzte mich
    endlich auf die äußerste Spitze von
    Lambokc nieder; und das Gesicht gen

    Sü=

    Kommentare

    61 Ab diesem Punkt enstprechen sich Urschrift und Abschrift wieder. Es wird allerdings nicht deutlich, ob die Urschrift im Folgenden als Vorlage der Abschrift dient.

    dSüden und Osten gewendet, weintt' ich,
    wie am festverschlossenen Gitter
    meines Kerkers, daß ich doch so bald
    meine Begrenzung gefunden. Das
    Merkwürdige zum Verständniß der
    Erden, und ihres sonnengewirktesn
    Kleides der Pflanzen= und Thier=
    welt so wesentlich nothwendige Neu=
    holland, und die Südsee mit ihren
    Zooophyten=Inseln, waren mir
    untersagt, und so war, im Ur=
    sprunge schon, Alles, was ich sam̄eln
    und erbauen soollte, bloßes Frag=
    ment zu bleiben verdammt – O
    mein Adalbert, was ist es doch um
    die Bemühungen der Menschen!
    Oft habe ich im strengsten Winter der
    südlichen Halbkugel vom Cap-Horn
    aus jene zweihundert Schritte, die
    mich etwa vom Land voan Diemen
    und Neuholland trennten, selbst

    un=

    21.
    161
    unbekümmert um die Rückkehr, und
    sollte sich dieses enge schlechte Land
    über mich wie der Deckel meines Sar=
    ges schließen, über den Polarglät=
    scher westwärts zurücke zu legen
    versucht, habe über Treibeis mit
    thörichter Wagniß verzweiflungs=
    volle Schritte gethan, der Kälte und
    dem Meere Trotz geboten. Um=
    sonst, noch bin ich auf Neuholland
    nicht gewesen – ich koamm' dan̄
    jedesmal auf Lambon zurück
    und setzte mich auf seine äußer=
    ste Spitze nieder, und weinte
    wieder, das Gesicht gen Süden und
    Osten gewendet wie am festver=
    schlossenen Gitter meines Ker=
    kers. 62Ich riß mich endlich von die=
    ser Stelle und traf mit trau=
    rigem Herzen wieder in das in=
    nere Asien, ich durchschweifte

    es

    Kommentare

    62 Ab hier entsprechen sich Erstdruck und Abschrift, nicht aber die Urschrift.

    es fürder, die Morgendämmerung
    [am Rande: nach Westen] verfolgend, 63und kam noch in
    der Nacht in dieie Thebais zu mei=
    nem vorbestimmten Hause, dasß
    ich in den gestrigen Nachmittags=
    stunden berührt hatte.

    Sobald ich etwas ausgeruht,
    und es Tag über Europa war,
    ließ ich meine erste Sorge seyn,
    Alles anzuschaffen was ich be=
    durfte. – Zuförderst Hem̄=
    schuehe, denn ich hatte erfahren,
    wie unbequem es sei, seinen
    Schritt nicht anders verkürzen
    zu können um nahe Gegenstän=
    de gemächlich zu untersuchen, als
    indem man die Stiefeln aus=
    zieht. Ein Paar Pantoffeln
    übergezogen hatten völlig die Wirk=
    ung, die ich mir davon versprach,
    und späterhin trug ich sogar

    deren

    Kommentare

    63 Hier setzt die Übereinstimmung mit der Urschrift wieder ein.

    163
    deren immer zwei Paar bei
    mir, weil ich öfters welche von
    den Füßen warf, ohne Zeit zu ha=
    ben sie aufzuheben, wann Löwen,
    Menschen oder Hyänen, mich beim
    Botanisiren aufschreckten. Mei=
    ne sehr gute Uhr, war auf die
    kurze Dauer meiner Gänge ein
    vortreffliches Kronometer. Ich
    brauchte noch 64hauptsächlichaußerdem einen
    Sextant, eine Magnetnadel,
    einen Barometer als Höhenmes=
    ser, einen Thermometer, ein
    elektrisches Apparat, ein Ver=
    größerungsglas, anatomische
    Messer, eine botanische Kapsel,
    Papier, einige
    einige physikalische Instrumente und Bücher. und Schreib=
    materialien.
    Ich machte nach dieses
    diesen und wenigen andern Bedürf=
    nißen
    alles herbeizuschaffen, etliche bange Gänge nach
    London und Paris, die ein mir günst=

    iger

    Kommentare

    64 In der folgenden Textgestalt entspricht die Abschrift wieder der Urschrift, die ihr als Vorlage dient. Allerdings werden die Korrekturen nicht vom Abschreiber übernommen. Erst der Korrektor der Abschrift übernimmt die Korrekturen aus der Urschrift.

    iger Nebel eben beschattete. Als
    der Rest meines Zaubergoldes
    erschöpft war, bracht' ich leicht
    zu findendes Afrikanisches El=
    fenbein als Bezahlung herbei,
    wobei ich freilich die kleinsten
    Zähne, die meine Kräfte nicht
    überstiegen, auswählen mußte.
    Ich ward bald mit Allem ver=
    sehen und ausgerüstet, und ich
    fing sogleich als privatisiren=
    der Gelehrter meine neue Le=
    bensweise an. Ich streifte
    auf der Erde umher, bald ihre
    Höhen, bald die Temperatur
    ihrer Quellen und die der Luft
    messend, bald Thiere beobachtend,
    bald Gewächse untersuchend;
    ich eilte von dem Aequator
    nach dem Pole, von der einen
    Welt nach der andern, Erfahr=

    un=

    165
    ungen mit Erfahrungen vergleichend. Die Eier der
    Afrikanischen Strauße oder der
    nördlichen Seevogel, und Früchte,
    besonders der Tropen,= Palmen
    und Bananengewächse, waren
    meine gewöhnlichste Nahrung.
    Für mangelndes Glück hat' ich als
    Surrogat die Nicotiana, und
    für menschliche Theilnahme und Bande,
    die Liebe eines treuen Pudels,
    der mir meine Höle in der The=
    bais bewachte, und wann ich
    mit neuen Schätzen beladen zu ihm
    zurücke kehrte, freudig an mich
    sprang und es mich doch mensch=
    lich empfinden ließ, daß ich nicht
    allein auf der Erde sei. Noch
    sollte mich ein Abentheuer unter
    die Menschen zurücke führen. –

    XI.

    XI.

    aAls ich einst auf Nordlands Kü=
    sten, meine Stiefeln getrennthemmt,
    Flechten und Algen sammelte, trat
    mir unversehens um die Ecke ei=
    nes Felsens ein Eisbeär entgegen , .
    Ich wollte nach weggeworfenen
    Pantoffeln auf eine gegenüber
    liegende Insel treten, zu der
    mir ein dazwischen aus den
    Wellen hervorragender, nackter
    Felsen, den Uebergang bahnte. Ich
    trat mit dem einen Fuß auf
    den Felsen fest auf, und stürz=
    te auf der anderen Seite in
    das Meer, weil mir unbemerkt
    der Pantoffel am anderen Fuß
    haften geblieben war. Die große
    Kälte ergrif mich, ich rettete mit Mühe
    mein Leben aus dieser Gefahr;
    so bald ich Land hielt, lief ich so schnell

    ich

    167
    ich konnte nach der Lybischen Wüste
    um mich da an der Sonne zu trocknen.
    Wie ich ihr aber ausgesetzt war, bran̄=
    te sie mir so heiß auf den Kopf,
    daß ich sehr krank wieder nach
    Norden taumelte. Ich suchte durch
    heftige Bewegung mir Erleichterung
    zu verschaffen, und lief mit un=
    sichern raschen Schritten von Westen
    nach Osten und von Osten nach
    Westen. Ich befand mich bald in
    dem Tag und bald in der Nacht,
    bald im Sommer und bald in
    Winterkälte[...]. Ich weiß nicht, wie
    lange ich mich so auf der Erde
    herum taumelte. Ein brennen=
    des Fieber glühte durch meine
    Adern, ich fühlte mit großer Angst
    die Besinnung mich verlassen.
    Noch wollte das Unglück, das ich
    bei so unvorsichtigem Laufen

    Je=

    Jemanden auf den Fuß trat. Ich
    mochte ihm weh gethan haben, ich er=
    hielt einen Stock starken s Stoß, und ich fiel
    hin. –

    Als ich zuerst zum Bewußtsein
    zurückkehrte, lag ich gemächlich in
    einem guten Bette, das unter vie=
    len andern Betten in einem ge=
    räumigen und schönen Saale stand.
    Es saß mir Jemand zu Häupten,
    es gingen Menschen durch den
    Saal von einem Bett zum an=
    dern. Sie kamen vor das mei=
    ne und unterhielten sich von mir.
    Sie nannten mich immer Nume=
    ro zwölf, und an der Wand zu
    meinen Füßen stand doch ganz
    gewiß, es war keine Täuschung,
    ich konnte es deutlich lesen, auf
    schwarzer Marmortafel mit

    gro=

    22.
    169
    großen goldenen Buchstaben mein
    Name Peter Schlemiel ganz rich=
    tig geschrieben. Auf der Tafel
    standen noch unter meinem Namen
    zwei Reihen Buchstaben, ich war aber
    zu schwach um sie zusammenzubrin=
    gen, ich machte die Augen wieder
    zu. – Ich hörte Etwas, worin von
    Peter Schlemiel die Rede war, laut
    und vernehmlich ablesen, ich konnte
    aber den Sinn nicht fassen; ich
    sah einen freundlichen Mann und
    eine sehr schöne Frau in schwar=
    zen Kleidern vor meinem Bette
    erscheinen. Die Gestalten waren mir
    nicht fremd, und ich konnte sie nicht
    erkennen. Es verging einige Zeit,
    und ich kam wieder zu Kräften.
    Ich hieß Numero zwölf, und Numero
    zwölf galt, seines langen Bartes

    wegen

    wegen für einen Juden, darum er
    aber nicht minder sorgfältig ge=
    pflegt wurde. Daß er keinen
    Schatten hatte, schien unbemerkt
    geblieben zu seyn. Meine Stiefeln
    befanden sich, wie man mirch ver=
    sicherte, nebst Allem, was man
    bei mir gefunden, als ich hieher
    gebracht worden, in gutem und
    sicherm Gewahrsam, um mir nach
    meiner Genesung wieder zugestellt
    zu werden. Der Ort, worin ich
    krank lag, hieß das Schlemielium;
    was täglich von Peter Schlemiel
    abgelesen wurde, war eine Er=
    mahnung für denselben als den
    Urheber und Wohlthäter dieser
    Stiftung zu beten. Der freund=
    liche Mann, den ich an meinem

    Bet=

    171
    Bette gesehen hatte, war Bendel, die
    schöne Frau war Minna. Ich ge=
    nas unerkannt im Schlemiliuom,
    und erfuhr noch mehr, ich war
    in Bendels Vaterstadt, wo er
    aus dem Ueberrest meines sonst
    nicht gesegneten Gooldes, dieses
    Hospitium, wo Unglückliche mich
    segneten, unter meinem Namen
    gestiftet hatte, und er führte
    über dasselbe die Aufsicht. Mina
    war Wittwe, ein unglücklicher
    Kriminal=Prozeß hatte dem
    Herrn Roaskal das Leben und ihr
    selbst das ihr mehrstes Vermögen
    gekostet. Ihre Eltern waren
    nicht mehr. Sie lebte hier als
    eine gottesfürchtige Wittwe

    und

    und übte Werke der Barmherz=
    igkeit. – Sie unterhielt sich einst
    am Bette No: 12. mit dem Herrn
    Bendel: "Warum, edle Frau,
    wollen Sie sich so oft der bösen
    Luft, die hier herrscht, ausset=
    zen? Sollte denn das Schick=
    sal mit Ihnen so hart seyn, daß
    Sie zu sterben begehrten?" –
    "Nein, Herr Bendel, seit ich
    meinen bangen Traum aus=
    geträumet habe, und in mir sel=
    ber erwacht bin, geht es mir
    wohl – seitdem wünsche ich
    nicht mehr und fürchte nicht mehr
    den Tod. Seitdem denke ich hei=
    ter an Vergangenheit und
    Zukunft. Ist es auch nicht mit

    stil=

    173
    stillem innerlichen Glück, daß Sie jetzt auf
    die gottselige Weise ihrem Herrn und Freun=
    de dienen." – "Sei Gott gedankt, ja,
    edle Frau. Es ist uns doch wundersam
    ergangen, wir haben viel Wohl und [am Rande: bittres]
    Weh unbedachtsam aus dem vollen
    Becher geschlürft, – nun ist er leer;
    nun möchte einer meinen, das sei Alles
    nur die Probe gewesen, und mit
    kluger Einsicht gerüstet, den wirkli=
    chen Anfang erwarten. Ein anderer
    ist nun der wirkliche Anfang, und
    man wünscht das erste Gaukel=
    spiel nicht zurücke, und ist dennoch im
    Ganzen froh, es wie es war, gelebt
    zu haben. Auch find ich in mir das
    Zutrauen, daß es nun unserm alten
    Freunde besser ergehen muß als da=
    mals." – "Auch in mir, erwiederte
    die schöne Wittwe, und sie gingen

    an

    an michr vorüber." Dieses Gespräch
    hatte einen tiefen Eindruck in mir
    zurücke gelassen, aber ich zweifelte
    im Geiste, ob ich mich zu erkennen
    geben oder unerkannt vondan̄en
    gehen sollte. – Ich entschied mich.
    Ich ließ mir Papier und Bleistift
    geben, und schrieb die Worte[r]:
      

    Auch Eurem alten Freunde ergeht
       es nun besser als damals, und bü=
      ßet er, so ist es Buße der Versöh=
      nung.

    Hierauf begehrte ich mich anzuzie=
    hen, da ich mich stärker befände;
    Man holte den Schlüssel zu dem klei=
    nen Schranke, der über neben meinem Bet=
    te stand, herbei. Ich fand Alles, was
    mir gehörte, darin. Ich legte meine
    Kleider an, hing meine botanische Kap=
    sel, worin ich mit Freuden meine
    Nordischen Flechsen wiederfand,

    über

    175
    über meine schwarze Kurtka um,
    zog meine Stiefeln an, legte
    den geschriebenen Zettel auf mein
    Bett, und so wie die Thür' aufging,
    war ich schon weit auf dem Wege nach
    der Thebaïs. Wie ich längst der
    Syrischen Wüste den Weg, auf den
    ich mich zum letztenmal vom Hau=
    se entfernt hatte, zurücklegte,
    sah ich mir meinen armen FFigaro
    entgegen kommen, dieser vortreff=
    liche Pudel, schien seiinem Herrn,
    den er lange zu Hause erwar=
    tet haben mochte, auf die Spur nach=
    gehen zu wollen. Ich stand still,
    und rief ihm zu. Er sprang bel=
    lend an mich mit tausend rührenden
    Aeußerungen seiner unschuldigen
    ausgelassenen Freude. Ich nahm ihn
    unter dem Arm, denn freilig konnte
    er mir nicht folgen, und brachte

    ihn

    ihn mit mir wieder nach Hause.
    Ich fand dort Alles in der alten
    Ordnung, und kehrte nach und nach,
    so wie ich wieder Kräfte bekam,
    zu meinen vormaligen Beschäftigungen
    und zu meiner alten Lebensweise
    zurück. Nur daß ich mich ein gan=
    zes Jahr hindurch von der mir ganz
    unzusträglichen Polar Kälte ent=
    hielt. — Und so mein lieber Cha=
    misso, leb' ich noch heute, meine
    Stiefeln nutzen sich nicht ab, wie das
    sehr gelehrte Werk des berühmten
    Ti[e]ckius65, de rebus gestis Polli-
    ceilli
    66 es mich anfangs befürchten
    lassen: Ihre Kraft bleibt unge=
    brochen, nur meine Kraft geht
    dahin, doch hab' ich den [F]Trost, sie
    an einemn Zweck in fortgesetzter
    Richtung und nicht fruchtlos verwen=
    det zu haben. Ich habe, so weit
    meine Stiefeln gereicht, die Erde,
    ihre Gestaltung, ihre Höhen, ihre Tem=

    pe=

    23.
    177
    peratur, ihre Atmosphäre in ihrem
    Wechsel, die Erscheinungen ihrer mag=
    netischen Kraft, das Leben auf
    ihr, besonders im Pflanzenreiche,
    gründlicher kennen gelernt als vor
    mir irgend ein Mensch. Ich habe
    die Thatsachen mit möglichster Ge=
    nauigkeit in klarer Ordnung
    aufgestellt, und in mehrere Wer=
    ken meine Folgerungen und Ansich=
    ten flüchtig in einige Abhandlungen
    niedergelegt. Ich lege meinen
    Erfahrungen über den Magne=
    tismus der Erde einen besonderen
    Werth bei. – Ich habe die Geogra=
    phie vom Innern vo[...] Afrika, ud
    von den nördlichen Polarländern,
    vom Innern von Asien und
    von seinen östlichen Küste[...],
    festge=
    setzt. Meine Historia stirpium
    plantarum ubiusque [...]rbis
    ,

    [...]teht

    steht da als ein großes Fragment
    der Flora universalis terrae,
    und als ein Glied meines Sy-
    stema naturae
    . Ich glaube dar=
    in nicht bloß die Zahl der be=
    kannten Species müßig um
    mehr als ein Dritteheil vermehrt
    zu haben, sondern auch Etwas
    für das natürliche System und
    für die Geographie der Pflanzen
    gethan zu haben. Ich arbeite
    jetzt eifrig an meiner Fauna,
    ich werde sSorge tragen, daß
    vor meinem Tode meine Manu=
    skripte bei der Berliner Univer=
    sität n[...]edergelegt werden.

    Und Di[...], mein lieber Chamisso,
    hab' ich zum Bewahrer meiner wun=
    dersa[...]en Geschichte erkoren, auf
    daß sie vielleicht, wenn ich von der

    Erde

    179
    Erde verschwunden bin, Manchem sei=
    ner Bewohner zur nützlichen Leh=
    re gereichen könne. Du aber, mein
    Freund, willst Du unter den Menschen
    leben, lerne verehren zuvörderst
    den Schatten, sodann das Gold. Willst
    Du nur Dir und Deinem bessern
    Selbst leben, o so brauchst Du kei=
    nen Rath.

    Explicit.

    (Hier findet sich der braune Stempel des Märkischen Museums.)

    Peter Schlemiels Wundersame Geschichte mitgetheilt von Adelbert von Chamisso
    a

    a Dem Herrn Regierungs=Assessor und Buchhändler J. E. Hitzig. Wohlgeboren. in Berlin.

    Du vergiß'st Niemanden, du wirst dich noch eines gewissen Peter Schlemiel erinnern, den du in früheren Jahren ein paar Mal bei mir gesehen hast, ein langbeiniger Bursch', den man ungeschickt glaubte, weil er linkisch war, und der wegen seiner Trägheit für faul galt. Ich hatte ihn lieb,– du kannst nicht vergessen haben, Eduard1, wie er uns einmal in unserer grünen Zeit2 durch die Sonnette lief, ich brachte ihn mit auf einen der poetischen Thee's wo er mir noch während des Schreibens einschlief, ohne das Lesen abzuwarten. Nun erinnere ich mich auch eines Witzes, den du auf ihn machtest.

    Kommentare

    1 Julius Eduard Hitzig

    2 1803-1805. Entstehungszeit der sogenannten grünen Musenalmanache.

    Du hattest ihn nämlich schon, Gott weiß wo und wann, in einer alten schwarzen Kurtka3 gesehen, die er freilich damals noch immer trug, und sagtest: "der ganze Kerl wäre glücklich zu schätzen, wenn seine Seele nur halb so unsterblich wäre als seine Kurtka". – So wenig galt er bei Euch. – Ich hatte ihn lieb. – Von diesem Schlemiel nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht verloren hatte, rührt das Heft her, das ich dir mittheilen will – Dir nur, Ede4, meinem nächsten, innigsten Freund, meinem bess'rem Ich, vor dem ich kein Geheimniß verwahren kann, theil ich es mit, nur dir und, es versteh't sich von selbst, unserm Fouqué5, gleich dir in meiner Seele eingewurzelt – aber in ihm theil' ich

    Kommentare

    3 langer, mit Pelz und Schnüren besetzter polnischer Rock

    4 Julius Eduard Hitzig

    5 Friedrich de la Motte Fouqué

    es bloß dem Freunde mit, nicht dem Dichter. – Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir seyn würde, wenn etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann in Vertrauen auf meine Freundschaft und Redlichkeit an meiner Brust ablegt, in einem Dichterwerke an den Pranger geheftet würde, oder nur wenn überhaupt unheilig verfahren würde wie mit einem Erzeugniß schlechten Witzes, mit einer Sache, die das nicht ist, und seyn darf. Freilich, muß ich selbst gestehen, daß es um die Geschichte Schad' ist, die unter des guten Mannes Feder nur albern geworden, daß sie nicht von einer geschickteren fremden Hand in ihrer ganzen komischen Kraft dargestellt werden kann. –

    Was würde nicht Jean Paul6 daraus gemacht haben. – Uebrigens, lieber Freund, mögen hier Manche genannt seyn, die noch leben; auch das will beachtet seyn. – Noch ein Wort über die Art, wie diese Blätter an mich gelangt sind. Gestern früh bei meinem Erwachen, gab man sie mir ab, – ein wunderlicher Mann, der einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgenutztete schwarze Kurtka an hatte, eine botanische Kapsel darüber umgehangen, und bei dem feuchten regnichten Wetter Pantoffel über seine Stiefeln, hatte sich nach mir erkundigt und dieses für mich hinterlassen, er hatte aus Berlin zu kommen, vorgegeben. – – –

    Cunersdorf, den 27ten September 1813.

    P S. ich lege dir eine Skitze vom Schlemiel bei die der kunstreiche Leopold7 nach der Natur entworfen da er von seinem Fenster den seltsamen Mann auf dem Hofe sah.8

    Kommentare

    6 Johann Paul Friedrich Richter

    7 Franz Joseph Leopold

    8 Dieser Zusatz aus Chamissos Feder findet sich nicht in der Urschrift. Im Erstdruck von 1814 findet sich eine inhaltlich ähnliche Stelle, wenn auch in anderem Wortlaut und mit einer weiteren Ergänzung. Dort heißt es: „Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche Leopold, der eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen hat. Als er den Werth, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat er sie mir gerne geschenkt.“

    I.

    Nach einer glücklichen, jedoch für mich sehr beschwerlichen Seefahrt, erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote an's Land kam, belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch das wimmelnde Volk mich drängend, ging ich in das nächste, geringste Haus hinein, vor welchem ich ein Schild hängen sah. Ich begehrte ein Zimmer, der Hausknecht maaß mich mit einem Blick und führte mich unters Dach. Ich ließ mir frisches Wasser geben und genau beschreiben, wo ich den Thomas John aufzusuchen habe: – "Vor dem Norder-Thor, das erste Landhaus zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von

    roth und weißem Marmor, mit vielen Säulen." Gut – – Es war noch früh an der Zeit, ich schnürte sogleich mein Bündelchen auf, nahm meinen neugewandten schwarzen Rock heraus, zog mich reinlich an in meine beste Kleider, steckte das Empfehlungsschreiben zu mir, und setzte mich als bald auf den Weg zu dem Manne der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen förderlich seyn sollte. Nachdem ich die lange Norderstraße hinaufgestiegen, und das Thor erreicht, sah ich bald die Säulen durch das Grüne schimmern "also hier" dacht' ich. Ich wischte den Staub von meinen Füßen mit meinem Schnupftuch ab, setzte mein Halstuch in Ordnung, und zog in

    Gottes Namen die Klingel. Die Thür' sprang auf. Auf dem Flur hatt' ich ein Verhör zu bestehn, der Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre in den Park gerufen zu werden, wo Herr John – mit einer kleinen Gesellschaft sich erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit. Er empfing mich sehr gut, – wie ein Reicher einen armen Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der übrigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den dar gehaltenen Brief aus der Hand. "So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von ihm gehört. Er ist doch gesund? –

    Dort", fuhr er gegen die Gesellschaft fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen Hügel, "dort laß ich das neue Gebäude aufführen." Er brach das Siegel auf und das Gespräch nicht ab, das sich auf den Reichthum lenkte. "Wer nicht Herr ist wenigstens einer halben Million, warf er hinein, "der ist, man verzeihe mir das Wort, ein Schuft. "O wie wahr!" rief ich aus, mit vollem überströmenden Gefühl. Das mußte ihm gefallen, er lächelte mich an und sagte: "bleiben Sie nur hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke," er deutete auf den Brief, den er sodann

    einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. – Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herr'n bemühten sich um andere Schönen, es fand sich was sich paßte, und man wall'te dem rosenumblüh'ten Hügel zu. Ich schlich hinterher ohne Jemanden beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zu weilen von leichtsinnigen Dingen witchig, von – wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle dem Vieles zu verstehen, zu bekümmert

    und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Räthsel zu haben. Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny9, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und, wie von den dunkeln Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde Englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hag'rer, länglichter, ältlicher Mann, der neben mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schooßtasche seines altfränkischen grautaffentnen Rockes, brachte eine

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    9 Das große „F“ von „Fanny“ scheint entweder im Nachhinein oder von einer anderen Hand hinzugefügt zu sein. Vergleicht man mit anderen „F“s auf den Folgeseiten, wird deutlich, dass es nicht der gängigen Schreibweise des Schreibers entspricht.

    kleine Brieftasche daraus hervor, öffnete sie, und reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es ohne Aufmerksamkeit für den Geber und ohne Dank, die Wunde ward verbunden und man ging weiter den Hügel hinan, von dessen Rücken man die weite Aussicht über das grüne Labyrinth des Parkes nach dem unermeßlichen Ozean genießen wollte. Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erschien am Horizont zwischen der dunklen Fluth und der Bläue des Himmels. "Ein Fernrohr her," rief Herr John, und noch bevor das auf den Ruf erscheinende Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue

    Mann, bescheiden sich verneigend, die Hand schon in die Rocktasche gesteckt, daraus einen schönen Dolon10 hervorgezogen und es dem Herrn John eingehändigt. Dieser es sogleich an das Auge bringend, benachrichtigte die Gesellschaft: es sei das Schiff, das gestern ausgelaufen, und das widrige Winde im Angesicht des Hafens zurücke hielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand und nicht wieder in die des Eigenthümers; ich aber sah verwundert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maschine aus der winzigen Tasche herausgekommen war, es schien aber Niemandem aufgefallen zu seyn, und man bekümmerte sich nicht mehr um den grauen Mann als um

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    10 Das achromatische Fernrohr wurde nach seinem Erfinder John Dollond Dollond genannt.

    mich selber. Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller Zonen in den kostbarsten Gefäßen. Herr John machte die Honneur's mit leichtem Anstand und richtete da zum zweiten Mal ein Wort an mich: "Essen Sie nur, das haben Sie auf der See nicht gehabt." Ich verbeugte mich, aber er sah es nicht, er sprach schon mit jemand Anderem. Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des Hügels, der ausgespannten Landschaft gegen über gelagert, hätte man die Feuchtigkeit der Erde nicht gescheut. Es wäre göttlich, meinte Wer aus der Gesellschaft, wenn man Türkische Teppiche hätte sie hier aus zu breiten. Der Wunsch war nicht so

    bald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demüthiger Geberde, einen reichen, golddurchwirkten Türkischen Teppich daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang als müße es so seyn, und entfalten ihn am begehrten Ort. Die Gesellschaft nahm ohne Umstände Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann, die Tasche, den Teppich an, der über 20. Schritte in der Länge und 10. in der Breite maaß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich dazu denken sollte, besonders, da Niemand etwas Merkwürdiges darin fand. Ich hätte gern Aufschluß über den Mann

    gehabt, und gefragt, wer er sei, nur wußt ich nicht an wen ich mich richten sollte, denn ich fürchtete mich fast noch mehr vor den Herrn Bedienten als vor den bedienten Herr'n. Ich faßte mir endlich ein Herz und trat an einen jungen Mann heran, der mir von minderem Ansehn schien als die Andern und der öfters allein gestanden hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der gefällige Mann sei dort im grauen Kleide, – "dieser? der wie ein Ende Zwirn aussieht, der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?" Ja, der allein steht – "den kenn ich nicht," gab er mir zur Antwort, und wie es schien, eine längere Unterhaltung mit mir zu vermeiden, wandt' er sich weg und

    sprach von gleichgültigen Dingen mit einem Andern.

    Die Sonne fing jetzt stärker zu scheinen an und ward den Damen beschwerlich; die schöne Fanny richtete nachläßig an den grauen Mann, den so viel ich weiß, noch Niemand angeredet hatte, die leichtsinnige Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung als widerführe ihn eine unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk, kurz Alles was zu dem prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen sah. Die jungen Herrn halfen es auspacken und es überhing die ganze Ausdehnung des

    Teppichs, – und keiner fand noch etwas Außerordentliches darin. – Mir war schon lang' unheimlich, ja graulich zu Muthe, wie ward mir vollends, als beim nächst ausgesprochenem Wunsch ich ihn noch aus seiner Tasche drei Reitpferde, ich sage, drei schöne, große Rappen mit Sattel und Zeug heraus ziehen sah, – denke Dir um Gotteswillen! drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, 20. Schritt lang und 10. breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und alle dazu gehörige Stangen und Eisen herausgekommen waren! wenn ich Dir nicht betheuerte, es selbst mit eigenen Augen angesehen zu haben, würdest Du es gewiß nicht glauben.

    So verlegen und demüthig der Mann selbst zu seyn schien, so wenig Aufmerksamkeit ihm auch die Andern schenkten, so ward mir doch seine blaße Erscheinung, von der ich kein Aug' abwenden konnte, so schauerlich, daß ich sie nicht länger ertragen konnte. Ich beschloß mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein Leichtes schien. Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück beim Herrn John wieder versuchen, und, wenn ich den Muth dazu fände, ihn über den seltsamen grauen Mann befragen. – Wäre es mir nur so zu entkommen geglückt! Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain den Hügel hinab

    glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht außer den Wegen durchs Gras gehend angetroffen zu werden einen forschenden Blick um mich warf. – Wie erschrack ich als ich den Mann im grauen Rock hinter mich her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte ohne grob zu seyn es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wieder, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah' ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber

    schien sehr verlegen zu seyn, er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher und redete mich an mit leiser unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden. "Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst: – aber um Gotteswillen, mein Herr, brach ich in meiner Angst aus, was kann ich für einen Mann thun, der .... wir stutzten beide, und wurden, wie mir däucht, roth. Er nahm nach einem Augenblick Schweigen wieder das Wort: "während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab' ich, mein Herr, einige Mal –

    erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage – wirklich mit unausspechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich warfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumuthung: Sollten Sie Sich wol nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen." Er schwieg, und mir ging's wie ein Mühlrad im Kopf herum. Was sollt' ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? Er muß verrückt seyn, dacht' ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demuth des seinigen besser

    paßte, erwiederte ich also. Ei, ei! guter Freund, habt ihr denn nicht an euerm eigenen Schatten genug? das hieß' ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen Sorte. Er fiel sogleich wieder ein: "Ich hab' in meiner Tasche Manches, was dem Herrn nicht ganz unwerth scheinen möchte; für diesen unschätzbaren Schatten halt' ich den höchsten Preis zu gering. Nun überfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward, und ich wußte nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen können. Ich nahm wieder das Wort, und suchte es, wo möglich, mit unendlicher Höflichkeit wieder gut zu machen. "Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem unterthänigsten Knecht – Ich verstehe wol

    Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt' ich nur meinen Schatten ... Er unterbrach mich: Ich erbitte mir nur Dero Erlaubniß, hier auf der Stelle diesen edlen Schatten von der Erde aufheben zu dürfen, und zu mir zu stecken, wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, überlasse ich ihm die Wahl unter allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir führe. Die ächte SpringWurzel11, die Alraunwurzel12, Wechselpfennige13, Raubthaler14, das Tellertuch von Rolands Knappen15, ein Galgenmännlein16 zu beliebigem Preis; doch das wird wol nichts für Sie seyn, besser Fortunati Wünschhütlein17, neu und haltbar wieder restaurirt,

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    11 Der Springwurzel als Märchenrequisite wird die Kraft Türen und Schlösser zu öffnen nachgesagt. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Die Springwurzel öffnet alle Türen und sprengt alle Schlösser. Der schwarze Specht (picus martius) kennt sie. Er macht sein Nest in hohlen Bäumen, man muß die Öffnung, wenn der Vogel ausgeflogen, verstopfen. Er holt die Wurzel, um sein Nest zu öffnen, man muß ihn fangen, um sie sich zu verschaffen.“

    12 Verfügt man über die Alraunwurzel, erhält man die Unterstützung eines dienstbaren Geistes, der dem Besitzer zu Reichtum verhelfen kann. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Alraunwurzel ist glaube ich die Mandragore. Die Erzählungen darüber sind sehr verschieden, es ist sehr schwierig, sie sich zu verschaffen, sie gibt ein besonderes Geschick, um sich Schätze zu verschaffen.“

    13 Der Wechselpfennig ist im Märchen eine Kupfermünze, die jedes Mal, wenn man sie umdreht, ein Goldstück hervorbringt. Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Wechsel- oder Heck-Pfennige sind Kupfermünzen, die jedesmal, wenn man sie umdreht, ein Goldstück hervorbringen.“

    14 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Der Raubtaler ist ein Taler, der jedesmal zu seinem Herren zurückkehrt und alle Gedlstücke, die er berührt, mit zurückbringt.“

    15 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Das Tellertuch, ein Tischtuch, das sich mit allen Gerichten, die man verlangt, bedeckt.“

    16 Vgl. dazu auch den Brief Chamissos an seinen Bruder Hippolyte vom 17. März 1821 (abgedruckt bei Fulda, Chamisso und seine Zeit, S. 134), in dem es heißt: „Das Galgenmännlein ist ein Teufel in einer Flasche, der tut alles, was man will und gibt was man verlngt. Man kauft ihn für Geld, man kann ihn aber nur für einen geringeren Preis, als man selbst gegeben, wieder verkaufen. Sein Recht ist dem letzten Besitzer, der ihn nicht mehr los werden kann, da der Preis zu gering geworden, als sein Eigentum mitzunehmen.“

    17 Bei dem Wunschhütlein handelt es sich um den wunderkräftigen Hut des Fortunatus, des Helden des deutschen Volksbuchs Fortunatus.

    oder ein Glücksseckel18 wie das seine gewesen", "Fortunati GlücksSeckel! fiel ich ihm in die Rede, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit dem einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen. Ich bekam einen Schwindel, und es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen. – Belieben gnädigst der Herr, dies Seckel zu besichtigen und zu erproben, er steckte die Hand in die Tasche und zog einen mäßig großen, fest genähten Beutel von starkem Korduanleder19, an zwei tüchtigen ledernen Schnüren heraus und händigte mir selbigen ein. Ich grif hinein, und zog zehn Goldstücke daraus, und wieder zehn und wieder zehn, und wieder zehn, ich hielt ihm schnell die Hand hin:

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    18 Beim Glücksseckel handelt es sich um den wunderkräftigen Sack des Fortunatus, des Helden des deutschen Volksbuchs Fortunatus.

    19 Ziegenleder

    Topp! der Handel gilt, für den Beutel haben Sie meinen Schatten. Er schlug ein, knie'te sodann ungesäumt vor mir nieder, und mit einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf herab bis zu meinen Füßen, leise von dem Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten, und zuletzt einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor mir, und zog sich nach dem Rosengebüsche zurück. Mich dünkt, ich hörte ihn da leise für sich lachen. Ich aber hielt den Beutel bei den Schnüren fest, rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch keine Besinnung.

    II.

    Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte diesen Ort zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu thun hatte. Ich füllte erst meine Taschen mit Gold, dann band ich mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest, und verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die Landstraße, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem Thore zu ging, hört' ich hinter mir schreien: "junger Herr! he! junger Herr! hören Sie doch! – Ich sah mich um, ein altes Weib rief mir nach: Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren. – Danke, Mütterchen, ich warf ihr ein Goldstück für den wohlgemeinten Rath

    hin, und trat unter die Bäume. Am Thore mußt' ich gleich wieder von der Schildwacht hören: "Wo hat der seinen Schatten gelassen?" und gleich darauf wieder von ein paar Frauen: "Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!" Das fing an mich zu verdrießen, und ich vermied sehr sorgfältig in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht überall an, zum Beispiel nicht über die Breitestraße, die ich zunächst durchkreuzen mußte, und zwar zu meinem Unheil in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er verrieth mich mit großem Geschrei der sämmtlichen litterarischen Straßenjugend der Vorstadt, welche

    dann mich zu rezensiren und mit Koth zu bewerfen anfing: "Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen wann sie in die Sonne gingen." Um sie mir abzuwehren warf ich Gold zu vollen Händen unter sie, und sprang in einen Miethswagen zu dem mir mitleidige Seelen verhalfen. Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte schon die Ahndung in mir aufsteigen: daß, um so viel das Gold auf Erden Verdienst und Tugend überwiegt, um so viel der Schatten höher als selbst das Gold geschätzt werde, und wie ich früher den Reichthum meinem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den Schatten für bloßes Gold hingegeben, was konnte, was

    sollte auf Erden aus mir werden! Ich war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem alten Wirthshaus hielt, ich erschrack über die Vorstellung, nur noch jenes schlechte Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing den ärmlichen Bündel mit Verachtung, warf einige Goldstücke hin und befahl vor das vornehmste Hotel vorzufahren. Das Haus war gegen Norden gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fürchten, ich schickte den Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vorn heraus anweisen, und verschloß mich darin, sobald ich konnte. Was denkest Du, daß ich nun anfing? – O mein lieber Chamisso20, selbst vor Dir es zu gestehen, macht mich erröthen. Ich zog den unglücklichen Seckel aus meiner Brust

    hervor, und mit einer Art Wuth, die, wie eine flackernde FeuersBrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streu'te es auf den Estrich, und schritt darüber hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz an dem Glanz, an dem Klang weidend, immer des Metalle's mehr zu dem Metalle, bis ich ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend darin wühlte, mich darüber wälzte. So verging der Tag, der Abend, ich schloß meine Thür' nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde, und darauf übermannte mich der Schlaf. Da träumt' es mir von Dir, es ward mir als stände ich hinter der Glasthür

    deines kleinen Zimmers, und sähe Dich von da an Deinem ArbeitsTische zwischen einem Skelet und einem Bunde getrockneter Pflanzen sitzen, vor Dir waren Haller21, Humboldt22 und Linné23 aufgeschlagen, auf Deinem Sopha lagen ein Band Göthe24 und der Zauberring25, ich betrachtete Dich lange, und jedes Ding in Deiner Stube, und dann Dich wieder, Du rührtest Dich aber nicht, Du holtest auch nicht Athem, Du warst todt. Ich erwachte. Es schien noch sehr früh zu seyn. Meine Uhr stand. Ich war wie zerschlagen, durstig und hungrig auch noch, ich hatte seit dem vorigen Morgen nichts genossen. Ich stieß von mir mit Unwillen und Ueberdruß dieses Gold, an dem ich kurz vorher mein thörichtes Herz gesättiget,

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    21 Gemeint ist die „Bibliotheca botanica“ von Albrecht von Haller.

    22 Es kommen unterschiedliche Werke Alexander von Humboldts in Betracht.

    23 Vermutlich ist Carl von Linnés Hauptwerk „Systema naturae“ gemeint, in dem er Mineralien, Pflanzen und Tiere zu klassifizieren versucht.

    24 Es kommen unterschiedliche Werke Johann Wolfgang von Goethes in Betracht.

    25 Der Ritterroman „Der Zauberring“ von Friedrich de la Motte-Fouqué erschien 1813.

    nun wußt' ich verdrießlich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es durfte nicht so liegen bleiben – ich versuchte, ob es der Beutel wieder verschlingen wollte, – Nein Keines meiner Fenster öffnete sich über die See. Ich mußte mich bequemen, es mühsam und mit sauerm Schweiß zu einem großen Schrank, der in einem Kabinet stand, zu schleppen und es darin zu verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da liegen. Nachdem ich mit der Arbeit fertig geworden, legt' ich mich erschöpft in einen Lehnstuhl und erwartete, daß sich Leute im Hause zu regen anfingen. Ich ließ, so bald es möglich war, zu essen bringen, und den Wirth zu mir kommen. Ich besprach mit diesem Mann die künftige Einrichtung meines

    Hauses. Er empfahl mir für den hern Dienst um meine Person einen gewißen Bendel26, dessen treue und verständige Physionomie mich gleich gewann. Derselbe war's dessen Anhänglichkeit mich so lange durch das Elend des Lebens begleitete, und mir mein düst'res Loos ertragen half. Ich brachte den ganzen Tag auf meinen Zimmern, mit herrenlosen Knechten, Schuhstern, Schneidern, und Kaufleuten zu, ich richtete mich ein, und kaufte besonders sehr viele Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur etwas des vielen aufgespeicherten Goldes loß zu seyn, es schien aber gar nicht, als könne der Haufen sich vermindern. Ich schwebte indeß über meinen Zustand in den ängstigendsten Zweifeln. Ich wagte keinen Schritt aus

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    26 Bendel war der Name von Chamissos Bursche während seiner Leutnantszeit.

    meiner Thür, und ließ Abends vierzig Wachskerzen in meinem Saal anzünden, bevor ich aus dem Dunkel heraus kam. Ich gedachte mit Grauen des fürchterlichen Auftrittes mit den Schulknaben. Ich beschloß, so viel Muth ich auch dazu bedurfte, die öffentliche Meinung noch einmal zu prüfen. – Die Nächte waren zu der Zeit mondhell. Abends spät warf ich einen weiten Mantel um, drückte mir den Hut tief in die Augen, und schlich, zitternd, wie ein Verbrecher, aus dem Hause. Erst auf einem entlegenen Platz trat ich aus dem Schatten der Häuser, in deren Schutz ich so weit gekommen war, an das Mondeslicht hervor, gefaßt mein Schicksal aus dem Munde der Vorübergehenden zu vernehmen.

    Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wiederholung alles dessen, was ich erdulden mußte. Die Frauen bezeugten oft das tiefe Mitleid, das ich ihnen einflößte, Aeußerungen, die mir die Seele nicht minder durchborten als der Hohn der Jugend, und die hochmüthige Verachtung der Männer, besonders solcher dicken, wohlbeleibten, die selbst einen breiten Schatten warfen. Ein schönes, holdes Mädchen, die, wie es schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedächtig nur vor ihre Füße sahen, wandte von ungefähr ihr leuchtendes Auge auf mich; sie erschrack sichtbarlich, indem sie mich schattenlos bemerkte, verhüllte ihr schönes Antlitz in ihren Schleier, ließ den Kopf sinken, und ging lautlos vorüber. Ich ertrug es länger nicht.

    Salzige Ströme brachen aus meinen Augen, und mit durchschnittenem Herzen zog ich mic schwankend ins Dunkel zurück. Ich mußte mich an den Häusern halten, um meine Schritte zu sichern, und erreichte langsam und spät meine Wohnung. Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am andern Tage war meine erste Sorge nach dem Manne im grauen Rocke überall suchen zu lassen. Vielleicht sollt' es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie selig, wenn ihn wie mich der thörichte Handel gereuen sollte. Ich ließ Bendel vor mich kommen, er schien Gewandtheit und Geschick zu besitzen, – ich schilderte ihm genau den Mann, in dessen Besitz ein Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual sei. Ich sagte ihm die Zeit, den Ort, wo

    ich ihn gesehen; beschrieb ihm Alle, die zugegen gewesen, und fügte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich nach einem dolon'schen Fernrohr, nach einem golddurchwirkten Türkischen Teppich, nach einem Prachtlustzelt, und endlich nach drei schwarzen Reithängsten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu bestimmen, wie, mit der des räthselhaften Mannes zusammenhinge, welcher Allen unbedeutend geschienen, und dessen Erscheinung die Ruhe und das Glück meines Lebens zerstört hatte. Wie ich ausgeredet, holt' ich Gold her, eine Last, wie ich sie nur zu tragen vermochte, und legte Edelsteine und Juwelen noch hinzu für einen größern Werth, "Bendel, sprach ich, "dieses ebnet viele Wege und macht Vieles

    leicht, was unmöglich schien; sei nicht karg damit, wie ich es nicht bin, sondern geh, und erfreue deinen Herrn mit Nachrichten, auf denen seine alleinige Hoffnung beruht. Er ging. Spät kam er, und traurig, zurück. Keiner von den Leuten des Herrn John, Keiner von seinen Gästen, er hatte Alle gesprochen, wußte sich nur entfernt an dem Mann im grauen Rocke zu erinnern. Der neue Teleskop war da, und Niemand wußte, woher ihn Herr John bekommen hatte; der Teppich, das Zelt waren da, noch auf demselben Hügel ausgebreitet und aufgeschlagen, die Knechte rühmten den Reichthum ihres Herrn, und Keiner wußte von wannen diese neuen Kostbarkeiten ihm zugekommen. Er selbst hatte

    seinen Wohlgefallen daran, und ihn kümmerte es nicht, daß er nicht wiße, woher er sie habe; die Pferde hatten die jungen Herrn, die sie geritten, in ihren Ställen, und sie priesen die Freigebigkeit des Herrn John, der sie ihnen an jenem Tage geschenkt. So viel erhellte aus der ausführlichen Erzählung Bendels, dessen rascher Eifer und verständige Führung auch bei so fruchtlosem Erfolg, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm düster mich allein zu lassen. Ich habe, hub er wieder an, meinem Herrn Bericht abgestattet, über die Angelegenheit, die ihm am wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag auszurichten, den mir heute früh Jemand gegegeben, welchem ich vor der Thür

    begegnete, da ich zu dem Geschäft aus ging, worin ich so unglücklich gewesen. Die eigenen Worte des Mannes waren: Sagen Sie dem Herrn Peter Schlemiel, er würde mich hier nicht mehr sehen, da ich über's Meer gehe, und ein günstiger Wind mich so eben nach dem Hafen ruft. Aber über Jahr und Tag werde ich die Ehre haben ihn selber aufzusuchen, und ein anderes, ihm dann vielleicht annehmliches Geschäft, vorschlagen. Empfehlen Sie mich ihm unterthänigst und versichern ihn meines Dankes. Ich frug ihn wer er wäre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon. – Wie sah der Mann aus? rief ich voller Ahndung. Und Bendel beschrieb mir den Mann im grauen Rocke, Zug für Zug, Wort für Wort,

    wie er getreu in seiner vorigen Erzählung des Mannes erwähnt, nachdem er sich erkundigt. – Unglücklicher, schrie ich händeringend, das war er ja selbst! und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. – Ja, er war es, war es wirklich, rief er erschreckt, und ich Verblendeter, Blödsinniger, habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt, und meinen Herrn verrathen! Er brach, heiß weinend in die bittersten Vorwürfe gegen sich selber aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte mir selber Mitleiden einflößen. Ich sprach ihm Trost ein, versicherte ihn wiederholt, ich setzte keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo möglich

    die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen. Aber an diesem selben Morgen waren zehn verschiedene Schiffe, die widrige Winde im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle nach anderen Weltstrichen, alle nach anderen Küsten bestimmt, und der graue Mann war spurlos wie ein Schatten verschwunden.

    III.

    Was hülfen Flügel dem in eisernen Ketten fest angeschmiedeten? er müßte dennoch, und schrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Faffner bei seinem Hort27, fern von jedem menschlichen Zuspruch, bei meinem Golde darbend, aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, sondern

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    27 In einem Brief an seinen Bruder Hippolyte vom 22.3.1821 (Nachl. Adelbert von Chamisso, K. 17, Nr. 17, Bl. 3-5) schreibt Chamisso dazu: „nom du Dragon qui quardoit le thresor (hort, Schatz) des Niebellungen et que tuo Sigrud, Siegfrid, Sigefroid – une de plus abbrs histoires de notre presie, tradition des Edda sujet du diens passu Allemand das Lied der Niebellungen, et du poem de Fouque, der Held des Norden [...].“ Zu Deutsch etwa: Name des Drachens, der den Hort, Schatz der Nibelungen bewacht und den Sigurd, Siegfried, Sigefroid tötet - eine der berühmtesten Geschichten unserer alten Dichtung, Überlieferung der Edda, Gegenstand der alten deutschen Dichtung 'Das Lied der Nibelungen' und der Dichtung von Fouqué 'Der Held des Nordens' [...].

    ich fluchte ihm, um dessentwillen ich mich von allem Leben abgeschnitten sah. Bei mir allein mein düst'res Geheimniß hegend, fürchtete ich mich vor dem letzten meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte; denn er hatte einen Schatten, er durfte sich sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte einsam in meinen Zimmern die Tag' und Nächte und Gram zehrte an meinem Herzen. Noch Einer härmte sich unter meinen Augen ab: mein treuer Bendel hörte nicht auf, sich mit stillen Vorwürfen zu martern, daß er das Zutrauen seines gütigen Herrn betrogen, und jenen nicht erkannt, nach dem er ausgeschickt war, und mit dem er mein trauriges Schicksal in enger Verflechtung denken mußte.

    Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich erkannte in dem Ereigniß die fabelhafte Natur des Unbekannten. Nichts unversucht zu lassen, schickt ich einst Bendel mit einem kostbaren brillantenen Ring zu dem berühmtesten Mahler der Stadt, den ich, mich zu besuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute, verschloß die Thür', setzte mich zu dem Manne, und nachdem ich seine Kunst gepriesen, kam ich mit schwerem Herzen zur Sache, ich ließ ihn zuvor das strengste Geheimniß geloben. Herr Professor, fuhr ich fort, könnten Sie wol einem Menschen, der auf die unglücklichste Weise von der Welt um seinen Schatten gekommen ist, einen falschen

    Schatten malen? — Sie meinen einen Schlagschatten, — Den mein' ich allerdings. — Aber, frug er mich weiter, durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachläßigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren? — Wie es kam, erwiederte ich, mag nun sehr gleichgültig seyn, doch so viel, log ich ihm unverschämt vor: In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm ein mal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder loß bekommen konnte. Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte, sagte der Professor, würde doch nur ein solcher seyn, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müßte, — zumal

    wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen läßt: wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste. Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück, und verhüllte mein Gesicht in meine Hände. So fand mich noch Bendel, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines Herrn, und wollte sich still[...] ehrerbietig zuruckziehen — Ich blickte auf — ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger

    der du meine Leiden sieh'st und ehr'st, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Goldes hab' ich vor dir nicht verschlossen, nicht verschließen will ich vor dir die Schätze meines Grames — Bendel, verlasse mich nicht. Bendel, du sieh'st mich reich, freigebig, gütig, du wähnst, es sollte die Welt mich verherrlichen, und du sieh'st mich die Welt flieh'n, und mich vor ihr verschließen. Bendel, sie hat gerichtet, die Welt, und mich verstoßen, und auch du vielleicht, wirst dich von mir wenden, wenn du mein schreckliches Geheimniß erfährst. Bendel, ich bin reich, freigebig, gütig, aber — o Gott! — ich habe keinen

    Schatten! — Keinen Schatten? rief der gute Junge erschreckt aus, und die hellen Thränen stürzten ihm aus den Augen. – Weh mir, daß ich geboren ward einem schattenlosen Herrn zu dienen! Er schwieg, und ich hielt mein Gesicht in meinen Händen. — Bendel, setzt' ich spät und zitternd hinzu, nun hast du mein Vertrauen, nun kannst du es verrathen. Geh' hin, und zeuge wider mich. — Er schien in schwerem Kampfe mit sich selber, endlich stürzte er vor mir nieder, und ergrif meine Hand, die er mit seinen Thränen benetzte. Nein, rief er aus, was die Welt auch meine, ich kann und werde um Schattens willen meinen gütigen Herrn nicht verlassen, ich werde recht, und nicht

    klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten borgen, Ihnen helfen wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit Ihnen weinen. Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher ungewohnten Gesinnung staunend, denn ich war von ihm überzeugt, daß er es nicht um Gold that. Seitdem änderten sich in Etwas mein Schicksal und meine Lebensweise. Es ist unbeschreiblich, wie vorsorglich Bendel mein Gebrechen zu verhelen wußte. Ueberall war er vor mir und mit mir, alles vorherrsehend, Anstalten treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell mit seinen Schatten überdeckend, denn er war größer und stärker als ich. So wagt ich mich wieder unter die Menschen, und begann eine

    Rolle in der Welt zu spielen. Ich mußte freilich viel Eigenheiten und Laune scheinbar annehmen. Solche stehen aber, dem Reichen gut, und so lang die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich alle der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich sah ruhiger dem über Jahr und Tag verhießenen Besuch des räthselhaften Unbekannten entgegen. Ich fühlte sehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Orte aufhalten durfte, wo man mich schon ohne Schatten gesehen, und wo ich leicht verrathen werden konnte, auch dacht' ich vielleicht nur allein noch daran, wie ich mich bei'm Herrn John gezeigt, und es war mir eine drückende Erinnerung,

    demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um anderswo leichter und zuversichtlicher auftreten zu können — doch fand sich, was mich eine Zeitlang an meiner Eitelkeit festhielt: das ist es im Menschen, wo der Anker am zuverläßigsten Grund faßt. Eben die schöne Fanny, die ich am dritten Ort wieder begegnete, schenkte mir, ohne sich zu erinnern, mich jemals gesehen zu haben, einige Aufmerksamkeit, denn jetzt hat ich Witz und Verstand. – Wenn ich redete, hörte man zu, und ich wußte selber nicht, wie ich zu der Kunst gekommen, das Gespräch so leicht zu führen und zu beherrschen. Der Eindruck, den ich auf die Schöne gemacht zu haben einsah, machte aus

    mir, was sie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr seither mit tausend Mühen durch Schatten und Dämmerung, wo ich nur konnte. Ich war nur eitel darauf, sie über mich eitel zu machen, und konnte mir, selbst mit dem besten Willen nicht, den Rausch aus dem Kopfe in's Herz zwingen. Aber wozu die ganz gemeine Geschichte Dir lang und breit wiederholen? – Du selber hörst sie nur oft genug von andern Ehrenleuten erzählt. — Zu dem alten wohlbekannten Spiele, worin ich gutmüthig eine abgedroschene Rolle übernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Katastrophe hinzu, mir und ihr und Allen unerwartet.

    Da ich an einem schönen Abend nach meiner Gewohnheit eine Gesellschaft in einem unerleuchteten Garten versammelt hatte, wandelte ich mit der Herrin Arm in Arm, in einigem Entfernung vor den übrigen Gästen, und bemühte mich, ihr Redensarten vorzudrechseln, Sie sah sittig vor sich nieder und erwiederte leise den Druck meiner Hand, da trat unversehens hinter uns der Mond aus den Wolken hervor – und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter

    hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre. Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die entsetzten Gäste, erreichte die Thür', warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrack, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der sich mir durch seine Gewandtheit nothwendig zu machen gewußt, und

    der nichts vom heutigen Vorfall ahnden konnte. Ich legte in der selben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden, und mir das Nöthigste nachzubringen. Als er mich am andern Tag einholte, warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, sondern nur künftiger vorsichtiger zu seyn. Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang durch das hohe Bollwerk von jenem Unglücksboden getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nah' gelegenen und wenig besuchten Bad'ort, von den überstandenen Mühseligkeiten auszurasten.

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    28 Die Seite ist vom Schreiber leer gelassen, allerdings mit einer Zeilenaufteilung versehen worden.

    IV.

    Ich werde in meiner Erzählung schnell über eine Zeit hin eilen müßen, bei der ich, wie gerne verweilen würde, wenn ich ihren lebendigen Geist in der Erinnerung herauf zu beschwören vermöchte. Aber die Farbe die sie belebte, und nur wieder beleben kann, ist in mir erloschen, und wann ich in meiner Brust wiederfinden will, was sie damals so mächtig erhob, die Schmerzen und das Glück, den frommen Wahn, — da schlag ich vergebens an einen Felsen, der keinen lebendigen Quell mehr gewährt, und der Gott ist von mir gewichen. Wie verändert blickt sie mich jetzt an, diese vergangene

    Zeit? — Ich sollte dort in dem Bade eine heroische Rolle tragiren, schlecht einstudirt, und ein Neuling auf der Bühne, vergaff' ich mich aus dem Stücke heraus, in ein paar blaue Augen. Die Eltern vom Spiele getäuscht, bieten Alles auf, den Handel nur schnell fest zu machen, und die gemeine Posse beschließt eine Verhöhnung. Und das ist Alles, Alles! — Das kommt mir albern und abgeschmackt vor, und schrecklich wiederum, daß so mir vorkommen kann, was damals so reich, so groß, die Brust mir schwellte. Minna, wie ich damals weinte, als ich dich verlor, so wein' ich jetzt dich auch in mir verloren zu haben. Bin ich denn so

    alt worden, — o traurige Vernunft! Nur noch ein Pulsschlag jener Zeit, ein Moment jenes Wahnes, — aber nein! einsam auf dem hohen öden Mere deiner bittern Fluth, und längst aus dem letzten Pokale der Champagner Elfe entsprüht!

    Ich hatte Bendel mit einigen Goldsäkken voraus geschickt, um mir im Städtchen eine Wohnung nach meinen Bedürfnißen einzurichten. Er hatte dort viel Gold ausgestreut, und sich über den vornehmen Fremden, dem er diente, etwas unbestimmt ausgedrückt, denn ich wollte nicht genannt seyn, das brachte die guten Leute auf sonderbare Gedanken. Sobald mein Haus zu meinem Empfang bereit war, kam Bendel

    wieder zu mir, und holte mich dahin ab. Wir machten uns auf die Reise. Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem sonnigen Plan ward uns der Weg durch eine festlich geschmückte Menge versperrt. Der Wagen hielt. Musik, Glockengeläute, Kanonenschüsse wurden gehört, ein lautes Vivat durchdrang die Luft, — vor dem Schlage des Wagens erschien in weißen Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmender Schönheit, die aber vor der Einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne verschwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwestern hervor; die hohe, zarte Bildung kniete verschämt erröthend vor mir nieder, und hielt mir auf seidenem [am Rande: Kißen] einen aus Lorbeer, Oel

    zweigen und Rosen geflochtenen Kranz entgegen, indem sie von Majestät, Ehrfurcht und Liebe einige Worte sprach, die ich nicht verstand, aber deren zauberischer Silberklang mein Ohr und Herz berauschten, – es war mir als wäre schon einmal die himmlische Erscheinung an mir vorübergewallt. Der Chor fiel ein, und sang das Lob eines guten Königes, und das Glück seiner Völker. Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne, — sie kniete noch immer zwei Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte die Kluft nicht überspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie fallen. O, was hätt' ich nicht da für einen Schatten gegeben. Ich mußte meine Schaam, meine

    Angst, meine Verzweiflung tief in den Grund meines Wagens verbergen. Bendel besann sich endlich für mich, er sprang von der andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zurück und reichte ihm aus meinem Kästchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche diamantene Krone, die die schöne Fanny hatte zieren sollen. Er trat vor, und sprach im Namen seines Herrn, welcher solche Ehrenbezeugungen nicht annehmen könne noch wolle, es müße hier ein Ithum vorwalten, jedoch seyen den guten Einwohnern der Stadt für ihren guten Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehaltenen Kranz von seinem Ort und legte den

    brillantenen Reif an dessen Stelle, dann reichte er ehrerbietig der schönen Jungfrau die Hand zum Aufstehen, entfernte mit einem Wink Geistlichkeit, magistratus und alle Deputationen, Niemand ward weiter vorgelassen. Er hieß den Haufen sich theilen und den Pferden Raum geben, sprang sich wieder in den Wagen, und fort ging's weiter in gestrecktem Galopp unter eine aus Laubwerk und Blumen erbaute Pforte hinweg, dem Städtchen zu. – Die Kanonen wurden immer frisch weg abgefeuert. – Der Wagen hielt vor meinem Hause, ich sprang behend in die Thür, die Menge theilend, die die Begierde mich zu sehen herbeigerufen hatte. Der Pöbel schrie Vivat unter meinem

    Fenster, und ich ließ doppelte Dukaten daraus regnen, am Abend ward die Stadt freiwillig erleuchtet, – und ich wußte immer noch nicht, was das Alles bedeuten sollte und für wen ich angesehen wurde. Ich schickte Raskaln auf Kundschaft aus. Er ließ sich denn erzählen, weßmaßen man bereits sichere Nachricht gehabt, der gute König von Preußen29 reise unter dem Namen eines Grafen durch das Land, wie mein Adjudant erkannt worden wäre, und wie er sich und mich verrathen habe, wie groß endlich die Freude gewesen, da man die Gewißheit gehabt, mich im Orte selbst zu besitzen. Nun sah man freilich ein, da ich offenbar das strengste Inkognito beobachten wolle, wie sehr man

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    29 Verweis auf Friedrich Wilhelm III., der während der Befreiungskriege in Preußen zum gütigen Landesvater und damit als Gegenfigur zu dem Machtpolitiker Napoleon stilisiert wurde.

    Unrecht gehabt, den Schleier so zudringlich zulüften. Ich hätte aber so huldreich, so gnadenvoll gezürnt, – ich würde gewiß dem guten Herzen verzeihen müßen. Meinem Schlingel kam die Sache so spaßhaft vor, daß er mit strafenden Reden sein Möglichstes that, die guten Leute einstweilen in ihrem Glauben zu bestärken. Er stattete mir einen sehr komischen Bericht ab, und da er mich dadurch erheitert sah, gab er mir selbst seine verübte Bosheit zum Besten. — Muß ich's bekennen? es schmeichelte mir doch, sei es auch nur so, für das verehrte Haupt angesehen worden zu seyn. Ich hieß zu dem morgenden Abend unter den Bäumen, die den Raum vor meinem Hause

    beschatteten, ein Fest bereiten, und die ganze Stadt dazu einladen. Der geheimnißreichen Kraft meines Seßels, Bendels Bemühungen und der behenden Erfindsamkeit Roskals gelang es selbst die Zeit zu besiegen. Es ist wirklich erstaunlich, wie reich und schön sich Alles in den wenigen Stunden anordnete, die Pracht und der Ueberfluß, die da sich erzeugten; auch die sinnreiche E[r]leuchtung war so weise vertheilt, daß ich mich ganz sicher fühlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich mußte meine Diener loben. Es dunkelte der Abend, die Gäste erschienen und wurden mir vorgestellt. Es ward die Majestät nicht mehr berührt, aber ich hieß in tiefer Ehrfurcht und Demuth Herr Graf.

    Was sollt' ich thun? Ich ließ mir den Grafen gefallen, und blieb von Stund' an der Graf Peter. Mitten im festlichen Gewühle begehrte meine Seele nur nach der Einen. Spät erschien sie, die die Krone war und trug. Sie folgte sittsam ihren Eltern, und schien nicht zu wissen, daß sie die Schönste sei. Es wurden mir der Herr Forstmeister, seine Frau und seine Tochter vorgestellt. Ich wußte den Alten viel Angenehmes u[nd] viel Verbindliches zu sagen, vor der Tochter stand ich wie ein ausgescholtener Knabe da, und vermochte kein Wort hervor zu lallen. Ich bat sie endlich stammeelnd, dies Fest zu würdigen, das Amt, deren Zeichen sie schmückte, darin zu verwalten. Sie bat verschämt mit einem rührenden Blick um Schonung,

    aber verschämter vor ihr als sie selbst, bracht ich ihr als erster Unterthan meine Huldigung in tiefer Ehrfurcht, und der Wink des Grafen ward allen Gästen ein Gebot, dem nachzuleben sich Jeder freudig beeiferten. Majestät, Unschuld und Grazie, beherrschten mit der Schönheit im Bund ein frohes Fest. Die glücklichen Eltern Mina's glaubten ihnen nur zu Ehren ihr Kind erhöht, ich selber war in einem unbeschreiblichen Rausch. Ich ließ Alles, was ich noch von den Juwelen hatte, die ich damals um beschwerliches Gold los zu werden, gekauft, alle Perlen, alles Edelge stein in zwei große verdeckte Schüsseln legen, und bei Tische unter dem Namen der Königin, ihren Gespielinnen und allen Damen herumreichen, Gold ward indessen un

    unterbrochen über die gezogenen Schranken unter das jubelnde Volk geworfen. Bendel am andern Morgen eröffnete mir im Vertrauen, der Verdacht, den er längst gegen Raskals Redlichkeit gehegt, sei nun mehr zur Gewißheit worden. Er habe gestern ganze Säcke Goldes unterschlagen. Laßet uns, erwiedert' ich, dem armen Schelmen die kleine Beute gönnen, ich spende gern Allen, warum nicht auch ihm? Gestern hat er mir, haben mir alle neue Leute, die da mir gegeben, redlich gedient, sie haben mir froh, ein frohes Fest begehen helfen. — Es war nicht weiter die Rede davon. Roskal blieb der erste meiner Dienerschaft, Bendel war aber mein Freund, und mein Vertrauter. Dieser war gewohnt worden, meinen Reichthum als unerschöpf

    lich zu denken, und er spähte nicht nach dessen Quelle. – Er half mir vielmehr, in meinen Sinn eingehend, Gelegenheiten ersinnen, ihn darzuthun, und Gold zu vergeuden. Von jenem Unbekannten, dem blassen Schleicher, wußt' er nur so viel: Ich dürfe allein durch ihn von dem Fluche erlöst werden, der auf mich lastete, und fürchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruhte. Uebrigens sei ich davon überzeugt, er könne mich überall auffinden, ich ihn nirgends, darum ich, den versprochenen Tag erwartend, jede vergebliche Nachsuchung eingestellt. Die Pracht meines Festes und mein Benehmen dabei, erhielten Anfangs die starkgläubigen Einwohner der Stadt bei ihrer vorgefaßten Meinung. Es ergab sich freilig sehr bald aus den Zeitungen, daß

    die ganze fabelhafte Reise des Königs von Preußen ein bloß ungegründetes Gerücht gewesen. Ein König war ich aber nun einmal, und mußte schlechterdings ein König bleiben, und zwar einer der reichsten und königlichsten, die es immer geben mag. Nur wußte man nicht recht, welcher. Die Welt hat nie Grund gehabt, über Mangel an Monarchen zu klagen, am wenigsten in unsern Tagen, die guten Leute, die noch Keinen mit Augen gesehen, riethen mit gleichem Glück bald auf Diesen, bald auf Jenen – Graf Peter blieb immer der er war. — Einst erschien unter den Badegästen ein Handelsmann, der Bankerot gemacht hatte um sich zu bereichern, die all

    gemeine Achtung genoß, und einen breiten, obgleich etwas blassen Schatten von sich warf. Er wollte hier das Vermögen, das er gesammelt, zum Prunk ausstellen30, und es fiel sogar ihm ein, mit mir wetteifern zu wollen. Ich sprach meinem Seckel zu, und hatte sehr bald den armen Teufel so weit, daß er, um sein Ansehen zu retten, abermals Bankerot machen mußte und über das Gebirg ziehen. So ward ich ihn los. – Ich habe in dieser Gegend viele Taugenichts und Müßigganges gemacht! Bei der Königlichen Pracht und Verschwendung womit ich mir Alles unterwarf, lebt' ich in meinem Hause sehr einfach und eingezogen. Ich hatte mir die größte Vorsicht zur Regel gemacht, es

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    30 Die Korrektur von „aufstellen“ in „ausstellen“ rührt womöglich von einer anderen Hand als der des Schreibers her. Das lässt sich allerdings nicht eindeutig bestimmen.

    durfte unter keinem Vorwand kein Anderer als Bendel die Zimmer, die ich bewohnte, betreten. So lange die Sonne schien, hielt ich mich mit ihm darin verschlossen, und es hieß: der Graf arbeite in seinem Kabinet. Mit diesen Arbeiten standen die häufigen Kouriere in Verbindung, die ich um jede Kleinigkeit abschickte und erhielt – Ich nahm nur am Abende unter meinen Bäumen oder in meinem nach Bendels Angabe geschickt und reich erleuchteten Saale Gesellschaft' an. Wann ich ausging, wobei mich stets Bendel mit Argusaugen bewachen mußte, so war es nur nach dem Förstergarten und um des Einen willen; denn meines Lebens innerlichstes Herz war meine Liebe. O mein guter Chamisso31, ich will hoffen, Du habest mich nicht vergessen

    was Liebe sei! Ich lasse Dir hier Vieles zu ergänzen. Mina war wirklich ein liebwerthes, gutes, frommes Kind. Ich hatte ihre ganze Phantasie an mich gefesselt, sie wußte in ihrer Demuth nicht, womit sie werth gewesen, daß ich nur nach ihr geblickt; und sie vergalt Liebe um Liebe mit der vollen jugendlichen Kraft eines unschuldigen Herzens. Sie liebte wie ein Weib, ganz hin sich opfernd; selbst vergessen, hingegeben den nur meinend, der ihr Leben war, unbekümmert, solle sie selbst zu Grunde gehen, das heißt, sie liebte wirklich. – . Ich aber – o welche schreckliche Stunaden – – schrecklich! und würdig dennoch, daß ich sie zurückwünsche, hab' ich oft an Bendels Brust verweint, als nach dem ersten bewußt losen Rausch ich mich besonnen,

    a [...]

    mich selbst scharf angeschaut, der ich ohne Schatten, mit tückischer Selbstsucht, diesen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und gestohlen! Dann beschloß ich, mich ihr selber zu verrathen, dann gelobte ich mit theuerm Eidschwur mich von ihr zu reißen und zu entfliehen, dann brach ich wieder in Thränen aus, und verabredete mit Bendeln, wie ich sie auf dem Abend im Förstergarten besuchen wolle. – Zu andern Zeiten log ich mir selber vom nahe bevorstehenden Besuch des grauen Unbekannten große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wann ich daran zu glauben vergebens versucht h atte. Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo ich den Furchtbaren wieder zu sehen erwartete, denn er hatte gesagt', in Jahr und Tag, und ich glaubte an sein Wort. Die Eltern waren gute

    ehrbare alte Leute, die ihr einziges Kind sehr liebten, das ganze Verhältniß überraschte sie, als es schon bestand, und sie wußten nicht, was sie dabei thun sollten. Sie hatten früher nicht geträumt, der Graf Peter könne nur an ihr Kind denken, nun liebte er sie gar, und ward wieder geliebt. – Die Mutter war wohl eitel genug an die Möglichkeit einer Verbindung zu denken und darauf hinzuarbeiten, der gesunde Menschenverstand des Alten gab solchen überspannten Vorstellungen nicht Raum. Beide waren überzeugt von der Reinheit meiner Liebe, – sie konnten nichts thun als für ihr Kind beten. Es fällt mir ein Brief in die Hand, den ich noch aus dieser Zeit von Minna habe. – Ja, das sind ihre Züge, ich will Dir ihn abschreiben.

    "Bin ein schwaches, thörichtes Mädchen, konnte mir einbilden, daß mein Geliebter, weil ich ihn innig, innig liebe, dem armen Mädchen nicht Weh thun möchte – – Ach Du bist so gut, so unaussprechlich gut, aber mißverstehe mich nicht. Du sollst mir Nichts opfern, mir nichts opfern wollen; o Gott! ich könnte mich hassen, wenn Du das thätest. Nein, — Du hast mich unendlich glücklich gemacht, Du hast mich Dich lieben gelehrt. Zeuch hin! – Weiß doch mein Schicksal, Graf Peter gehört nicht mir, gehört der Welt an. Will stolz seyn, wenn ich höre: das ist er gewesen, und das war er wieder, und das hat er vollbracht, da haben sie ihn angebetet, und da haben sie ihn vergöttert. Siehe, wann ich das denke, zürne ich Dir, daß Du bei einem einfältigen Kinde Deiner hohen Schick

    sale vergessen kannst. – Zeuch hin, sonst macht der Gedanke mich noch unglücklich, die ich ach! durch Dich so glücklich, so selig bin. – Hab ich nicht auch einen Oelzweig und eine Rosenknospe in Dein Leben geflochten, wie in den Kranz, den ich Dir überreichen durfte. Habe Dich im Herzen, mein Geliebter, fürchte nicht von mir zu gehen — werde sterben ach so selig, so unaussprechlich selig durch Dich."

    Du kannst Dir denken, wie mir die Worte durch das Herz schneiden mußten. Ich erklärte ihr, ich sei nicht das, wofür man mich anzusehen schien, ich sei nur ein reicher aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das einzige Geheimniß zwischen ihr und mir seyn solle, weil nicht noch ohne Hoffnung sei, daß er gelöst werde. Dies sei das Gift meiner Tage: daß ich sie

    mit in den Abgrund hin reißen könne, sie, die das einzige Licht, das einzige Glück, das einzige Herz meines Lebens sei. Dann weinte sie wieder, daß ich unglücklich war, ach sie war so liebevoll, so gut. Um Eine Thräne nur mir zu erkaufen, hätte sie, mit welcher Seligkeit, sich selbst ganz hingeopfert. Sie war indeß weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, sie ahndete nun in mir irgend einen Fürsten, den ein schwerer Bann getroffen, irgend ein hohes geächtetes Haupt, und ihre Einbildungskraft mahlte sich geschäftig, unter heroischen Bildern den Geliebten herrlich aus. Einst sagte ich ihr: Minna, der letzte Tag im künftigen Monat, kann mein Schicksal ändern und entscheiden – geschieht es nicht, so muß

    ich sterben, weil ich Dich nicht unglücklich machen will. – Sie verbarg weinend ihr Haupt an meiner Brust. Ändert sich Dein Schicksal, laß mich nur Dich glücklich wißen, ich habe keinen Anspruch an Dich – bist Du elend, binde mich an Dein Elend, daß ich es Dir tragen helfe – – Mädchen, Mädchen, nimm es zurück, das rasche Wort, das thorichte, das Deinen Lippen entflohen. – und kenn'st Du es, dieses Elend, kenn'st Du ihn, diesen Fluch? Weißt Du, wer Dein Geliebter. – ... was er ...? – Siehst Du mich nicht krampfhaft zusammenschaudern und vor dir ein Geheimniß haben? Sie fiel schluchzend mir zu Füßen und wiederholte mit Eidschwur ihre Bitte. – Ich erklarte mich gegen den hereintretenden Forstmei

    ster, meine Absicht sei, am ersten des nächst künftigen Monats um die Hand seiner Tochter anzuhalten – ich setzte diese Zeit fest, weil sich bis dahin Manches ereignen dürfte, was Einfluß auf mein Schicksal haben könnte. Unwandelbar sei nur meine Liebe zu seiner Tochter. – Der gute Mann erschrack ordentlich, als er solche Worte aus dem Munde des Grafen Peter vernahm. Er fiel mir um den Hals, und ward wieder ganz verschämt, sich vergessen zu haben. Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln, zu erwägen, und zu forschen, er sprach von Mitgift, von Sicherheit, von Zukunft für sein liebes Kind. Ich dankte ihm, mich daran zu mahnen. Ich sagte ihm, ich wünsche in dieser Gegend, wo ich geliebt zu seyn schiene, mich anzusiedeln und ein sorgenfreies Leben zu führen.

    Ich bat ihn, die schönsten Güter die im Lande ausgeboten wurden, unter dem Namen seiner Tochter zu kaufen, und die Bezahlung auf mich anzuweisen. Es könne darin ein Vater dem LieLenden am besten dienen. – Es gab ihm viel zu thun, denn überall war ihm ein Fremder zuvor gekommen, er konnte auch nur für einige hundert tausend Dukaten auftreiben – Daß ich ihn damit beschäftigte, war im Grunde eine unschuldige List um ihn zu entfernen, und ich hatte schon ähnliche mit ihm gebraucht, denn ich muß gestehen, daß er etwas lästig war. Die gute Mutter war dagegen etwas taub und nicht wie er auf die Ehre eifersüchtig, den Herrn Grafen zu unterhalten. Die Mutter kam hinzu, die glücklichen Leute

    drangen in mich, den Abend länger unter ihnen zu bleiben, ich durfte keine Minute weilen, ich sah schon den aufgehenden Mond am Horizonte dämmern. – Meine Zeit war um. – Am nächsten Abend ging ich wieder nach dem Förstergarten. Ich hatte den Mantel weit über die Schulter geworfen, den Hut tief in die Augen gedrückt, ich ging auf Mina zu; wie sie aufsah, und mich erblickte, machte sie eine unwillkührliche Bewegung; da stand mir wieder klar vor der Seele die Erscheinung jener schaurigen Nacht, wo ich mich im Mondschein ohne Schatten gezeigt. Sie war es wirklich. Hatte sie mich aber auch jetzt erkannt? Sie war still und gedankenvoll — mir lag es zentnerschwer auf der Brust — Ich stand von meinem Sitz auf.

    Sie warf sich stille weinend an meine Brust. Ich ging — nun fand ich sie öfters in Thränen, mir wards finster und finster um die Seele, – nur die Eltern schwammen in unüberschwänglicher Glückseligkeit, [am Rande: der verhängnißvolle] Tag rückte heran bang und dumpf wie eine Gewitterwolke. Der Vorabend war da – ich konnte kaum mehr athmen. Ich hatte vorsorglich einige Kösten32 mit Gold angefüllt, ich wachte die zwölfte Stunde heran. – Sie schlug – Nun saß ich da, das Aug auf die Zeiger der Uhr gerichtet, die Sekunden, die Minuten zählend wie Dolchstiche; bei jedem Lerm, der sich regte, fuhr ich auf, der Tag brach an. Die bleiernen Stunden verdrängten einander, es ward Mittag, Abend, Nacht, es rückten die Zeiger, welkte die

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    32 Statt des zu erwartenden „ä“s für „Kästen“ schreibt der Schreiber ein „ö“.

    Hoffnung, es schlug elf und nichts erschien, die letzten Minutender letzten Stunden fielen, und nichts erschien, es schlug der erste Schlag, der letzte Schlag der zwölften Stunde, und ich sank hoffnungslos in unendlichen Thränen auf mein Lager zurück. Morgen sollt' ich – auf immer schattenlos, um die Hand der Geliebten anhalten; ein banger Schlaf drückte mir gegen den Morgen die Augen zu.

    V.

    Es war noch früh, als mich Stimmen weckten, die sich in meinem Vorzimmer, in heftigem Wortwechsel erhoben. Ich horchte auf. – Bendel verbot meine Thür; Roskal schwur hoch und theuer keine Befehle von seines Gleichen anzunehmen, und bestand darauf, in meine Zimmer einzudringen. Der gütige Bendel verwies ihm, daß solche Worte,

    falls sie zu meinem Ohre kämen, ihm um einen vortheilhaften Dienst bringen würden. Roskal drohte Hand an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch länger vertreten wolle. – Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig die Thür auf, und fuhr auf Roskaln zu — "Was willst du Schurke...., er trat zwei Schritt zurück, und antwortete ganz kalt: "Sie unterthänigst bitten, Herr Graf, mich doch einmal Ihren Schatten sehen zu lassen; – die Sonne scheint eben so schön auf dem Hofe. — " Ich war wie vom Donner gerührt. Es dauerte lange, bis ich die Sprache wieder fand. – "Wie kann ein Knecht gegen seinen Herrn – – ? Er fiel mir ganz ruhig in die Rede: Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher Mann seyn und einem Schattenlosen nicht dienen wollen, ich fodre meine Entlassung."

    Ich mußte andere Saiten aufziehen – "Aber Raskal, lieber Raskal, wer hat dich auf die unglückselige Idee gebracht, wie kannst du denken....?" er fuhr im selben Tone fort. "Es wollen Leute behaupten, Sie hätten keinen Schatten — und kurz Sie zeigen mir Ihren Schatten, oder geben mir meine Entlassung." Bendel, bleich und zitternd, aber besonnener als ich, machte mir ein Zeichen, ich nahm zu dem Alles beschwichtigenden Golde meine Zuflucht, – auch das hatte seine Macht verloren – er warf's mir vor die Füße; von einem Schattenlosen nehme ich nichts an." Er kehrte mir den Rücken und ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfeifend, langsam aus dem Zimmer. Ich stand mit Bendel da wie versteint, gedanken= und regungslos ihm nachsehend; schwer aufseufzend, und den Tod im

    Herzen, schickt ich mich endlich an mein Wort zu lösen und wie ein Verbrecher vor seinen Richtern in dem Förstergarten zu erscheinen. Ich stieg in der dunklen Laube ab, welche noch mir benannt war, und wo sie mich auch diesmal erwarten mußten. Die Mutter kam mir sorgenfrei und freudig entgegen. Mina saß da, bleich und schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen küßt, und gleich in bittres Wasser zerfließen wird. Der Forstmeister, ein geschriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab, und schien Vieles in sich zu unterdrücken, was mit fliegender Röthe und Blässe wechselnd, sich auf seinem sonst unbeweglichen Gesichte mahlte. Er kann33 auf mich zu, als ich herein trat, und verlangte, mit oft unterbrochenen Worten, mich allein sprechen

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    33 In der Handschrift steht tatsächlich ein doppeltes „n“. Gemeint ist wohl „m“ für „kam“.

    zu wollen. Der Gang, auf den er mich, ihm zu folgen, einlud, führte nach dem freien, besonnten Theile des Gartens – ich ließ mich stumm auf einen Sitz nieder und es erfolgte ein langes Schweigen, das selbst die gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte. Der Forstmeister stürmte immer noch ungleichen Schrittes die Laube auf und ab, er stand mit einem Mal vor mir still, blickte ins Papier das er hielt, und fragte mich mit prüfendem Blick: "Sollte Ihnen, Herr Graf, ein gewisser Peter Schlemiel wirklich nicht unbekannt seyn"? Ich schwieg — "Ein Mann von vorzüglichem Karakter und von besonderen Gaben." Er erwartete eine Antwort. — "Und wenn ich selber der Mann wäre.?" "dem, fügte er heftig hinzu, sein Schatten abhänden gekommen ist!!" "O. meine Ahndung, meine

    Ahndung," rief Mina aus, "ja, ich weiß es längst, er hat keinen Schatten!" und sie warf sich in die Arme der Mutter, welche erschreckt, sie krampfhaft an sich schließend, ihr Vorwürfe machte, daß sie zum Unheil solch ein Geheimniß in sich verschlossen. Sie aber war wie Arethusa in einem Thränenquell gewandelt, der beim Klang meiner Stimme häufiger floß, und bei meinem Namen stürmisch aufbrauste. "Und Sie haben" hub der Forstmeister grimmig wieder an, "und Sie haben mit unerhörter Frechheit diese und mich zu betrügen keinen Anstand genommen, und Sie geben vor, sie zu lieben, die Sie so weit heruntergebracht haben, sehen Sie, wie sie da weint und ringt. O schrecklich, schrecklich! – Ich hatte dergestalt alle Besinnung verloren, daß ich, wie irre redend, anfing: "Es wäre doch am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatte[n,]

    man könne auch ohne das fertig werden, und es wäre nicht der Mühe werth, solchen Lärm davon zu erheben." Aber ich fühlte so sehr den Ungrund von dem was ich sprach, daß ich von selbst aufhörte, ohne daß er mich einer Antwort gewürdigt. Ich fügte noch hinzu: was man einmal verloren, könne man ein andermal wiederfinden. Er fuhr mich zornig an. – "Gestehen Sie mir's, mein Herr, gestehen Sie mir's, wie sind Sie um Ihren Schatten gekommen?" Ich mußte wieder lügen. "Es trat mir dereinst ein ungeschlachter Mann so flämisch in meinen Schatten, daß er ein großes Loch darinnen riß – ich habe ihn nur zum Ausbessern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn schon gestern wieder bekommen sollen," – "Wohl mein Herr, ganz wohl," erwiederte der Forstmeister, "Sie werben um meine Tochter, das thun noch Andere, ich habe als

    ein Vater für sie zu sorgen, ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie sich nach einem Schatten umthun mögen, erscheinen Sie binnen drei Tage vor mir mit einem wolangepaßten Schatten, so sollen Sie mir willkommen seyn, am vierten Tage aber – das sage ich Ihnen, – ist meine Tochter die Frau eines Andern. – Ich wollte noch versuchen ein Wort an Mina zu richten, aber sie schloß sich, heftiger schluchzend, fester an ihre Mutter, und diese winkte mir stillschweigend, mich zu entfernen. Ich schwankte hinweg, und mir war's, als schlösse sich hinter mir die Welt zu.

    Der liebevollen Aufsicht Bendels entsprungen, durchschweifte ich in irrem Lauf Wälder und Fluren. Angstschweiß trof, von meiner Stirne, ein dumpfes Stöhnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte Wahnsinn. – Ich weiß nicht, wie lange es so gedauert haben mochte, als ich mich

    auf einer sonnigen Haide beim Aermel anhalten fühlte – Ich stand still und sah mich um – – es war der Mann im grauen Rock, der sich nach mir außer Athem gelaufen zu haben schien: Er nahm sogleich das Wort. "Ich hatte mich auf dem heutigen Tage angemeldet, Sie haben die Zeit nicht erwarten können. Es steht aber Alles noch gut, Sie nehmen Rath an, tauschen Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote steht, und kehren sogleich wieder um. Sie sollen in dem Forstergarten willkommen seyn, und Alles ist nur ein Spaß gewesen; den Roskal, der Sie verrathen hat, und um Ihre Braut wirbt, nehm ich auf mich, der Kerl ist reif." Ich stand noch wie im Schlafe da. – "Auf den heutigen Tag angemeldet –?" ich überdachte noch einmal die Zeit – er hatte Recht, ich hatte mich stets um einen Tag verrechnet. Ich suchte mit der rechten Hand nach dem Seckel auf meiner Brust, – er

    errieth meine Meinung, und trat zwei Schritte zurück. "Nein, Herr Graf, der ist in zu guten Händen, den behalten Sie." – Ich sah ihn mit stieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr fort: "Ich erbitte mir bloß eine Kleinigkeit zum Andenken, Sie sind nur so gut und unterschreiben mir den Zettel da" – auf dem Pergament standen die Worte: Kraft dieser meiner Unterschrift vermache ich dem Inhaber dieses meine Seele nach ihrer natürlichen Trennung von meinem Leibe. Ich sah mit stummem Staunen die Schrift und den grauen Unbekannten abwechselnd an. – Er hatte unterdessen mit einer neugeschnittenen Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem frischen Dornenriß auf die Hand floß, und hielt sie mir hin. – Wer sind Sie denn? frug ich ihn endlich: "was thuts," gab er mir zur Antwort, "und sieht man es mir nicht an? ein armer Teufel, gleichsam so eine Art von Ge

    lehrten und Physikus, der von seinen Freunden für vortreffliche Künste schlechten Dank erntet, und für sich selber auf Erden keinen andern Spaß hat als sein Bißchen Experimentiren – aber unterschreiben Sie doch. Recht? da unten. Peter Schlemiel." – Ich schüttelte mit dem Kopf, und sagte, "verzeihen Sie mein Herr, das unterschreibe ich nicht." – "Nicht! wiederholte er verwundert, und warum nicht?" – "Es scheint mir doch gewissermaßen bedenklich, meine Seele an meinen Schatten zu setzen. – – "So, so!" wiederholte er, "bedenklich," und er brach in ein lautes Gelächter gegen mich aus. "Und, wenn ich sagen darf, was ist denn das für ein Ding Ihre Seele, haben Sie es je gesehen, und was denken Sie damit anzufangen, wann Sie erst todt sind. Seyn Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der ihnen bei Lebenszeit noch den Nachlaß dieses [X.] dieser galvanischen

    Kraft, oder polari[s]irende[n] Wirksamkeit, und was alles das närrische Ding seyn soll, mit etwas Wirklichem bezahlen will, nehmlich, mit ihrem leibhaftigen Schatten, durch den Sie zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfüllung alle Ihrer Wünsche gelangen können. Wollen Sie lieber Selbst das arme junge Blut dem niederträchtigen Schurken, dem Roskal, zustoßen und ausliefern! – Nein, daß müßen Sie doch mit eigenen Augen ansehen, kommen Sie, ich leihe Ihnen die Tarnkappe hier," /: er zog Etwas aus der Tasche :/ und wir wallfahrten ungesehen nach dem Förstergarten. Ich muß gestehen, daß ich mich überaus schämte, von diesem Manne ausgelacht zu werden. Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich glaube, daß mich dieser persönliche Widerwillen mehr als Grundsätze oder Vorurtheile abhielt, meinen Schatten, so nothwendig er mir auch war, mit der begehrten Unterschrift zu erkaufen.

    Auch war mir der Gedanke unerträglich den Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft zu unternehmen. Diesen häßlichen Schleicher, diesen hohnlächelnden Kobolt zwischen mir und meiner Geliebten, zwei blutig zerrissenen Herzen, spöttisch hintreten zu sehen, empörte mein innerstes Gefühl. Ich nahm was geschehen war, als verhängt an, meinem Elend als unabwendbar, und mich zu dem Manne kehrend, sagte ich ihm: "Mein Herr, ich habe Ihnen meinen Schatten für diesen, an sich sehr vorzüglichen Seckel verkauft, und es hat mich genug gereu't. Kann der Handel zurückgehen, in Gottes Namen!" Er schüttelte mit dem Kopf und zog ein sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr fort. – So will ich Ihnen auch weiter nichts von meiner Habe verkaufen, sei es auch um den angebotenen Preis meines Schattens, und unterschreibe also nichts. Daraus läßt sich auch abnehmen, daß die Verkappung, zu der Sie mich gefälligst einladen,

    ungleich belustigender für Sie als für mich ausfallen müßte; halten Sie mich also für untschuldigt, und da es einmal nicht anders ist, – laßt uns scheiden." – "Es ist mir leid, Monsieur Schlemiel, daß Sie eigensinnig das Geschäft von der Hand weisen, das ich Ihnen freundschaftlich anbot. Indessen, vielleicht bin ich ein ander mal glücklicher. Auf baldiges Wiedersehen! – "A propos, erlauben Sie mir noch Ihnen zu zeigen, daß ich die Sachen, die ich kaufe, keinesweges verschimmeln lasse, sondern in Ehren halte, und daß sie bei mir gut aufgehoben sind." – Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche, und ihn mit einem geschickten Wurf auf der Heide entfaltend, breitete er ihn auf der Sonnen=Seite zu seinen Füßen aus, so daß er zwischen den beiden ihm aufwartenden Schatten, dem meinen und dem seinen, daher ging, denn meiner mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach

    len seinen Bewegungen sich richten und bequemen. Als ich nach so langer Zeit einmal meinen armen Schatten wiedersah', und ihn zu solchem schnöden Dienst herabgewürdigt fand, eben als ich um seinetwillen in so namenloser Noth war, da brach mir das Herz und ich fing bitterlich zu weinen an. Der Verhaßte stolzirte mit dem mir abgejagten Raub, und erneuerte unverschämt seinen Antrag: "Noch ist er für Sie zu haben, ein Federzug, und Sie retten damit die arme unglückliche Minna aus des Schuftes Klauen in des hochgeehrten Herren Grafen Arme – wie gesagt, nur ein Federzug." Meine Thränen brachen mit erneuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg, und winkte ihm, sich zu entfernen.

    Bendel, der voller Sorgen meine Spuren bis hieher verfolgt hatte, traf

    in diesem Augenblick ein. Als mich die treue fromme Seele weinend fand, und meinen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der Gewalt des wunderlichen grauen Unbekannten sah, beschloß er gleich, sei es auch mit Gewalt, mich in den Besitz meines Eigenthums wieder herzustellen, und da er selbst mit dem zarten Dinge nicht umzugehen verstand, grif er gleich den Mann mit Worten an, und ohne vieles Fragen gebot er ihm stracks, mir das Meine unverzüglich verabfolgen zu lassen. Dieser, statt aller Antwort, kehrte dem unschuldigen Burschen den Rücken und ging. Bendel aber erhob den Kreuzdornknüttel, den er trug, und, ihn auf den Fersen folgend, ließ er ihn schonungslos unter wiederholtem Befehl den Schatten herzugeben, die volle Gewalt seines

    nervigten Armes fühlen. Jener, als sei er solcher Behandlung gewohnt, bückte den Kopf, wölbte die Schultern, und zog stillschweigend ruhigen Schrittes seinen Weg über die Haide weiter, mir meinen Schatten zugleich, und meinen treuen Diener entführend. Ich hörte lange noch den dumpfen Schall durch die Einöde drönen, bis er sich endlich in der Entfernung verlor. Einsam war ich wie vorher mit meinem Unglück.

    VI.

    Allein zurückgeblieben auf der öden Heide ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein armes Herz von namenloser banger Last erleichternd. Aber ich sah meinem unüberschwänglichen Elend keine Grenze, keinen Ausgang, kein Ziel, und ich sog besonders mit grimmiigem Durst an dem neuen Gifte, daß der Unbekannte in meine Wunden gegossen.

    Als ich Minnas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, süße Gestalt bleich und in Thränen mir erschien, wie ich sie zuletzt in meiner Schmach gesehen, da trat frech und höhnend Rakals Schemen zwischen sie und mich, ich verhüllte mein Gesicht und floh durch die Einöde, aber die scheuseelige Erscheinung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos an den Boden sank, und die Erde mit erneuetem Thränenquell befeuchtete. Und alles um einen Schatten! und diesen Schatten hätte mir ein Federzug wieder erworben. Ich überdachte den befremdenden Antrag und meine Weigerung: Es war wüst in mir, ich hatte weder Urtheil, noch Fassungsvermögen mehr. Der Tag verging. Ich stillte meinen Hunger mit wilden Früchten, meinen Durst im nächsten Bergstrom, die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in dem ich mich selber wie im Tode

    röcheln hörte. Bendel mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Menschen zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das scheue Wild des Gebirges. So verlebte ich drei lange Tage. Ich befand mich am Morgen des vierten, auf einer sandigen Ebene, welche die Sonne hell beschien, und saß auf FelsenTrümmern in ihrem Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises Geräusch auf, ich warf zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich sah Niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein Menschenschatten dem meinigen nicht unähnlich, welcher allein daher wandelnd von seinem Herrn abgekommen zu seyn schien. Da erwacht in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht' ich, suchst du dei

    nen Herrn? der will ich seyn. Und ich sprang hinzu mich seiner zu bemächtigen, ich dachte nemlich, daß, wenn es mir glückte in seine Spur zu treten, so daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde und sich mit der Zeit an mich gewöhnen. Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte auf den leichten Flüchtling eine angestrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage in der ich war, zu retten, mit hinreichenden Kräften ausrüsten konnte. Er floh einem freilich noch entfernten Walde zu, in dessen Schatten ich ihn nothwendig hätte verlieren müßen, – ich sah's, ein Schreck[en] durchzuckte mir das Herz; fachte meine Begierde an, beflügelte meinen Lauf – ich gewann sichtbarlich auf de n Schatten , ich kam ihm nah und näher, ich mußte ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an, und kehrte sich nach mir um. Wie der Löwe auf seine Beute,

    so schoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Besitz zu nehmen – und traf unerwartet und hart auf körperlichen Widerstand. Es wurden mir unsichtbar die unerhörtesten Rippenstöße ertheilt, die wol je ein Mensch gefühlt hat. Die Wirkung des Schreckens war in mir die Arme krampfhaft zuzuschlagen, und fest zu drücken was ungesehen vor mir stand. Ich stürzte in der schnellen Handlung, vorwärts gestreckt auf den Boden, rückwärts aber unter mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erst sichtbar erschien. Nun ward mir auch das ganze Ereigniß sehr natürlich erklärbar. Der Man mußte das unsichtbare Vogelnest, welches den, der es hält, nicht aber seinen Schatten unsichtbar macht, erst getragen, und jetzt weggeworfen haben. Ich spähete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des unsichtbaren Nestes selbst, sprang auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuren Raub. Ich hielt unsichtbar, schattenlos das Nest in Han[]den. Der schnell sich aufrichtende

    Mann, sich sogleich nach seinem Beglückten Bezwinger umsehend, erblickte auf der weiten sonnigen Ebene weder ihn, noch dessen Schatten, nachdem er besonders ängstlich umherlauschte. Denn daß ich an und für mich schattenlos war, hatte er vorher nicht Muße gehabt zu bemerken, und konnte es nicht vermuthen. Als er sich überzeugt, daß jede Spur verschwunden, kehrte er in der höchsten Verzweiflung die Hand gegen sich selber und raufte sich das Haar aus. Mir aber gab der errungene Schatz die Möglichkeit und die Begierde zugleich mich wieder unter die Menschen zu mischen. Es fehlte mir nicht an Vorwand gegen mich selber meinen schnöden Raub zu beschönigen, oder vielmehr ich bedurfte solcher nicht, und jedem Gedanken der Art zu entweichen, eilte ich hinweg nach dem Unglücklichen nicht zurückeschauend, dessen ängstliche Stimme ich mir noch lange nachhallen hörte. So wenig

    stens kamen mir damals alle Umstande dieses Ereignisses vor.

    Ich brannte nach dem Förstergarten zu gehen, und durch mich selbst die Wahrheit dessen zu erkennen, was mir jener Verhaßte verkündigt hatte; ich wußte aber nicht, wo ich war, ich bestieg, um mich in der Gegend umzuschauen, den nächsten Hügel, ich sah von seinem Gipfel das nahe Städtchen und den Förstergarten zu meinen Füßen liegen. – Heftig klopfte mir das Herz, und Thränen einer andern Art als die ich bis dahin vergossen, traten mir in die Augen, ich sollte sie wiedersehen. – Bange Sehnsucht beschleunigte meine Schritte auf dem richtigsten Pfad hinab. Ich kam ungesehen an einigen Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie sprachen von mir, Raskal und dem Förster, ich wollte nichts anhören, ich eilte vorüber. Ich trat in den Garten, alle Schauer der Erwartung in der Brust – mir schallte es wie

    ein Lachen entgegen, mich schauderte, ich warf einen schnellen Blick um mich her; ich konnte Niemanden entdecken. Ich schritt weiter vor, mir war's als vernähme ich neben mir ein Geräusch wie von Menschentritten, es war aber nichts zu sehen: ich dachte mich von meinem Ohre getäuscht. Es war noch früh, Niemand in Graf Peter's Laube, noch leer der Garten; ich durchschweifte die bekannten Gänge, ich drang bis nach dem Wohnhause vor. Dasselbe Geräusch verfolgte mich vernehmlicher. Ich setzte mich mit angstvollem Herzen auf eine Bank, die im sonnigen Raum der Hausthür gegenüber stand. Es ward mir als hörte ich den ungesehenen Kobold sich hohnlachend neben mich setzen. Der Schlüssel ward in der Thür gedreht, sie ging auf, der Forstmeister trat heraus mit Papieren in der Hand. Ich fühlte mir wie Nebel über den Kopf ziehn, ich sah' mich um, und –

    Entsetzen! – der Mann im grauen Rock saß neben mir, mit satanischem Lächeln auf mich blickend – Er hatte mir seine Tarnkappe mit über den Kopf gezogen, zu seinen Füßen lagen sein und mein Schatten friedlich neben einander, er spielte nachläßig mit dem bekannten Pergament, das er in der Hand hielt, und indem der Forstmeister mit den Papieren beschäftigt im Schatten der Linde auf und ab ging – beugte er sich vertraulich zu meinem Ohr und flüsterte mir die Worte: "So hätten Sie denn doch meine Einladung angenommen, und da säßen wir einmal zwei Köpfe unter einer Kappe! – Schon recht! schon recht! Nun geben Sie mir aber auch mein Vogelnest zurücke, Sie brauchen es nicht mehr, und sind ein zu ehrlicher Mann um es mir vorenthalten zu wollen – doch keinen Dank dafür, ich versichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern geliehen habe – Er nahm es unweig

    erlich aus meiner Hand, steckte es in die Tasche und lachte mich abermals aus, und zwar so laut, daß sich der Forstmeister nach dem Geräusch umsah. – Ich saß wie versteinert da. Sie müßen mir doch gestehen, fuhr er fort, daß so eine Kappe viel bequemer ist. Sie deckt doch nicht nur ihren Mann sondern auch seinen Schatten mit, und noch so viele andere, als er mitzunehmen Lust hat. Sehen Sie, heute führ' ich wieder ihrer zwei – Er lachte wieder. Merken Sie sich's, Schlemiel, was man anfangs mit Gutem nicht will, daß muß man am Ende doch gezwungen. Ich dächte noch, Sie kauften mir das Ding ab, nehmen die Braut zurücke, /:denn noch ist es Zeit, und wir ließen den Raskal am Galgen baumeln, das wird uns ein Leichtes, so lange es an Stricke nicht fehlt – Hören Sie, ich gebe Ihnen noch meine Mütze in den Kauf. Die Mutter trat heraus, und das Ge

    spräch begann. – Was macht Mina? – Sie weint. – Einfältiges Kind! es ist doch nicht zu ändern! – Freilich nicht, aber sie so früh einem Andern zu geben ... O Mann du bist grausam gegen dein eigenes Kind. – Nein, Mutter, das siehst du sehr falsch. Wenn sie noch, bevor sie ihre doch kindischen Thränen ausgeweint hat, sich als die Frau eines sehr reichen und geehrten Mannes findet, wird sie getröstet, aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum erwachen, und Gott und uns danken, das wirst du sehen! – Gott gebe es! – Sie besitzt freilig jetzt sehr ansehnliche Güter, aber nach dem Aufsehn, daß die unglückliche Geschichte mit diesem Abentheurer gemacht hat, glaubst du, daß sich sobald eine andere für sie so passende Partie als der Herr Raskal finden möchte! Weißt du,

    was für ein Vermögen er besitzt der Herr Raskal? Er hat für sechs Millionen Güter hier im Lande, frei von allen Schulden baar bezahlt. Ich habe die Dokumente in Händen gehabt, er war's, der mir überall das Beste vorweg genommen hatte; und außerdem im Portefeuille Papiere auf Thomas John für circa Viertehalb Millionen. – Er muß sehr viel gestohlen haben. – Was sind das wieder für Reden! Er hat weislich gespart, wo verschwendet wurde. – Ein Mann, der die Livree getragen hat! – Dummes Zeug! er hat doch einen untadlichen Schatten – Du hast Recht, aber .... der Mann im grauen Rock lachte und sah mich an. Die Thüre ging auf, und Mina trat heraus. Sie stützte sich auf

    den Arm einer Kammerfrau, stille Thränen flossen auf ihre schönen blassen Wangen. Sie setzte sich in einen Sessel, der für sie unter der Linde bereitet war, und ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand und redete sie, die heftiger zu weinen anfing, mit zarten Worten an. "Du bist mein gutes, liebes Kind, du wirst auch vernünftig seyn, wirst nicht deinen alten Vater betrüben wollen, der nur dein Glück will, ich begreife es wol, liebes Herz, daß es dich sehr erschüttert hat, du bist wunderbar deinem Unglück entkommen! bevor wir den schändlichen Betrug entdeckt, hast du diesen Unwürdigen sehr geliebt, siehe Mina, ich weiß es, und ich mache dir keine Vorwürfe

    darüber. Ich selber, liebes Kind, habe ihn auch geliebt, so lange ich ihn für einen großen Herrn angesehen habe. Nun siehst du selber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja seinen Schatten, und mein liebes einziges Kind sollte einen Mann ... Nein, du denkst auch gar nicht mehr an ihn. – Höre, Minna, nun wirbt ein Mann um dich, der die Sonne nicht scheut, ein geehrter Mann, der freilich kein Fürst ist, aber zehn Millionen, zehn mal mehr als du in Vermögen besitzt, ein Mann, der mein liebes Kind glücklich machen wird. Erwiedere mir nichts, widersetze dich nicht, sei meine gute gehorsame Tochter, laß deinen liebenden Vater für dich sorgen, deine Thränen trocknen, Ver

    sprich mir dem Herrn Raskal deine Hand zu geben – Sage, willst du mir das versprechen? – Sie antwortete mit erstorbener Stimme: Ich habe keinen Willen, keinen Wunsch fürder auf Erden. Geschehe mit mir, was mein Vater will. Zugleich ward Herr Raskal angemeldet und trat frech in den Kreis. Mina lag in Ohnmacht. Mein verhaßter Gefährte blickte mich zornig an und flüsterte mir die schnellen Worte: "Und das könnten Sie erdulden! was fließt Ihnen denn statt Blutes in den Adern?" Er ritzte mir mit einer raschen Bewegung eine leichte Wunde in die Hand, es floß Blut, er fuhr fort: "Wahrhaftig! rothes Blut! .. So unterschreiben Sie!" Ich hatte das Pergament und die Feder in Händen.

    VII.

    Ich werde mich Deinem Urtheile bloß stellen, lieber Chamisso, und es nicht zu bestechen suchen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an mir selber vollzogen, denn ich habe den quälenden Wurm in meinem Herzen genährt. Es schwebte immerwährend dieser ernste Moment meines Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zerknirschung anzuschauen – Lieber Freund, wer leichtsinnig den Fuß nur aus der geraden Straße setzt, der wird unversehens in andere Pfade abgeführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen, er sieht dann umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern. Nach dem übereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich durch Liebe frevelnd,

    in eines Andern Wesens Schicksal mich gedrängt: was blieb mir übrig, als wo ich Verderben gesät, wo schnelle Rettung von mir geheischt ward, eben rettend blindlings hinzu zu springen? denn die letzte Stunde schlug. – Denke nicht so niedrig von mir, mein Adalbert, als zu meinen, es hätte mich irgend ein gefoderter Preis zu theuer gedünkt, ich hätte mit irgend Etwas, was nur mein war, mehr als eben mit Gold gekargt. – Nein, Adalbert; aber mit unüberwindbarem Hasse gegen diesen räthselhaften Schleicher auf krummen Wegen, war meine Seele angefüllt. Ich mochte ihm Unrecht thun, doch empörte mich jede Gemeinschaft mit ihm. – Auch hier trat, wie so oft schon in mein Leben, und wie überhaupt so oft in die Weltgeschichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Später habe ich mich mit mir selber versöhnt. Ich habe erstlich die Nothwendigkeit verehren lernen, und was ist mehr als

    die gethanene That, das geschehene Ereigniß ihr Eigenthum! Dann hab' ich auch diese Nothwendigkeit als eine weise Fügung verehren lernen, die durch das gesammte große Getrieb weht, darin wir bloß als mitwirkende getriebene treibende Räder eingreifen; was seyn soll, muß geschehn, was seyn sollte, geschah, und nicht ohne jene Fügung, die ich endlich noch in meinem Schicksale und dem Schicksale derer, die das meine mit ergrif, verehren lernte

    Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele unter dem Drange so mächtiger Empfindungen, zuschreiben soll, ob der Erschöpfung meiner physischen Kräfte, die während der letzten Tage ungewohntes Darben geschwächt, ob endlich dem zerstörenden Aufruhr, den die Nähe dieses grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug es befiel mich,

    als es an das Unterschreiben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den Armen des Todes. Fußstampfen und Fluchen waren die ersten Töne, die mein Ohr trafen, als ich zum Bewußtsein zurückekehrte, ich öffnete die Augen, [...] es war dunkel, mein verhaßter Begleiter war scheltend um mich bemüht. "Heißt das nicht wie ein altes Weib sich aufführen? – Man raffe sich auf, und vollziehe frisch was man beschlossen, oder hat man sich anders besonnen, und will lieber greinen?" – Ich richtete mich mühsam auf von der Erde wo ich lag und schaute schweigend um mich. Es war später Abend, aus dem hell erleuchteten Försterhause erscholl festliche Musik, einzelne Gruppen von Menschen wallten durch die Gänge des Gartens. Ein Paar traten im Gespräche näher und nahmen Platz auf der Bank, worauf ich früher gesessen hatte. Sie unterhielten sich von der an diesem Morgen

    vollzogenen Verbindung des reichen Herrn Raskal mit der Tochter des Hauses. – Es war also geschehen. – Ich streifte mit der Hand die Tarnkappe des sogleich mir verschwindenden Unbekannten von meinem Haupt weg, und eilte stillschweigend in die tiefste Nacht des Gebüsches mich versenkend den Weg über Graf Peters Laube einschlagend, dem Aus gang des Gartens zu. Unsichtbar geleitete mich aber mein Plagegeist, mich mit scharfen Worten verfolgend: Das ist also der Dank für die Mühe, die man genommen hat, Monsieur, der schwache Nerven hat, den langen lieben Tag hindurch zu pflegen. Und man soll den Narren im Spiele abgeben. Gut, Herr Trotzkopf, fliehen Sie nur vor mir, wir sind doch unzertrennlich. Sie haben mein Gold, und ich Ihren Schatten, das läßt uns beiden keine Ruhe – Hat man je gehört, daß ein Schatten

    von seinem Herrn gelassen hätte, Ihrer zieht mich Ihnen nach, bis Sie ihn wieder zu Gnaden annehmen, und ich ihn los bin. Was Sie versäumt haben aus frischer Lust zu thun, werden Sie, nur zu spät, aus Ueberdruß und Langeweile nachholen müßen; man entgeht seinem Schicksale nicht." Er sprach auf demselben Tone fort und fort, ich floh umsonst, er ließ nicht nach, und immer gegenwärtig, redete höhnend von Gold und Schatten. Ich konnte zu keinem eigenen Gedanken kommen. Ich hatte durch menschenleere Straßen einen Weg nach meinem Hause eingeschlagen. Als ich davor stand, und es ansah, konnte ich es kaum erkennen, hinter den eingeschlagenen Fenstern brannte kein Licht. Die Thüren waren zu, kein Dienervolk regte sich mehr darinnen. Es lachte laut auf neben

    mir: "Ja, ja,! so geht's, aber Ihren Bendel finden Sie wol daheim, den hat man jüngst vorsorglich so müde nach Hause geschickt, daß er es wol seitdem gehütet haben wird." Es lachte wieder. "Der wird Geschichten zu erzählen haben. – Wohlan denn! für heute gute Nacht, auf baldiges Wiedersehen." Ich hatte wiederholt geklingelt, es erschien Licht, Bendel frug von innen wer geklingelt habe. Als der gute Mann meine Stimme erkannte, konnte er seine Freude kaum bändigen, die Thür' flog auf, wir lagen weinend einander in den Armen. Ich fand ihn sehr verändert, schwach und krank, mir war aber das Haar ganz grau geworden. Er führte mich durch die verödeten Zimmer nach einem innern verschont gebliebenen Gemach, er holte Speise und

    Trank herbei, wir setzten uns, er fing wieder an zu weinen. Er erzählte mir, daß er letzthin den graugekleideten dürren Mann, den er mit meinem Schatten angetroffen hatte, so lange und so weit geschlagen habe, bis er selbst meine Spur verloren und vor Müdigkeit hingesunken sei, daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden gekonnt, er nach Hause zurückgekehrt, wo bald darauf der Pöbel auf Raskal's Anstiften, herangestürmt, die Fenster eingeschlagen, und seine Zerstörungslust gebüßt. So hätten sie an ihrem Wohlthäter gehandelt. Meine Dienerschaft war aus einander geflohn. Die örtliche Polizei hatte mich als verdächtig aus der Stadt verwiesen, und mir eine Frist von vier und zwanzig Stunden festgesetzt um deren Gebiet zu verlassen. Zu dem, was mir von Raskal's Reichthum und Vermählung

    bekannt war, wußte er noch Vieles hinzuzufügen. Dieser Bösewicht, von dem Alles ausgegangen, was hier gegen mich geschehen war, mußte von Anbeginn mein Geheimniß besessen haben, es schien, er habe, vom Golde angezogen, sich an mich zu drängen gewußt, und schon in der ersten Zeit einen Schlüssel zu jenem Goldschrank sich verschaft, wo er den Grund zu dem Vermögen gelegt, den noch zu vermehren er jetzt verschmähen konnte. Das Alles erzählte mir Bendel unter häufigen Thränen, und weinte dann wieder vor Freuden, daß er mich wieder sah, mich wieder hatte, und daß, nachdem er lange gezweifelt, wohin das Unglück mich gebracht haben mochte, er mich es ruhig und gefaßt ertragen sah. Denn solche Gestaltung hatte nun die Verzweiflung in

    mir genommen. Ich sah mein Elend riesengroß, unwandelbar vor mir, ich hatte ihm meine Thränen aus geweint, es konnte kein Geschrei mehr aus meiner Brust pressen, ich trug ihm kalt und gleichgültig mein entblößtes Haupt entgegen. Bendel, hub ich an, du weißt mein Loos. Nicht ohne früheres Verschulden trift mich schwere Strafe. Du sollst länger nicht, unschuldiger Mann, dein Schicksal an das meine binden, ich will es nicht. Ich reite die Nacht noch fort, sattle mir ein Pferd, ich reite allein, du bleibst, ich will's. Es müßen hier noch einige Kisten Goldes liegen, das behalte du. Ich werde allein unstät in der Welt wandern; wann mir aber je eine heitere Stunde wieder lacht, und das Glück mich versöhnet anblickt, dann will ich deiner

    getreu gedenken, denn ich habe an deiner getreuen Brust in schweren schmerzlichen Stunden geweint.

    Mit gebrochenem Herzen mußte der Redliche diesem letzten Befehle seines Herrn, worüber er in der Seele erschrack, gehorchen, ich war seinen Bitten, seinen Vorstellungen taub, blind seinen Thränen, er führte mir das Pferd vor. Ich drückte noch einmal den Weinenden an meine Brust, schwang mich in den Sattel, und entfernte mich unter dem Mantel der Nacht von dem Grabe meines Lebens, unbekümmert welchen Weg mein Pferd mich führen werde, denn ich hatte weiter auf Erden kein Ziel, keinen Wunsch, keine Hoffnung.

    VIII.

    Es gesellte sich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde

    geschritten war, da wir doch denselben Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen, ich ließ es stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit leichtem Anstand für den leichten Dienst, lobte mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu preisen, und ließ sich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbstgespräch ein, bei dem er mich bloß zum Zuhörer hatte. Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der Welt, und kam sehr bald auf die Metaphysik, an die die Foderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Räthsel Lösung sei. Er setzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und schritt fürder zu deren Beantwortung. Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, seitdem ich den Philosophen durch

    die Schule gelaufen, daß ich zur philosophischen Spekulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir dieses Feld völlig abgesprochen habe, ich habe seither Vieles auf sich beruhen lassen, Vieles zu wissen und zu begreifen Verzicht geleistet, und bin, wie du es mir selber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir, so viel es in meiner Macht gewesen, auf den eigenen Weg gefolgt. Nun schien mir dieser Redekünstler mit großem Talent ein festgefügtes Gebäude aufzuführen, das in sich selbst begründet sich empor trug, und wie durch innere Nothwendigkeit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was ich eben darin hätte suchen wollen, und so ward es mir zu einem bloßen Kunstwerk, dessen zierliche Geschlossenheit und Vollendung dem

    Auge allein zur Ergötzung diente, aber ich hörte dem wohlberedten Manne gerne zu, der meine Aufmerksamkeit von meinen Leiden auf sich selbst abgelenkt, und ich hätte mich ihm willig ergeben, wenn er meine Seele wie meinen Verstand in Anspruch genommen hätte. Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt hatte schon die Morgendämmerung den Himmel erhellt, ich erschrak, als ich mit einemmal aufblickte und im Osten die Pracht der Farben sich entfalten sah, die die nahe Sonne verkünden, und gegen sie war in dieser Stunde, wo die Schlagschatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prunken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen Gegend zu ersehn! und ich war nicht allein; ich warf ei

    nen Blick auf meinen Begleiter und erschrak wieder. – Es war kein anderer als der Mann im grauen Rock. Er lächelte über meine Bestürzung, und fuhr fort, ohne mich zum Wort kommen zu lassen: "Laßt uns doch, wie es einmal in der Welt Sitte ist, unsere wechselseitige Vortheile uns auf eine Weise verbinden, zu scheiden haben wir immer noch Zeit. Die Straße hier längst dem Gebirge, ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, ist die einzige, die Sie vernünftigerweise einschlagen können, hinab in das Thal dürfen Sie nicht, und über das Gebirg werden Sie noch weniger zurückkehren wollen, von wo Sie

    hergekommen sind – diese ist auch gede meine Straße. – Ich sehe Sie schon vor der aufgehenden Sonne erblassen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit unserer Gesellschaft leihen und Sie dulden mich dafür in Ihrer Nähe, Sie haben so Ihrem Bendel nicht mehr bei sich, ich will Ihnen gute Dienste leisten. Sie lieben mich nicht, das ist mir leid, Sie können mich darum doch benutzen. Der Teufel ist nicht so schwarz als man ihn malt. Gestern haben Sie mich geärgert, das ist wahr, heute will ich's Ihnen nicht nachtragen, und ich habe Ihnen schon den Weg bis hieher verkürzt, das müßen Sie selbst gestehen – nehmen Sie doch nur einmal Ihren Schatten auf Probe wieder an." Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße

    kamen uns Menschen entgegen, ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen den Antrag an. Er ließ lächelnd meinen Schatten zur Erde gleiten, der alsbald seine Stelle auf des Pferdes Schatten einnahm und lustig neben mir hertrabte. Mir war sehr seltsam zu Muth. Ich ritt an einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens seitwärts vom Pferde herab auf diesen sonst meinen Schatten, den ich jetzt von einem Fremden, ja von einem Feinde erborgt hatte. Dieser ging unbekümmert nebenher und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu Pferd', ein Schwindel ergrif mich, die Versuchung war zu

    groß, ich wandte plötzlich die Zügel, drückte beide Sporen an, und so in voller Karriere einen Seiten weg eingeschlagen, aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und seinen gesetzmäßigen Eigenthümer auf der Landstraße erwartete. Ich mußte beschämt umlenken, der Mann im grauen Rock, als er ungestört sein Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, setzte mir den Schatten wieder zu recht, und belehrte mich, er würde erst an mir festhangen, und bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wiederum als rechtmäßiges Eigenthum besitzen würde. Ich halte Sie, fuhr er fort, am Schatten fest, und Sie kommen mir nicht los. Ein reicher Mann wie Sie, braucht einmal einen Schatten, das ist nicht anders, Sie sind nur darin zu tadeln, daß

    Sie es nicht früher eingesehen haben. – Ich setzte meine Reise auf derselben Straße fort, es fanden sich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens und selbst die Pracht wieder ein, ich konnte mich frei und leicht bewegen, da ich einen obgleich nur erborgten Schatten besaß, und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die der Reichthum gebietet, aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wundersamer Begleiter, der sich selbst für den unwürdigen Diener des reichsten Mannes in der Welt aus gab, war von einer außerordentlichen Dienstfertigkeit, über die Maßen gewandt und geschickt, der wahre Inbegrif eines Kammerdieners für einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite und führte un aufhörlich das Wort gegen mich,

    stets die größte Zuversicht an den Tag legend, daß ich endlich, sei es auch nur um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abschließen würde. – Er war mir eben so lästig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm fürchten. Ich hatte mich von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich, nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zurückgeführt hatte. Ich mußte seine Beredsamkeit über mich ergehen lassen, und fühlte schier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt einen Schatten haben, und sobald ich den Stand behaupten wollte, den er mich wieder geltend zu machen verleitet hatte, war nur ein Ausgang zu ersehn. Dieses aber stand bei mir fest, nachdem ich meine Liebe hingeopfert, nachdem mir das Leben

    verblaßt war, wollt' ich meine Seele nicht, sei es um alle Schatten der Welt, dieser Kreatur verschreiben. Ich wußte nicht, wie es enden sollte.

    Wir saßen einst vor einer Höle, welche die Fremden, die das Gebirg bereisen, zu besuchen pflegen. Man hörte dort das Gebraus un terirdischer Ströme, aus ungemessener Tiefe heraufschallen, und kein Grund scheint den Stein, den man hineinwirft in seinem hallenden Fall aufzuhalten. Er mahlte mir, wie er öfters thut, mit verschwenderischer Einbildungskraft und im schimmernden Reize der glänzendsten Farben, sorgfältig ausgeführte Bilder von dem was ich in der Welt, Kraft meines Seckels ausführen würde, wenn ich

    erst meinen Schatten wieder in meiner Gewalt['] hätte. Die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, hielt ich mein Gesicht in meinen Händen verborgen, und hörte dem Falschen zu, das Herz zwiefach getheilt zwischen der Verführung und dem strengen Willen in mir. Ich konnte bei solchem innerlichen Zwiespalt länger nicht aus dauern, und begann den entscheidenden Kampf: "Sie scheinen mein Herr, zu vergessen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe, unter gewissen Bedingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir aber meine völlige Freiheit vorbehalten habe" – "Wenn Sie befehlen, so pack' ich ein." Die Drohung war ihm geläufig, ich schwieg, er setzte sich gleich daran, meinen Schatten wieder zusammenzurollen. Ich erblaßte, aber ich

    ließ es stumm geschehen: Es erfolgte ein langes Stillschweigen. Er nahm zuerst das Wort. "Sie können mich nicht leiden, mein Herr, Sie hassen mich, ich weiß es. Doch warum hassen Sie mich? Ist es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straße angefallen, und mir mein Vogelnest mit Gewalt zu rauben gemeint, oder ist es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaubten, mir diebischer Weise zu entwenden gesucht haben? Ich meinerseits haße Sie darum nicht, ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vortheile, List und Gewalt geltend zu machen suchen, daß Sie übrigens die allerstrengsten Grundsätze haben, und wie die Ehrlich

    keit selbst denken, ist eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe – Ich denke in der That nicht so streng als Sie, ich handle bloß wie Sie denken. Oder hab' ich Ihnen irgendwann den Daumen auf die Gurgel gedrückt um Ihre wertheste Seele, zu der ich einmal Lust habe, an mich zu bringen! Hab ich von wegen meines ausgetauschten Seckels einen Diener auf Sie losgelassen, hab' ich Ihnen damit durchzugehen versucht?" Ich hatte dagegen nichts zu erwiedern, er fuhr fort. "Schon recht, mein Herr, schon recht, Sie können mich nicht leiden, auch das begreife ich wohl und verarge es Ihnen weiter nicht. Wir müßen scheiden, das ist klar, und auch Sie fangen an mir sehr langweilig vorzukommen. Um sich also meiner ferneren beschämenden

    Gegenwart völlig zu entziehn, rathe ich es Ihnen noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab." – Ich hielt ihm den Seckel hin [...] "Um den Preis?" – Nein. – Ich seufzte schwer auf und nahm wieder das Wort: Auch also: Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns scheiden, vertreten Sie mir länger nicht den Weg auf einer Welt, die hoffentlich geräumig genug ist, für uns beide. Er lächelte und erwiederte: "Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unterrichten, wie Sie mich herbeiklingeln können, wenn Sie je verlangen nach Ihrem unterthänigsten Knecht tragen sollten: Sie brauchen nur Ihren Säckel zu schütteln, daß die ewigen Goldstücke darinnen rasseln, der Ton zieht mich augenblicklich an. Ein Jeder denkt auf sei

    nen Vortheil in dieser Welt, Sie sehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich eröffne Ihnen offenbar eine neue Kraft. – O dieser Säckel! – Und hätten gleich die Motten Ihren Schatten schon aufgefressen, der würde noch ein starkes Band zwischen uns seyn. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, bef[e]hlen Sie auch in der Entfernung über Ihren Knecht, Sie wissen, daß ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen kann, und daß die Reichen besonders gut mit mir stehn, Sie haben es selbst gesehen, – nur Ihren Schatten, mein Herr, – das lassen Sie sich gesagt seyn – nie wieder, als unter einer einzigen Bedingung." Gestalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn schnell:

    Hatten Sie eine Unterschrift von Herr John? – Er lächelte. – "Mit einem so guten Freund, hab' ich es keinesweges nöthig gehabt." – Wo ist er? bei Gott, ich will es wissen! Er steckte zögernd die Hand in die Tasche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erschien Thomas John's bleiche entstellte Gestalt, und die blauen Leichenlippen bewegten sich zu schweren Worten: Justo judicio Dei judicatus sum, Justo judicio Dei condemnatus sum. Ich entsetzte mich, und schnell den klingenden Säckel in den Abgrund werfend, sprach ich zu ihm die letzten Worte: So beschwör' ich dich im Namen Gottes, Entsetzlicher, hebe dich von dannen und lasse dich nie wieder vor meinen Augen blicken! Er erhub sich finster und verschwand sogleich hinter den FelsenMassen, die den wild bewachsenen Ort begrenzten.

    IX.

    Ich saß da ohne Schatten und ohne Geld, aber ein schweres Gewicht war von meiner Brust genommen, ich war heiter. Hätte ich nicht auch meine Liebe verloren, oder hätt' ich mich nur bei deren Verlust vorwurfsfrei gefühlt, ich glaube, ich hätte glücklich seyn können – ich wußte aber nicht, was ich anfangen sollte. Ich durchsuchte meine Taschen, und fand noch einige Goldstücke darin, ich zählte sie, und lachte. – Ich hatte meine Pferde unten im Wirthshause, ich schämte mich dahin zurückzukehren, ich mußte wenigstens den Untergang der Sonne erwarten, die stand noch hoch am Himmel: Ich legte mich im Schatten der nächsten Bäume und schlief ruhig ein. Anmuthige Bilder verwoben sich

    mir im luftigen Tanze zu einem gefälligen Traum. Mina, einen Blumenkranz in den Haaren, schwebte an mir vorüber, und lächelte mich freundlich an. Auch der ehrliche Bendel war mit Blumen bekränzt und eilte mit freudigem Gruße vorüber. Viele sah' ich noch, und wie mich dünkt auch Dich, Chamisso, im fernen Gewühl, ein helles Licht schien, es hatte aber Keiner einen Schatten, und was seltsamer ist, es sah nicht übel aus, – Blumen und Lieder, Liebe und Freude, unter Palmenhainen, ... Ich konnte die beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Gestalten weder festhalten noch deuten, aber ich weiß, daß ich gerne solchen Traum träumte, und mich vor dem Erwachen in Acht

    nahm, ich wachte wirklich schon, und hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erscheinungen langer vor meiner Seele zu behalten. Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch am Himmel, aber im Osten: ich hatte die Nacht verschlafen. Ich nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshause zurückkehren sollte. Ich gab leicht, was ich dort noch besaß, verloren, und beschloß, eine Nebenstraße, die durch den waldbewachsenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuße einzuschlagen, dem Schicksal es anheim stellend, was es mit mir vor hatte, zu erfüllen. Ich schaute nicht hinter mir zurück, und dachte auch nicht daran, an Bendel, den ich reich zurücke gelassen hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt hätte. Ich sah mich auf den neuen

    Karakter an, den ich in der Welt bekleiden sollte: Mein Anzug war sehr bescheiden. Ich hatte eine alte schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getragen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wieder in die Hand gekommen war. Ich hatte sonst eine Reisemütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Füßen. Ich erhub mich, schnitt mir an selbiger Stelle einen Knotenstock zum Andenken, und trat sogleich meine Wanderung an. Ich begegnete im Wald einen alten Bauer, der mich freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Gespräch einließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reisende, erst nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Bewohner, den Erzeugnissen des Gebirges und derlei mehr: Er antwor

    te verständig und redselig auf meine Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergstromes, der über einen weiten Strich des Waldes seine Verwüstung verbreitet hatte. Mich schauderte innerlich vor dem sonnenhellen Raum, ich ließ den Landmann voran gehn. Er hielt aber mitten im gefährlichen Orte still und wandte sich zu mir, um mir die Jahrzahl und die Geschichte dieser Verwüstung zu erzählen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mitten in seiner Rede ein: "Aber, wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten." – Leider! leider! erwiederte ich seufzend. Es sind mir während einer bösen langen Krankheit, Haare, Nägel und Schatten ausgegangen.

    Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel sehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht wieder wachsen. – "Ei! ei! versetzte der alte Mann kopfschüttelnd, keinen Schatten, das ist bös! das war eine böse Krankheit, die der Herr gehabt hat." Aber, er hub seine Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächsten Queerweg, der sich darbot, ging er ohne ein Wort zu sagen, von mir ab. – Bittere Thränen zitterten auf's Neue in meinen Wimpern und meine Heiterkeit war hin. Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort, und suchte ferner keines Menschen Gesellschaft. Ich hielt mich im dunkelsten Wald, und mußte manchmal um über einen Strich,

    wo die Sonne schien, zu kommen, Stunden lang darauf warten, daß mir keines Menschen Aug den Durchgang verbot. Am Abende suchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirg, wo ich Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn davon abgesehen daß meine jetzige Lage mir gebot, für meinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, hatte ich dieses wohl erkannt, daß mich allein angestrengte Arbeit gegen meine zerstörenden Gedanken schützen könnte. Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den Weg, aber auf Kosten meiner Stiefeln, deren Solen für den Grafen Peter und nicht für den Fußknecht berechnet worden waren. Ich trat schon auf den bloßen Füßen. Ich mußte ein Paar neue Stiefeln an

    schaffen. Am nächsten Morgen besorgte ich dieses Geschäft mit vielem Ernst in einem Flecken, wo Kirmis war, und wo in einer Bude neue und alte Stiefeln zu Kauf standen. Ich wählte und handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gerne gehabt hätte, Verzicht leisten, mich schreckte die unbillige Forderung. Ich begnügte mich also mit alten, die noch gut und stark waren, und die mir der schöne blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Bezahlung, freundlich lächelnd einhändigte, indem er mir Glück auf den Weg wünschte. Ich zog sie gleich an, und ging zum nördlich gelegenen Thor aus dem Ort. Ich war in meinen Gedanken sehr vertieft, und sah kaum wo ich den Fuß hinsetzte, denn ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf

    den Abend noch anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich ankündigen sollte. Ich war noch keine zweihundert Schritt gegangen, als ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war, ich sah mich danach um, ich befand mich in einem wüsten uralten Tannenwalde, woran die Axt nie gelegt worden zu seyn schien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich sah mich mitten unter öden Felsen, die nur mit Moos und Steinbrucharten bewachsen waren, und zwischen welchen Schnee= und Eisfelder lagen. Die Luft war sehr kalt, ich sah mich um, der Wald war hinter mir verschwunden. Ich machte noch einige Schritte – um mich herrschte die Stille des Todes, unabsehbar dehnte sich das Eis, worauf ich stand, und worauf ein dichter Nebel

    schwer ruhte, die Sonne stand blutig am Rande des Horizontes, die Kälte war unerträglich. Ich wußte nicht, wie mir geschehen war, der erstarrende Frost zwang mich meine Schritte zu beschleunigen, ich vernahm nur das Gebrause ferner Gewässer, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzählbare Heerden von Seehunden stürzten sich vor mir rauschend in die Fluth. Ich folgte diesem Ufer, ich sah wieder nackte Felsen, Land, Birken=Tannenwälder, ich lief noch ein paar Minuten gerade vor mir hin. Es ward erstickend heiß, ich sah mich um, ich stand zwischen schön gebauten Reißfeldern unter Maulbeerbäumen, ich setzte mich in deren Schatten, ich sah nach meiner Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelstunde den Marktflecken

    verlassen, – ich glaubte zu träumen, ich biß mich in die Zunge um mich zu erwecken, aber ich wachte wirklich. – Ich schloß die Augen zu, um meine Gedanken zusammen zu fassen. – Ich hörte vor mir seltsame Sylben durch die Nase zählen, ich blickte auf: Zwei Chinesen, an der Asiatischen Gesichtsbildung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen Glauben beimessen wollte, redeten mich mit landesüblichen Begrüßungen in ihrer Sprache an, ich stand auf und trat zwei Schritte zurück. Ich sah sie nicht mehr, die Landschaft war ganz verändert: Bäume, Wälder, statt der Reißfelder. Ich betrachtete diese Bäume und die Kräuter die um mich blühten, die ich kannte,

    waren südostlich Aiatische Gewächse, ich wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt – und wiederum Alles verändert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geübt wird, und schritt langsam gesetzt einher. Wunderbar veränderliche Länder, Fluren, Auen, Gebirge, Steppen, Sandwüsten entrollten sich vor meinem staunenden Blick, es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenstiefeln an den Füßen.

    X.

    Ich fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoß Thränen des Dankes – denn klar stand plötzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch frühe Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen ward ich zum Ersatz an die Natur, die ich stets geliebt, gewie

    sen, die Erde mir zu einem reichen Garten gegeben, das Studium zur Richtung und Kraft meines Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht ein Entschluß, den ich faßte. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im Urbild vor mein inneres Auge trat, getreu, mit stillem, strengem, unausgesetzten Fleiß darzustellen gesucht, und meine Selbstzufriedenheit hat von dem Zusammenfallen des Dargestellten mit dem Urbild abgehangen. – 34 Ich raffte mich auf um ohne Zögern mit flüchtigem Ueberblick Besitz von dem Felde zu nehmen, wo ich künftig ärnten wollte – ich stand auf den Höhen des Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen war, neigte

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    34 An dieser Stelle beginnt in der Urschrift eine mehrseitige Streichung. Die Abschrift folgt in diesem Teil nicht mehr der Urschrift sondern entspricht dem Erstdruck. Den Korrekturen lässt sich entnehmen, dass eine handschriftliche Vorlage für diesen Abschnitt vorgelegen haben muss und der Schreiber sich nicht auf den Erstdruck stützt. Der Befund spricht für die Existenz einer Druckvorlage, die laut Dennerlein als verloren gilt. Vgl. die Faksimile-Ausgabe der Schlemiel-Handschrift (Urschrift), 2013: 98.

    sich hier schon am Abendhimmel, ich durchwanderte Asien von Osten gegen Westen, sie in ihrem Lauf einholend, und trat in Afrika ein. Ich sah mich neugierig darinnen um, indem ich es wiederholt in allen Richtungen durchmaß, wie ich durch Aegypten die alten Pyramiden und Tempel angaffte, erblickte ich in der Wüsten unfern der hundertthorigen Theben, die Hölen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten. Es stand plötzlich fest und klar in mir, hier ist dein Haus. – Ich erkohr eine der verborgensten, die zugleich geräumig bequem und den Schakalen unzugänglich war, zu meinem künftigen Aufenthalte, und setzte meinen Stab weiter. Ich trat bei den [am Rande: Herkules=]Seulen nach Europa über, und

    nachdem ich seine südlichen und nördlichen Provinzen in Augenschein genommen, trat ich von Nordasien über den Polarglätscher nach Grönland und Amerika über, durchschweifte die beiden Theile dieses Kontinents, und der Winter, der schon im Süden herrschte, trieb mich schnell vom Cap Horn nordwärts zurück.

    [am Rande: Ich erwartete dort] daß 35es im östlichen Asien Tag [am Rande: werde], und setzte erst nach einiger Ruh meine Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide Amerika die Bergkette, die die höchsten [am Rande: bekannten] Unebenheiten unserer Kugel in sich faßt. Ich schritt langsam und vorsichtig von Gipfel zu Gipfel, bald über flammende Vulkane, bald über beschneite Kuppeln, oft mit Mühe athmend, ich erreichte

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    35 Ab hier entsprechen sich Abschrift und Erstdruck wieder.

    den Eliasberg und sprang über die Behring'sstraße nach Asien. – Ich verfolgte dessen westliche Küsten in ihren vielfachen Wendungen, und untersuchte mit besonderer Aufmerksamkeit, welche der dort gelegenen Inseln mir zugänglich wären. Von der Halbinsel Malakka trugen mich meine Stiefel 36auf Sumatra, Java, Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit Gefahr, und dennoch immer vergebens, mir über die kleinern Inseln und Felsen, wovon dieses Meer starrt, einen Uebergang nordwestlich nach Borneo und anderen Inseln dieses Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die Hoffnung aufgeben. Ich setzte mich endlich auf die äußerste Spitze von Lamboc nieder; und das Gesicht gen

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    36 Ab diesem Punkt enstprechen sich Urschrift und Abschrift wieder. Es wird allerdings nicht deutlich, ob die Urschrift im Folgenden als Vorlage der Abschrift dient.

    Süden und Osten gewendet, weint' ich, wie am festverschlossenen Gitter meines Kerkers, daß ich doch so bald meine Begrenzung gefunden. Das Merkwürdige zum Verständniß der Erden, und ihres sonnengewirkten Kleides der Pflanzen= und Thierwelt so wesentlich nothwendige Neuholland, und die Südsee mit ihren Zoophyten=Inseln, waren mir untersagt, und so war, im Ursprunge schon, Alles, was ich sammeln und erbauen sollte, bloßes Fragment zu bleiben verdammt – O mein Adalbert, was ist es doch um die Bemühungen der Menschen! Oft habe ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel vom Cap-Horn aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und Neuholland trennten, selbst

    unbekümmert um die Rückkehr, und sollte sich dieses enge schlechte Land über mich wie der Deckel meines Sarges schließen, über den Polarglätscher westwärts zurücke zu legen versucht, habe über Treibeis mit thörichter Wagniß verzweiflungsvolle Schritte gethan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten. Umsonst, noch bin ich auf Neuholland nicht gewesen – ich kam dann jedesmal auf Lambon zurück und setzte mich auf seine äußerste Spitze nieder, und weinte wieder, das Gesicht gen Süden und Osten gewendet wie am festverschlossenen Gitter meines Kerkers. 37Ich riß mich endlich von dieser Stelle und traf mit traurigem Herzen wieder in das innere Asien, ich durchschweifte

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    37 Ab hier entsprechen sich Erstdruck und Abschrift, nicht aber die Urschrift.

    es fürder, die Morgendämmerung [am Rande: nach Westen] verfolgend, 38und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbestimmten Hause, das ich in den gestrigen Nachmittagsstunden berührt hatte.

    Sobald ich etwas ausgeruht, und es Tag über Europa war, ließ ich meine erste Sorge seyn, Alles anzuschaffen was ich bedurfte. – Zuförderst Hemmschuhe, denn ich hatte erfahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt nicht anders verkürzen zu können um nahe Gegenstände gemächlich zu untersuchen, als indem man die Stiefeln auszieht. Ein Paar Pantoffeln übergezogen hatten völlig die Wirkung, die ich mir davon versprach, und späterhin trug ich sogar

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    38 Hier setzt die Übereinstimmung mit der Urschrift wieder ein.

    deren immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters welche von den Füßen warf, ohne Zeit zu haben sie aufzuheben, wann Löwen, Menschen oder Hyänen, mich beim Botanisiren aufschreckten. Meine sehr gute Uhr, war auf die kurze Dauer meiner Gänge ein vortreffliches Kronometer. Ich brauchte noch 39außerdem einige physikalische Instrumente und Bücher. Ich machte dieses alles herbeizuschaffen, etliche bange Gänge nach London und Paris, die ein mir günst

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    39 In der folgenden Textgestalt entspricht die Abschrift wieder der Urschrift, die ihr als Vorlage dient. Allerdings werden die Korrekturen nicht vom Abschreiber übernommen. Erst der Korrektor der Abschrift übernimmt die Korrekturen aus der Urschrift.

    iger Nebel eben beschattete. Als der Rest meines Zaubergoldes erschöpft war, bracht' ich leicht zu findendes Afrikanisches Elfenbein als Bezahlung herbei, wobei ich freilich die kleinsten Zähne, die meine Kräfte nicht überstiegen, auswählen mußte. Ich ward bald mit Allem versehen und ausgerüstet, und ich fing sogleich als privatisirender Gelehrter meine neue Lebensweise an. Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Höhen, bald die Temperatur ihrer Quellen und die der Luft messend, bald Thiere beobachtend, bald Gewächse untersuchend; ich eilte von dem Aequator nach dem Pole, von der einen Welt nach der andern, Erfahr

    ungen mit Erfahrungen vergleichend. Die Eier der Afrikanischen Strauße oder der nördlichen Seevogel, und Früchte, besonders der Tropen= Palmen und Bananengewächse, waren meine gewöhnlichste Nahrung. Für mangelndes Glück hat' ich als Surrogat die Nicotiana, und für menschliche Theilnahme und Bande, die Liebe eines treuen Pudels, der mir meine Höle in der Thebais bewachte, und wann ich mit neuen Schätzen beladen zu ihm zurücke kehrte, freudig an mich sprang und es mich doch menschlich empfinden ließ, daß ich nicht allein auf der Erde sei. Noch sollte mich ein Abentheuer unter die Menschen zurücke führen. –

    XI.

    Als ich einst auf Nordlands Küsten, meine Stiefeln gehemmt, Flechten und Algen sammelte, trat mir unversehens um die Ecke eines Felsens ein Eisbär entgegen . Ich wollte nach weggeworfenen Pantoffeln auf eine gegenüber liegende Insel treten, zu der mir ein dazwischen aus den Wellen hervorragender, nackter Felsen, den Uebergang bahnte. Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felsen fest auf, und stürzte auf der anderen Seite in das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften geblieben war. Die große Kälte ergrif mich, ich rettete mit Mühe mein Leben aus dieser Gefahr; so bald ich Land hielt, lief ich so schnell

    ich konnte nach der Lybischen Wüste um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber ausgesetzt war, brannte sie mir so heiß auf den Kopf, daß ich sehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich suchte durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verschaffen, und lief mit unsichern raschen Schritten von Westen nach Osten und von Osten nach Westen. Ich befand mich bald in dem Tag und bald in der Nacht, bald im Sommer und bald in Winterkält[...]. Ich weiß nicht, wie lange ich mich so auf der Erde herum taumelte. Ein brennendes Fieber glühte durch meine Adern, ich fühlte mit großer Angst die Besinnung mich verlassen. Noch wollte das Unglück, das ich bei so unvorsichtigem Laufen

    Jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm weh gethan haben, ich erhielt einen starken Stoß, und ich fiel hin. –

    Als ich zuerst zum Bewußtsein zurückkehrte, lag ich gemächlich in einem guten Bette, das unter vielen andern Betten in einem geräumigen und schönen Saale stand. Es saß mir Jemand zu Häupten, es gingen Menschen durch den Saal von einem Bett zum andern. Sie kamen vor das meine und unterhielten sich von mir. Sie nannten mich immer Numero zwölf, und an der Wand zu meinen Füßen stand doch ganz gewiß, es war keine Täuschung, ich konnte es deutlich lesen, auf schwarzer Marmortafel mit

    großen goldenen Buchstaben mein Name Peter Schlemiel ganz richtig geschrieben. Auf der Tafel standen noch unter meinem Namen zwei Reihen Buchstaben, ich war aber zu schwach um sie zusammenzubringen, ich machte die Augen wieder zu. – Ich hörte Etwas, worin von Peter Schlemiel die Rede war, laut und vernehmlich ablesen, ich konnte aber den Sinn nicht fassen; ich sah einen freundlichen Mann und eine sehr schöne Frau in schwarzen Kleidern vor meinem Bette erscheinen. Die Gestalten waren mir nicht fremd, und ich konnte sie nicht erkennen. Es verging einige Zeit, und ich kam wieder zu Kräften. Ich hieß Numero zwölf, und Numero zwölf galt, seines langen Bartes

    wegen für einen Juden, darum er aber nicht minder sorgfältig gepflegt wurde. Daß er keinen Schatten hatte, schien unbemerkt geblieben zu seyn. Meine Stiefeln befanden sich, wie man mich versicherte, nebst Allem, was man bei mir gefunden, als ich hieher gebracht worden, in gutem und sicherm Gewahrsam, um mir nach meiner Genesung wieder zugestellt zu werden. Der Ort, worin ich krank lag, hieß das Schlemielium; was täglich von Peter Schlemiel abgelesen wurde, war eine Ermahnung für denselben als den Urheber und Wohlthäter dieser Stiftung zu beten. Der freundliche Mann, den ich an meinem

    Bette gesehen hatte, war Bendel, die schöne Frau war Mina. Ich genas unerkannt im Schlemilio, und erfuhr noch mehr, ich war in Bendels Vaterstadt, wo er aus dem Ueberrest meines sonst nicht gesegneten Goldes, dieses Hospitium, wo Unglückliche mich segneten, unter meinem Namen gestiftet hatte, und er führte über dasselbe die Aufsicht. Mina war Wittwe, ein unglücklicher Kriminal=Prozeß hatte dem Herrn Raskal das Leben und ihr selbst ihr mehrstes Vermögen gekostet. Ihre Eltern waren nicht mehr. Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Wittwe

    und übte Werke der Barmherzigkeit. – Sie unterhielt sich einst am Bette No: 12. mit dem Herrn Bendel: "Warum, edle Frau, wollen Sie sich so oft der bösen Luft, die hier herrscht, aussetzen? Sollte denn das Schicksal mit Ihnen so hart seyn, daß Sie zu sterben begehrten?" – "Nein, Herr Bendel, seit ich meinen bangen Traum ausgeträumet habe, und in mir selber erwacht bin, geht es mir wohl – seitdem wünsche ich nicht mehr und fürchte nicht mehr den Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit und Zukunft. Ist es auch nicht mit

    stillem innerlichen Glück, daß Sie jetzt auf die gottselige Weise ihrem Herrn und Freunde dienen." – "Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es ist uns doch wundersam ergangen, wir haben viel Wohl und [am Rande: bittres] Weh unbedachtsam aus dem vollen Becher geschlürft, – nun ist er leer; nun möchte einer meinen, das sei Alles nur die Probe gewesen, und mit kluger Einsicht gerüstet, den wirklichen Anfang erwarten. Ein anderer ist nun der wirkliche Anfang, und man wünscht das erste Gaukelspiel nicht zurücke, und ist dennoch im Ganzen froh, es wie es war, gelebt zu haben. Auch find ich in mir das Zutrauen, daß es nun unserm alten Freunde besser ergehen muß als damals." – "Auch in mir, erwiederte die schöne Wittwe, und sie gingen

    an mir vorüber." Dieses Gespräch hatte einen tiefen Eindruck in mir zurücke gelassen, aber ich zweifelte im Geiste, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt vondannen gehen sollte. – Ich entschied mich. Ich ließ mir Papier und Bleistift geben, und schrieb die Worte[r]:

    Auch Eurem alten Freunde ergeht es nun besser als damals, und büßet er, so ist es Buße der Versöhnung.

    Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich mich stärker befände; Man holte den Schlüssel zu dem kleinen Schranke, der neben meinem Bette stand, herbei. Ich fand Alles, was mir gehörte, darin. Ich legte meine Kleider an, hing meine botanische Kapsel, worin ich mit Freuden meine Nordischen Flechsen wiederfand,

    über meine schwarze Kurtka um, zog meine Stiefeln an, legte den geschriebenen Zettel auf mein Bett, und so wie die Thür' aufging, war ich schon weit auf dem Wege nach der Thebaïs. Wie ich längst der Syrischen Wüste den Weg, auf den ich mich zum letztenmal vom Hause entfernt hatte, zurücklegte, sah ich mir meinen armen Figaro entgegen kommen, dieser vortreffliche Pudel, schien seinem Herrn, den er lange zu Hause erwartet haben mochte, auf die Spur nachgehen zu wollen. Ich stand still, und rief ihm zu. Er sprang bellend an mich mit tausend rührenden Aeußerungen seiner unschuldigen ausgelassenen Freude. Ich nahm ihn unter dem Arm, denn freilig konnte er mir nicht folgen, und brachte

    ihn mit mir wieder nach Hause. Ich fand dort Alles in der alten Ordnung, und kehrte nach und nach, so wie ich wieder Kräfte bekam, zu meinen vormaligen Beschäftigungen und zu meiner alten Lebensweise zurück. Nur daß ich mich ein ganzes Jahr hindurch von der mir ganz unzuträglichen Polar Kälte enthielt. — Und so mein lieber Chamisso, leb' ich noch heute, meine Stiefeln nutzen sich nicht ab, wie das sehr gelehrte Werk des berühmten Ti[e]ckius40, de rebus gestis Policilli41 es mich anfangs befürchten lassen: Ihre Kraft bleibt ungebrochen, nur meine Kraft geht dahin, doch hab' ich den Trost, sie an einen Zweck in fortgesetzter Richtung und nicht fruchtlos verwendet zu haben. Ich habe, so weit meine Stiefeln gereicht, die Erde, ihre Gestaltung, ihre Höhen, ihre Tem

    peratur, ihre Atmosphäre in ihrem Wechsel, die Erscheinungen ihrer magnetischen Kraft, das Leben auf ihr, besonders im Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt als vor mir irgend ein Mensch. Ich habe die Thatsachen mit möglichster Genauigkeit in klarer Ordnung aufgestellt, und in mehrere Werken meine Folgerungen und Ansichten flüchtig in einige Abhandlungen niedergelegt. Ich lege meinen Erfahrungen über den Magnetismus der Erde einen besonderen Werth bei. – Ich habe die Geographie vom Innern vo[n] Afrika, und von den nördlichen Polarländern, festgesetzt. Meine Historia stirpium plantarum ubiusque [o]rbis,

    steht da als ein großes Fragment der Flora universalis terrae, und als ein Glied meines Systema naturae. Ich glaube darin nicht bloß die Zahl der bekannten Species müßig um mehr als ein Dritheil vermehrt zu haben, sondern auch Etwas für das natürliche System und für die Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich arbeite jetzt eifrig an meiner Fauna, ich werde Sorge tragen, daß vor meinem Tode meine Manuskripte bei der Berliner Universität n[i]edergelegt werden.

    Und Di[ch], mein lieber Chamisso, hab' ich zum Bewahrer meiner wundersa[m]en Geschichte erkoren, auf daß sie vielleicht, wenn ich von der

    Erde verschwunden bin, Manchem seiner Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen könne. Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Gold. Willst Du nur Dir und Deinem bessern Selbst leben, o so brauchst Du keinen Rath.

    Explicit.